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Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 30.09.2008
Aktenzeichen: 5 K 764/07
Rechtsgebiete: EStG, DAFamEStG


Vorschriften:

EStG § 62
EStG § 63
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2
DAFamEStG 63.2.2.2. Abs. 1 S. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HESSISCHES FINANZGERICHT

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

Geschäftsnummer: 5 K 764/07

In dem Rechtsstreit

wegen Kindergeld

hat der 5. Senat des Hessischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 30. September 2008 unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Hessischen Finanzgericht

des Richters am Hessischen Finanzgericht

des Richters am Hessischen Finanzgericht

der ehrenamtlichen Richterin

und des ehrenamtlichen Richters

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger für seinen Bruder X einen Anspruch auf Kindergeld hat.

Der Kläger beantragte am 06.12.2006 bei der beklagten Familienkasse Kindergeld für seinen behinderten Bruder X, der am 13.03.1958 geboren wurde. Dieser sei als Pflegekind einzustufen. X war zu diesem Zeitpunkt bereits ganztägig zur psychiatrischen Betreuung und Pflege in einer Wohnstätte des Kreisverbands "A" untergebracht worden. Auf die Bescheinigung der Wohnstätte vom 30.12.2006 wird Bezug genommen. Der Kläger war am 04.03.2003 vom Vormundschaftsgericht zum Betreuer seines Bruders bestellt worden. X ist von Geburt an (psychisch) zu 100% schwerbehindert und bedarf ständiger Begleitung.

Die Eltern der Brüder sind verstorben (Todestag des Vaters: X X 2003; Todestag der Mutter: X X 2006). X lebte zeitlebens im Haus der Eltern und wurde dort gepflegt und betreut. Die Mutter bezog bis zu ihrem Tod für X Kindergeld.

Bei der Antragstellung trug der Kläger vor, nach dem Tode der Mutter habe die Pflege und Betreuung des Bruders X neu organisiert werden müssen. Dieser sei schließlich am 18.11.2006 in einer Wohnstätte vollstationär aufgenommen worden. Gleichwohl sei eine weitere familiäre Einbindung und Betreuung unverzichtbar.

Der Kläger sei der einzige Familienangehörige, der sich um X kümmern könne. Hier fielen neben zeitlichem Aufwand auch erhebliche Kosten für die Freizeit- und Besuchsaktivitäten an. Allein die Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und der Wohnstätte betrage 100 km. Dem Kläger sei deshalb vom 30.11.2006 an Kindergeld zu gewähren.

Aber auch für die Zeit vom 1.8.2006 bis zum 30.11.2006 habe der Kläger Anspruch auf Kindergeld, da X direkt nach dem Tod der Mutter in keinem fremden Haushalt aufgenommen gewesen sei und die gesamte Versorgung, persönliche Betreuung, Sicherstellung des Lebensunterhalts sowie sämtliche Aktivitäten zur Herbeiführung der neuen Lebenssituation vom Kläger getragen worden sei. Auf den Schriftsatz vom 02.12.2006 wird verwiesen.

Die Familienkasse lehnte den Antrag des Klägers auf Kindergeld mit Bescheid vom 19.01.2007 ab, da X wegen unterbliebener Aufnahme in den Haushalt des Klägers nicht als Pflegekind berücksichtigt werden könne. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Die Familienkasse wies den Einspruch (Eingang am 26.01.2007) mit Entscheidung vom 12.02.2007 als unbegründet zurück.

Mit der nunmehr erhobenen Klage ist der Kläger der Auffassung, die Familienkasse sei verpflichtet, ihm Kindergeld zu gewähren. Die Ablehnung seines Antrags auf Bewilligung sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Auch ein Geschwisterkind könne als Pflegekind anerkannt werden, insbesondere für den Fall, dass die Eltern verstorben seien und das Pflegekind wegen einer Behinderung pflegebedürftig sei. Für diesen Fall werde die Aufnahme in den Haushalt auch nicht durch eine vollstationäre Unterbringung in einem Heim beendet. X sei nämlich entgegen der Auffassung der Familienkasse im Haushalt des Klägers aufgenommen gewesen. Hierfür reiche es aus, dass X nach dem Tod seiner Mutter bis zum 18.11.2006 in deren Wohnung weiter gewohnt habe. Denn der Kläger habe in dieser Zeit seinen eigenen Haushalt ebenfalls in diese Wohnung verlegt, weil die ganztägige Betreuung von X nicht anders zu realisieren gewesen sei. X sei hier vom Kläger abhängig gewesen, weil sich der weitere Bruder Y geweigert habe, sich um X zu kümmern. Vielmehr habe der Bruder Y versucht, X aus der vertrauten Wohnung zu drängen, was nur mit Hilfe des Vormundschaftsgerichts habe verhindert werden können. Nur durch den Einsatz des Klägers sei es möglich gewesen, für X die gewohnte Wohnung bis zum Umzug in die Wohnstätte "A." zu erhalten. So habe sich der Kläger mehrfach werktags und an jedem Wochenende bei seinem Bruder X aufgehalten. Es sei dort gemeinsam gekocht, gewaschen und eingekauft worden.

X habe ein lebenslanges Wohnrecht in der Wohnung der Eltern besessen. Erst als die Spannungen mit dem Bruder Y unerträglich geworden seien, habe sich der Kläger um eine Heimunterbringung bemüht. So sei auch ein Umzug in den "weiteren" Haushalt des Klägers nicht zu verantworten gewesen, da X seit jeher mit einem örtlichen Wechsel, und sei es auch nur für einen Tag, psychisch nicht zurechtgekommen sei.

Der Kläger beantragt,

die Familienkasse unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 19.1.2007 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 12.02.2007 zu verpflichten, dem Kläger ab dem 01.08.2006 Kindergeld im gesetzlichen Umfang zu gewähren.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, der Kläger habe keinen Anspruch auf Kindergeld, weil er X nicht in seinen Haushalt aufgenommen, sondern diesen in dessen eigener Wohnung betreut habe. Der Kläger habe X einen zweifachen Wohnungswechsel innerhalb kurzer Zeit ersparen wollen. Damit sei eine Haushaltsaufnahme jedenfalls nicht, was erforderlich gewesen wäre, auf Dauer angelegt gewesen.

Zur Vorbereitung des Termins zur mündlichen Verhandlung holte das Gericht eine schriftliche Auskunft des Kreisverbands der A. ein, die mit Schreiben vom 09.09.2008 erteilt wurde. Hiernach führte der Kläger ein erstes Gespräch zur vollstationären Aufnahme seines Bruders X am 8.9.2006. Auf das Schreiben wird hingewiesen. Weiter wurde der Kläger mit gerichtlicher Verfügung vom 01.09.2008 gebeten, Fragen schriftlich zu beantworten. Auf die Verfügung wird Bezug genommen. Der Kläger beantwortete die Fragen mit Schriftsatz vom 10.09.2008 gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten. Hiernach erbte der Bruder Y das Wohnhaus der Eltern. X habe ein lebenslanges Wohnrecht, das vom Bruder Y jedoch verwehrt werde. Auch Y wohne im Haus der Eltern.

Wegen der bestehenden Spannungen habe der Kläger seit dem 15.07.2006 Hausverbot, das auch weiterhin gelte. Der Kläger habe niemals in der Wohnung seines Bruders X übernachtet, sondern in seiner eigenen Wohnung in B.

Auf das Schreiben wird verwiesen. Das zunächst angeordnete persönliche Erscheinen des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung wurde daraufhin auf Betreiben seines Prozessbevollmächtigten aufgehoben.

Dem Gericht lag zu Kindergeldnummer ein Aktenband vor.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet, weil es die beklagte Behörde zu Recht ablehnte, den Bruder X des Klägers als Pflegekind einzustufen.

Ein Anspruch auf Kindergeld besteht für einen Inländer (§ 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz -EStG-) für Kinder im Sinne des § 63 EStG. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG werden Kinder im Sinne des § 32 Abs. 1 EStG berücksichtigt. Solche sind gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch Pflegekinder. Die in der zitierten Vorschrift enthaltene Legaldefinition legt fest, dass Pflegekinder u.a. nur Personen sein können, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches Band auf längere Dauer verbunden ist und die er in seinen Haushalt aufgenommen hat, jedoch nicht zu Erwerbszwecken (die Umformulierung des Gesetzestextes im StÄndG 2003 zielte ausschließlich darauf ab, den Pflegeeltern den Nachweis vielfältiger Einzelkosten zu ersparen; dagegen sollte das Erfordernis der "Haushaltsaufnahme" erhalten bleiben: siehe z. B. Bundestags-Drucksache 15/1945 Seite 9).

In gefestigter Rechtsprechung sieht der Bundesfinanzhof (BFH), dem der Senat folgt, das Erfordernis der Haushaltsaufnahme und die Voraussetzung des Bestehens eines engen Familienbandes in gegenseitiger Wechselwirkung, weil die Haushaltsaufnahme Ausdruck der geforderten besonderen familiären Beziehung sei. Das Gesetz bestimme, dass es der Steuerpflichtige beabsichtigt haben müsse, mit dem Pflegekind auf Dauer in einem gemeinsamen Haushalt zu leben, und zwar in einer familienähnlichen Beziehung, wie sie sonst zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern bestehe. Habe diese Absicht bestanden und habe das Pflegekind tatsächlich auch einige Zeit im Haushalt mit den Pflegeeltern zusammen gelebt, sei es allerdings unschädlich, wenn die Dauer der Haushaltsaufnahme aus Gründen verkürzt werde, die nicht im Einflussbereich der Pflegeeltern gelegen hätten (z. B. BFH-Urteil vom 07.09.1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63).

Im Streitfall hatte der Kläger seinen Bruder zu keiner Zeit in seinen Haushalt aufgenommenen. Zwar war es hierfür nicht erforderlich, dass der Kläger den Bruder zu sich in seine Wohnung in B genommen hätte. Es hätte auch ausgereicht, dass der Kläger seinen Haushalt in die Wohnung des Bruders verlegt hätte. Hierzu kam es aber nicht, weil der Kläger schließlich auf Nachfrage des Gerichts einräumte, alsbald von seinen Bruder Y ein Hausverbot erhalten zu haben. Auch in der Zeit, wo dieses Hausverbot noch nicht bestand, hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben nicht in der Wohnung des behinderten Bruders übernachtet. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass der Kläger mit seinem Bruder X in einer derart engen Verbindung zusammen lebte, wie dies zwischen Eltern und leiblichen Kindern üblich ist.

Darüber hinaus konnte das Gericht auch nicht die Absicht des Klägers im oben dargelegten Sinne feststellen, jemals auf Dauer einen gemeinsamen Haushalt mit seinem Bruder X zu gründen. In diesem Zusammenhang kann es unterstellt werden, dass sich der Kläger mit seinem Bruder Y überworfen haben mochte. Der Kläger kann aus dieser Tatsache nicht herleiten, er sei an einer Haushaltsaufnahme des Bruders X gehindert gewesen. Vielmehr hätte er diesen jederzeit in seine Wohnung in B aufnehmen können. Dies geschah jedoch nicht.

Vielmehr bemühte sich der Kläger bereits im September 2006 um die stationäre Aufnahme seines Bruders in einem Heim des Kreisverbands der A. Vor diesem Hintergrund erscheint das Argument des Klägers, er habe seinem psychisch behinderten Bruder eine unnötige Ortsveränderung ersparen wollen, als Schutzbehauptung.

Lebte der Kläger damit niemals mit seinem Bruder X in einem gemeinsamen Haushalt und beabsichtigte er dies auch niemals, so brauchte der Senat nicht mehr darüber zu entscheiden, ob es entscheidungserheblich sein konnte, dass die einschlägige Dienstanweisung (DA) 63.2.2.2. Abs. 1 S. 4 die Familienkassen anweist, bei behinderten Pflegekindern die Haushaltsaufnahme durch die vollstationäre Unterbringung nicht enden zu lassen. Zum einen ist der Senat an Verwaltungsanweisungen nicht gebunden, zum anderen setzt auch die oben zitierte Anweisung voraus, dass eine Haushaltsaufnahme zunächst bestand. Es konnte so offen bleiben, ob das Gericht der der Dienstanweisung entgegenstehenden Rechtsprechung der Finanzgerichte hätte folgen können (Finanzgericht Münster, Urteil vom 15.01.1996 10 K 4147/94 E, EFG 1996, 922; Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 21.06.2006 1 K 233/05, EFG 2006, 1849).

Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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