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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: 15 K 3039/04
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, BFVG


Vorschriften:

EStG § 31 Abs. 1 S. 3
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3
EStG § 70 Abs. 2
AO 1977 § 8
BFVG § 7 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

15 K 3039/04

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist die Berechtigung der Beklagten, die ursprünglich zu Gunsten der Klägerin erfolgte Festsetzung von Kindergeld für ihren am 00.00.1986 geborenen Sohn B ab Oktober 2002 bis einschließlich Juli 2005 aufzuheben und das für die Monate Oktober 2002 bis Februar 2003 in Höhe von insgesamt 770 EUR ausgezahlte Kindergeld zurückzufordern.

Die Klägerin und ihr Sohn sind deutsche Staatsangehörige, die im Juli 1998 aus U/ Russische Föderation ausgereist und hier im selben Jahr als Spätaussiedler bzw. deren Abkömmling anerkannt worden sind. Die Klägerin bezog ab Juli 1998 Kindergeld für den Sohn. Im Rahmen eines Datenabgleichs mit dem Einwohnermeldeamt der Stadt L wurde der Beklagten bekannt, dass der Sohn am 20. September 2002 als nach Russland verzogen abgemeldet worden ist.

Im Rahmen des Anhörungsverfahrens gab die Klägerin an, B habe bei seiner Einreise ausschließlich russisch gesprochen und äußerst große Probleme bei der Integration in sprachlicher Hinsicht gehabt. Daher habe sich schon deswegen eine Ausbildung in russischer Sprache empfohlen, zumal es den konkret besuchten Ausbildungsgang im Inland nicht gebe. Der Sohn besuche in Russland die Berufsschule und bringe damit seinen vor der Wohnsitznahme in Deutschland begonnenen Schulbesuch zum Abschluss. Er sei bei seiner Schwester untergebracht. Die Abmeldung beim Einwohnermeldeamt sei wegen des Weiterbezugs von Leistungen nach dem BSHG durch die Klägerin erfolgt.

Mit einem auf § 70 Abs. 2 EStG gestützten Bescheid vom 11. November 2003 hat die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für den Sohn B mit Wirkung ab Oktober 2002 aufgehoben und zugleich das für die Monate Oktober bis Februar 2003 gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 770 EUR zurückgefordert. Zur Begründung hat die Beklagte angeführt, das Kind besitze weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Dies sei insbesondere daraus zu schließen, dass eine Integration nicht möglich gewesen sei.

Den dagegen eingelegten Einspruch vom 12. Dezember 2003 begründete die Klägerin trotz entsprechender Aufforderung nicht. Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 27. April 2004 - dem jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt per Empfangsbekenntnis am 4. Mai 2004 -- unter Wiederholung der Begründung zum angefochtenen Bescheid als unbegründet zurück.

Daraufhin hat die Klägerin am 4. Juni 2004 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt, für die Zeit der Ausbildung des Sohnes in Russland Kindergeld zuerkannt zu bekommen.

Der Sachverhalt stellt sich nach Aufklärung durch den Berichterstatter und Durchführung eines Erörterungstermins unter informatorischer Anhörung des Sohnes wie folgt dar :

Der Sohn hat - ausweislich seines Diploms vom 2. Juli 2005 -- vom 1. September 2002 bis zum 16. Juni 2005 den Status eines Auszubildenden in der Fachrichtung Schweißer an der Berufsschule Nr. 23 in U gehabt. Er hat diese Ausbildung mit dem Abschluss der allgemeinen Mittelschule und einer beruflichen Grundausbildung in der Berufsrichtung "Schweißer (Elektroschweiß- und Gasschweißarbeiten)" absolviert. Ihm wurde zugleich die Qualifikation in der Berufsrichtung "Elektrogasschweißer 4. Lohngruppe" zuerkannt. Dieser Schulabschluss wurde von der Bezirksregierung L am 18.8.2005 als der Fachoberschulreife gleichwertig anerkannt.

Die im folgenden geschilderten Wohnverhältnisse sind zwischen den Beteiligten unstreitig (siehe Protokoll des Erörterungstermins vom 19.10.2006-- Bl.156 ff der FG-Akte--).) :

Die Klägerin hat in L zunächst mit ihrem damaligen Mann und dem Sohn in einer 3-Zimmer-Wohnung gelebt. Nachdem der Sohn im September 2002 nach Russland gefahren war, ließ sich die Klägerin nach dem dann eingeleiteten Trennungsjahr scheiden. Nach dem Tod ihres Vaters kümmerte sich die Klägerin um ihre kranke Mutter und lebte bei dieser in deren 61 qm großen L'er 2-Zimmer-Wohnung in einem der 2 großen Zimmer. Für den Sohn ist während seiner Ausbildung in der L'er Wohnung kein eigenes Zimmer freigehalten worden. Nach Angaben der Klägerin sei dies wegen des Bezuges von Leistungen nach dem BSHG nicht möglich gewesen. Seitdem der Sohn zurück ist, lebt er mit in dieser Wohnung in einem der beiden Zimmer. Die Klägerin nutzt nun zusammen mit der Mutter das zweite Zimmer.

In Russland leben die beiden anderen erwachsenen Kinder der Klägerin, nämlich ein weiterer Sohn und eine Tochter. Die Tochter bewohnte im Streitzeitraum die frühere 2-Zimmer-Wohnung der Klägerin in U; sie ist verheiratet und hat ein 1999 geborenes Kind. Der Sohn B hat mit diesem Kind zusammen ein Zimmer geteilt. Die Schwester hat für ihn gekocht, Wäsche gewaschen usw.. Der Sohn habe auch im Haushalt der Schwester geholfen.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Unterbringung des Sohnes bei seiner Schwester sei für das Kindergeld völlig belanglos, da diese allein schon aus Kostengründen so erfolgt sei. Der Sohn habe ununterbrochen zum - gleichsam verlängerten -- Haushalt der Klägerin in deren früherer, nun von der Tochter genutzten Wohnung in Russland gehört. Die Klägerin habe das Kindergeld jeweils an den Sohn überwiesen bzw. ihm mitgegeben.

Da der Sohn schon früher schulische Probleme gehabt habe, sei er nach Abschluss des Verfahrens der Anerkennung als Spätaussiedler zum Zweck der Fortsetzung der Ausbildung vorübergehend ins Aussiedlungsgebiet nach Russland zurückgekehrt. Dabei habe er stets seinen Wohnsitz im Inland beibehalten. Als minderjähriges Kind habe der Sohn gemäß § 11 BGB den Wohnsitz der Eltern geteilt. Der Sohn der Klägerin sei in Russland nicht ordnungsgemäß abgemeldet gewesen, sondern habe dort als russischer Auslandsbürger ohne Inlandspass gelebt. Nach russischem Melderecht habe der Sohn der Klägerin daher seinen Wohnsitz im Ausland, also in Deutschland. Da der Sohn kein russischer Inlandsbürger sei, habe er dort keine staatliche Förderung wie etwa ein Stipendium erhalten. Eine Einkünfte oder Bezüge habe der Sohn nicht gehabt.

Die Sommerferien dauerten - so trägt die Klägerin vor -- in Russland jedes Jahr drei Monate, nämlich vom 1. Juli bis zum 1. September; die Winterferien dauerten üblicherweise zwei Wochen (meist vom 20.12. bis 10. Januar). Sodann gebe es etwa 10 Tage Ferien um das russische Osterfest. Währen des streitigen Zeitraums hat die Klägerin den Sohn in Russland besucht, und dieser hat sich wiederum in den Ferienzeiten bei der Klägerin in L aufgehalten. Die Tatsache und die Dauer der Aufenthalte des Sohnes sind zwischen den Beteiligten unstreitig (Protokoll des Erörterungstermins vom 19.10.2006

Die o. g. Reisen fanden wie folgt statt :

 Reisen der Mutter :Reisen des Sohnes:Dauer der Reisen des Sohnes
20.09.2003 bis 01.10.200307.01.2004 bis 26.01.200420 Tage = knapp 3 Wochen
20.05.2004 bis 06.06.200420.07.2004 bis 02.09.200445 Tage = rund 6 1/2 Wochen
18.12.2004 bis 13.01.200524.07.2005 Rückreise

Weitere Reisen seien - so trägt die Klägerin vor - schon aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen.

Nach Abschluss seiner Ausbildung hat sich der Sohn der Klägerin im August 2005 im Inland arbeitslos gemeldet; die Klägerin bezieht seit August 2005 erneut Kindergeld für ihn.

Des weiteren ist die Klägerin der Ansicht, wegen ihrer und ihres Sohnes Anerkennung als Spätaussiedler gemäß §§ 26, 27 BVFG seien gemäß § 7 Abs. 1 BVFG die aussiedlungsbedingten Nachteile auszugleichen. Das heiße, dass sie - die Klägerin - eine Anspruch darauf habe, dass der Staat die Ausgleichung von Nachteilen zumindest fördere, nicht aber wie vorliegend Nachteile bereite. Es sei staatliche Pflicht, jeden sinnvollen Weg zur Förderung der Ausbildung des Sohnes zu unterstützen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Bescheides vom 11.11.2003 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.4.2004 die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für den Sohn B für die Zeit von Oktober 2002 bis Juni 2005 festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist unter Berufung auf die Rechtsprechung des BFH der Ansicht, dass vorliegend trotz deutscher Staatsangehörigkeit des Sohnes und seines Rückkehrwillens nach Ende der Ausbildung im Streitzeitraum weder Wohnsitz noch gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorlagen. Die Inlandsaufenthalte des Sohnes stellten lediglich Besuche dar. Zudem seien durch den Schulbesuch in der Heimat des Sohnes die natürlichen Bindungen an den heimatlichen Kulturkreis wiederhergestellt und gefestigt worden. Die familiäre Wohn- und Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und dem Sohn sei aufgegeben worden. Die Ausbildung im Heimatland könne nur eine Basis für eine weitere Ausbildung oder Beschäftigung dort sein.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten im o. g. Erörterungstermin unter dem Vorbehalt der ausstehenden Entscheidung des Senates darauf hingewiesen, dass seiner Meinung nach -- unabhängig von der Frage des räumlichen Umfangs einer in Inland für das Kind vorzuhaltenden Unterbringungsmöglichkeit -- kein steuerlicher Wohnsitz des Sohnes im Sinne der Abgabenordnung anzunehmen sei. Die Besuche der Klägerin in Russland könnten nicht zur Aufrechterhaltung des Wohnsitzes des Kindes in Inland führen. Der Sohn selbst sei seit September 2002 erstmals im Januar 2004 wieder in Inland gewesen. Selbst wenn man eine kalenderjahrübergreifende Betrachtung ab September 2002 bis ins Jahr 2003 für richtig erachten sollte, sei der erste Aufenthalt des Sohnes im Januar 2004 zeitlich zu spät. Ähnliches gelte für die Zeit ab September 2004 bis zur Rückkehr im Juli 2005.

Beide Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (Protokoll des o. g. Erörterungstermins, Bl. 3 letzter Absatz).

Entscheidungsgründe:

I. Der Senat durfte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da beide Beteiligten damit einverstanden sind (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO --).

II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 11.11.2003 über die Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld für das Kind B für die Zeit von Oktober 2002 bis Juni 2005 und die Rückforderung des Kindergeldes für Oktober 2002 bis Februar 2003 in Höhe von 770 EUR sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27.4.2004 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Denn die Beklagte hat die Festsetzung des Kindergeld für den Sohn der Klägerin zu recht aufgehoben und das im Streitzeitraum bereits ausgezahlte Kindergeld zurückgefordert. Der Sohn B hatte nämlich im Streitzeitraum weder einen inländischen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

1. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung - EStG -- i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 3 EStG hat derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfügt, einen Kindergeldanspruch nur für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt innehaben.

a) U liegt im Gebiet der Russischen Föderation; diese zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten.

b) § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG ist verfassungsgemäß. Die Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes als Ausprägung des Territorialitäts-Prinzips ( § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG ) ist sachgerecht ist und verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (Urteile des Bundesfinanzhofes - BFH -- vom 23. November 2000 VI R 165/99, Bundessteuerblatt -- BStBl -- II 2001, 279, und vom 26.02.2002 VIII R 85/98, BFH/NV 2002, 912, Verfassungsbeschwerde dagegen nicht zur Entscheidung angenommen durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -- vom 9.1.2003 2 BvR 885/02, Juris ; Weber-Grellet in : Schmidt, EStG, 25. Auflage 2006, § 63, Rz. 4). Das BVerfG hat zudem durch den Kammerbeschluss vom 23. Februar 1994 1 BvR 1105/91 (Juris) bestätigt, dass sich weder aus dem allgemeinen Gleichheitssatz noch aus anderen Verfassungsnormen eine Verpflichtung ergibt, im Ausland lebende Kinder deutscher Staatsangehöriger generell bei der Gewährung von Kindergeld zu berücksichtigen.

c) Der Sohn der Klägerin hatte im Streitzeitraum seinen Wohnsitz nicht im Inland.

aa) Der Wohnsitzbegriff i.S. des § 8 der Abgabenordnung - AO -- setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Betreffende tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit - wenn auch in größeren Zeitabständen - aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken oder ein Aufenthalt, der nur Besuchscharakter hat, reicht nicht aus (Urteil des BFH vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294 mit weiteren Nachweisen).

bb) Es kann hier dahingestellt bleiben, ob im streitigen Zeitraum in der Wohnung der Klägerin hinreichender Wohnraum für den Sohn bereitstand, obschon für den Sohn nach dem Umzug der Klägerin in die Wohnung ihrer Mutter kein eigenes Zimmer bereitgehalten wurde. Selbst wenn vorliegend hinreichender Wohnraum anzunehmen wäre, hatte der Sohn in Deutschland keinen Wohnsitz, wie sich aus den geringen Aufenthaltszeiten im Inland ergibt.

cc) Der BFH hat mehrfach die Rechtsgrundsätze dargelegt, nach denen zu entscheiden ist, ob ein Kind, das sich zum Zwecke der Ausbildung mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz ( § 8 AO) beibehält (z.B. BFH-Urteile in BStBl II 2001, 294, und in BStBl II 2001, 279, jeweils m.w.N.). Die Beurteilung im Einzelfall liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet und kann vom BFH nur auf Verstöße gegen die Denkgesetze und Erfahrungssätze überprüft werden (BFH-Beschlüsse vom 22. November 2005 III B 101/05 , BFH/NV 2006, 494 , und vom 17. März 2006 III B 67/05 , BFH/NV 2006, 1255 ).

Im Urteil in BStBl II 2001, 279 hat der BFH die Entscheidung des FG gebilligt, dass ein Kind grundsätzlich seinen Wohnsitz im Inland verliert, wenn seine Eltern es zum Zwecke des für die Dauer von neun Jahren angelegten Schulbesuchs zu den Großeltern ins Ausland schicken. Bei besuchsweisen Aufenthalten bleibe der Wohnsitz in der elterlichen Wohnung auch dann nicht erhalten, wenn die Rückkehr des Kindes nach Deutschland nach Erreichen des Schulabschlusses beabsichtigt ist.

Keine nur besuchsweisen Aufenthalte liegen nach Auffassung des BFH vor, wenn ein Kind, das ein mehrjähriges Studium im Ausland absolviert, in den ausbildungsfreien Zeiten (z.B. in den mehrmonatigen Semesterferien) bei den Eltern im Inland wohnt. Der BFH hob deshalb im Urteil in BStBl II 2001, 294 die Entscheidung des FG auf, das trotz mehrjährigen Studiums im Ausland einen Wohnsitz des Kindes in der elterlichen Wohnung angenommen hatte. Auch bei langjährigen Auslandsaufenthalten kann nach dieser Entscheidung ein Wohnsitz des Kindes jedenfalls dann gegeben sein, wenn es sich im Jahr fünf Monate im Inland in der Wohnung der Eltern aufhält.

Der Wohnsitzbegriff i.S. von § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit --wenn auch in größeren Zeitabständen-- aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus ( BFH-Urteile vom 23.11.1988 II R 139/87, BStBl II 1989, 182 , m.w.N., und vom 22.04.1994 III R 22/92, BStBl II 1994, 887). Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff zunächst Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz ( BFH-Urteile vom 26. Februar 1986 II R 200/82, BFH/NV 1987, 301, sowie in BStBl II 1994, 887 ).

Das Innehaben der Wohnung muss unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Die gesetzliche Regelung geht dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2 ). Es handelt sich deshalb um eine Prognoseentscheidung (Urteil des BFH in BStBl II 2001, 294).

Dient ein Auslandsaufenthalt ausschließlich der Durchführung einer bestimmten Maßnahme (wie z.B. der Schul- oder Berufsausbildung), ist er deshalb von vornherein zeitlich beschränkt, und hat der Betroffene die Absicht, nach dem Abschluss der Maßnahme wieder an den bisherigen Wohnort oder gar in die elterliche Wohnung zurückzukehren, reicht dies allein jedoch nicht dafür aus, um vom Fortbestand des bisherigen Wohnsitzes während des Auslandsaufenthalts auszugehen. Die Feststellung der Rückkehrabsicht besagt grundsätzlich nichts darüber, ob der Inlandswohnsitz während des vorübergehenden Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nach der Rückkehr neu begründet wird (Urteil des BFH in BStBl II 2001, 294).

Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten reichen kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen und daher nicht "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung bedeuten, nicht dazu aus, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen. Zum einen müssen die objektiven Wohnverhältnisse so geartet sein, dass sie die Möglichkeit eines längeren Wohnens des Kindes in der Wohnung der Eltern bieten. Zum anderen darf die Anwesenheit des Kindes in der elterlichen Wohnung nicht nur Besuchscharakter haben, wie das bei Aufenthalten von jeweils zwei bis drei Wochen pro Jahr der Fall ist (Urteil des BFH in BStBl II 2001, 294).

Der Staatsangehörigkeit kommt in Bezug auf den Wohnsitz des Kindes keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Auch bei Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit kann ein langandauernder Auslandsaufenthalt bei nur kurzfristigen Aufenthalten in der Wohnung der Eltern während der Ferien, bzw. Semesterferien zum Verlust des Wohnsitzes im Inland führen (Urteil des BFH in BStBl II 2001, 294).

Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, nach dem Begründung, Beibehaltung und Aufgabe des Wohnsitzes rechtsgeschäftliche Willenserklärungen darstellen (§§ 7, 8 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--), knüpft § 8 AO an die tatsächliche Gestaltung an. Deshalb kann auch ein Minderjähriger --abweichend von § 11 BGB-- einen steuerlichen Wohnsitz begründen; auf den Willen des gesetzlichen Vertreters kommt es nicht an (BFH in BStBl II 1994, 887).

dd) Nach diesen - zutreffenden - Grundsätzen hatte der Sohn der Klägerin im Streitzeitraum keinen Wohnsitz im Inland.

aaa) Vorliegend ist es dabei irrelevant, welche Staatsangehörigkeit die Klägerin und ihr Sohn innehaben. Die Frage des Wohnsitzes nach der AO ist nicht nach den Regeln des BGB zu beantworten.

bbb) Dabei können die Besuchsaufenthalte der Klägerin selbst in Russland keinen Einfluss auf die Frage des Wohnsitzes des Sohnes haben, da es allein auf dessen Dauer des Aufsuchens und auf dessen Nutzung der inländischen Bleibe ankommt.

ccc) Die Aufenthalte des Sohnes der Klägerin stellen lediglich Besuchsaufenthalte dar, die nicht zur Beibehaltung des -- durch die 1998 erfolgte Einreise ins Inland damals begründeten --inländischen Wohnsitzes führen.

Den vom Sohn der Klägerin absolvierten kombinierten Ausbildungsgang, der zum einen zur Fachoberschulreife und zugleich zum anderen zum Ausbildungsabschluss im Beruf des Schweißers geführt hat, gibt es im Inland nicht. Da diese Ausbildung nach den eigenen Einlassungen der Klägerin angesichts des Unterrichts an der "Berufsschule" zum einen und der -- von der Klägerin selbst als Schulferien bezeichneten -- unterrichtsfreien Zeit eher einem inländischem Schulbesuch an einer allgemeinbildenden Schule als einer beruflichen Ausbildung in einem Lehrberuf nahe kommt, erscheint es dem erkennenden Senat gerechtfertigt, bei den Anforderungen an die Inlandsaufenthalte des Kindes diejenigen Maßstäbe anzulegen, die für den Besuch allgemeinbildender Schulen in der Rechtsprechung aufgestellt worden sind.

Nach diesen zutreffenden Grundsätzen gilt vorliegend :

B hat sich seit seiner Ausreise im September 2002 erstmals im Januar 2004 wieder im Inland aufgehalten.

Für die Frage der Beibehaltung des Wohnsitzes in Fällen, in denen das Kind innerhalb eines Kalenderjahres das Inland für mehrere Jahre zur Ausbildung verlässt, erscheint es dem Senat gerechtfertigt, eine das Kalenderjahr übergreifende Betrachtung anzustellen, in die die unterrichtsfreien Zeiten einerseits und die tatsächlichen Aufenthaltszeiten andererseits, jeweils beginnend mit dem Ausreisemonat, einzubeziehen ist. Dies führt für die Zeit von September 2002 bis Dezember 2003 mangels eines einzigen Aufenthaltes des Sohnes im Inland dazu, dass dieser damit seinen inländischen Wohnsitz aufgegeben hat. Hinzu kommt noch, dass B nach eigener Einlassung der Klägerin wegen seiner schulischen Probleme im Inland als Folge seiner schlechten Deutschkenntnisse seine in Russland bereits angefangene Ausbildung dort abschließen wollte - was er dann auch 2005 erfolgreich getan hat.

Da B bis Dezember 2003 keinen steuerlichen Wohnsitz in Inland hatte, waren auch die tatsächlichen Aufenthalte im Inland für knapp 3 Wochen im Januar 2004 sowie für rund 6 1/2 Wochen im Sommer 2004 nicht geeignet, einen solchen Wohnsitz wieder zu begründen.

Denn für ein Kind, das für mehrere Jahre im Ausland einer Ausbildung nachgeht, verlangt die Rechtsprechung einen inländischen Aufenthalt grundsätzlich in allen unterrichtsfreien Zeiten, also den Schulferien, mindesten aber für drei Monate pro Kalenderjahr. Der BFH hat mit Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99 (BStBl II 2001, 279 ) die besuchsweisen Aufenthalte des Kindes in der elterlichen Wohnung von insgesamt nicht einmal drei Monaten im Jahr auch dann nicht für die Annahme einer Beibehaltung des Wohnsitzes ausreichen lassen, wenn die Rückkehr des Kindes nach Deutschland nach Erreichen des Schulabschlusses beabsichtigt ist.

Hier ist der Sohn der Klägerin zwar knapp eine Woche länger als die zweiwöchigen Winterferien im Januar 2004 im Inland gewesen sowie während der dreimonatigen Sommerferien für rund 6 1/2 Wochen, doch machen diese Aufenthaltszeiten insgesamt nur rund 9 1/2 Wochen aus, also weniger als 3 Monate. Der Sohn der Klägerin ist damit zum einen nicht während der gesamten unterrichtsfreien Zeit in Inland gewesen, nämlich nicht während der zweiwöchigen Osterferien sowie während der übrigen 3 Wochen in den Sommerferien vom 1. Juli bis 20. Juli und auch nicht während der im Dezember 2004 erneut beginnenden Winterferien. Zum anderen ist er insgesamt nicht einmal drei Monate in den Ferien im Inland gewesen.

Da der Sohn nach alledem seinen inländischen Wohnsitz aufgegeben hatte, konnte er ihn erst durch seine Rückkehr im Juli 2005 erneut begründen, was dann nach seiner Arbeitslosmeldung auch zur Festsetzung von Kindergeld ab August 2005 geführt hat.

ddd) An der oben festgestellten Aufgabe des inländischen Wohnsitzes ändert auch nichts, dass die Klägerin vorträgt, der Sohn habe schon aus finanziellen Gründen keine häufigeren Heimreisen antreten können.

Denn Kindergeld wird als einkommensteuerliche Steuervergütung gezahlt ( § 31 Abs. 1 Satz 3 EStG); auf deren Festsetzung finden daher die allgemeinen Regeln des Steuerrechts Anwendung, also auch der Grundsatz, dass nur der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt für die steuerliche Beurteilung zugrunde gelegt werden darf. Auf die Ursachen, weshalb dieser und kein sonstiger hypothetischer Sachverhalt verwirklicht worden ist, kommt es danach nicht an.

Die Versagung von Kindergeld in Fällen wie dem vorliegenden stellt auch keine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung mit einem vermögenderen Steuerpflichtigen dar : Denn einerseits verliert auch dessen Kind bei tatsächlich zeitlich zu kurzen Inlandsaufenthalten bei einer Ausbildung im Ausland -- außerhalb der EG --seinen steuerlichen Wohnsitz im Inland, und anderseits kann sich jeder Steuerpflichtige unabhängig von seiner Vermögenslage anhand der bestehenden Rechtslage vor dem Entschluss, sein Kind zur Ausbildung ins Ausland zu schicken, in Kenntnis seiner Vermögenslage darüber klar werden, ob er Gefahr läuft, seinen inländischen Anspruch auf Kindergeld wegen fehlender Inlandsaufenthalte seines Kindes zu verlieren. Fehlen ihm dann trotz der ergänzend zur Verfügung stehenden Hilfen - wie etwa Ausland-Bafög oder Stipendien - die finanziellen Mittel zur Aufrechterhaltung eines hinreichenden Inlandsaufenthalts, so muss er die steuerrechtlichen Folgen des Verlustes eines Anspruchs auf Kindergeld tragen.

eee) Auch aus der Eigenschaft der Klägerin als anerkannter Spätaussiedlerin folgt nichts anderes.

Der von der Klägerin für ihre gegenteilige Ansicht herangezogene § 7 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung - BFVG -- besagt lediglich, "Spätaussiedlern ist die Eingliederung in das berufliche, kulturelle und soziale Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu erleichtern. Durch die Spätaussiedlung bedingte Nachteile sind zu mildern."

Daraus ergibt sich jedoch kein Anspruch auf Änderung der für alle inländischen unbeschränkt Steuerpflichtigen geltenden Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld nach den §§ 62 ff EStG. Die Vorschrift des § 7 BVFG eröffnet nach seiner systematischen Stellung im Gesetz den zweiten Abschnitt des BVFG, in dem die Leistungen für die Spätaussiedler, nichtdeutsche Ehegatten und Abkömmlinge zusammengefasst sind. Dabei ist der Absatz 1 dieser Norm lediglich programmatischer Natur und enthält keine klagbaren Ansprüche (so auch die aufgrund des § 104 BVFG vom Bundesinnenminister erlassene Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BVFG vom 19. November 2004, GMBL. S. 1059, hier Abschnitt C 30.1.1, sowie von Scheckendorff, Kommentar zum BVFG, Stand 10/2005, § 7, Anm. 2). Diese Vorschrift kann zwar bei der Auslegung als ratio des Gesetzes herangezogen werden, jedoch nur für die entsprechenden Leistungen des BVFG (vgl. von Schenckendorff, a.a.O.), etwa denen der §§ 9 ff BVFG, nicht jedoch bei der Festsetzung einer Steuervergütung nach dem EStG.

d) Des weiteren hatte der Sohn der Klägerin im Streitzeitraum auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 9 AO nicht im Inland. Denn für einen solchen Aufenthalt enthält die Sechsmonatsfrist in § 9 Satz 2 AO einen Anhaltspunkt dafür, welche Aufenthaltsdauer nicht mehr als nur vorübergehend anzusehen ist. Entscheidend ist, ob die ursprüngliche Absicht auf einen längeren Aufenthalt als sechs Monate gerichtet war. Daran fehlt es bei den - wie oben festgestellt -- nur vorübergehenden Aufenthalten des Sohnes der Klägerin im Inland während der Ferienzeiten (vgl. BFH in BStBl II 1994, 887). Im übrigen schließt nach § 9 Satz 3 AO ein nicht länger als ein Jahr dauernder Aufenthalt ausschließlich zu Besuchszwecken die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland aus (BFH a. a.O.; BFH-Urteil vom 30. August 1989 I R 215/85, BStBl II 1989, 956).

2. Die Familienkasse war auch zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG befugt. Nach dieser Norm ist Voraussetzung für eine Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld, dass sich in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eingetreten sind. Der Verlust des inländischen Wohnsitzes des Sohnes durch die Ausreise nach Russland im September 2002 bis zum Wiedereinreise 2005 stellt eine derartige Änderung der Verhältnisse dar. Nach der genanten Norm war die Beklagte daher berechtigt, mit Wirkung ab der Änderung der Verhältnisse - also ab dem auf die Ausreise folgenden Monat Oktober 2002 - die Festsetzung von Kindergeld aufzuheben.

3. Die Beklagte war schließlich auch zur Rückforderung des für die Monate Oktober 2002 bis Februar 2003 ausgezahlten Kindergeldes von insgesamt 770 EUR nach § 37 Abs. 2 AO berechtigt, da mit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung der Rechtsgrund für die Zahlung des Kindergeldes als einer Steuervergütung weggefallen ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO .

Ende der Entscheidung

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