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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 08.05.2007
Aktenzeichen: 1 K 1988/06
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 164 Abs. 2
AO § 172 Abs. 1 Nr. 2a
AO § 174 Abs. 3
AO § 174 Abs. 4
AO § 175 Abs. 1 Nr. 1
AO § 175 Abs. 1 Nr. 2
AO § 359
AO § 360
FGO § 57
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

1 K 1988/06

Tenor:

Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1993 vom 13.5.2005 wird aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin war im Streitjahr 1993 Alleingesellschafterin der T GmbH (im folgenden GmbH). Die Klägerin schloss mit der GmbH einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, der ab dem 1.Januar 1993 Geltung haben sollte. Danach sollte die Klägerin Organträger, die GmbH Organgesellschaft sein.

Im Streitjahr erzielte die im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts X ansässige GmbH einen Gewinn in Höhe von 2.611.573,00 DM.

Im Rahmen der am 15. Mai 1996 beim Beklagten eingegangene Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung erklärte die Klägerin ihre Einkünfte inklusive des von der GmbH erzielten Gewinnes.

Der Beklagte folgte der Erklärung zunächst und stellte die Einkünfte erklärungsgemäß fest. Die Feststellung erfolgte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Abgabenordnung - AO -).

Mit Bescheid vom 10.Dezember 1998 änderte der Beklagte den Feststellungsbescheid gemäß § 164 Abs. 2 AO. Die Feststellung erfolgte weiterhin inklusive der Einkünfte der Organgesellschaft. Der Bescheid enthielt den Hinweis, der Vorbehalt der Nachprüfung bleibe bestehen.

Am 11.Dezember 2001 erließ der Beklagte einen weiteren, ebenfalls auf § 164 Abs. 2 AO gestützten Änderungsbescheid. Die Feststellung der Einkünfte erfolgte nunmehr ohne Einbeziehung der Einkünfte der Organgesellschaft. Der Bescheid enthielt den Hinweis, der Vorbehalt der Nachprüfung werde aufgehoben.

Gegen diesen Bescheid wandte sich die jetzigen Prozessbevollmächtige der Klägerin schriftlich. Das Schreiben ging am 17. Januar 2002 beim Beklagten ein. Das Schreiben hatte folgenden Wortlaut:

"... Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1993 bis 1997 ...

namens und im Auftrag unseres o.g. Mandanten legen wir gegen die obigen Bescheid form- und fristgerecht Einspruch ein.

Begründung: Wegen der Nichtanerkennung des Gewinnabführungsvertrages zwischen der T GmbH und der E GmbH & Co. KG im Rahmen der Betriebsprüfung für die Jahre 1993 bis 1997 haben wir Einspruch gegen die entsprechenden Bescheide eingelegt. Weiterhin haben wir Einspruch gegen die Gewinnfeststellungsbescheide der Q GmbH & Co. KG eingelegt. Beide Sachverhalte sind bei den gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellungen der R GmbH & Co. KG zu berücksichtigen.

Wir bitten Sie daher, die Ergebnisse der Einspruchsverfahren abzuwarten und entsprechend bei den gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung der R GmbH & Co. KG 1993 bis 1997 zu berücksichtigen..."

Der Beklagte teilte daraufhin mit, dass die Rechtsfrage der Anerkennung eines körperschaftsteuerlichen Organschaftsverhältnisses zwischen der T GmbH und der E GmbH & Co. KG bzw. der R GmbH & Co. KG geprüft werde. Wegen dieser Verfahren werde, wie bereits im Rahmen der geführten Telefonate vereinbart, die Entscheidung über die Einsprüche unter dem Vorbehalt des Widerrufs bis zur Entscheidung im Verfahren der GmbH ruhen gelassen.

Beim Beklagten am 28. Juli 2004 eingehend teilte das Finanzamt X mit, dass dem Organträger (E GmbH & Co. KG) ein Einkommen in Höhe von 2.611.573,00 DM der Organgesellschaft T GmbH zuzurechnen sei.

Eine Reaktion des Beklagten hierauf erfolgte nicht.

Am 18.November 2004 erklärte die jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegenüber dem Beklagten, dass der Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 1993 vom 20.12.2001 zurückgenommen werde.

Am 6.Dezember 2004 bat der Beklagte beim Finanzamt X um Übersendung geänderter Mitteilungen. Es wurde ferner um Mitteilung gebeten, ob und wann der Organträger gem. § 174 AO zu den Rechtsbehelfsverfahren der T GmbH hinzugezogen worden sei.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2004 teilte das Finanzamt X daraufhin mit, die geänderten Körperschaftsteuerbescheide der T GmbH datierten vom 30.Juli 2004. Eine Hinzuziehung gem. § 174 AO sei nicht erfolgt, da die Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 AO vorlägen und somit die Änderung auch gegenüber Dritten ohne Einhaltung der nur für die Änderung nach § 174 Abs. 4 AO erforderlichen Voraussetzungen des § 174 Abs. 5 AO zulässig sei.

Der Beklagte unterrichtete die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 12. Januar 2005 darüber, dass er beabsichtige, die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung dahingehend zu ändern, dass das Einkommen der Organgesellschaft bei der Klägerin berücksichtigt werde.

Nachdem die jetzige Prozessbevollmächtigte daraufhin erklärte, es sei nicht ersichtlich auf welcher Rechtsgrundlage eine Änderung erfolgen solle, vertrat der Beklagte die Auffassung, dass das ausdrückliche Einverständnis der Klägerin bestanden habe, bei Anerkennung der körperschaftsteuerlichen Organschaft zur T GmbH die Erträge der T GmbH bei der Klägerin als Organträger steuerlich zu erfassen. Daran sei die Klägerin nach Treu und Glauben gebunden, so dass die Bescheide gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO aufgrund vorliegender Zustimmung zu ändern seien.

Die jetzige Prozessbevollmächtigte teilte daraufhin mit, eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO sei nicht zulässig; einer solchen Änderung werde auch nicht zugestimmt. Die Formulierung des Einspruchsschreibens vom 17.01.2002: "... die Ergebnisse der Einspruchsverfahren bei der E GmbH & Co. KG bzw. bei der T GmbH abzuwarten und entsprechen bei den gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellungen der R GmbH & Co. KG 1993 bis 1997 zu berücksichtigen", könne nicht als bedingungslose Akzeptanz oder Vorauseinwilligung verstanden werden. Aus der grundsätzlichen Bindung an Treu und Glauben könne kein Zwang abgeleitet werden, eine Berichtungsfeststellung zum Nachteil des Unternehmens zu dulden, für die ohne den eingelegten Einspruch vom 17.01.2002 die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt wären. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 22.März 2005 verwiesen.

Der Beklagte erließ am 13. Mai 2005 einen auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützten Änderungsbescheid. Die Einkünfte der Klägerin wurden erneut inklusive der Einkünfte der Organgesellschaft festgestellt.

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Sie führte aus, der Einspruch vom 17.Januar 2002 gegen den Bescheid vom 11.Dezember 2001 sei zurückgenommen worden. Eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO sei nicht zulässig. Weder Antrag noch Zustimmung im Sinne des § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO seien gegeben. Eine Bindung an Treu und Glauben könne die Änderung ebenfalls nicht rechtfertigen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 25.Mai 2005 verwiesen.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19.April 2006 als unbegründet zurück. Er führte aus, das Finanzamt habe zu Recht die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 1993 geändert und das der Klägerin als Organträger zuzurechnende Einkommen der T GmbH im Rahmen dieses Änderungsbescheides in Ansatz gebracht. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben, den die Klägerin gegen sich gelten lassen müsse, sei die vorgenommene Änderung sowohl nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO als auch nach § 174 Abs. 4 und 5 AO begründet.

Die Klägerin habe durch ihr Schreiben vom 17.01.2002 eindeutig den Willen zum Ausdruck gebracht ("beantragt"), dass im Falle der Anerkennung des Organschaftsverhältnisses im Einspruchsverfahren der T GmbH das Organeinkommen bei der Klägerin berücksichtigt werden solle. Hätte die Klägerin diesen Antrag nicht in derart eindeutiger Weise formuliert, hätte der Beklagte den Einspruch nicht ruhen lassen, sondern beim Finanzamt X angeregt, die Klägerin zu den Einspruchsverfahren der T GmbH hinzuzuziehen um sich eine spätere Änderungsmöglichkeit gem. § 174 Abs. 4 und 5 AO offen zu halten. Die Klägerin dürfe sich durch den Widerruf der zuvor erteilten Zustimmung zur Änderung nicht in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten setzen und sich damit treuwidrig verhalten. Der Beklagte habe davon ausgehen müssen, dass die Klägerin als Alleingesellschafterin der T GmbH mit ihrem Einspruchsschreiben eine korrespondierende Besteuerung habe sicherstellen wollen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 19.April 2006 verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der fristgerecht erhobenen Klage. Sie ist der Auffassung, der Beklagte habe den Änderungsbescheid vom 13.Mai 2005 nicht erlassen dürfen. Insbesondere sei eine Änderung des vorangegangenen Bescheides nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO nicht zulässig. Die Klägerin habe den Einspruch zurückgenommen nachdem sie zu der Auffassung gelangt sei, dass dieser unzulässig sei. Die Äußerung der Klägerin im Schreiben vom 17. Januar 2002 sei weder als Zustimmung noch als Antrag im Sinne des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO zu werten. Selbst wenn man jedoch einen Antrag oder eine Zustimmung annehmen würde, so sei dies unbeachtlich, weil die Klägerin mit der Rücknahme des Einspruchs durch das Schreiben vom 08.11.2004 zugleich die Begründung des Einspruchs, die die vom Beklagten als Antrag oder Zustimmung nach § 172 AO ausgelegte Äußerung enthalte, zurückgenommen habe. An der Rücknahme sei die Klägerin auch nicht nach Treu und Glauben gehindert gewesen. Einen Vertrauenstatbestand habe die Klägerin nicht gesetzt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 13.Mai 2005 sowie die Einspruchsentscheidung vom 19.April 2006 aufzuheben,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung vom 19.April 2006.

Ergänzend trägt er vor, zur Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung sei er gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet gewesen. Ferner wäre der Vorbehalt wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist ohnehin entfallen.

Die Anregung der Hinzuziehung beim Finanzamt X habe er ausschließlich deswegen unterlassen, weil er sich auf die Erklärung der Klägerin verlassen habe.

Das Gericht hat die Verwaltungsakten (2 Bände Feststellungsakten) beigezogen. Diese waren Gegenstand der Entscheidung.

Nachdem der Beklagte zunächst mitgeteilt hatte, die Verwaltungsakten der GmbH seien bereits vernichtet, sind nach Schluss der mündlichen Verhandlung 1 Band Vertragsakten, und jeweils 3 Bände Einspruchs- und Klagevorgänge bzw. Betriebsprüfungsakten bei Gericht eingegangen.

Der Beklagte hat erklärt, er stelle keinen Antrag auf Wiedereinsetzung der mündlichen Verhandlung.

Die Klägerin hat daraufhin die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Verwaltungsakten machten eine erweiterte Sachverhaltsaufklärung erforderlich. Die Vorgänge ließen erkennen, dass der Beklagte von einer Hinzuziehung nicht allein aufgrund des Einspruchs der Klägerin abgesehen habe.

Entscheidungsgründe:

A.

Die mündliche Verhandlung wird nicht wiedereröffnet. Der Senat sieht von einer Wiedereröffnung des Verfahrens nach § 93 Absatz 3 Satz 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- ab da die nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangenen Verwaltungsakten bezüglich der GmbH für eine Wiedereröffnung keinen Anlass geben. Dieser Entscheidung liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Das Gericht hat seiner Pflicht den Sachverhalt aufzuklären, durch die Aktenanforderung beim Beklagten genügt. Der Beklagte hat vor Beginn der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, die Verwaltungsakten des Finanzamts existierten nicht mehr. Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangenen Verwaltungsakten bezüglich der GmbH vermögen nach Überzeugung des Gerichts in der Sache auch keine andere Entscheidung zu begründen; sie enthalten keine den hier zu entscheidenden Fall betreffenden Informationen.

B.

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Der Beklagte konnte den Feststellungsbescheid vom 11. Dezember 2001 am 13. Mai 2005 nicht mehr zu Lasten der Klägerin ändern; hierfür fehlte es an einer Rechtsgrundlage.

I.

Eine Änderung konnte nicht nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 a Abgabenordnung -AO- erfolgen. Nach dieser Vorschrift darf ein Bescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat oder soweit die Finanzbehörde einem Einspruch oder einer Klage abhilft.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

1. Ein Antrag im Sinne des § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO war bei Erlass des Änderungsbescheides nicht gegeben.

Ob das durch einen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sowie eine Steuerberaterin gefertigte Schreiben vom 17.Januar 2002 ein Antrag in diesem Sinne sein kann, ist angesichts der Bezeichnung als Einspruch zweifelhaft, s. BFH-Urteil vom 7.11.2001, XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745 und Tipke/Kruse Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 172 AO Rz. 33 ff. jeweils m.w.N., kann jedoch dahingestellt bleiben.

Denn jedenfalls hat die Klägerin einen möglicherweise gestellten Antrag am 8. November 2004 zurückgenommen. Durch Erklärung, der Einspruch vom 17. Januar 2002 werde zurückgenommen, hat sie unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass sie eine Änderung des Bescheides vom 11. Dezember 2001 nicht mehr begehre. Denn Gegenstand des Einspruchs war allein die (Nicht-)Berücksichtigung der Einkünfte der Organgesellschaft.

An der Rücknahme eines etwaigen Antrags war die Klägerin auch nicht nach Treu und Glauben gehindert.

Der Grundsatz von Treu und Glauben ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch im Steuerrecht uneingeschränkt anerkannt.

Vgl. BFH-Urteile vom 9. August 1989 I R 181/85, BStBl II 1989, 990, undvom 8. Februar 1995 I R 127/93, BStBl II 1995, 764, jeweils m.w.N.

Er gebietet, dass im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teiles angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt, vgl. BFH-Urteile vom 4. November 1975 VII R 28/72, BFHE 117, 317 und BFH-Urteil BStBl II 1965, 270, sofern der andere auf das Verhalten vertraut und auf Grund dessen unwiderruflich disponiert hat, s. BFH-Urteil vom 09.08.1989, I R 181/85 BStBl II 1989, 990; der Grundsatz des "venire contra factum proprium" gilt auch im Steuerrecht, s. Tipke/Kruse § 4 AO Rz. 139, 144, m.w.N.

Der Senat verkennt nicht, dass sich die Klägerin widersprüchlich verhielt, indem sie zunächst ausdrücklich die Versteuerung des Organgewinns begehrte und diesen Antrag zurückzog nachdem, die Versteuerung bei der Organgesellschaft rückgängig gemacht worden war. Jedoch kann dies bei angemessener Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten nicht als treuwidriges "venire contra factum proprium" gewertet werden.

Auf der einen Seite steht es dem Steuerpflichtigen, ebenso wie es ihm freisteht Anträge zu stellen, auch frei, diese zurückzuziehen. Eine Bindung an einmal gestellte Anträge existiert grundsätzlich nicht.

S. BFH-Urteil vom 7.11.2001 XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745.

Auf der anderern Seite hatte die Finanzverwaltung die Möglichkeit, die (erneute) Annahme einer Organschaft verfahrensmäßig so abzuwickeln, dass das Ergebnis der GmbH bei der Klägerin hätte erfasst werden können. Über die Vorschriften des § 174 Abs. 4 und 5 AO wäre es im Zuge des Verfahrens der GmbH möglich gewesen, eine Feststellung gegenüber der Klägerin zu erreichen. Zu dieser Feststellung hätte es - bei Hinzuziehung der Klägerin zum Verfahren der GmbH - keines Antrags der Klägerin bedurft. Danach war nicht das Verhalten der Klägerin Ursache für die Verhinderung der gesetzeskonformen Feststellung sondern ein verfahrensmäßiges Versäumnis des Finanzamt X bzw. des Beklagten. Das Institut von Treu und Glauben hat aber nicht die Funktion verfahrensmäßige Fehler des Finanzamts aufzufangen.

S. BFH-Urteil vom 7.11.2001, XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745.

Eine andere Wertung wäre möglicherweise dann zu treffen, wenn die Klägerin in besonderer Weise -z.B. durch ausdrückliche Erklärung- das Vertrauen des Beklagten erweckt hätte, sie werde jedenfalls an dem Antrag festhalten und wenn sie dann unmittelbar nach Bestandskraft des gegenüber der Organgesellschaft ergangenen Bescheids den Antrag überraschend doch zurückgezogen hätte. Eine derartige Fallgestaltung ist im Streitfall jedoch erkennbar nicht gegeben. Insbesondere ergingen zwischen Erlass des Bescheides gegenüber der GmbH im Juli 2004 und der Rücknahme des Einspruchs durch die Klägerin mehrere Monate, ohne dass die Finanzbehörde tätig geworden wäre.

Soweit sich der Beklagte auf die Entscheidung des BFH vom 7. Juli 1966 V 20/64, BStBl III 1966, 613 beruft, ist zu berücksichtigen, dass § 174 IV AO 1977 erst seit 1977 gilt. Die zuvor ergangenen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs hatten Interessenlagen zum Gegenstand, die mit der hier zu beurteilenden nicht vergleichbar sind, da sie die nunmehr bestehende Änderungsmöglichkeit nach § 174 IV AO nicht einbeziehen konnten.

S. BFH-Urteil vom 7.11.2001, XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745.

Ob das Verhalten des Beklagten - die Unterlassung einer Anregung an das Finanzamt X, die rechtlich nicht erforderlich war - eine auf sein Vertrauen gestützte Disposition darstellt, kann nach alledem dahinstehen.

2. Auch eine Zustimmung im Sinne des § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO ist nicht gegeben. Zustimmung ist die Einverständniserklärung des Steuerpflichtigen mit einer von der Finanzbehörde beabsichtigten Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides. Die Zustimmung kann vor, aber auch noch nach (vgl. § 184 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) der Änderung erklärt werden.

S. Tipke/Kruse, § 172 Rz. 22.

a) Die im Schreiben vom 17. Januar 2002 möglicherweise enthaltene Zustimmung hat die Klägerin jedenfalls durch die Rücknahme des Einspruchs widerrufen. Wie ausgeführt hat sie durch die Rücknahme des Einspruchs zu erkennen gegeben, dass sie mit einer Änderung zu ihren Lasten nicht (mehr) einverstanden ist. Eine Bindung der Klägerin an die zuvor abgegebene Erklärung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben besteht, wie dargelegt, nicht.

b) Eine spätere Zustimmung ist nicht gegeben. Die Klägerin hat nach Rücknahme des Einspruchs, sowohl vor Erlass des Änderungsbescheides als auch danach, in eindeutiger Weise erklärt, einer Änderung nicht zuzustimmen.

Die Verweigerung der Zustimmung i.S.d. § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben. Es kann ausnahmsweise unter besonderen Umständen gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn ein Steuerpflichtiger die Zustimmung zu einer Berichtigung des Steuerbescheides verweigert und sich hierdurch in Widerspruch zu früheren Verhalten setzt, s. BFH-Urteile vom 07.07.1966 V 20/64, BFH/NV 1966, 733 und vom 07.12.1962 VI 310/60, BStBl III 1963, 162.

Auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben kann sich der Beklagte jedoch nicht berufen.

Die zitierte Rechtsprechung ist zu § 94 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsabgabenordnung (RAO) - dessen Inhalt der Regelung des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. AO 1977 entspricht - ergangen. Ob diese Rechtsprechung auf Änderungsbescheide übertragen werden kann, die unter Geltung der AO 1977 ergangen sind, ist bisher nicht entschieden, offen lassend BFH-Urteil vom 3. Dezember 1998, V R 29/98, BStBl II 1999, 158, m.w.N., kann jedoch im Streitfall dahingestellt bleiben.

Denn wie ausgeführt liegt schon deswegen kein Verstoß gegen Treu und Glauben, sondern allein die zulässige Ausschöpfung der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten der Abgabenordnung vor, weil der Beklagte bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise (Hinzuziehung der Klägerin zum Verfahren der GmbH) die gesetzeskonforme Feststellung hätte erreichen können. Eines besonderen Schutzes des Beklagten bedarf es nicht. Die oben ausgeführte Interessenabwägung greift auch hier ein.

II.

§ 174 Abs. 4 AO scheidet als Rechtsgrundlage für den Änderungsbescheid vom 13.05.2005 ebenfalls aus. Nach dieser Vorschrift können, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfes oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden. War die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies nur unter den Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 1.

Gegenüber Dritten gilt Abs. 4, wenn sie an dem Verfahren, dass zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides geführt hat, beteiligt waren. Ihre Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist zulässig (§ 174 Abs. 5 AO).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Klägerin war an dem Einspruchsverfahren der GmbH nicht beteiligt.

Beteiligter i.S.d. § 174 Abs. 4 AO kann nicht nur derjenige sein, der förmlich i.S.d. §§ 359, 360 AO bzw. § 57 FGO am Verfahren beteiligt war, sondern ausnahmsweise auch, wer durch eigene verfahrensrechtliche Initiative, auf die Aufhebung oder Änderung hingewirkt hat, indem er Rechtshandlungen im eigenen Namen vorgenommen hat.

S. Beschluss des BFH vom 28.04.2003 III B 82/01, BFH/NV 2003, 1142 und BFH-Urteil vom 05.05.1993 X R 111/91, BStBl II 1993, 817.

1. Die Klägerin ist nicht nach §§ 359, 360 AO förmlich zum Einspruchsverfahren der GmbH hinzugezogen worden.

Hierauf darf die Klägerin sich auch berufen; sie ist hieran nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben gehindert.

Wie ausgeführt ist der Grundsatz von Treu und Glauben im Steuerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz uneingeschränkt anerkannt.

Vgl. BFH-Urteile vom 9. August 1989 I R 181/85, BStBl II 1989, 990 undvom 8. Februar 1995 I R 127/93, BStBl II 1995, 764, jeweils m.w.N.

Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt jedoch stets voraus, dass sich der Steuerpflichtige und die Verwaltungsbehörde als Partner eines konkreten Rechtsverhältnisses gegenüberstehen, in welchem sich eine Vertrauenssituation herausbildet.

S. BFH-Urteile vom 8. Februar 1996 V R 54/94 BFH/NV 1996, 733, vom 12. September 1990 I R 65/86, BStBl II 1991, 258 undvom 9. August 1989 I R 181/85, BStBl II 1989, 990.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist es der Klägerin nicht verwehrt, sich darauf zu berufen, dass sie am Einspruchsverfahren der GmbH nicht beteiligt war.

Ob der Beklagte im Rahmen des Rechtsverhältnisses zwischen Beklagten und Klägerin aufgrund der Erklärung der Klägerin vom 17.Janaur.2002 darauf vertraut hat, die Klägerin werde Änderungen zu ihren Ungunsten hinnehmen und deswegen die Hinzuziehung beim Finanzamt X nicht angeregt hat, erscheint angesichts der Anfrage des Beklagten beim Finanzamt X vom 6.Dezember2004 unwahrscheinlich, kann jedoch dahingestellt bleiben.

Denn die Hinzuziehung war unabhängig von einem Antrag bzw. einer Anregung des Beklagten. Die Hinzuziehung konnte und musste allein durch das Finanzamt X in eigener Zuständigkeit erfolgen. Es ist weder ersichtlich, dass zwischen der Klägerin und dieser Behörde ein Rechtsverhältnis bestanden hat, noch dass diese Behörde auf ein Verhalten der Klägerin vertraut hat. Vielmehr zeigt das Schreiben des Finanzamtes X vom 14.12.2004, dass dort bewusst von einer Hinzuziehung abgesehen wurde weil nach dortiger Auffassung die Hinzuziehung nicht erforderlich war.

2. In welchen Ausnahmefällen ein Steuerpflichtiger, welcher zwar nicht förmlich zum Einspruchsverfahren eines anderen Steuerpflichtigen hinzugezogen wurde, dort aber eigene verfahrensrechtliche Initative entwickelt hat, Beteiligter i.S.d. § 174 Abs. 4 AO sein kann, vgl. Beschluss des BFH vom 28.04.2003 III B 82/01, BFH/NV 2003, 1142 und BFH-Urteil vom 05.05.1993 X R 111/91, BStBl II 1993, 817, kann im Streitfall dahingestellt bleiben. Dafür, dass die Klägerin im Rahmen des Einspruchsverfahrens der GmbH selbst Anträge gestellt oder sonst auf die Aufhebung oder Änderung hingewirkt hat, indem sie Rechtshandlungen im eigenen Namen vorgenommen hat, ergeben sich keine Anhaltspunkte.

III.

Eine Korrektur nach § 174 Abs. 3 AO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann, wenn ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt worden, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt, die Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung des Sachverhalts unterblieben ist, insoweit nachgeholt, aufgehoben oder geändert werden. Die Nachholung, Aufhebung oder Änderung ist nur zulässig bis zum Ablauf der für die andere Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist (§ 174 Abs. 3 AO).

Eine Änderung kann auch erfolgen, wenn sich die (erkennbare) Annahme, der Sachverhalt sei bei der Besteuerung eines Dritten zu berücksichtigen als unzutreffend erweist.

Die Änderung nach Abs. 3 nach Einlegung eines Rechtsbehelfs dieses Dritten gegenüber dem anderen Steuerpflichtigen setzt nicht dessen Beteiligung am Verfahren des Dritten voraus, s. BFH-Urteil vom 01.08.1984 V R 67/82 BStBl II 1984, 788.

Eine Änderung nach § 174 Abs. 3 scheitert im Streitfall jedoch am Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich der Körperschaftsteuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 1993 gegenüber der GmbH. Die Festsetzungsfrist endete am 02. September 2004.

Der Ablauf der Festsetzungsfrist war zunächst durch die Einlegung des Einspruchs durch die GmbH gemäß § 171 Abs. 3 a AO gehemmt. Mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist hinsichtlich des Bescheides vom 30.07.2004 endete auch die Festsetzungsfrist, da zu diesem Zeitpunkt unanfechtbar über den Einspruch entschieden wurde. Der Bescheid vom 30.07.2004 gilt als am 02. August 2004 (Montag) als bekannt gegeben (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ); die Einspruchsfrist beträgt einen Monat (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO). Eine darüber hinausgehende Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO ist nicht gegeben, denn diese endete ebenfalls mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist hinsichtlich des Bescheides vom 30.07.2004.

IV.

Auch eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO kommt nicht in Betracht. Der Körperschaftsteuerbescheid der Organgesellschaft (GmbH) stellt keinen Grundlagenbescheid für den Feststellungsbescheid der Klägerin dar. Nach § 14 Satz 1 i. V. m. § 17 Körperschaftsteuergesetz (KStG) ist bei Bestehen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger zuzurechnen. Das von der Organgesellschaft erwirtschaftete Einkommen wird zwar bei dieser selbst ermittelt, jedoch steuerlich beim Organträger im Rahmen der diesem gegenüber vorzunehmenden Veranlagung erfasst. Zwar wird das für die Besteuerung des Organträgers zuständige Finanzamt das von dem anderen Finanzamt für die Organgesellschaft ermittelte Einkommen im Regelfall ungeprüft übernehmen. Dennoch gehen die (Teil-) Einkommen der Organgesellschaft und des Organträgers (nur) als unselbständige Besteuerungsmerkmale in das einheitliche Gesamteinkommen ein, welches vom Organträger zu versteuern ist. Die Ermittlung des Einkommens bei der Organgesellschaft ist für den Organträger ebenso wenig wie ein etwaiger der Organgesellschaft gegenüber ergangener Steuerbescheid bindend.

S. Urteil des BFH vom 28.01.2004, I R 84/03, BStBl II 2004, 539, m.w.N.

V.

Auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 kann der Beklagte die Änderung ebenfalls nicht stützten. Spätere Änderungen des Einkommens der Organgesellschaft wirken sich nicht anders als sonstige Änderungen der (unselbständigen) Besteuerungsmerkmale beim Organträger aus.

S. Urteil des BFH vom 28.01.2004, I R 84/03, BStBl II 2004, 539, m.w.N.

VI.

Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO scheidet ebenfalls aus. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Beklagten Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind. Im übrigen stünde einer Änderung insoweit auch die Festsetzungsverjährung entgegen.

VII.

Da der Beklagte den Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 11.12.2001 aufgehoben hat, kommt schließlich auch eine Änderung dieses Bescheides nach § 164 Abs. 2 AO nicht Betracht.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird gemäß § 115 Absatz 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Die Frage unter welchen Umständen unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine Bindung des Steuerpflichtigen an eigene Anträge gegeben sein kann, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt.



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