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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 23.05.2007
Aktenzeichen: 3 K 3143/06
Rechtsgebiete: EStG, VO (EWG) 1408/71, DVO (EWG) 574/72


Vorschriften:

EStG § 62
EStG § 63
EStG § 65 Abs. 1 Nr. 2
VO (EWG) 1408/71
DVO (EWG) 574/72
Keine selbständige Berufsausübung eines EU-Bürgers im Inland, wenn er keinem System der gesetzlichen Sozialversicherung angehört.
HESSISCHES FINANZGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 3 K 3143/06

In dem Rechtsstreit

wegen Kindergeld

hat der 3. Senat des Hessischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 23. Mai 2007 unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Hessischen Finanzgericht des Richters am Hessischen Finanzgericht des Richters am Hessischen Finanzgericht des ehrenamtlichen Richters des ehrenamtlichen Richters

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen umfassenden Anspruch auf Kindergeld für seine in Polen lebenden Kinder hat. Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger ist polnischer Staatsbürger. Seine Frau und seine in den Jahren 1985, 1988 und 1990 geborenen Kinder leben dauerhaft in Polen. Dort hat die Familie des Klägers auch die gesetzlich festgelegten Familienleistungen für die gemeinsamen Kinder erhalten. Der Kläger hat erklärt, seine Frau sei in Polen nicht berufstätig.

Nach den Unterlagen, die der Kläger der Beklagten eingereicht hat, hat er am 08.12.2004 bei der Stadt A ab dem 01.01.2005 ein Gewerbe "Hausmeisterservice und Fliesenleger" angemeldet. Am 04.12.2004 hat er zusammen mit einem polnischen Landsmann einen Mietvertrag über eine 1 1/2 - Zimmerwohnung in A abgeschlossen. Im August 2005 hat er den Gewerbebetrieb in die Gemeinde B verlegt und dort angemeldet. Außerdem hat er dort mit dem gleichen polnischen Landsmann ab dem 10.08.2005 eine 2 - Zimmerwohnung fest für den Zeitraum von drei Jahren gemietet. Die Wohnung sollte von drei Personen bezogen werden. Die Anschrift der inländischen Betriebsstätte ist in beiden Fällen identisch mit der Wohnadresse des Klägers.

Der Kläger hat zunächst bei der Familienkasse in C einen Antrag auf Kindergeld für seine drei Kinder gestellt. Nach Abgabe der Unterlagen an die Beklagte, die Familienkasse in D (die Familienkasse), hat diese mit Bescheid vom 07.07.2006 das Kindergeld für jedes Kind des Klägers ab Dezember 2004 auf 77,-- EUR festgesetzt.

Gegen die Kindergeldfestsetzung hat der Kläger am 14.09.2006 Einspruch eingelegt. Die späte Einlegung des Einspruchs hat er damit begründet, dass er erst am 14.08.2006 aus dem Urlaub zurückgekommen sei. Zur Begründung seines Einspruchs hat er die anonymisierte Kopie eines Schreibens der Familienkasse F beigefügt und geäußert, dass die Familienkasse in F bei gleichem Sachverhalt im Fall eines Kollegen günstiger entschieden habe als die Familienkasse in seinem Fall. Das könne nicht rechtmäßig sein. Die Familienkasse hat den Einspruch mit Entscheidung vom 28.09.2006 als unbegründet abgewiesen. Dagegen richtet sich die vorliegende Klage.

Zur Begründung der Klage trägt der Kläger vor, er sei seit dem 01.01.2005 im Inland selbständig tätig und hier auch unbeschränkt steuerpflichtig. Daher stehe ihm ein umfassender Anspruch auf Kindergeld für seine drei Kinder zu. Als selbständig tätiger Handwerker unterliege er nicht der gesetzlichen Versicherungspflicht. Er habe sich aber freiwillig privat versichert und erfülle damit die europarechtlichen Voraussetzungen zum umfassenden Bezug des deutschen Kindergeldes als Selbständiger. Dagegen sei ihm eine europarechtliche Regelung, die nur einen Anspruch auf das halbe Kindergeld gewähre, nicht bekannt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid über die Festsetzung des Kindergeldes vom 07.07.2006 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 28.09.2006 zu ändern und die Familienkasse zu verpflichten, für jedes seiner drei Kinder das Kindergeld ab Dezember 2004 in Höhe von 154,-- EUR festzusetzen.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Kläger für jedes seiner Kinder einen Anspruch nur auf das hälftige deutsche Kindergeld habe, weil auch in Polen ein Anspruch auf entsprechende Familienleistungen für seine Kinder bestehe.

Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung ein Band Kindergeldakten für den Kläger vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Senat lässt offen, ob die Klage schon deswegen keinen Erfolg haben kann, weil der Kläger gegen den Bescheid vom 7. Juli 2006 möglicherweise schuldhaft verspätet Einspruch eingelegt hat. Die Familienkasse hat den Einspruch als fristgerecht erhoben behandelt, ohne auf die für seine Entscheidung maßgeblichen Wiedereinsetzungsgründe einzugehen. Das Gericht folgt dieser Behandlung, zumal die Klage aus anderen Gründen keinen Erfolg hat.

Der Kläger kann seinen Anspruch auf Festsetzung des Kindergeldes für jedes seiner Kinder in voller Höhe weder auf die inländischen Vorschriften, die die Zahlung des deutschen Kindergeldes regeln, stützen noch auf überstaatliche europarechtliche Vorschriften, die ihm den Zugang zu den Ansprüchen nach den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften eröffnen. Im Einzelnen gilt Folgendes:

I. 1. Mit dem vom Kläger angegriffenen Bescheid vom 7. Juli 2006 hat die Familienkasse den Antrag des Klägers auf eine umfassende Festsetzung des Kindergeldes für seine drei Kinder abgelehnt und für jedes Kind eine niedrigere Kindergeldfestsetzung verfügt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) beschränkt sich der Regelungsgehalt eines Bescheides, durch den ein Antrag auf die Festsetzung von Kindergeld abgelehnt wird, auf die Regelung des Anspruchs auf Kindergeld für die Vergangenheit und für den Monat, in dem der Bescheid bekannt gegeben wird (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 - VI R 164/98, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2002, 88). Wird gegen diesen Bescheid Einspruch eingelegt, verlängert sich die Geltungsdauer des Ablehnungsbescheides bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, weil die Behörde im Einspruchsverfahren die Sach- und Rechtslage noch einmal umfassend überprüft (§ 367 Abs. 2 Satz 1 Abgabenordnung) und weil der daraufhin angegriffene Bescheid gemäß § 44 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Gestalt zum Gegenstand des Verfahrens wird, die er durch die Einspruchsentscheidung gefunden hat (ebenso: Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 23. Januar 2007 - 10 K 5107/05 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2007, 600).

2. Diese Beschränkung des Streitgegenstandes auf den Zeitraum bis zur Bekanntgabe der letzten außergerichtlichen Entscheidung gilt nach Auffassung des Senats nicht nur in den Fällen, in denen die Familienkasse eine Kindergeldfestsetzung in vollem Umfang ablehnt. Sondern sie hat gleichermaßen zu gelten bei Sachverhalten, in denen die Behörde - wie im Streitfall - das Kindergeld für jedes einzelne Kind niedriger festsetzt, als es der gesetzlichen Regelung in § 66 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) entspricht. Denn der Regelungsgehalt auch dieser Festsetzung beinhaltet wesentlich eine Ablehnung des Kindergeldes, die keine Dauerwirkung entfalten soll. Danach beschränkt sich der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits auf den Zeitraum von Dezember 2004 bis September 2006.

3. Zum sachlichen Gegenstand der Klage geht der Senat davon aus, dass der Kläger entgegen dem Wortlaut seines Klageantrags das umfassende Kindergeld für jedes seiner drei Kinder begehrt. In seinem Klageantrag hat der Kläger zwar nur seine Kinder M und N ausdrücklich erwähnt. Auch steht es ihm frei, seinen Kindergeldantrag auf einzelne Kinder zu beschränken, da es sich bei dem angegriffenen Kindergeldbescheid um einen zusammengefassten Bescheid handelt (vergleiche Dienstanweisung für den steuerlichen Familienleistungsausgleich Abschnitt 70.1 Abs. 1 Satz 3). Der Kläger hat jedoch in seiner Klagebegründung gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass er die Zuerkennung des gesamten ihm nach seiner Auffassung zustehenden Kindergeldes begehrt. Der Berichterstatter hat ihm daraufhin mit Schreiben vom 8. Mai 2007 mitgeteilt, dass das Gericht von einem auch das Kind O erfassenden Klageantrag ausgehen werde, wenn er dieser Auslegung nicht ausdrücklich widerspreche. Der Kläger hat dieser Auslegung seines Klageantrags nicht widersprochen.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist daher die Festsetzung des umfassenden Kindergeldes für jedes der drei in Polen lebenden Kinder des Klägers während des Zeitraums von Dezember 2004 bis September 2006.

II. 1. Der Kindergeldanspruch des Klägers ist zunächst nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 und § 63 Abs. 1 EStG zu beurteilen. Danach hat ein Elternteil einen Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Inland einen Wohnsitz hat und sich seine Kinder im Inland oder in einem Land der Europäischen Union (EU) aufhalten und dort die weiteren Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 bis 5 EStG erfüllen. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

2. Der Anspruch auf Kindergeld entfällt jedoch nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, da für die gleichen Kinder in Polen Leistungen gewährt worden sind, die dem inländischen Kindergeld vergleichbar sind. Entsprechende Familienleistungen hat die selbst berufstätige Ehefrau des Klägers zumindest seit dem 01.01.2005 für jedes der gemeinsamen Kinder bezogen. Das ergibt sich aus den Antworten der zuständigen polnischen Behörde auf entsprechenden Anfragen der Familienkasse in A und später der Beklagten. Die zunächst relativ niedrigen polnischen Familienleistungen sind ab dem 1. September 2005 deutlich angehoben worden.

Die in Polen zu beanspruchenden Familienleistungen sind auch grundsätzlich dem in Deutschland gewährten Kindergeld vergleichbar, wie sich aus einem Schreiben des Bundesamtes für Finanzen an die Familienkassen vom 14. Februar 2002 (BStBl I 2002, 241) ergibt. Der Anspruch der Mutter der Kinder auf gleichartige Familienleistungen in Polen schließt einen Anspruch des Klägers auf das inländische Kindergeld nach dem EStG aus.

3. Der Kläger kann entgegen seiner Auffassung auch keinen Anspruch auf das deutsche Kindergeld aus den europarechtlichen Vorschriften herleiten.

a) Als Rechtsgrundlage für einen solchen Anspruch würde sich im Streitfall Artikel 13 Abs. 1 und Abs. 2 Buchstabe b) und Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: VO Nr. 1408/71) anbieten. Nach dieser Regelung unterliegen Arbeitnehmer und Selbständige grundsätzlich den Rechtsvorschriften des EU-Staates, in dem sie ihre Tätigkeit ausüben. Das gilt selbst dann, wenn sie (mit ihrer Familie) in einem anderen EU-Staat wohnen. Daraus folgt, dass der genannte Personenkreis Anspruch auf Kindergeld beziehungsweise Familienleistungen ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des Staates hat, in dem er seine Tätigkeit ausübt (so auch: Abschnitt 203.133 der Dienstanweisung zur Durchführung des Kindergeldes nach über- und zwischenstaatlichen Rechtsvorschriften).

Die VO Nr. 1408/71 regelt in Artikel 2 i. V. m. Artikel 1 Buchstabe a) den Begriff des "Selbständigen" für alle EU-Staaten einheitlich und damit teilweise abweichend von jeweiligen innerstaatlichen Rechtsvorschriften. Voraussetzung für die Anerkennung als "Selbständiger" ist danach, dass die Person, die eine Familienleistung beansprucht, sich gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Selbständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert hat. Um welche Rechtsvorschriften es sich insoweit handelt, ergibt sich aus Artikel 73 i. V. m. Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 1 Buchstabe j) und - soweit es die Verhältnisse in Deutschland betrifft - dem Anhang I Abschnitt I.D. Buchstabe b) zur VO Nr. 1408/71. Danach gilt in Deutschland als "Selbständiger" im Sinne der überstaatlichen Regelung nur, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt und entweder in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig ist oder wer in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.

Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Denn er gehört weder einer alle Selbständigen umfassenden Altersversicherung an (vergleiche dazu: BFH-Urteil vom 13. August 2002 - VIII R 54/00, BFH/NV 2002, 1581) noch ist er in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Er hat lediglich eine private Kapitallebensversicherung abgeschlossen, ist aber nicht in das deutsche Sozialversicherungssystem eingegliedert. Damit scheidet ein Anspruch auf deutsches Kindergeld nach Artikel 13 der VO Nr. 1408/71 im Streitfall aus (so auch: Finanzgericht Münster, Urteil vom 26. Mai 2004, 1 K 2067/01 Kg, EFG 2004, 1849).

b) Der Senat hat auch erhebliche Zweifel, ob er sich der Auffassung der Familienkasse anschließen könnte, die im Streitfall einen Anspruch des Klägers auf Teilkindergeld im Wege der Analogie aus Artikel 12 Abs. 2 VO Nr. 1408/71 i. V. m. Artikel 7 Abs. 1 der dazu ergangenen Durchführungsverordnung 574/72 herleitet. Denn ein solcher Anspruch könnte allenfalls dann begründet sein, wenn aufgrund des Zusammentreffens von Leistungsansprüchen verschiedener EU-Staaten eine Leistungskürzung oder ein Leistungsausschluss in den betreffenden Staaten (im Streitfall: sowohl in Deutschland als auch in Polen) droht. Ein solche Kürzung von Familienleistungen ist im Streitfall jedoch nicht zu befürchten, da die in Polen berufstätige Ehefrau des Klägers - wie sich aus den vorliegenden Auskünften der polnischen Behörden ergibt - in Polen für die gemeinsamen Kinder ungekürzte Familienleistungen erhalten und darauf auch einen aus Artikel 13 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Artikel 73 VO Nr. 1408/71 herzuleitenden vorrangigen Anspruch hat. Das gilt zumindest ab Januar 2005. Für den Dezember 2004 hat der Kläger keine abweichenden Verhältnisse dargetan.

Die Frage einer drohenden Leistungskürzung in Polen bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da die Familienkasse dem Kläger während des streitigen Zeitraums einen Anspruch auf Teilkindergeld für jedes seiner Kinder eingeräumt hat. Diese begünstigende Festsetzung hat der Kläger nicht angegriffen. Ihm geht es in dem vorliegenden Rechtsstreit erkennbar nur um die Zuerkennung des Teiles des Kindergeldes, das die Familienkasse zu Recht abgelehnt hat. Über den insoweit eingeschränkten Klageantrag kann das Gericht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht hinausgehen. Es bleibt daher bei der von der Familienkasse vorgenommenen Festsetzung des Teilkindergeldes.

4. Nach alledem hatte der Kläger im streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Zahlung des ungekürzten deutschen Kindergeldes. Da seine Klage insoweit erfolglos geblieben ist, war sie mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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