Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 19.06.2007
Aktenzeichen: 7 K 3835/04
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 174 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

7 K 3835/04

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erzielte aus dem Restaurant "......................." Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Mit Vertrag vom ........1998 veräußerte er das Unternehmen an seinen Bruder ............. gegen einen festen Barpreis (........... DM), eine Leibrente (............. DM mtl. inkl. Wertsicherungsklausel) und Übernahme der Verbindlichkeiten (................ DM) inklusive der auf den Veräußerungsgewinn anfallenden Einkommensteuern (................ DM). Der Übergang von Nutzen und Lasten erfolgte zum 01.02.1998.

In der am .........1998 beim Beklagten eingegangenen Einkommensteuererklärung 1997 wurde von dem damaligen - mittlerweile verstorbenen - Steuerberater des Klägers ein Veräußerungsgewinn von 809.992 DM erklärt. Nachdem die Veranlagung zur Einkommensteuer 1997 im Wesentlichen antragsgemäß durchgeführt worden war, legte der damalige Steuerberater des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid 1997 vom .........1998 Einspruch mit der Begründung ein, dass der Veräußerungsgewinn erst in 1998 entstanden und daher auch erst in 1998 zu versteuern sei. Der Beklagte half daraufhin dem Einspruch ab.

Mit Bescheid vom ......1998 wurden - entsprechend den Angaben des damaligen Steuerberaters - die Vorauszahlungen zur Einkommensteuer 1998 im Hinblick auf den Veräußerungsgewinn erhöht. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger - insoweit vertreten durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten - Einspruch mit der Begründung ein, dass ein Steuerpflichtiger, der seinen Betrieb gegen einen festen Barpreis und eine Leibrente veräußere, bezogen auf die Leibrente ein Wahlrecht habe, den entstandenen Gewinn sofort zu versteuern oder statt dessen die Rentenzahlung als nachträgliche Betriebseinnahmen zu behandeln. In diesem Fall entstehe ein Gewinn erst dann, wenn die Rentenzahlung das steuerliche Kapitalkonto des Veräußerers zzgl. etwaiger Veräußerungskosten übersteige. Daraufhin setzte der Beklagte mit Bescheid vom .......1999 die Vorauszahlungen 1998 auf 0 DM herab.

In der Einkommensteuererklärung 1998 vom ......1999, die vom damaligen Steuerberater des Klägers erstellt worden ist, wurde eine ab 01.02.1999 laufende Leibrente in Höhe eines Betrages von 77.000 DM mit einem Ertragsanteil von 31% als sonstige Einkünfte erklärt. Angaben zum Rentenanspruch wurden nicht gemacht (Zeile 36 der Anlage KSO). Der Einkommensteuererklärung war keine Anlage GSE beigefügt. Der Veräußerungsgewinn wurde daher nicht erklärt.

Der Beklagte führte die Veranlagung für 1998 mit Bescheid vom .......2000 erklärungsgemäß durch. In den Erläuterungen wurde die Aufgabebilanz zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe angefordert. Soweit aus den Steuerakten ersichtlich, wurde keine Aufgabebilanz auf den Zeitpunkt der Betriebsveräußerung eingereicht.

Im Jahre 2003 wurde beim Erwerber des Betriebes, dem Bruder des Klägers, eine Außenprüfung durchgeführt. In diesem Zusammenhang gelangte der Prüfer zu der Erkenntnis, dass eine sofortige Versteuerung des Veräußerungsgewinns beim Kläger in 1998 gewollt war.

Mit Änderungsbescheid nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vom ......2003 wurde die Einkommensteuer 1998 unter Ansatz eines Veräußerungsgewinns von 809.992 DM neu ermittelt. Dabei ging der Beklagte davon aus, dass der damalige Steuerberater des Klägers am ......1998 einen entsprechenden Antrag gestellt habe.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger rechtzeitig Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, dass im Schreiben des damaligen Steuerberaters vom .....1998 der grundsätzliche Wille ausgedrückt worden sei, den Veräußerungsgewinn sofort in 1998 zu versteuern. Der Beklagte habe somit den Veräußerungsgewinn für 1998 ansetzen müssen. Eine Zustimmung zu einer späteren Änderung sei nicht erteilt worden.

Mit Entscheidung vom ......2004 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Die hiergegen erhobene Klage begründet der Kläger damit, dass er den Einspruch gegen den Vorauszahlungsbescheid vom ......1998 deshalb eingelegt habe, weil man bei Vertragsschluss davon ausgegangen sei, dass bei normalem Ablauf des Veranlagungsverfahrens die Besteuerung eines Veräußerungsgewinnes aus dem Jahre 1998 frühestens Anfang des Geschäftsjahres 2000 zu einer Einkommensteuernachzahlung und damit zu Liquiditäts- abfluss auf Seiten der Erwerber führen werde. Mit einer Einkommensteuerbelastung bereits im Vorauszahlungsverfahren habe keiner der Beteiligten gerechnet und liquiditätsmäßig vorgesorgt. Ein Antrag auf eine nachgelagerte Versteuerung sei zu keinem Zeitpunkt gestellt worden, so dass die Regelbesteuerung in Form der Sofortbesteuerung gegeben gewesen sei. Daher sei es auch konsequent gewesen, bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1998 den Veräußerungsgewinn nicht erneut anzugeben, weil der gesamte Vorgang bereits bekannt gewesen sei. So lasse sich einer handschriftlichen Notiz auf dem Rechtsbehelfs-Schriftstück eindeutig entnehmen, dass der Sachgebietsleiter Rücksprache mit der Grunderwerbsteuerstelle im Hause genommen habe, aus der sich ergeben habe, dass nicht nur der Zeitpunkt der Entstehung des Veräußerungsgewinns, sondern auch die Vereinbarung der Sofortbesteuerung klar gewesen sei. Der Beklagte habe bei der Einkommensteuerveranlagung 1998 weder den Veräußerungsgewinn noch die Aussetzung der Besteuerung unterstellt. Statt dessen seien die Renten mit ihrem Ertragsanteil angesetzt worden wie es bei der Sofortversteuerung des Veräußerungsgewinns erfolge. In den Erläuterungstexten des Bescheides sei noch die Aufgabebilanz zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe angefordert worden, obwohl bei der Betriebsaufgabe der Veräußerungsgewinn immer sofort zu besteuern sei.

Dieser Widerspruch innerhalb des Bescheides sei dem Beklagten nicht aufgefallen, obwohl nach den Gesamtumständen alle Informationen mehrfach und an verschiedenen Stellen vorgelegen hätten, die bei ordnungsgemäßer Bearbeitung den Ansatz eines Veräußerungsgewinns zwangsläufig in die Veranlagung hätten einfließen lassen müssen.

Im Rahmen der beim Erwerber des Betriebs durchgeführten Außenprüfung sei der gesamte Vorgang sowohl vom Prüfer als auch von dessen Sachgebietsleiter mehrfach als Fehler des Beklagten bezeichnet worden. Er - der Kläger - habe nicht nachträglich erkannt, dass seine Einkommensteuererklärung 1998 nicht vollständig sei. Er sei wegen der Gesamtumstände vielmehr davon ausgegangen, dass er seiner Erklärungspflicht bereits in der Einkommen- steuererklärung 1997 nachgekommen sei. Da dem Beklagte alle bedeutsamen Informationen vorgelegen hätten, habe er davon ausgehen können, dass der Veräußerungsgewinn im Jahr 1998 angesetzt werde. Gerade weil es im Einspruchsverfahren gegen den Vorauszahlungsbescheid für 1998 um das Wahlrecht der aufgeschobenen Versteuerung des Veräußerungsgewinns gegangen sei, sei der Beklagte verpflichtet gewesen, den Steuerfall insoweit ausführlich zu überprüfen, ob nunmehr dieses Wahlrecht tatsächlich in Anspruch genommen werde.

Schließlich zeige auch die Aufforderung zur Vorlage einer Aufgabebilanz in den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 1998, dass sich die Veranlagungsbeamtin mit der Besteuerung eines "Aufgabe"-Gewinns beschäftigt habe. Da es bei einer (hier nicht vorliegenden) Betriebsaufgabe kein Aussetzungswahlrecht für die Besteuerung gebe, habe gerade im Streitfall zur Klärung der Höhe des dabei entstehenden Gewinns Anlass zu Ermittlungen bestanden. Dass der Beklagte die ihm bekannten Sachverhalte dann in dem ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1998 vom.......2000 nicht berücksichtigt habe, sei ihm - dem Kläger - nicht anzulasten. Vielmehr habe sich dem Beklagten die Widersprüchlichkeit aufdrängen müssen. Denn für den Fall der Regelbesteuerung des Veräußerungsgewinns hätten - wie geschehen - die Rentenzahlungen mit ihrem Ertragsanteil angesetzt werden müssen, aber auch der Veräußerungsgewinn. Für die Alternative der nachgelagerten Besteuerung des Veräußerungsgewinns hätten - neben einem ausdrücklichen Antrag - die Renten nicht - wie erklärt - einer Ertragsanteilsbesteuerung unterworfen werden dürfen.

Da der Beklagte auch keinen Vorbehalt der Nachprüfung § 164 Abs. 1 AO gesetzt habe, habe er allen offenen Zweifelsfragen nachgehen müssen.

Keinesfalls habe er - der Kläger - seine Zustimmung zur Änderung nach Aufdeckung des Fehlers erteilt.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteueränderungsbescheid 1998 vom 02.06.2003 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben,

im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend zu seinen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung trägt der Beklagte vor, dass in der von einem Steuerberater gefertigten Einkommensteuererklärung für 1998 der Gewinn aus der Veräußerung des Gewerbebetriebs unter anderem gegen Rentenzahlungen nicht erklärt worden sei, obwohl eine Versteuerung im Jahr 1998 gewollt gewesen sei.

Es sei zwar zutreffend, dass der Kläger im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid 1997 mitgeteilt habe, dass die Versteuerung des Veräußerungsgewinns im Jahr 1998 erfolgen solle. Da er aber im nachfolgenden Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuervorauszahlungsbescheid 1998 auf das im vorliegenden Fall gegebene Wahlrecht zwischen sofortiger Versteuerung und der nachgelagerten Besteuerung hingewiesen habe, habe er ihm - dem Beklagten - gegenüber erfolgreich den Eindruck vermittelt, dass der Entscheidungsprozess hinsichtlich des gewünschten Versteuerungszeitpunktes zum damaligen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Daher sei die fehlende Erklärung des Veräußerungsgewinns in der Einkommensteuererklärung 1998 zulässigerweise als Antrag auf Versteuerung der Rentenzahlungen in voller Höhe zum Zeitpunkt des Zuflusses gewertet worden.

Die Rentenzahlungen, die laut Einkommensteuerklärung 1998 mit dem Ertragsanteil der Besteuerung hätten unterworfen werden sollen und deren Zahlungsgrund nicht angegeben gewesen sei, habe er - der Beklagte - nicht in Zusammenhang mit der Betriebsveräußerung gebracht, denn er habe davon ausgehen können, dass die von einem Steuerberater gefertigte Steuererklärung im Hinblick auf den gewünschten Versteuerungszeitpunkt zutreffende Angaben enthalten habe. Daher habe kein weiterer Bedarf für zusätzliche Ermittlungen bei Veranlagung der Einkommensteuererklärung 1998 bestanden.

Der Senat hat am 18.04.2007 beschlossen, Beweis zu erheben zu der Frage, ob der verstorbene Steuerberater .......... einer Änderung zu Ungunsten des Klägers zugestimmt hat.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Einkommensteueränderungsbescheid ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Änderung nach § 174 Abs. 4 AO gerechtfertigt.

I.

Die Änderung des angefochtenen Steuerbescheides kann nicht auf § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO gestützt werden. Diese Vorschrift setzt eine Zustimmung voraus. Weder der Kläger noch sein früherer Steuerberater haben einer Änderung zugestimmt.

1. Die Zustimmung zur Änderung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1998 vom ......2000 ist nicht schon in darin zu sehen, dass der frühere Steuerberater des Klägers im Laufe des Jahres 1998 gegen den Einkommensteuerbescheid 1997 Einspruch eingelegt hat. Dem Steuerverfahrensrecht ist eine derartige "Generalzustimmung" fremd. Denn diese Zustimmung wäre zu einem Zeitpunkt erteilt worden, als die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 1998 noch gar nicht entstanden war (vgl. § 36 Abs. 1 EStG).

Außerdem wäre eine Regelung wie § 174 Abs. 4 AO nicht zu erklären, läge in dem Antrag auf Änderung des Steuerbescheides, in welchem ein Vorgang zu Unrecht erfasst worden ist, automatisch die Zustimmung zur Änderung des Bescheides, in dem der entsprechende Vorgang tatsächlich zu besteuern ist.

2. Der frühere, mittlerweile verstorbene Steuerberater des Klägers - Herr ...... - hat einer Änderung ebenfalls nicht zugestimmt. Dies hat der Zeuge eindeutig bestätigt. Er hat in seiner glaubhaften und überzeugenden Aussage den Inhalt des Telefonats vom 13.05.2003 dargestellt und dabei ausgeführt, dass er zwar den Eindruck gehabt habe, dass Herr ......... durchaus mit der Änderung einverstanden gewesen sei, dass aber eine ausdrückliche Zustimmung nicht erteilt worden sei. Im Hinblick auf die einschneidenden Konsequenzen - auch für Herrn ......... selbst unter haftungsrechtlichen Aspekten - ist in Konstellationen wie im Streitfall jedoch zu fordern, dass die Zustimmung unzweifelhaft erteilt wird. Die bloße widerspruchslose Hinnahme der Übersendung eines Änderungsbescheides kann daher nicht als Zustimmung gewertet werden.

II.

Der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1998 vom ......2000 konnte jedoch nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden.

Dabei wird die vom Beklagten vorgenommene Korrektur auch nicht dadurch unrechtmäßig, dass er die Änderung auf eine falsche Korrekturvorschrift gestützt hat. Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist nicht die zu seiner Begründung herangezogene Vorschrift maßgebend. Es kommt allein darauf an, ob der angefochtene Bescheid im Zeitpunkt seines Ergehens durch eine entsprechende Korrekturvorschrift gedeckt war (st. Rspr., vgl. BFH-Urteil vom 14.9.1993 VIII R 9/93, BStBl II 1995, 2 m. w. N.).

1. Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können nach § 174 Abs. 4 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden.

§ 174 Abs. 4 AO verlangt nur, dass aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen ein bereits ergangener Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert wird und dass dabei eine irrige Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts richtig gestellt wird. Die eine Korrektur nach § 174 Abs. 4 AO ermöglichende Änderung des (anderen) Bescheids muss nach dem Gesetzeswortlaut lediglich durch einen Rechtsbehelf oder Antrag des Steuerpflichtigen ausgelöst worden sein (BFH-Urteil vom 19.05.2005 IV R 17/02, BFHE 209, 384, BStBl II 2005, 637). Dies ist vorliegend gegeben. Denn der Einkommensteuerbescheid 1997 ist aufgrund des Rechtsbehelfs des Klägers gegen diesen Bescheid zu seinen Gunsten geändert worden. Damit stand zwischen den Beteiligten fest, dass der Veräußerungsgewinn im Jahr 1998 zu erfassen war. Auf ein Verschulden kommt es im Rahmen einer Änderung nach § 174 Abs. 4 AO nicht an (BFH-Urteil vom 04.04.2001 XI R 59/00, BFHE 195, 286, BStBl II 2001, 564). Es ist ohne Bedeutung, wer die zunächst irrige Beurteilung des Sachverhalts verursacht hat (BFH-Beschluss vom 25.01.1994 I B 139/93, BFH/NV 1995, 273).

Ferner handelte es sich bei dem die Änderung auslösenden Punkt um den gleichen Beurteilungsgegenstand wie im Ursprungsbescheid (hierzu v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 174 AO Rn. 256; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl. 2006, § 174 Rn. 52 m.w.N.).

2. Die Änderung musste auch nicht deshalb unterbleiben, weil der Beklagte zunächst im Erstbescheid für 1998 den Veräußerungsgewinn nicht erfasst hat. Denn eine Berichtigung nach § 174 Abs. 4 AO ist nicht auf die Korrektur solcher Rechtsüberlegungen beschränkt, die der Beklagte erkennbar angestellt hat (BFH Beschluss vom 14.12.1990 VI B 98/88, BFH/NV 1991, 503). Der Wortlaut des § 174 Abs. 4 AO stellt ausschließlich auf eine irrige Beurteilung in einem früheren Bescheid ab, der aufgrund eines Einspruchs geändert worden ist. In derartigen Fällen ist es auf die Initiative des Steuerpflichtigen zurückzuführen, dass nunmehr der negative Widerstreit entstanden ist. Der Steuerpflichtigen, der eine Änderung zu seinen Gunsten erreicht hat, soll nicht "auf halbem Wege" stehen bleiben können mit der Folge, dass er lediglich die Wohltaten - die Änderung zu seinen Gunsten - mitnimmt, die für ihn ungünstigen Folgerungen - die konsequente Änderung zu seinen Ungunsten - aber verhindert. Er darf sich daher nicht auf die Bestandskraft eines Steuerbescheids berufen können, um zu verhindern, dass der durch seinen Einspruch oder Antrag entstandene Widerstreit durch entsprechende Änderung zu seinen Ungunsten beseitigt wird. Dieses Verhalten wäre treuwidrig (von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 174 AO Rn. 91 m.w.N.). Der Senat schließt daraus, dass allein die objektive Rechtslage maßgeblich ist.

3. Gestützt wird diese Ansicht dadurch, dass § 174 Abs. 4 AO in einem sonst nicht üblichen Umfang dem Prinzip der Richtigkeit der Besteuerung Vorrang vor dem Grundsatz der Rechtssicherheit gibt. Denn tragender Grund für die Durchbrechung der Festsetzungsfrist ist, dass der Steuerpflichtige durch seinen Änderungsantrag weiß, dass Folgeänderungen zu ziehen sind und daher nicht schutzbedürftig ist. Die Änderung eines Bescheids hat die Durchbrechung der Bestandskraft - und ggf. der Festsetzungsfrist - eines anderen Bescheids zur Folge, der für einen anderen Besteuerungszeitraum, eine andere Steuerart - und bei § 174 Abs. 5 AO - sogar gegen einen anderen Steuerpflichtigen ergangen ist. Im Vordergrund der gesetzlichen Regelung steht daher nicht der Verwaltungsakt, sondern der Sachverhalt (Frotscher in Schwarz, AO, § 174 Rn. 71). Es soll nicht ein unrichtiger Verwaltungsakt durch einen für den gleichen Besteuerungszeitraum, die gleiche Steuerart und den gleichen Steuerpflichtigen ergehenden fehlerfreien Verwaltungsakt ersetzt werden, sondern es soll die richtige Besteuerung eines bestimmten Sachverhalts hergestellt werden, ohne Rücksicht auf Besteuerungszeitraum, Steuerart und Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 16.05.1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942).

In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze, die der Senat für zutreffend erachtet, ist die Änderung des angefochtenen Steuerbescheides gerechtfertigt. Denn mit dem angefochtenen Änderungsbescheid wurde der ursprünglich auf Intervention des Klägers nicht berücksichtigte Sachverhalt erstmalig der Besteuerung unterworfen.

4. Ähnlich ist die Rechtslage bei der ebenfalls nach objektiven Grundsätzen ausgestalteten Korrektur nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO. Aufgrund der Reichweite der Bindungswirkung des Grundlagenbescheides ist anerkannt, dass auch die nachträgliche Richtigstellung solcher Fehler, die bei der Auswertung eines Grundlagenbescheids im Folgebescheid unterlaufen sind, erforderlich ist (BFH-Urteil vom 29.06.2005 X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749), weil die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides jedem Ansatz der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlage im Folgebescheid, der dem Inhalt des Grundlagenbescheides widersprechen würde, entgegensteht (BFH-Beschluss vom 23.12.2004 IV B 224/03, BFH/NV 2005, 996 m.w.N.).

5. Selbst wenn man indessen - wovon der Kläger anscheinend ausgeht - auch die Frage des Verschuldens im Rahmen des § 174 Abs. 4 AO für bedeutsam hält, konnte der Beklagte den angefochtenen Änderungsbescheid erlassen. Denn unstreitig ist die Einkommen - steuererklärung des Klägers für 1998 nicht vollständig gewesen, weil der Veräußerungsgewinn nicht erklärt wurde; es war nicht einmal eine Anlage GSE der Erklärung beigefügt. Hierbei kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass auch der Beklagte wahrscheinlich einen gedanklichen Fehler bei der Besteuerung der Renteneinkünfte des Klägers gemacht hat. Denn auch hierzu waren die Angaben unvollständig.

Da die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO eingreift, kann der Senat dahinstehen lassen, ob der Kläger nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, die Zustimmung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO zu erteilen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebende Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BFH vom 17. 09. 1974 VII B 112/73, BStBl II 1975, 196). Eine Grundsatzrevision ist dementsprechend zuzulassen, wenn eine vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage klärungsbedürftig ist (vgl. hierzu BFH vom 07.03.1994 V B 95/93, BFH/NV 1995, 650).

Die genannten Erfordernisse sind im Streitfall erfüllt. Denn es erscheint im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftig, ob die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO auch dann eingreift, wenn - wie im Streitfall - zwischenzeitlich ein Erstbescheid für den zutreffenden Zeitraum der Erfassung der Besteuerungsgrundlage ergangen ist.



Ende der Entscheidung

Zurück