Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Hessen
Urteil verkündet am 19.03.2007
Aktenzeichen: 9 K 1303/01
Rechtsgebiete: EStG, SGB X


Vorschriften:

EStG § 2 Abs. 1 Nr. 4
EStG § 19
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
EStG § 74 Abs. 5
SGB X § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Hessen

9 K 1303/01

In dem Rechtsstreit

hat Richter am Hessischen Finanzgericht als Einzelrichter

mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung am 19. März 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Kindergeldänderungs-und -erstattungsbescheid vom 25. September 1997 sowie die Einspruchsentscheidung vom 24. März 1998 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer geänderten Kindergeldfestsetzung und der Rückforderung von Kindergeld.

Der am ... ...1978 geborene Sohn F des Klägers (nachfolgend F.) ging im Streitjahr einer Ausbildung zum ... bei der Firma X-Bau GmbH in K nach. Zum 1.2.1998 wechselte F. zu der Firma L in U . Dem Schreiben der X-Bau GmbH vom 16.3.1998 an die seinerzeit für den Streitfall zuständige Familienkasse des Arbeitsamtes H (nachfolgend Familienkasse) zufolge bezog F. im Jahre 1997 ein Jahreseinkommen in Höhe von insgesamt 13.372,78 DM brutto. Der Ausbildungsbetrieb teilte in dem genannten Schreiben ferner mit, den Novemberlohn an die Stadtkasse U gezahlt zu haben, weil F. seinen Lohn für 11/97 vom Jugend-und Sozialamt der Stadt U vorab erhalten hatte. Den mit dem Schreiben vom 16.3.1998 vorgelegten Abrechnungen zufolge betrug der Arbeitnehmeranteil der Beiträge des F. zu den Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung für die Zeit vom 1.1. - 30.11.1997 insgesamt 2.337,90 DM und für Dezember 1997 insgesamt 450,39 DM, was einen Jahresbetrag von 2.788,29 DM ergibt.

Daneben bezog F. vom Jugend-und Sozialamt der Stadt U laut Aufstellung dieser Behörde vom 6.10.1998 Sozialhilfe in Höhe von insgesamt 4.543,18 DM im Kalenderjahr 1997. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Aufstellung vom 6.10.1998 verwiesen.

Außerdem erhielt F. vom Arbeitsamt M eine Berufsausbildungsbeihilfe und zwar für die Zeit vom 1. - 5.1.1997 in Höhe von 47,--DM monatlich, vom 6. - 26.1.1997 110,--DM monatlich, vom 27.1. - 2.3.1997 in Höhe von 70,--DM monatlich, vom 3.3. - 4.4.1997 in Höhe von 110,--DM, vom 5.4. - 4.5.1997 in Höhe von 47,--DM, vom 5.5. - 1.6.1997 in Höhe von 110,--DM monatlich, vom 2.6. - 2.7.1997 in Höhe von 70,--DM und vom 3. - 31.7.1997 in Höhe von 47,--DM.

Ab August 1997 bezog er die folgenden Beträge: Vom 1.8.1997 - 7.9.1997 in Höhe von 156,--DM monatlich, vom 8.9. - 10.10.1997 in Höhe von 178,--DM monatlich, vom 11.10. - 12.10.1997 in Höhe von 156,--DM monatlich und vom 13.10. - 31.10.1997 in Höhe von 219,--DM monatlich.

Es ergibt sich ein Gesamtbetrag von 1.097,43 DM.

Mit Schreiben vom 20.3.1997 meldete das Jugend-und Sozialamt der Stadt U einen Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) bei der Familienkasse an und bat im Falle des Bestehens einer Leistungspflicht um Erstattung des Kindergeldes in Höhe von 345,--DM.

Mit Bescheid vom 25.9.1997 setzte die Familienkasse das Kindergeld für F. mit Wirkung ab Januar 1997 gegenüber dem Kläger auf 0,--DM fest. Dabei ging sie davon aus, dass die Einkünfte und Bezüge den für 1997 festgelegten Grenzbetrag überschritten. Den dagegen erhobenen Einspruch wies die Familienkasse mit ihrer Entscheidung vom 24.3.1998 als unbegründet zurück. Die Familienkasse sah die Einkommensgrenze von 12.000,--DM als überschritten an. Dabei legte sie Einkünfte von 11.372,80 DM und Bezüge (Berufsausbildungsbeihilfe und Sozialhilfe) von insgesamt 2.107,40 DM zugrunde. Auf den Inhalt dieser Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen.

Mit der sodann erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein auf die Gewährung von Kindergeld für 1997 hinsichtlich des F. weiter. Zur Begründung seiner Klage trägt er im Wesentlichen folgendes vor:

Die Entscheidung der Familienkasse verstoße gegen höherrangiges Recht. Der Kläger verweist insoweit auf eine Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts zu dem Aktenzeichen VI 587/96 Ki. Die von F. bezogene Sozialhilfe sei nicht anzurechnen, so dass die maßgebende Bezugsgröße nicht überschritten werde.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom 25.9.1997 und die Einspruchsentscheidung vom 24.3.1998 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage entgegen und führt aus, die Einkommensgrenze von 12.000,--DM sei im Jahre 1997 überschritten. Zu berücksichtigen seien neben den Einkünften des F. aus nichtselbständiger Arbeit auch die Berufsausbildungsbeihilfe und die Sozialhilfe.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO).

Dem Gericht lag eine Kindergeldakte vor.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Klage ist auch begründet. Der das Kindergeld versagende Bescheid vom 25.9.1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.3.1998 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen waren deshalb aufzuheben.

Die angefochtene Entscheidung der Familienkasse vom 25.9.1997 stellt einen verbundenen Bescheid dar, der zwei Verwaltungsakte enthält.

1. Dabei handelt es sich einerseits um die Herabsetzung des bis dahin in gesetzlicher Höhe festgesetzten Kindergeldes für F. ab Januar 1997 auf 0,--DM. Dieser Bescheid ist rechtswidrig und war deshalb aufzuheben.

a. Dem Umstand, dass die Familienkasse mit dem Bescheid vom 25.9.1997 das Kindergeld auf 0,--DM festgesetzt und nicht die bis dahin maßgebende Kindergeldfestsetzung aufgehoben hat, kommt im Streitfall auf Grund der rechtzeitigen Anfechtung dieses Bescheides keine Bedeutung zu (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs BFH - vom 25.7.2001 - VI R 78/98, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2002, 88).

b. Nach § 62 Abs. 1 in Verbindung mit § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 32 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung (EStG) hat der Kläger für seinen Sohn F. einen Anspruch auf Kindergeld. Bei volljährigen Kindern knüpft das Gesetz den Kindergeldanspruch zusätzlich daran, dass diese Kinder für einen Beruf ausgebildet werden (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG) und ihre Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, den Grenzbetrag von 12.000,--DM im Kalenderjahr nicht überschreiten (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

c. Der F. befand sich der von der Firma X-Bau GmbH ausgestellten Ausbildungsbescheinigungen vom 20.12.1996 (Blatt 26 der Kindergeldakte) und vom 3.6.1997 (Blatt 74 der Kindergeldakte) sowie dem Schreiben vom 16.3.1998 (Blatt 132 der Kindergeldakte) zufolge im gesamten Jahr 1997 bei ihr in Ausbildung.

Die dem F. im Jahre 1997 zugeflossenen Einkünfte und Bezüge überschreiten den maßgebenden Grenzbetrag nicht.

Als Einkünfte sind zunächst die von F. bezogenen Ausbildungsvergütungen anzusetzen.

Dabei handelt es sich um Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 4 und 19 EStG. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.1.2005 - 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, sind die Sozialversicherungsbeiträge des Kindes nicht in die Bemessungsgrundlage für den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen.

Danach sind die Sozialversicherungsbeiträge vom Bruttoarbeitslohn abzusetzen.

Abzuziehen ist außerdem der Arbeitnehmer-Pauschbetrag gemäß § 9 a Satz 1 Nr. 1 a EStG von seinerzeit 2.000,--DM, weil F. keine höheren Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend gemacht hat.

Hinzu kommen weitere zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmte Zuflüsse des F., die als Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen sind. Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert, die bei der einkommensteuerlichen Ermittlung der Einkünfte nicht zu erfassen sind. Dazu zählt hier die dem F. vom Arbeitsamt bewilligte und gezahlte Berufsausbildungsbeihilfe.

Davon abzuziehen ist die Kostenpauschale von 360,--DM.

Nicht zu den Bezügen gehören dagegen die dem F. gegenüber erbrachten Leistungen des Sozialamtes. So ist die Hilfe zum Lebensunterhalt unter anderem dann nicht als Bezug im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu erfassen, wenn der Sozialleistungsträger einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 5 EStG in der für 1997 maßgebenden Fassung (nunmehr Absatz 2) in Verbindung mit den §§ 102 ff SGB X geltend macht. Denn andernfalls würden die Leistungen des Sozialamtes dazu führen, dass bei deren Berücksichtigung der Kindergeldanspruch wegen Überschreitens des gesetzlichen Grenzbetrages entfallen würde. Der Sozialhilfeträger würde sich also den ihm zustehenden Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 5 bzw. 2 EStG in Verbindung mit §§ 102 ff SGB X durch seine eigenen Leistungen selbst vereiteln. Die Situation ist hier vergleichbar mit derjenigen von Eltern, die ihrem volljährigen Kind Unterhalt durch eine laufende Geldrente zahlen. Deren Berücksichtigung als Bezug würde bei entsprechender Höhe ebenfalls den Kindergeldanspruch der leistenden Eltern vernichten. Deshalb ist anerkannt, dass die Unterhaltszahlungen der Eltern nicht als Bezug im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen ist (BFH - Urteil vom 14.11.2000 - VI R 52/98, BStBl II 2001, 489, Ziffer 2 a der Gründe). Im Verhältnis zu dem erstattungsberechtigten Sozialhilfeträger kann nichts anderes gelten. Denn der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 74 Abs. 5 EStG (nunmehr Abs. 2) die Kindergeldzahlungen bewusst in das Ausgleichssystem der verschiedenen Sozialleistungsträger einbezogen (Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 25. Auflage, § 74, Rz. 4) und damit sein Regelungsziel auch in diesem Bereich umgesetzt, letztendlich demjenigen das Kindergeld zugute kommen zu lassen, der den Unterhalt des Kindes sichert.

Bei Berücksichtigung der Sozialhilfe als Bezug würde - wie oben ausgeführt - bereits der Anspruch auf Kindergeld vernichtet und damit das vom Gesetzgeber verfolgte dargestellte Ziel in Fallkonstellationen der vorliegenden Art vereitelt.

Von der Nichtberücksichtigung der Sozialhilfe als Bezug bei Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs geht inzwischen auch die Verwaltung aus (vgl. dazu Ziffer 63.4.2.3 "Bezüge" Abs. 2 Nr. 8 Satz 2, 2. Alternative der Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DAFamEStG - in der aktuellen Fassung).

Die Voraussetzungen für die Nichtberücksichtigung der Sozialhilfeleistungen als Bezug liegen hier vor. Denn die Stadt U als der zuständige Sozialhilfeträger hat mit Schreiben vom 20.3.1997 einen auf die genannten Vorschriften gestützten Erstattungsanspruch gegenüber der Familienkasse angemeldet. Der dort angegebene Betrag versteht sich als Monatsbetrag, wobei offensichtlich auf den auf F. als 7. Kind (vgl. Blatt 38 Rückseite der Kindergeldakte) entfallenden monatlichen Kindergeldbetrag abgestellt worden ist.

Es ergibt sich folgende Berechnung der Einkünfte und Bezüge für 1997: Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit: 13.372,78 DM davon ab Sozialversicherungsbeiträge (vgl. Beschluss des BVerfG vom 11.1.2005 - BvR 167/05) ./. 2.788,29 DM Werbungskostenpauschbetrag gemäß § 9 a Satz 1 Nr. 1 a EStG ./. 2.000,--DM verbleiben: 8.584,49 DM Berufsausbildungsbeihilfe 1.097,43 DM abzüglich Kostenpauschale ./. 360,--DM verbleiben: 737,43 DM Die zu berücksichtigenden Einkünfte und Bezüge des F. belaufen sich für 1997 somit auf insgesamt 9.321,92 DM und überschreiten den für 1997 maßgebenden Grenzbetrag von 12.000,--DM nicht.

2. Andererseits beinhaltet der angefochtene Bescheid vom 25.9.1997 einen Erstattungs-oder Rückforderungsbescheid nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Auch dieser Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Auch dieser Bescheid war deshalb aufzuheben.

Ist eine Steuer oder eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat nach § 37 Abs. 2 AO derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, hier der Beklagte, einen Anspruch gegen den Leistungsempfänger auf Erstattung. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt.

Im Streitfall ist die Herabsetzung der Kindergeldfestsetzung auf 0,--DM - wie oben unter Ziffer 1 dargestellt - rechtswidrig. Der Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seinen Sohn F. besteht mithin für 1997 fort. Der mit Bescheid vom 25.9.1997 festgestellten Rückforderung des Kindergeldes fehlt - bezogen auf das Jahr 1997 - der rechtliche Grund im Sinne des § 37 Abs. 2 AO.

3. Über den vom Sozialamt der Stadt U geltend gemachten Erstattungsanspruch, der nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war, wird nunmehr der Beklagte erstmals zu entscheiden haben.

B.

Die Kosten des Verfahrens waren gemäß § 135 Abs. 1 FGO dem unterlegenen Beklagten aufzuerlegen.

C.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der dem Beklagten auferlegten Kosten folgt aus § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung.



Ende der Entscheidung

Zurück