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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 13.09.2006
Aktenzeichen: 3 K 1790/02
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 174 Abs. 1
AO 1977 § 174 Abs. 3
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1
Widerstreitende Steuerfestsetzung bei der Einkommensteuer einerseits und der Lohnsteuer andererseits
Finanzgericht Hessen

3 K 1790/02

Geänderte Steuerfestsetzung zur Lohnsteuer für die Kalenderjahre 1989 und 1990

In dem Rechtsstreit

hat Richter ... am Hessischen Finanzgericht als Einzelrichter

nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 13. September 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache streitig, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Änderung einer Lohnsteueranmeldung bzw. eines Lohnsteuerfestsetzungsbescheids vorliegen. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war zusammen mit seiner Ehefrau vom Beklagten (dem Finanzamt) für die Streitjahre 1989 und 1990 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden. Während dieses Zeitraums hatte er als angestellter Ingenieur Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit erzielt. Im Rahmen der genannten Einkunftsart hatte er als Werbungskosten u.a. Aufwendungen geltend gemacht, die ihm für die Beschäftigung seiner Ehefrau als "Schreibkraft" im Rahmen eines Unterarbeitsverhältnis entstanden sein sollten, und zwar für 1989 in Höhe von 5314,00 DM und für 1990 in Höhe von 6.274,00 DM. Das Finanzamt hatte die genannten Aufwendungen nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen mit der Begründung, das von dem Kläger geltend gemachte Unterarbeitsverhältnis sei steuerlich nicht anzuerkennen (Bescheide vom 03.09.1991). Den dagegen eingelegten Einspruch hatte es als unbegründet zurückgewiesen (Einspruchsentscheidungen vom 20.03.1992). Die Klagen, die der Kläger daraufhin, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten erhoben hatte, waren ebenfalls erfolglos geblieben. Das Gericht hatte die Auffassung des Finanzamts bestätigt, dass das Arbeitsverhältnis, das der Kläger mit seiner Ehefrau angeblich begründet hatte, nicht den insoweit einschlägigen Rechtsprechungsgrundsätzen entspreche (Urteile vom 22.11.2001 in den Verfahren 3 K 46/96 und 3 K 66/96).

Für die im Streitjahr 1989 (angeblich) getätigten Lohnzahlungen hatte der Kläger am 22.01.1990 eine Lohnsteueranmeldung mit folgenden Beträgen beim Finanzamt eingereicht:

 (1) Lohnsteuer:480,00 DM
(2) Kirchenlohnsteuer:16,30 DM
(3) Summe496,30 DM

Für das Streitjahr 1990 hatte er hingegen keine Lohnsteueranmeldung abgegeben. Deshalb hatte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen geschätzt und die Lohnsteuer durch Bescheid vom 12.04.1991 festgesetzt, und zwar mit folgenden Beträgen:

 (1) Lohnsteuer:580,00 DM
(2) Kirchenlohnsteuer:21,00 DM
(3) Summe:601,00 DM.

Mit Schreiben vom 14.01.2002 stellte der Kläger, weiter vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, beim Finanzamt den Antrag, die Lohnsteueranmeldung für das Jahr 1989 sowie die Lohnsteuerfestsetzung für das Jahr 1990 in der Weise zu ändern, dass die Lohnsteuer jeweils auf 0,00 DM festgesetzt wird.

Zur Begründung machte er - sinngemäß - Folgendes geltend: Die angemeldeten bzw. festgesetzten Lohnsteuerbeträge beträfen ausschließlich das mit seiner Ehefrau abgeschlossene Unterarbeitsverhältnis. Nachdem nunmehr auch das Finanzgericht dem genannten Arbeitsverhältnis die Anerkennung versagt habe, sei der Rechtsgrund für die Erhebung einer entsprechenden Lohnsteuer entfallen.

Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Zur Begründung führte es u.a. aus: Die hier betroffenen Lohnsteuerfestsetzungen könnten nicht mehr geändert werden.

Zum einen sei die Festsetzungsfrist abgelaufen. Zum anderen lägen die Voraussetzungen des § 174 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO), wonach eine Änderung auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist zulässig sei, nicht vor (Bescheid vom 15.02.2002). Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 23.04.2002).

Mit Schreiben vom 24.05.2005 teilte der Prozessbevollmächtigte im Namen des Klägers dem Gericht mit, er erhebe Klage "wegen Einspruchsentscheidung vom 23.04.2002 über Ablehnung der Anträge auf geänderte Steuerfestsetzung zur Lohnsteuer für die Kalenderjahre 1989 und 1990". Weiter führte er aus: Klageantrag und Klagebegründung würden "urlaubsbedingt" nachgereicht.

Weil der Prozessbevollmächtigte trotz mehrfacher Erinnerung weder einen Klageantrag noch eine Klagebegründung einreichte, forderte das Gericht den Prozessbevollmächtigten durch Verfügung vom 08.10.2002 auf, innerhalb der bis zum 15.11.2002 gesetzten Ausschlussfrist den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Die Frist blieb unbeachtet.

Mit Schreiben vom 18.12.2002 teilte das Gericht den Beteiligten sodann Folgendes mit: An der Auffassung, der Kläger habe bisher den Gegenstand des Klagebegehrens nicht bezeichnet und insofern die Mindestanforderungen an die Ordnungsmäßigkeit einer Klage innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist nicht erfüllt, werde nicht mehr so ohne weiteres festgehalten. Dies ergebe sich aus einer Durchsicht der nunmehr vorliegenden Lohnsteuerakten des Finanzamts.

Nach einer entsprechenden Stellungnahme des Finanzamts hat sich der Kläger, weiter vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, erstmals zur Sache näher geäußert. Hiernach trägt er - sinngemäß - im Wesentlichen Folgendes vor: (1) Die Klage sei - entgegen der Auffassung des Finanzamts - zulässig. Aus den im Klageschriftsatz vom 24.05.2002 angesprochenen Punkten ergebe sich eindeutig der Gegenstand des Klagebegehrens. Außerdem sei der Streitstoff hinreichend klar aus der angefochtenen Einspruchsentscheidung zu entnehmen. (2) Das Finanzamt sei verpflichtet, die streitigen Lohnsteuerfestsetzungen zu ändern.

Denn es widerspreche rechtstaatlichen Grundsätzen, wenn das Finanzamt einen bestimmten Sachverhalt bei der einen Steuerfestsetzung zu seinen Ungunsten berücksichtige, während es den gleichen Sachverhalt bei der anderen Steuerfestsetzung, ebenfalls zu seinen Ungunsten, unberücksichtigt lasse. Zudem sei das Finanzamt aus Gründen der Gleichbehandlung und der Fürsorge verpflichtet gewesen, entsprechend seiner im Einkommensteuerverfahren vertretenen Rechtsauffassung auch im Lohnsteuerverfahren zu handeln und demzufolge die Lohnsteuerfestsetzungen zu ändern. Schließlich seien die beiden Urteile des Gerichts vom 22.11.2002 im Sinne von sog. Grundlagenbescheiden zu verstehen, so dass die Lohnsteuerfestsetzung auf der Grundlage des § 175 AO geändert werden müssten.

Der Kläger beantragt,

den Ablehnungsbescheid vom 15.02.2002 sowie die Einspruchsentscheidung vom 23.04.2002 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, die Lohnsteueranmeldung vom 22.01.1990 für das Jahr 1989 sowie den Lohnsteuerbescheid vom 12.04.1991 für das Jahr 1990 in der Weise zu ändern, dass die Lohnsteuer jeweils auf 0,00 DM festgesetzt wird.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt es u.a. Folgendes vor: (1) Die Klage sei unzulässig. Der Kläger habe den Gegenstand des Klagebegehrens nicht bezeichnet. Zwar reiche es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) für die Ordnungsmäßigkeit der Klage aus, wenn der Kläger in der Klageschrift die Aufhebung eines Bescheids beantrage, durch den das Finanzamt die Änderung eines Steuerbescheids abgelehnt habe (Hinweis auf den Beschluss vom 17.01.2002 VI B 114/01, BStBl II 2002, 306). Im Streitfall habe der Kläger einen solchen Antrag jedoch nicht gestellt. Nach dem Ablauf des Einspruchsverfahrens könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger nur eine teilweise Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der nachfolgenden Einspruchsentscheidung begehren könnte. So habe er in seiner Einspruchsbegründung den Umfang der angestrebten Änderung nicht klar definiert. (2) Die Klage sei jedenfalls unbegründet. Eine Rechtsgrundlage für die von dem Kläger erstrebte Änderung sei nicht gegeben.

In Betracht komme allenfalls eine Änderung nach § 174 Abs. 1 AO. Eine widerstreitende Steuerfestsetzung im Sinne dieser Vorschrift liege allerdings nur dann vor, wenn der betreffende Sachverhalt hätte nur einmal berücksichtig werden dürfen. Der hier streitige Sachverhalt (Zahlung von Vergütungen an die Ehegattin des Klägers) sei jedoch zweimal zu berücksichtigen gewesen, einmal bei der Festsetzung der Einkommensteuer und einmal bei der Anmeldung bzw. Festsetzung der Lohnsteuer. Im Übrigen habe der Kläger genügend Zeit gehabt, die Änderung der Lohnsteuerfestsetzung zu beantragen, nachdem er von der abweichenden Auffassung der Behörde im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung erfahren habe.

Das Gericht hat - neben den den Streitfall betreffenden Lohnsteuerakten des Finanzamts - die Gerichtsakten zu den Verfahren 3 K 49/96 und 3 K 66/96 zu dem vorliegenden Verfahren hinzugezogen. Alle diese Vorgänge waren Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Zulässigkeit steht nicht der Umstand entgegen, dass der Kläger - entgegen der Ankündigung des Prozessbevollmächtigten in dem Schriftsatz vom 24.05.2002 - die Klage zunächst nicht näher begründet hat. Denn der vorgenannte Schriftsatz erfüllt die Mindestanforderungen, die an die ordnungsgemäße Erhebung einer finanzgerichtlichen Klage zu stellen sind. Die gerichtliche Verfügung vom 08.10.2002 ist insofern von einer unzutreffenden Sach- und Rechtslage ausgegangen und daher hinfällig.

§ 65 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erfordert für eine Anfechtungsklage neben der Angabe des Klägers, des Beklagten und des angefochtenen Verwaltungsaktes sowie der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zusätzlich die Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens.

Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende oder ein von ihm bestimmter Richter (Berichterstatter) den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern (§ 65 Abs. 2 Satz 1 FGO). Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernisse fehlt (§ 65 Abs. 2 Satz 2 FGO). Entspricht die eingereichte Klage den in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernissen, ist eine gleichwohl verfügte Ausschlussfrist hinfällig (BFH-Beschluss vom 17.10.1996 V B 75/96, BFH/NV 1997, 415).

Nach der Rechtsprechung des BFH hat der Kläger zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens vorzutragen, worin die ihn treffende Rechtsverletzung liegt. Da das Gericht nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht über das Klagebegehren hinausgehen darf, obliegt es dem Kläger, den Umfang des begehrten Rechtschutzes zu bestimmen. Wie weit das Klagebegehren einer Klage im Einzelnen zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des Falles ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes, der Steuerart und der Klageart. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird, zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt. Der Gegenstand des Klagebegehrens kann auch im Wege der Auslegung und unter Rückgriff auf die Steuerakten festgestellt werden. Bei einer solchen Auslegung sind sämtliche - dem Gericht und der Finanzbehörde erkennbaren - Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (vgl. BFH-Beschluss in BStBl II 2002, 306, sowie BFH-Beschluss vom 08.06.2004 XI B 46/02, BFH/NV 2004, 1417, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Die im Streitfall vorliegende Klageschrift entspricht den vorstehenden Grundsätzen. Durch die Formulierung "wegen Einspruchsentscheidung vom 23.04.2002 über Ablehnung auf geänderte Festsetzung zur Lohnsteuer für die Kalenderjahre 1989 und 1990" sowie die in Bezug genommenen Vorgänge in den Lohnsteuerakten des Finanzamts wird hinreichend deutlich, auf welche Sachverhalte sich das Rechtsschutzbegehren des Klägers bezieht. Der Kläger hatte mit seinem Antrag vom 14.01.2002 klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sowohl für das Jahr 1989 als auch für das Jahr 1990 die Lohnsteuer im Wege der Änderung jeweils auf 0,00 DM festgesetzt werden sollte. In seinem Einspruchsschreiben vom 05.03.2002 hatte er sich zwar nur allgemein gegen den Ablehnungsbescheid vom 15.02.2002 gewandt. In dem nachfolgenden Begründungsschreiben hatte er jedoch unmissverständlich die Lohnsteuerfestsetzung für die beiden Jahre 1989 und 1990 genannt. Auch das Finanzamt hatte sich in der Einspruchsentscheidung auf die Jahre 1989 und 1990 bezogen.

Aus den vorgenannten Gründen vermag das Gericht nicht dem Finanzamt in seiner Auffassung zu folgen, der Kläger habe im außergerichtlichen Verfahren den Umfang der von ihm angestrebten Änderung nicht klar definiert. Allein der Umstand, dass er in der Klageschrift nicht den Antrag gestellt hat, den angefochtenen Ablehnungsbescheid aufzuheben, rechtfertigt nicht die Annahme des Finanzamts, der Kläger habe sein Rechtsschutzbegehren möglicherweise nur auf einen Teil dieses Bescheides beziehen wollen. Vielmehr wird aus den Gesamtumständen des Streitfalles hinreichend deutlich der Wille des Klägers erkennbar, durch die vorliegende Klage den Ablehnungsbescheid vom 15.02.2002 im vollen Umfang anzufechten.

2. Das Finanzamt hat den Antrag des Klägers, die Lohnsteuerfestsetzungen für die Jahre 1989 und 1990 zu ändern, zu Recht abgelehnt. Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es für dieses Begehren an einer verfahrensrechtlichen Grundlage.

a) Ein Anspruch auf die begehrte Änderung ergibt sich zunächst nicht aus § 174 Abs. 1 AO.

Ist ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen, so ist der fehlerhafte Steuerbescheid auf Antrag aufzuheben oder zu ändern (§ 174 Abs. 1 Satz 1 AO). Ist die Festsetzungsfrist für diese Steuerfestsetzung - wie unstreitig im Streitfall - bereits abgelaufen, so kann der Antrag noch bis zum Ablauf eines Jahres gestellt werden, nachdem der letzte der betroffenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden ist (§ 174 Abs. 1 Satz 2 AO).

Ein bestimmter Sachverhalt wird in dem vorgenannten Sinne "berücksichtigt", wenn er in einem Steuerbescheid (Festsetzungsbescheid oder Steueranmeldung) steuerrechtlich erfasst oder geregelt wird. Der Sachverhalt muss also einer Steuerfestsetzung zu Grunde gelegen haben. Dabei müssen aus dem Sachverhalt irgendwelche steuerliche Folgen gezogen worden sein. Es ist allerdings nicht erforderlich, dass das Finanzamt den erfassten Sachverhalt in alle Einzelheiten kennt. So reicht es beispielsweise aus, wenn der betreffende Vorgang in ein komprimiertes Zahlenwerk eingegangen ist und dieses dem Finanzamt vorgelegen hat. Auch bei einer Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ist die fehlerhafte Mehrfachberücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts im Sinne des § 174 Abs. 1 Satz 1 AO grundsätzlich möglich, etwa dann, wenn das Finanzamt zu dem konkret betroffenen Sachverhalt einzelne Angaben, die der Steuerpflichtige zu einem vergleichbaren Sachverhalt gemacht hat, als Schätzungsgrundlage heranzieht (vgl. BFH-Urteil vom 06.03.1990 VIII R 28/84, BStBl II 1990, 558; s. a.: von Wedelstädt in Beermann/Gosch, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, § 174 AO Rdnr. 20 und 27).

Der bestimmte Sachverhalt ist entsprechend dem Wortlaut des § 174 Abs. 1 Satz 1 in unvereinbarer Weise mehrfach berücksichtigt, wenn diesbezüglich nach dem materiellen Recht ein wechselseitiges Ausschließlichkeitsverhältnis besteht, etwa in der Weise, dass die Berücksichtigung desselben Sachverhalts bei einem anderen Steuerpflichtigen, bei einer anderen Steuerart oder in einem anderen Besteuerungszeitraum denkgesetzlich ausgeschlossen ist. Nach seinem Wortlaut ist § 174 Abs. 1 Satz 1 AO jedoch nicht einschlägig für die Fälle, in denen der bestimmte Sachverhalt nach materiellem Recht zulässigerweise in zwei oder mehreren Steuerbescheiden berücksichtigt werden darf oder muss.

Liegt ein solcher Fall vor, ist eine Änderung nach § 174 Abs. 1 AO auch dann ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt bei der Berücksichtigung des betreffenden Sachverhalts Fehler insofern unterlaufen sind, als die steuerrechtlichen Folgerungen nicht miteinander korrespondieren. Hat beispielsweise das Finanzamt einen Darlehensvertrag zwischen Vater und Sohn (als Darlehensnehmer einerseits und Darlehensgeber andererseits) nicht anerkannt und deswegen beim Vater für die geltend gemachten Darlehenszinsen den Betriebsausgabenabzug versagt, so kann der Sohn nicht auf der Grundlage des § 174 Abs. 1 AO verlangen, dass der ihm gegenüber ergangene Einkommensteuerbescheid nach Eintreten der Bestandskraft geändert und dadurch die Erfassung der Darlehenszinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen wieder rückgängig gemacht wird (vgl. BFH-Urteil vom 02.08.1994 VIII R 65/93 BStBl II 1995, 264; s. a.: von Wedelstädt in Beermann/Gosch, a.a.O., § 174 AO Rdnr. 32 und 35).

Im Streitfall war der hier betroffene Sachverhalt (Lohnzahlung an die Ehefrau des Klägers) für den jeweiligen Besteuerungszeitraum (Jahr 1989 und Jahr 1990) sowohl bei der Festsetzung der Einkommensteuer als auch bei der Anmeldung bzw. Festsetzung der Lohnsteuer zu steuerrechtlich zu erfassen. Dabei spielte es nach den vorgenannten Grundsätzen keine Rolle, dass dieser Sachverhalt in die betreffende Lohnsteueranmeldung bzw. Lohnsteuerfestsetzung nur als zahlenmäßige Größe eingegangen ist (z.B.: Lohnsteuer in Höhe von 480,00 DM für das Jahr 1989 bzw. in Höhe von 580,00 DM für das Jahr 1990).

Grundlage der Lohnsteueranmeldung (1989) wie der Lohnsteuerfestsetzung (1990) war jeweils das Unterarbeitsverhältnis, das der Kläger zu einem früher Zeitpunkt einmal gegenüber dem Finanzamt angegeben hatte. Durch die Übernahme der vom Kläger angemeldeten Lohnsteuerbeträge (1989) sowie die Schätzung entsprechender Lohnzahlungen (1990) hat das Finanzamt steuerrechtliche Folgerungen aus dem (angeblichen) Bestehen eines Unterarbeitsverhältnisses gezogen.

Das Versagen des Werbungskostenabzugs für die vom Kläger geltend gemachten Lohnzahlungen (Einkommensteuerveranlagung) einerseits und das Übernehmen der angemeldeten Lohnsteuerbeträge bzw. die Lohnsteuerfestsetzung aufgrund geschätzter Lohnzahlungen (Lohnsteuererhebung) andererseits durch die jeweils zuständige Stelle des Finanzamts stehen nicht in einem Verhältnis der wechselseitigen Ausschließlichkeit zu einander. Vielmehr liegt ein Fall vor, bei dem die Entscheidungen, die das Finanzamt in den verschiedenen Steuerbescheiden getroffen hat, materiell-rechtlich nicht miteinander korrespondieren.

Ein von der Regelung des § 174 Abs. 1 Satz 1 AO erfasster Fall wäre allenfalls dann gegeben gewesen, wenn aus dem hier streitige Unterarbeitsverhältnis entweder nur bei der Einkommensteuer oder nur bei der Lohnsteuer rechtliche Folgerungen zu ziehen gewesen wären. Im Streitfall jedoch musste der Sachverhalt sowohl bei der Einkommensteuerveranlagung als auch bei der Lohnsteuererhebung in eine steuerrechtliche Regelung einbezogen werden. Ob die jeweilige Regelung für den Kläger günstig oder ungünstig gewesen wäre, ist dabei gleichgültig.

b) Die vom Kläger begehrte Änderung kann auch nicht aus § 174 Abs. 3 AO abgeleitet werden.

Die Anwendung dieser Vorschrift setzt voraus, dass "ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden (ist), dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und ... sich diese Annahme als unrichtig heraus(stellt) ...". § 174 Abs. 3 AO erfordert hiernach das Vorliegen eines "negativen Widerstreits". Ein "bestimmter Sachverhalt" darf in keinem von mehreren in Betracht zu ziehenden Steuerbescheiden berücksichtigt worden sein, obwohl er in einem dieser Bescheide hätte berücksichtigt werden müssen (vgl. BFH-Urteile vom 27.05.1993 IV R 65/91, BStBl II 1994, 76, und vom 29.05.2001 VIII R 19/00, BStBl II 2001, 743).

Ein "negativer Widerstreit" in dem vorgenannten Sinne liegt im Streitfall nicht vor. Der streitige Sachverhalt, Lohnzahlungen aufgrund eines (angeblich bestehenden) Unterarbeitsverhältnisses, war für das jeweilige Jahr nach den maßgebenden Vorschriften des materiellen Steuerrechts in den Regelungsbereich von zwei Steuerbescheiden (Einkommensteuerbescheid einerseits und Lohnsteueranmeldung bzw. Lohnsteuerfestsetzung andererseits) einzubeziehen, also im Sinne der o. g. Grundsätze zu "berücksichtigen". In dieser Weise ist auch das Finanzamt verfahren. Von einer "Nichtberücksichtigung" im Sinne des § 174 Abs. 3 AO kann daher keine Rede sein.

c) Schließlich kommt auch nach den Regeln des § 175 AO eine Änderung der streitigen Lohnsteuerfestsetzungen nicht in Betracht.

Nach der genannten Vorschrift ist - auch nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist - ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO, dem Bindungswirkung für diesen Bescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) oder soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (sog. rückwirkendes Ereignis, Abs. 1 Satz 1 Nr. 2).

aa) Die für die Jahre 1989 und 1990 gegenüber dem Kläger ergangenen Einkommensteuerbescheide stellen im Verhältnis zu den streitigen Lohnsteuerfestsetzungen keine Grundlagenbescheide im Sinne von § 171 Abs. 10 und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO dar.

Die Regelung in § 171 Abs. 10 AO definiert den Grundlagenbescheid als einen Verwaltungsakt, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist, ohne die Voraussetzungen der Bindungswirkung näher zu bestimmen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist jedoch für die Annahme einer Bindungswirkung grundsätzlich eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich. Ohne gesetzlich angeordnete Bindungswirkung ist hiernach die Annahme eines Grundlagenbescheids nur für solche Fälle möglich, in denen Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag. So besteht - wegen des Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung - beispielsweise im Einkommensteuerveranlagungsverfahren keine verfahrensrechtliche Bindung an die im Lohnsteuerpauschalierungsverfahren getroffenen Entscheidungen (vgl. BFH-Urteil vom 10.06.1988 III R 232/84, BStBl II 1988, 981).

Für den Streitfall wird - im Vergleich zu dem vorgenannten Urteilsfall - in Bezug auf die Bindungswirkung zwar ein anders herum gerichtetes Verhältnis geltend gemacht, nämlich die Einkommensteuerfestsetzung als (angeblich) vorrangige Entscheidung gegenüber der Lohnsteuerfestsetzung als (angeblich) nachfolgende Entscheidung. Jedoch gilt für diesen Fall im Ergebnis nichts anderes.

Denn es ist auch hier keine gesetzliche Regelung ersichtlich, aus der abgeleitet werden könnte, dass die Einkommensteuerfestsetzung beim Kläger als Arbeitgeber bindende Wirkung für die seine Ehefrau als Arbeitnehmerin betreffende Lohnsteuererhebung haben könnte. Eine bindende Wirkung ohne gesetzliche Regelung kommt hier ohnehin nicht in Betracht.

bb) Die beiden Urteile, die das Gericht betreffend die Bescheide zur Einkommensteuer 1989 und 1990 am 22.11.2001 erlassen hat, stellen im Verhältnis zu den streitigen Lohnsteuerfestsetzungen jeweils kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar.

Zwar kann eine Gerichtsentscheidung die Bedeutung eines rückwirkenden Ereignisses haben, wenn sie den Tatbestand, an den das Steuergesetz anknüpft, rückwirkend verändert. Keine Rückwirkung kommt jedoch einem finanzgerichtlichen Urteil zu, das einen bekannten und unveränderten Sachverhalt abweichend von der Sichtweise des Klägers rechtlich würdigt (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 1995, 264).

Um eine rechtliche Würdigung in dem vorgenannten Sinne und nicht um eine rückwirkende Gestaltung eines Lebenssachverhaltes ging es in den Urteilen vom 22.11.2001. Denn an dem Sachverhalt, den das Gericht damals steuerlich zu bewerten hatte, hat sich durch den jeweiligen Urteilsausspruch selbst nichts geändert. Durch die Entscheidungen des Gerichts ist lediglich klargestellt worden, dass der Sachverhalt, an den der Kläger damals sein Begehren auf Minderung der festzusetzenden Einkommensteuer geknüpft hatte, vom Finanzamt in zutreffender Weise rechtlich behandelt worden war.

d) Das Gericht vermag schließlich nicht dem Kläger in seinem Vorbringen zu folgen, das Finanzamt sei im Rahmen der verfahrensrechtlichen Fürsorge verpflichtet gewesen, im Anschluss an die bei der Einkommensteuer getroffenen Entscheidungen auch die entsprechende Änderungen bei der Lohnsteuer zu veranlassen.

Gewisse Fürsorgepflichten des Finanzamts ergeben sich zwar aus § 89 AO. Danach soll die Finanzbehörde u.a. die Stellung von Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben sind. Die Bestimmung legt aber keine allgemeine Beratungspflicht des Finanzamts fest, welche Anträge der Steuerpflichtige im Einzelfall stellen soll. Nur wenn für das Finanzamt offenkundig ist, dass der Steuerpflichtige den Antrag versehentlich oder aus Unkenntnis nicht gestellt hat, muss es auf die Möglichkeit der Antragstellung hinweisen. Wird der Steuerpflichtige - wie hier im Streitfall - durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten, braucht die Behörde im allgemeinen nicht davon ausgehen, dass ein - an sich sachlich gebotener - Antrag aus bloßer Unkenntnis oder aufgrund eines Versehens nicht gestellt worden ist (Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 89 AO Tz. 3).

Dem Prozessbevollmächtigten als dem damaligen steuerlichen Berater des Klägers wäre es ohne weiteres möglich gewesen, im Anschluss an den Erlass der die Einkommensteuer 1989 und 1990 betreffenden Bescheide vom 03.09.1991 die Änderung der für die gleichen Jahre geltenden Lohnsteuerfestsetzungen - zumindest vorsorglich - zu beantragen. Wie dem Gericht aus den Verfahren 3 K 46/96 und 3 K 66/96 bekannt, hat sich der Prozessbevollmächtigte nicht gescheut, betreffend die Einkommensteuer 1989 und 1990 namens des Klägers in größerer Zahl finanzgerichtliche Klagen anhängig zu machen, obwohl das jeweilige Rechtsschutzziel teilweise auch auf einfacherem Wege zu erreichen gewesen wäre. Von daher erscheint es nicht nachvollziehbar, warum das Finanzamt bei der Lohnsteuerfestsetzung ohne das Zutun des Prozessbevollmächtigten, gleichsam von Amts wegen, zugunsten des Klägers hätte tätig werden sollen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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