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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Beschluss verkündet am 22.10.2008
Aktenzeichen: 7 V 2514/08
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HESSISCHES FINANZGERICHT

BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 7 V 2514/08

In dem Rechtsstreit

wegen Aussetzung der Vollziehung der Steueranmeldung vom 26.06.2007 sowie der Steuerbescheide vom 19.07.2007 und 17.08.2007

hat der 7. Senat des Hessischen Finanzgerichts am 22. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Vollziehung der als Steuerbescheid wirkenden Energiesteueranmeldung vom 26. Juni 2007 (Mai 2007) sowie des Energiesteuerbescheides vom 10. Juli 2007 (Juni 2007) sowie vom 17.08.2007 (Juli 2007) wird bis zum Ablauf eines Monates nach Abschluss der gegen die vorgenannten Bescheide anhängigen Rechtsbehelfsverfahren durch Einspruchsentscheidungen bzw. durch gerichtliche Entscheidungen erster Instanz ausgesetzt sowie rückwirkend bis zum Fälligkeitstag aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Gründe:

I.

Gegenstand dieses Eilverfahrens wegen Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ist der - erneute - Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung von auf verschiedenen Verwaltungsakten beruhender Energiesteuer.

Als Streitgegenstand wurden zunächst die in der Verfügung des Hauptzollamtes vom 21. August 2008, mit der die Verwaltungsbehörde den dort gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ablehnte, genannten Steuerfestsetzungen erfasst. Irrtümlich enthält diese Auflistung auch den Steuerbescheid vom 13. Dezember 2007 für die für die Monate Januar bis April 2007 errechneten Energiesteuern. Insoweit gab es bisher noch keine das vorläufige Rechtsschutzverfahren betreffende Entscheidung durch die Verwaltungsbehörde oder den Senat. Zu diesem Bescheid ist nunmehr das Verfahren 7 V 2919/08 anhängig.

Die Antragstellerin hatte bezüglich der Steueranmeldung vom 26.06.2007 sowie der Steuerbescheide vom 19. Juli und 17. August 2007 bereits entsprechende Verfahren unter den Geschäftszeichen 7 V 2274/07 und 7 V 2561/07 bei dem erkennenden Senat geführt. Der Senat hatte in beiden Fällen durch Beschluss vom 02. bzw. 22. Oktober 2007 die Aussetzung der Vollziehung angeordnet.

Auf den Inhalt dieser Beschlüsse wird Bezug genommen. In den daraufhin durch die Verwaltungsbehörde anhängig gemachten Beschwerdeverfahren beim Bundesfinanzhof (Geschäftszeichen VII B 216/07 und VII B 236/07) hob der Bundesfinanzhof diese Beschlüsse auf und lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab. Diese Gerichtsentscheidungen weisen als Entscheidungsdatum jeweils den 14. April 2008 aus. Die Geschäftsstelle des VII. Senats des Bundesfinanzhofs fertigte die Übersendungsschreiben an das Hessische Finanzgericht unter dem 2. Juni 2008. Die Beschlüsse einschließlich der entsprechenden Gerichtsakten gingen am 11. Juni 2008 bei Gericht ein.

Nachdem die Verwaltungsbehörde mit Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2007 den gegen die als Steuerbescheid wirkende Steueranmeldung vom 26. Juni 2007 gerichteten Einspruch als unbegründet zurückgewiesen hatte, erhob die Antragstellerin Klage. Dieses Verfahren ist unter dem Aktenzeichen 7 K 3015/07 anhängig. Die gegen die weiteren Steuerfestsetzungen gerichteten Einspruchsverfahren ruhen zur Zeit. Mit Beschluss vom 8. Mai 2008 setzte der Senat das Klageverfahren aus und bat den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um Beantwortung der vorgelegten Fragen. Auf diese Entscheidung wird ebenfalls verwiesen.

Die Antragstellerin wandte sich mit Schreiben vom 9. Juni 2008 an den Antragsgegner und bat erneut um Gewährung von Aussetzung der Vollziehung. Die Übersendung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs vom 14. April 2008 an sie war ebenfalls mit Schreiben der dortigen Geschäftsstelle vom 2. Juni 2008 erfolgt.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag der Antragstellerin mit Verfügung vom 21. August 2008 als unzulässig ab, weil keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Gründe seitens der Antragstellerin geltend gemacht worden seien.

Die Antragstellerin wandte sich daraufhin mit dem vorliegenden Antrag an das Gericht.

Die Antragstellerin sieht, wie sich aus der Begründung ihres an die Verwaltungsbehörde gerichteten Antrages ergibt, in dem nach Erlass der Bundesfinanzhofsentscheidung ergangenen Vorlagebeschluss durch den erkennenden Senat eine in dem bis dahin geführten Aussetzungsverfahren nicht berücksichtigte Tatsache und macht die bereits vorgetragenen rechtlichen Bedenken gegen die vorzeitige Verminderung steuerlicher Begünstigungen erneut geltend.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Vollziehung der als Steuerbescheid wirkenden Energiesteueranmeldung vom 26. Juni 2007 (Mai 2007) sowie des Energiesteuerbescheides vom 10. Juli 2007 (Juni 2007) sowie vom 17.08.2007 (Juli 2007) wird bis zum Ablauf eines Monates nach Abschluss der gegen die vorgenannten Bescheide anhängigen Rechtsbehelfsverfahren durch Einspruchsentscheidungen bzw. durch gerichtliche Entscheidungen erster Instanz auszusetzen sowie rückwirkend bis zum Fälligkeitstag aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er bezieht sich dazu auf die Begründung in seiner den Antrag der Antragstellerin ablehnenden Entscheidung.

Der Senat hat die Gerichtsakten der Verfahren 7 V 2274/07, 7 V 2561/07 sowie die Restakte im Verfahren 7 K 3015/07 beigezogen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Das Hessische Finanzgericht ist als Gericht der Hauptsache für die Entscheidung zuständig. Dies gilt unabhängig davon, dass die zunächst durch den erkennenden Senat ergangenen Aussetzungsbeschlüsse durch den Bundesfinanzhof im Beschwerdeverfahren aufgehoben wurden (so Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25. März 1993 I S 5/93 in BStBl II 1993, 515).

Der Antrag ist auch unter Berücksichtigung der in § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO genannten Voraussetzungen als wiederholender Antrag zulässig. Gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 69 Abs. 3 und 5 Satz 3 FGO jederzeit ändern oder aufheben. Ein Beteiligter kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO). Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist auch eine wiederholte Antragstellung zulässig, da andernfalls durch eine neue Antragstellung die Vorschriften der genannten Norm unterlaufen werden könnten (so ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vgl. z.B. den Beschluss vom 8. Mai 2008 IX S 30/07 in BFH/NV 2008, 1499). Der erkennende Senat hält diese Rechtsprechung für zutreffend und folgt ihr deshalb.

Die Antragstellerin kann ihren Antrag auf veränderte Umstände im Sinne des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO stützen, die einen Neuantrag zulassen.

Umstände im Sinne der Norm können Vorgänge tatsächlicher und rechtlicher Art sein. Dazu gehören Tatsachen und Beweismittel, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den AdV-Antrag noch nicht vorgelegen haben, nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Gegebenheiten, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt in einem "neuen Licht" erscheinen lassen oder Änderungen des Gesetzes oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die zu einer anderen Beurteilung der maßgeblichen Rechtslage führen können (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 02.06.2005 III S 12/05 in BFH/NV 2005, 1834-1836).

Die Entscheidung des erkennenden Senates im Hauptsacheverfahren den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Beschluss vom 8. Mai 2008 anzurufen, stellt eine solche neue Tatsache dar. Zwar hatte der Senat schon in den vorangegangenen Beschlüssen zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Zweifel an der Vereinbarkeit der der Steuererhebung zugrunde liegenden nationalen Norm mit gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben angemeldet, die Klärung dabei aber wegen des Charakters des vorläufigen Rechtschutzverfahrens als eines summarischen Verfahrens dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Der Senat ist im Hauptsacheverfahren ausweislich der im Vorlagebeschluss niedergelegten Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Entscheidung des Rechtsstreites davon abhängt, wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die vorgelegten Fragen beantworten wird. Dieser Vorlagebeschluss erging zu einem Zeitpunkt, zu dem der Bundesfinanzhof das vorangehende Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung abgeschlossen hatte. Dabei kommt es nicht auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beschlusses durch Zustellung an, sondern, worauf der Bundesfinanzhof in dem bereits zitierten Beschluss vom 02.06.2005 abstellt, auf den Zeitpunkt der Entscheidung.

Dies ist das Datum, unter dem der Entscheidungstenor durch den gesetzlichen Richter ergeht.

Der vorliegende Antrag ist aber auch schon deswegen zulässig, weil eine Aussetzung wegen unbilliger, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte, in Betracht kommt. Dieser selbständige Aussetzungsgrund wurde in den bisherigen Verfahren nicht geprüft, sondern die vom erkennenden Senat gewährte und vom Bundesfinanzhof abgelehnte Aussetzung der Vollziehung ausschließlich mit der Bejahung bzw. Verneinung der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide begründet. Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung der angegriffenen Abgabenbescheide wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen oder nur schwer gutzumachen sind oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. hierzu z.B. den bereits zitierten Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 02.06.2005).

Die Antragstellerin hat in ihrem Antrag glaubhaft darauf hingewiesen, dass sie "Konkurs anmelden" müsste, wenn die Steuerbeträge fällig gestellt würden. Damit würde die wirtschaftliche Existenz vernichtet.

Der Antrag ist auch begründet.

Der erkennende Senat ist an die in den Beschlüssen des Bundesfinanzhofs vom 14. April 2008 geäußerte Rechtsauffassung nicht gebunden, weil es im AdV-Verfahren keine materielle Rechtskraft gibt (so Koch in Gräber/Koch, Kommentar zur FGO, Anmerkung 201 zu § 69 FGO mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs).

Mit der für das summarische Verfahren erforderlichen Gewissheit steht für den Senat fest, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen bestehen. Dabei werden von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes solche Zweifel schon dann gesehen, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen auslösen (vgl. die Nachweise der Rechtsprechung bei Seer in Tipke/Kruse, Anmerkung 89 zu § 69). Der Erfolg braucht dabei nicht wahrscheinlicher zu sein als der Misserfolg. Es brauchen insbesondere nicht erhebliche Zweifel in dem Sinne zu bestehen, dass eine Aufhebung des Verwaltungsaktes mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs in dem summarischen Verfahren ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg.

Der Bundesfinanzhof hat in seinem Beschluss vom 5. Mai 1994 (V S 11/93 in BFH/NV 1995, 368) die Rechtmäßigkeit von angegriffenen Steuerbescheiden gerade deshalb als ernstlich zweifelhaft im Sinne des § 69 FGO angesehen, weil der Senat wegen klärungsbedürftiger gemeinschaftsrechtlicher Rechtsfragen eine Vorlage an den EuGH beschlossen hatte. Obwohl der BFH in diesem Vorlagebeschluss selbst erwogen hatte, die Vorentscheidung zu bestätigen, lasse es sich nicht ausschließen, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Sinne der in jenem Verfahren betroffenen Klägerin entscheiden würde.

Die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Überlegungen hält der Senat für zutreffend und macht sie sich zu Eigen. Daraus ergibt sich, dass im Hinblick auf die im Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften dargestellten rechtlichen Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechtes nicht auszuschließen ist, dass der Gerichtshof das gemeinschaftsrechtliche Verständnis des erkennenden Senates bestätigen wird. Dies würde sich zu Gunsten der Klägerin auswirken, so dass die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Abgabenfestsetzungen als ernstlich zweifelhaft zu bewerten ist.

Gemäß § 135 Abs. 1 FGO hat der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Zulassung der Beschwerde kommt für diese Entscheidung nicht in Betracht, da der Senat uneingeschränkt der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs folgt.

Ende der Entscheidung

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