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Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 20.05.2008
Aktenzeichen: 8 K 166/07
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO 2006 § 268 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HESSISCHES FINANZGERICHT

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

Geschäftsnummer: 8 K 166/07

In dem Rechtsstreit

wegen Aufteilung für Einkommensteuer 2004

hat der 8. Senat des Hessischen Finanzgerichts

nach mündlicher Verhandlung

in der Sitzung vom 20. Mai 2008

unter Mitwirkung

der Vorsitzenden Richterin am Hessischen Finanzgericht

des Richters am Hessischen Finanzgericht

des Richters am Hessischen Finanzgericht

sowie

und

als ehrenamtliche Richter

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Aufteilungsbescheid vom . .2006 und die Einspruchsentscheidung vom . .2006 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufteilungsbescheides.

Der Kläger (Kl.) und seine seit dem . .2004 von ihm dauernd getrennt lebende Ehefrau (Beigeladene) wurden für das Jahr 2004 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Aufgrund des Einkommensteuerbescheides vom . .2006 ergab sich eine Nachforderung i.H.v. €, die sich aus € Einkommensteuer sowie € Solidaritätszuschlag zusammensetzte und bis zum . .2006 zahlbar war.

Mit beim Beklagten (Bekl.) am . .2006 eingegangenen Schreiben beantragte die Ehefrau des Kl., für den Einkommensteuerbescheid 2004 vom . .2006 die Aufteilung gemäß den §§ 268 ff. Abgabenordnung (AO) vorzunehmen. Daraufhin teilte der Bekl. die rückständige Steuer mit Aufteilungsbescheid vom . .2006 gemäß § 270 AO nach dem Verhältnis der Beträge auf, die sich bei Durchführung getrennter Veranlagungen nach Maßgabe des § 26a Einkommensteuergesetz (EStG) und der §§ 271 - 276 AO ergeben würden. Diese Berechnung ist zwischen den Beteiligten der Höhe nach unstreitig.

Am . .2006 zahlte der Kl. die mit dem Bescheid vom . .2006 nachgeforderten €.

Mit seinem am . .2006 erhobenen Einspruch gegen den Aufteilungsbescheid beantragte der Kl. die Aufhebung des Bescheides, da infolge seiner Zahlung die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 47 AO erloschen seien. Der Bekl. wies diesen mit am . .2006 abgesandter Einspruchsentscheidung vom . .2006 als unbegründet zurück. Die Aufteilung sei zulässig gewesen, denn die Zahlung des Kl. sei erst nach der Antragstellung durch seine Ehefrau erfolgt.

Mit seiner am . .2007 erhobenen Klage macht der Kl. geltend, dass mit einem Aufteilungsbescheid die auf jeden Gesamtschuldner entfallende Steuer nicht neu festgesetzt werde. Nach dem Wortlaut der Aufteilungsvorschriften führe die Aufteilung der Gesamtschuld lediglich zu einer Vollstreckungsbeschränkung. Die §§ 270 - 276 AO seien nur dann von Bedeutung für die Ermittlung der Höhe des auf den einzelnen Gesamtschuldner entfallenden Steueranteils, wenn es zu einer Vollstreckung kommen sollte.

Der Bekl. hätte also nach dem Wortlaut des § 279 Abs. 1 AO zum Zeitpunkt der Aufteilung gar keinen Bescheid erlassen dürfen, sondern er hätte vielmehr abwarten müssen, ob es überhaupt (noch) zu einer Vollstreckung komme. Da der Kl. die Steuerschuld innerhalb der Zahlungsfrist beglichen habe, sei der gestellte Aufteilungsantrag hinfällig geworden.

Der Kläger beantragt,

den Aufteilungsbescheid vom . .2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom . .2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, die Aufteilung sei aus den bereits in der Einspruchsentscheidung genannten Gründen zulässigerweise erfolgt. Nach dem Wortlaut der Aufteilungsvorschriften - insbes. der §§ 268, 277 und 278 - führe die Aufteilung der Gesamtschuld zwar - wie vom Kl. behauptet - lediglich zu einer Vollstreckungsbeschränkung. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe jedoch bereits in seinem Urteil in BStBl. II 1988, S. 406 entschieden, dass die Aufteilung jegliche Verwirklichung der Gesamtschuld über den auf den jeweiligen Ehegatten entfallenden Aufteilungsbetrag hinaus ausschließe. Nach der Aufteilung der Steuerschuld solle jeder Ehegatte nur seine "Steuerschuld" tragen, die Gesamtschuld werde also im Ergebnis in Teilschulden aufgespalten.

Am 28.04.2008 hat der Senat beschlossen, die Ehefrau des Klägers zum Verfahren beizuladen. Dem Gericht lagen die Akten des Streitfalles (1 Band Einkommensteuerakten 2004) vor.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet, denn der Aufteilungsbescheid ist rechtswidrig. Das beklagte Finanzamt durfte den Aufteilungsbescheid am . .2006 nicht erlassen.

1. Die §§ 268 ff. AO eröffnen zusammenveranlagten Ehegatten als Gesamtschuldnern der Einkommensteuer (§ 26b des Einkommensteuergesetzes - EStG - i.V.m. § 44 Abs. 1 AO) die Möglichkeit, den Gesamtschuldbetrag aufzuteilen, um auf diese Weise die Vollstreckung gegen den einzelnen Ehegatten auf den sich bei der nach Maßgabe einer getrennten Veranlagung durchzuführenden Aufteilung für jeden Ehegatten ergebenden Anteil an der Gesamtschuld zu beschränken (§§ 268, 270, 278 AO).

a. Im Streitfall war der Aufteilungsantrag der Beigeladenen vom . .2006 gemäß § 269 Abs. 2 Satz 1 AO zwar zulässig, denn er wurde nach der Bekanntgabe des Leistungsgebotes im Einkommensteuerbescheid vom . .2006 gestellt. Diese Antragstellung vor der Einleitung der Vollstreckung führt nach § 276 Abs. 1 AO dazu, dass zwingend die im Zeitpunkt des Eingangs des Aufteilungsantrags geschuldete Steuer - und nicht die (möglicherweise höhere) im Zeitpunkt der Einleitung der Vollstreckung geschuldete Steuer, vgl. § 276 Abs. 2 AO - aufzuteilen ist. Ferner bewirkt der Antragsteller damit, dass seine Zahlungen nach dem Ergehen des Leistungsgebotes, aber vor Einleitung der Vollstreckung, gemäß § 276 Abs. 6 AO und entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1 AO nur ihm selbst zugute kommen. Auch muss die Finanzbehörde infolge des Antrags grundsätzlich aufteilen, weil dieser konstitutiv wirkt. Denn mit dem Antrag wird ein verwaltungsrechtliches Gestaltungsrecht ausgeübt (BFH-Urteil vom 12. Juni 1990 VII R 69/89, BFHE 163, 498, BStBl. II 1991, 493; Tipke/Kruse, AO, Stand 114. Lieferung November 2007, § 269 Rn. 1; Schwarz, AO, Stand 127. Lieferung Februar 2008, § 269 Rn. 2).

b. Der Bekl. durfte den Aufteilungsbescheid jedoch vor der Einleitung der Vollstreckung, welche für Aufteilungszwecke gemäß § 276 Abs. 5 AO mit der Ausfertigung der Rückstandsanzeige fingiert wird und die hier infolge der vollständigen Zahlung des Kl. vom . .2006 unterblieb, nicht erlassen.

Denn die §§ 268 - 280 AO regeln nur Vollstreckungsbeschränkungen bei Gesamtschuldnern. Dies ergibt sich aus einer wörtlichen, systematischen, historischen sowie teleologischen Auslegung der Aufteilungsnormen.

aa. Bereits der mit "Grundsatz" überschriebene § 268 AO spricht davon, dass von den Personen, die Gesamtschuldner sind, weil sie zusammen zu einer Steuer vom Einkommen veranlagt worden sind, jeder beantragen kann, dass die Vollstreckung wegen dieser Steuern jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach Maßgabe der §§ 269 bis 278 bei einer Aufteilung der Steuern ergibt. Gemäß § 278 Abs. 1 AO darf nach der Aufteilung die Vollstreckung nur nach Maßgabe der auf die einzelnen Schuldner entfallenden Beträge durchgeführt werden. Schließlich ist gemäß § 279 Abs. 1 Satz 1 AO vom Finanzamt über den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung zu entscheiden.

bb. Die Vorschriften über die Aufteilung einer Gesamtschuld sind Bestandteil des sechsten Teils der Abgabenordnung, der die Vollstreckung regelt.

Darüber hinaus spricht § 279 Abs. 1 AO entscheidend dafür, dass auch über den vor Einleitung der Vollstreckung gestellten Antrag auf Aufteilung erst dann entschieden werden darf, wenn es überhaupt zu einer Vollstreckung kommt. Denn nach § 279 Abs. 1 Satz 1 AO ist über den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung nach Einleitung der Vollstreckung durch schriftlichen Bescheid (Aufteilungsbescheid) gegenüber den Beteiligten einheitlich zu entscheiden. Nach Satz 2 der Norm ist eine Entscheidung jedoch nicht erforderlich, wenn keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden oder bereits ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen wieder aufgehoben werden. Wenn demnach schon kein schriftlicher Aufteilungsbescheid erforderlich ist, wenn nach Einleitung der Vollstreckung - durch Ausfertigung der Rückstandsanzeige gemäß § 276 Abs. 5 AO - keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden oder bereits ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen wieder aufgehoben werden, muss dieses erst recht gelten, wenn es niemals zu einer Einleitung der Vollstreckung kommt. § 279 Abs. 1 Satz 1 AO ist also derart zu verstehen, dass über den Aufteilungsantrag immer erst nach Einleitung der Vollstreckung entschieden werden darf (im Ergebnis ebenso: Tipke/Kruse, AO, Stand 114. Lieferung November 2007, § 269 Rn. 1; Schwarz, AO, Stand 127. Lieferung Februar 2008, § 279 Rn. 2 ; insoweit missverständlich: AO-Kartei der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, § 268 AO, Karte 1, 5.1. letzter Satz, nach der es eines Aufteilungsbescheides nicht bedarf, wenn keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden).

cc. Entscheidend für das vorgenannte Verständnis sind jedoch die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Aufteilungsvorschriften.

Die Vorschriften über die Aufteilung der Steuerschuld von zusammenveranlagten Ehegatten gehen zurück auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes - BVerfG - vom 17. Januar 1957 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, BStBl. I 1957, 193, und tragen dem verfassungsrechtlichen Verbot einer Benachteiligung von Ehegatten nach Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz und dem Prinzip der Individualbesteuerung Rechnung. Zweck der §§ 268 ff. AO ist daher die Vermeidung von Härten, denen sich ein nicht unter die Zusammenveranlagung fallender Steuerpflichtiger nicht ausgesetzt sieht (Urteil des BVerfG vom 21. Februar 1961 1 BvL 29/57, BVerfGE 12, 151, BStBl. I 1961, 55). Dies geschieht nach dem Willen des Gesetzgebers dadurch, dass der zusammenveranlagte Steuerpflichtige - erst - im Vollstreckungsverfahren so gestellt wird, als sei er Einzelsteuerschuldner (Bundestags-Drucksache VI/1982, Entwurf einer Abgabenordnung, S. 174, 178; vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom 18. Dezember 2001 VII R 56/99, BFHE 197, 19, BStBl. II 2002, 214 und vom 07. März 2006 VII R 12/05, BFHE 212, 388, BStBl. II 2006, 584 sowie Tipke/Kruse, AO, Stand 114. Lieferung November 2007, vor § 268 Rn. 2 und Pahlke/König, AO, § 268 Rn. 2).

2. Der Bekl. kann sich zur Begründung seiner Rechtsansicht nicht mit Erfolg auf das von ihm zitierte Urteil des BFH vom 12. Januar 1988 VII R 66/87 in BFHE 152, 206, BStBl. II 1988, 406 berufen.

Aus dieser Entscheidung kann nicht gefolgert werden, dass alleine die Antragstellung im Ergebnis eine Aufspaltung der Gesamtschuld in Teilschulden bewirkt. Vielmehr haben auch solche Maßnahmen, die in ihrer Wirkung einer Vollstreckung gleichstehen, nur dann zu unterbleiben, wenn es überhaupt zu einer Einleitung der Vollstreckung kommt.

Denn der VII. Senat des BFH schließt sich hier unter ausdrücklicher Berufung auf die vorgenannten Urteile des Bundesverfassungsgerichtes der Auffassung an, dass die in den §§ 268, 278 AO geregelte Vollstreckungsbeschränkung nicht nur auf Maßnahmen im engen vollstreckungsrechtlichen Sinne bezogen ist. Da es - wie oben ausgeführt - Sinn und Zweck der Aufteilung ist, die Personen, die zu einer Steuer zusammen veranlagt worden sind, im Vollstreckungsverfahren so zu stellen, als seien sie Teilschuldner, müssen (nur) nach der (zulässigen) Aufteilung auch solche Maßnahmen unterbleiben, die in ihrer Wirkung der Vollstreckung gleichstehen, wie z.B. im Urteilsfall die (einseitige) Aufrechnung durch die Finanzbehörde.

3. Die Kostenentscheidung erging gemäß § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

4. Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

5. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 139 Abs. 4 FGO nicht erstattungsfähig, denn es entspricht nicht der Billigkeit, diese dem unterliegenden Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen.

Es entspricht in der Regel nur dann der Billigkeit, dem Beigeladenen eine Kostenerstattung zuzubilligen, wenn er selbst einen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1997 I R 10/92, BFHE 184, 212, BStBl. II 1998, 62; Gräber, FGO, 6. Auflage 2006, § 139 Rn. 136; Tipke/Kruse, FGO, Stand 114. Lieferung November 2007, § 139 Rn. 172), woran es vorliegend fehlt.

Darüber hinausgehend kommt eine Erstattungsfähigkeit nur dann in Betracht, wenn dem Beigeladenen seine Teilnahme am Verfahren ohne bzw. gegen seinen Willen aufgezwungen wurde und der von dem obsiegenden Beteiligten gestellte Antrag dem Antrag entsprochen hat, den der Beigeladene gestellt hätte (BFH-Beschluss vom 29. Oktober 1997 II R 49/89, BFH/NV 1998, 620; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, Stand 196. Lieferung Dezember 2007, § 139 Rn. 573, 574).

Danach ist ein Ausspruch der Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen jedenfalls deshalb unbillig, weil sie mit ihrem Antrag auf Klageabweisung zur Aufrechterhaltung des von ihr beantragten Aufteilungsbescheides unterlegen wäre.

6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.

7. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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