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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 21.11.2000
Aktenzeichen: 8 K 7309/99
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 10 Abs 1
EStG § 10 Abs 1 Nr 1a
EStG § 22 Nr 1
EStG § 22 Nr 1 S 3
EStG § 12
GG Art 3 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Rentenzahlungen der Klägerin an den Kläger mit ihrem Ertragsanteil als Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a Einkommensteuergesetz (EStG) abzugsfähig sind.

Die Kläger sind seit 1992 verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger erhält Versorgungsbezüge aus der ehemaligen Tätigkeit als ..., sowie eine Altersrente. Daneben ist er freiberuflich als ... tätig. Die Klägerin ist als ..., sowie ebenfalls als ... tätig.

Daneben erzielten die Kläger im Streitjahr 1997 Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 8.023,- DM (Kläger 7.290,- DM; Klägerin 733,- DM jeweils vor Abzug des Sparerfreibetrags).

Den strittigen Rentenzahlungen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 2.4.1990 (also vor der Eheschließung) übertrug der Kläger das Grundstück ... auf die Klägerin. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung einer lebenslänglichen Rente in Höhe von 4.000,- DM monatlich an den Kläger. Weiter war in Abschn. II Ziff. 1 des Vertrags vereinbart, dass dann, wenn der (in 19.. geborene) Veräußerer vor dem Monatsersten nach Übergabe versterben sollte, die monatliche Rente für einen Zeitraum von 6 Jahren an die Erben des Klägers zu zahlen war. Die Übergabe sollte bis spätestens 31.12.1994 stattfinden. Weiter war eine Erhöhung der Rente entsprechend der Steigerung des Preisindexes für einen 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalt vereinbart. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Vertrag Bezug genommen.

In der Folgezeit und auch im Streitjahr 1997 nutzten die Kläger das auf dem Grundstück befindliche Einfamilienhaus gemeinsam zu Wohnzwecken, mit Ausnahme eines als Arbeitszimmer eingerichteten Raumes, in welchem die Klägerin ihre freiberufliche Tätigkeit ausübt. Der Kläger nutzte für seine berufliche Tätigkeit ein anderweitig belegenes Büro.

Den Ertragsanteil der Rente (28 % von 48.000,- DM = 13.440,- DM) hat der Beklagte den Steuererklärungen folgend als Einnahmen des Klägers im Sinne des § 22 Nr. 1 S. 3 Buchstabe a EStG (Leibrente) besteuert.

Auf seiten der Klägerin hat der Beklagte den kapitalisierten Barwert der Rente antragsgemäß als Anschaffungskosten für den Erwerb des Hauses angesehen. Soweit die Anschaffungskosten auf das Arbeitszimmer entfielen, wurde anteilig eine AfA als Betriebsausgaben abgezogen. Im übrigen wurde für die auf den zu eigenen Wohnzwecken genutzten Teil des Gebäudes entfallenden Anschaffungskosten der Klägerin antragsgemäß letztmalig für 1997 ein Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG gewährt.

Hinsichtlich des Ertragsanteils der Rentenzahlungen hat der Beklagte insoweit der Klägerin einen Betriebsausgabenabzug gewährt, als er anteilig (nach dem Verhältnis der Wohnflächen) auf das Arbeitszimmer entfiel (21 % von 13.440,- DM = 2.822,- DM).

Soweit die Klägerin den darüber hinausgehenden Teil der Rentenzahlungen mit dem Ertragsanteil als Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG abzuziehen begehrt (79 % von 13.440,- DM = 10.617,- DM), hat der Beklagte dies allerdings abgelehnt unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25.11.1992 X R 91/89, Bundessteuerblatt (BStBl) II 1996, 666, sowie unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 23.12.1996 IV B 3 - S 2257 - 54/96, BStBl I 1996, 1508 ff.

Dementsprechend wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr 1997 mit Steuerbescheid vom 14.7.1998 bzw. Änderungsbescheid vom 5.1.1999 bei einem zu versteuernden Einkommen von ... DM auf ... DM festgesetzt. Wegen weiterer Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.

Die Kläger erhoben Einspruch und trugen vor, der Nichtabzug des Ertragsanteils der Rentenzahlungen als Sonderausgabe widerspreche dem Gesetz. Denn § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG sehe ausdrücklich und uneingeschränkt den Sonderausgabenabzug vor. Die Umdeutung des Ertragsanteils in einen Zinsanteil, wie dies der BFH vornehme, entbehre jeder rechtlichen Grundlage und stelle eine Mißachtung des Gesetzes dar. Durch das Steueränderungsgesetz 1973 sei zwar mit Wirkung ab 1.1.1974 die Abzugsmöglichkeit für private Schuldzinsen entfallen. Dies bedeute jedoch nicht, daß nunmehr auch der Ertragsanteil aus Leibrenten nicht mehr abzugsfähig sei, denn in Bezug auf die Leibrenten habe sich die Rechtslage nicht geändert. Deren Abzugsfähigkeit sei gerade nicht gestrichen worden. Der BFH verstoße mit seiner Gesetzesauslegung gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. Danach seien Gesetzeskorrekturen ausschließlich dem Gesetzgeber vorbehalten. Im übrigen enthalte der Ertragsanteil nicht nur ein Zinselement, sondern auch die versicherungsmathematischen Auswirkungen des Lebenserwartungsverlaufs.

Wenn man aber, wie der BFH dies tue, den Ertragsanteil als Zinsanteil begreife, dann müsse dies auch Konsequenzen haben auf der Seite des Empfängers. Dann müßten die vom Kläger erhaltenen Rentenzahlungen nicht als solche aus Leibrente im Sinne des § 22 Nr. 1 EStG angesehen werden, sondern als Einkünfte aus Kapitalvermögen mit der Folge, daß der bislang nicht ausgenutzte Teil des Sparerfreibetrags die Steuerpflicht zum Teil entfallen lasse.

Der Beklagte hat den Einspruch mit Entscheidung vom 30.9.1999 zurückgewiesen. Er hält sich weiterhin an die Rechtsprechung des BFH. Hinsichtlich der Behandlung der Leibrente auf der Seite des Empfängers als Einkünfte im Sinne des § 22 EStG verweist der Beklagte auf das o.a. BMF-Schreiben Tz. 49, welches zwar den Zinsanteil aus dauernden Lasten als Kapitaleinkünfte ansieht, nicht aber den Zinsanteil aus Leibrenten.

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Kläger im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholen.

Die Kläger beantragen,

den angefochtenen Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung abzuändern und die Einkommensteuer 1997 dergestalt herabzusetzen, dass ein Betrag von 10.617,- DM (= 79 % des Ertragsanteils von 13.440,- DM) als Sonderausgabe abzogen wird,

hilfsweise den Ertragsanteil nicht nach § 22 EStG sondern nach § 20 EStG zu besteuern,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet. Zu Unrecht hat der Beklagte den strittigen Teil des Ertragsanteils nicht als Sonderausgaben abgezogen.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG sind auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten als Sonderausgaben abziehbar, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind. Weitere Voraussetzung ist, dass sie nicht mit Einkünften in wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben. Bei Leibrenten kann nur der Anteil abgezogen werden, der sich aus der in § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a EStG aufgeführten Tabelle ergibt (sog. Ertragsanteil).

Im Streitfall liegt eine sog. private Veräußerungsleibrente vor, die als Gegenleistung für die Übertragung des Grundstücks gezahlt wird. Zugleich sind in der Rentenvereinbarung Elemente einer Zeitrente enthalten, indem für den Fall des Todes des Rentenberechtigten vor einem bestimmten Stichtag eine Zahlung der Rente an die Erben auf die Dauer von 6 Jahren vorgesehen ist (sog. Mindestzeitrente oder verlängerte Leibrente).

Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25.11.1992 - X R 91/89, BStBl II 1996, 666, soll der Ertragsanteil aus Leibrenten, die im Austausch mit einer Gegenleistung gezahlt werden, nicht als Sonderausgaben abziehbar sein, sondern allenfalls als Betriebsausgaben oder Werbungskosten, soweit ein Zusammenhang mit Einkünften gegeben ist. Soweit die Rente für die Übertragung eines Wirtschaftsguts gezahlt wird, welches beim Erwerber dem Privatvermögen zuzuordnen ist, soll der Sonderausgabenabzug deshalb versagt werden, weil der Ertragsanteil nichts anderes sei als ein Zinsanteil. Da für private Schuldzinsen ein Abzugsverbot bestehe, gebe es gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG-) keinen tragfähigen Grund, diese Zinsanteile in Leibrenten steuerrechtlich unterschiedlich zu behandeln und zum Abzug zuzulassen. Nach der Streichung des Schuldzinsenabzugs durch das Steueränderungsgesetz 1973 sei die Grundnorm für den Abzug entfallen. Überdies seien Zinsen keine "Aufwendungen" im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG, sondern würden als Entgelt für die Nutzung von Kapital "im Austausch mit einer Gegenleistung" gezahlt. Beim Empfänger der Leistungen komme die Besteuerung als Einkünfte aus Kapitalvermögen in Betracht. § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG behalte seinen Regelungsbereich für die Besteuerung privater Versorgungsleibrenten.

Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat nicht an, weil sie weder mit dem Wortlaut des Gesetzes in Einklang steht, noch eine derartige Auslegung des Gesetzes nach seinem Sinn und Zweck geboten ist, noch Raum oder gar eine Notwendigkeit für eine "verfassungskonforme" Auslegung contra legem besteht.

1. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind eindeutig Renten und dauernde Lasten als Sonderausgaben abzugsfähig.

Richtig ist zwar, dass durch das Steueränderungsgesetz 1973 (StÄndG 1973 vom 26.06.1973, BGBl I, 676, BStBl I 1973, 545) der bis dahin mögliche Abzug von Schuldzinsen als Sonderausgaben ab dem Veranlagungszeitraum 1974 entfallen ist. Nach der bis 1973 geltenden Fassung des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG waren sowohl Schuldzinsen, als auch auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten als Sonderausgaben abziehbar. Dabei waren Leibrenten schon seit dem Steuerneuordnungsgesetz 1954 (StNOG 1954 vom 16.12.1954, BGBl I 1954, 373, BStBl I 1954, 575) nur mit dem sog. Ertragsanteil abzuziehen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber sich im Jahre 1973 entschlossen, nur die Schuldzinsen aus den Sonderausgaben herauszunehmen. Leibrenten sind mit dem Ertragsanteil dagegen unverändert (bis heute) abzugsfähig. Dem steht der den Abzug privater Aufwendungen verbietende § 12 EStG grundsätzlich nicht entgegen. Denn bei sämtlichen Sonderausgaben handelt es sich gerade um "private" Aufwendungen, die gleichwohl aus den verschiedensten Gründen kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung die steuerliche Bemessungsgrundlage mindern dürfen (gl. A. Drenseck in Schmidt, Kommentar zum EStG, 19. Auflage 2000, § 9 EStG Rz. 99 m.w.N.).

2. Die unterschiedliche steuerliche Behandlung des Ertragsanteils aus Leibrenten einerseits und der Schuldzinsen andererseits ist nach Sinn und Zweck des Gesetzes gerechtfertigt.

a) Zwar hat der Große Senat des BFH in seinem Beschluß vom 15.07.1991 GrS 1/90, BStBl II 1992, 78, 83, ausgeführt, wie aus der Entstehungsgeschichte des StNOG 1954 ersichtlich sei, bezwecke das Gesetz mit der Berücksichtigung (nur) des Ertragswertes die Sonderung des steuerbaren Ertragsanteils (= Zinsanteils) von der nichtsteuerbaren Vermögensumschichtung. Das Tatbestandsmerkmal "Leibrente" sei inhaltlich auf diese steuerrechtliche Zwecksetzung -Sonderung der Vermögensumschichtung von einem steuerbaren Zinsanteil- zugeschnitten. Die vom Einkommensteuerrecht verlangte Trennung der Vermögensumschichtung vom Rentenertrag sei in allen Fällen zu beachten, in denen gleichmäßige Leistungen von der Lebensdauer abhängen und dadurch ein vom Zinsfuß und von der Lebensdauer beeinflußter Ertrag bzw. Zinsaufwand zu erfassen ist. Die Leibrente sei insoweit nicht anders als ein langfristig gestundeter Kaufpreis zu behandeln.

Nach Auffassung des erkennenden Senats bedeutet die Gleichsetzung von Ertragsanteil und Zins nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten jedoch nicht, dass diese auch rechtlich gleichzusetzen sind. Die Ausführungen des Großen Senats zielen darauf jedenfalls nicht ab. Er hat die Abzugsfähigkeit des Ertragsanteils privater Leibrenten nicht in Frage gestellt. Die rechtshistorischen Ausführungen dienten vielmehr erkennbar nur der Klärung der Frage, ob an dem Sonderrecht der Vermögensübernahme gegen Versorgungsleistungen als "Hauptanwendungsfall" der in vollem Umfang abziehbaren dauernden Last festgehalten werden soll.

b) Rechtshistorische Überlegungen gebieten auch keineswegs, Ertragsanteil und Zins gleichzusetzen. Denn in der Begründung zum StNOG 1954, mit welchem der Ertragsanteil erstmals als Besteuerungsmerkmal eingeführt wurde, heißt es: "Da der Rentenertrag nicht nur aus Zinsen besteht, sieht der Entwurf vor, die Besteuerung der Leibrenten wie bisher im Rahmen des § 22, nicht aber im Rahmen des § 20 EStG zu regeln." (zitiert aus Jansen in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG und KStG, Stand März 2000, § 22 EStG Rdnr. 292). Dabei ist es bis heute geblieben, weil der Gesetzgeber erkennbar davon ausging und -geht, dass Ertragsanteil und Zins sich von einander unterscheiden.

Selbst nach dem Entwurf des Steuerreformgesetzes 1999 (mit dem der Versuch unternommen werden sollte, im Hinblick auf den - immer noch nicht erledigten- Auftrag des Bundesverfassungsgerichts die Besteuerung der Renten und Altersbezüge grundlegend neu zu gestalten) verblieb es dabei, dass die Veräußerungsleibrenten weiterhin mit dem Ertragsanteil zu den sonstigen Einkünften und nicht zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören (§ 40 Nr. 1 S. 2 b des Entwurfs, BTDrucks. 13/7480, S. 36 f mit Begründung S. 198) und dass beim Zahlungsverpflichteten der Ertragsanteil weiterhin als Sonderausgabe abzugsfähig ist (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 des Entwurfs, BTDrucks. 13/7480, S. 39).

Im Gegensatz hierzu führt der X. Senat des BFH in seinem Urteil vom 25.11.1992 - X R 91/89 (BStBl II 1996, 666, 669) aus, der materiell-rechtlichen Natur des in wiederkehrenden (auch gleichbleibenden) Leistungen enthaltenen Zinsanteils komme für die Besteuerung beim Bezieher in Anbetracht der ab dem 1. Januar 1993 geltenden Freibeträge für Einkünfte aus Kapitalvermögen besonderes Gewicht zu. Demnach will der X. Senat des BFH den Ertragsanteil aus Leibrenten beim Empfänger entgegen dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers den Einkünften aus Kapitalvermögen zuordnen.

Wenn aber der Gesetzgeber an der seit Jahrzehnten bestehenden Gesetzeslage festhalten will, dass Erträge aus Rentenrechten nicht wie Schuldzinsen unter die Einkünfte aus Kapitalvermögen fallen, steht nach Auffassung des erkennenden Senats auch auf der Seite des Zahlungsverpflichteten die rechtliche Gleichstellung von Zins und Ertragsanteil nicht mit der Intention des Gesetzes in Einklang.

c) Weiter ist der X. Senat des BFH offenbar der Auffassung, der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG könne nur noch im Falle des Sonderrechts der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen zur Anwendung kommen. Auch dem steht der Wille des Gesetzgebers entgegen. Denn in dem schon erwähnten Entwurf eines Steuerreformgesetzes 1999 ist die Veräußerungsleibrente als Anwendungsfall ausdrücklich erwähnt. Dort heißt es in der Begründung zu § 40: "Die Ertragsanteilsbesteuerung ist nur noch bei Veräußerungsleibrenten anzuwenden" (BTDrucks. 13/7480, S. 198).

d) Selbst wirtschaftliche Überlegungen gebieten nach Auffassung des erkennenden Senats keine Gleichbehandlung von Ertragsanteil und Schuldzinsen. Der Ertrag des Rentenrechts wird anders als der Zins nicht nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelt, sondern nach der Tabelle des § 22 Nr. 1 S. 3 Buchstabe a S. 3 EStG fingiert nach dem Kapitalwert der Rente, der sich zu Beginn der Laufzeit nach der mittleren Lebenserwartung ergibt. Danach stellt die Leibrente eine Art Zeitrente dar, deren Laufzeit sich von vornherein nach der mittleren Lebenserwartung richtet. Übersteigt die Lebensdauer des Rentenberechtigten die mittlere Lebenserwartung, sind weitere Rentenzahlungen gleichwohl mit dem Ertragsanteil zu erfassen. Für eine Verzinsung wäre aber kein Raum mehr (gl. A. Jansen in Jansen/Wrede, Renten, Raten, dauernde Lasten, 12. Auflage 1998, Rdnr. 919). Hieraus ergibt sich, dass Ertragsanteil und Zins auch wirtschaftlich nicht dasselbe sind.

e) Wenn der X. Senat in dem angeführten Urteil vom 25.11.1992 - X R 91/89, BStBl II 1996, 666, 669 unter 6 b der Entscheidungsgründe ausführt, nach der Streichung des privaten Schuldzinsenabzugs durch das Steueränderungsgesetz 1973 sei die Grundnorm entfallen, nach der ein in gleichbleibenden wiederkehrenden Leistungen enthaltener Zinsanteil beziffert wurde, so dass die gesetzliche Quantifizierung des privaten Schuldzinsenabzugs gegenstandslos geworden sei, greift dieses Argument nach Auffassung des Senats nicht. Entfallen ist zwar die Grundnorm für den Abzug von Schuldzinsen, die mit keiner Einkunftsart in Zusammenhang stehen. Die Grundnorm für den Abzug des Leibrentenertragsanteils ist jedoch bestehen geblieben. Nur hierauf bezieht sich aber die Ertragswerttabelle. Mit dieser bezweckt das Gesetz nicht, einen Schuldzinsenanteil zu beziffern, sondern das Gesetz will den Ertragsanteil pauschalierend beziffern, der - anders als ein Zins- weiterhin abzugsfähig bleiben soll.

f) Schließlich überzeugt auch das Argument nicht, Zinsen seien keine "Aufwendungen" im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG, sondern Entgelt für die Nutzung von Kapital "im Austausch mit einer Gegenleistung". Dieses Argument stützt sich auf die sog. Wertverrechnungstheorie. Danach sind entgeltliche, im Austausch mit einer Gegenleistung übernommene dauernde Lasten erst und nur insoweit als Sonderausgaben abzugsfähig, als der Wert der wiederkehrenden Leistungen den Wert der Gegenleistung übersteigt (vgl. BFH-Urteil vom 03.06.1986 - IX R 2/79, BStBl II 1986, 674). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung gebilligt unter dem Gesichtspunkt, dass nach der Systematik des EStG die Gegenleistung als bloße Vermögensumschichtung nicht zu berücksichtigen ist, solange der Wert der empfangenen Leistung nicht überschritten wird, weil es an einer die subjektive Leistungsfähigkeit mindernden wirtschaftlichen Belastung des Verpflichteten fehlt. Der BFH sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber keine reinen Vermögensumschichtungen als Sonderausgaben berücksichtigen wolle, da die Regelungen in § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG keinen Hinweis darauf enthalten, der Gesetzgeber habe hier von grundlegenden Prinzipien des Einkommensteuerrechts abweichen wollen (vgl. Beschluß des BVerfG vom 18.02.1988 - 1 BvR 930/86, HFR 1989, 271).

Dieses grundlegende Prinzip des Einkommensteuerrechts, dass bloße Vermögensumschichtungen keine Aufwendungen darstellen, gilt jedoch gerade für Zinsen nicht. Denn Zinsen sind nicht Teil der Vermögensumschichtung, sondern Nutzungsentgelte für die Überlassung von Kapital.

Daher besteht auch kein Zweifel daran, dass Schuldzinsen im Rahmen der sog. Überschußeinkünfte als "Aufwendungen" abgezogen werden können, auch wenn das den Einkünften dienende Vermögen bei diesen Einkunftsarten außer Betracht bleibt.

3. Die Gleichsetzung von Schuldzinsen und Leibrentenertragsanteil ist auch von Verfassungs wegen nicht geboten.

a) Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17.12.1992 - 1 BvR 4/87, HFR 1993, 264 ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, welche von mehreren Elementen verschiedener Lebenssachverhalte er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Für das Steuerrecht bedeutet das vor allem, dass es zunächst dem Gesetzgeber obliegt, zu entscheiden, nach welchen Kriterien er die bestehende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bemessen und steuerlich erfassen, also zum Gegenstand einer Gleich- oder Ungleichbehandlung machen will. Er hat bei der Erschließung von Steuerquellen weitgehende Gestaltungsfreiheit. Will er eine bestimmte Steuerquelle erschließen, andere dagegen nicht, dann ist der allgemeine Gleichheitssatz und folglich der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit so lange nicht verletzt, als sich die Verschiedenbehandlung mit finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder steuertechnischen Erwägungen hinreichend rechtfertigen läßt. Erst wenn die gesetzliche Differenzierung willkürlich erscheint oder im Ergebnis Personengruppen unterschiedlich behandelt, ohne dass zwischen diesen Gruppen Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die Verschiedenbehandlung rechtfertigen könnten, kommt ein Verfassungsverstoß in Betracht. Ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und gerechteste Lösung gefunden hat, ist von Verfassungs wegen nicht zu entscheiden.

Aus den bereits dargestellten Erwägungen ist der erkennende Senat der Auffassung, dass es hinreichend genügende finanzpolitische und steuertechnische Erwägungen gibt für eine Ungleichbehandlung von Ertragsanteil und Zins, so dass eine Auslegung des Gesetzes gegen seinen Wortlauf nicht geboten ist.

b) Überdies bedeutet die Streichung des Sonderausgabenabzugs für Leibrenten mit der Begründung, der Schuldzinsenabzug sei ja auch nicht möglich, eine steuerverschärfende, belastende und damit unzulässige Analogie.

Grundrechte, so auch das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Sie dürfen nicht zu Lasten des Steuerbürgers ins Feld geführt werden. Der Richter hat primär die Aufgabe, Rechtsschutz zu gewähren (Art 19 Abs. 4 GG) und nicht anstelle des Gesetzgebers oder für diesen rechtspolitische Erwägunen umzusetzen (vgl. BFH-Urteile vom 04.11.1992 - X R 33/90, BStBl II 1993, 292; vom 30.11.1993 - IX R 60/91, BStBl II 1994,496 und vom 20.12.1995 - I R 118/94, BStBl II 1996, 199; Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, Stand April 1997, § 4 AO Tz. 105 c m.w.N.).

Die Auslegung einer Gesetzesvorschrift gegen den klaren Wortlaut muß auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen eine wörtliche Anwendung offenbar dem Sinn des Gesetzes widerspricht (vgl. BFH-Urteile vom 11.12.1964 III 193/60 S, BStBl III 1965, 82 und vom 01.08.1974 IV R 120/70, BStBl II 1975, 12). Davon kann indes im Fall des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG nicht die Rede sein. So hatte denn auch der BFH sich in seinem Urteil vom 08.10.1965 VI 185/64 U, BStBl III 1965, 708 noch gehindert gesehen, die schon damals als unbefriedigend empfundene Gesetzeslage zur Besteuerung wiederkehrender Leistungen durch Richterrecht zu korrigieren.

c) Soweit das Gesetz Regelungslücken aufweist, die als planwidrige Unvollkommenheit anzusehen sind, ist die Rechtsprechung unter gewissen Voraussetzungen zwar zur Lückenausfüllung berechtigt, selbst wenn sich dies zu Lasten des Steuerpflichtigen, also steuerverschärfend, auswirkt (vgl. BFH-Urteil vom 20.10.1983 - IV R 175/79, BStBl II 1984, 221).

Im Streitfall ist jedoch eine dem Gesamtplan des EStG widersprechende Unvollkommenheit nicht darin zu erblicken, dass das Gesetz den Abzug "privater" Schuldzinsen versagt, nicht aber den Abzug "privater" Leibrentenertragsanteile. Denn, wie bereits ausgeführt, gibt es für die unterschiedliche Behandlung rechtfertigende Gründe.

Überdies wollte der Gesetzgeber mit der Streichung des Schuldzinsenabzugs kein steuersystematisches Gesamtkonzept verwirklichen, sondern es lagen konjunkturelle, wirtschaftslenkende Erwägungen und finanzpolitische Gründe der Gesetzesänderung zugrunde. Aus der Zielsetzung und Begründung des StÄndG 1973 ergibt sich nach dem Beschluß des BVerfG vom 13.03.1979 - 2 BvR 72/76, BStBl II 1979, 322, dass vor dem Hintergrund der in den Jahren 1972/73 bestehenden Wirtschaftslage und Beschäftigungssituation mit der Gesetzesänderung insgesamt eine Wirtschaftsentwicklung angestrebt werden sollte, die neben einem befriedigenden Wachstum des Bruttosozialprodukts und einem hohen Beschäftigungsstand eine Begrenzung des Anstiegs der Verbraucherpreise ermöglichen und in konjunkturell erwünschter Weise eine Begrenzung der Gesamtnachfrage nach Verbrauchs- und Investitionsgütern bewirken sollte. Andererseits sollten auch für notwendig erachtete Einnahmeverbesserungen der öffentlichen Haushalte erzielt werden.

Gerade die aus konjunkturpolitischen Gründen erwünschte Begrenzung der Nachfrage nach Verbraucherkrediten läßt den Schluß zu, dass lediglich Einzelfragen geregelt werden sollten, nicht aber eine von der Rechtsprechung zu schließende Regelungslücke im Gesamtplan des Gesetzgebers vorliegt, die eine Gleichstellung von Leibrentenertragsanteil mit Schuldzinsen gebietet.

Zu einer solchen Gleichstellung bedarf es vielmehr eines Tätigwerdens des Gesetzgebers (vgl. auch BFH-Urteile vom 31.05.1978 - I R 69/76, BStBl II 1978, 564 und vom 13.01.1984 - VI R 194/80, BStBl II 1984, 315). Der erkennende Senat sieht daher keine Möglichkeit, nunmehr umgekehrt Beschränkungen, die für den Schuldzinsenabzug gelten, ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung auf Ertragsanteile aus Renten zu übertragen.

4. Dem Beklagten wird aufgegeben, die Einkommensteuer unter Berücksichtigung des anteiligen Ertragsanteils als Sonderausgaben neu zu berechnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird zugelassen.

Ende der Entscheidung

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