Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 18.10.2006
Aktenzeichen: 10 K 2019/05
Rechtsgebiete: VwZG, AO 1977, GG


Vorschriften:

VwZG § 14
VwZG § 15 Abs. 1
VwZG § 15 Abs. 3 S. 2
AO 1977 § 122 Abs. 5 S. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 2019/05

Rechtsstreitverfahren

1. Die Einspruchsentscheidung vom 15. April 2005 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die öffentliche Zustellung des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2001 vom 26. Mai 2003 unwirksam ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 20% und der Beklagte zu 80% zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten jetzt noch darüber, ob dem Kläger der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2001 wirksam bekannt gegeben geworden ist.

Der Kläger wurde bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2000 zusammen mit seiner am 3. September 2000 verstorbenen Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Gesamtrechtsnachfolger der Ehefrau wurden die beiden Kinder S und O in Erbengemeinschaft, was dem Beklagten jedoch erst im Jahr 2005 bekannt geworden ist. Nach Aktenlage hatten die Eheleute im Rahmen einer GbR eine steuerpflichtige Vermietung von Büro- und Sozialräumen an die Firma L GmbH (GmbH) betrieben. Außerdem erzielte der Kläger im Jahr 2000 Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen und im Streitjahr 2001 Einkünfte i.S. § 17 EStG aus der Veräußerung seiner Anteile an der GmbH.

Im Anschluss an die Veräußerung seines Vermögens verzog der Kläger noch im Jahr 2001 endgültig nach Spanien. Er meldete sich zu diesem Zweck bei dem für ihn zuständigen Einwohnermeldeamt ordnungsgemäß unter Angabe der Adresse in Q/Spanien ab. Noch im Dezember des Jahres 2001 wechselte der Kläger seinen Wohnsitz erneut und meldete sich zu diesem Zweck bei den spanischen Behörden in N an, wovon der Beklagte jedoch keine Kenntnis erhielt.

Da der Kläger für die Jahre 1999 bis 2000 keine Steuererklärungen für Einkommensteuer und Umsatzsteuer abgegeben hatte, wurden die Besteuerungsgrundlagen mit Bescheiden vom 4. Juni 2002 geschätzt. Zu diesem Zeitpunkt ging der Beklagte noch davon aus, dass der Kläger Gesamtrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau geworden sei. Der Beklagte versandte die Bescheide an die ihm bekannte Anschrift in Q/Spanien", und zwar adressiert an "Herrn L ... als Gesamtrechtsnachfolger für Herrn L und Frau L..." (GA Bl. 54). Die Bescheide kamen jedoch wegen des erneuten Umzugs des Klägers nach N als unzustellbar zurück.

Da der deutschen Meldebehörde nur die Anschrift in Q bekannt war, wandte sich der Beklagte an den Sohn des Klägers, der nach einer damals vorliegenden Veräußerungsanzeige zusammen mit den Klägern als Mitveräußerer eines Grundstücks in Erscheinung getreten war, und bat diesen mit Schreiben vom 28. Mai, 16. Juli und 7. August 2002 um Mitteilung der aktuellen Anschrift des Klägers. Der frühere Steuerberater H des Klägers, der wegen rückständiger Honorarforderungen jedenfalls in den Jahren 2002 bis 2004 nicht mehr für den Kläger tätig war und deshalb unstreitig keine Empfangsvollmacht besaß (GA Bl. 73), teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 2. Juli 2002 ohne Angabe einer genauen Anschrift mit, der Kläger lebe in Spanien. Mit Schreiben vom 20. August 2002 zeigte der Rechtsanwalt (R) gegenüber dem Beklagten an, dass er die Interessen des Sohnes des Klägers vertrete. Nach diversen Telefonaten teilte R mit Schreiben vom 30. August 2002 mit, "unabhängig von der Frage, ob mein Mandant überhaupt die Anschrift des Vaters hat, was ich ausdrücklich offen lassen möchte, ist mein Mandant - auch unterstellt, er hätte tatsächlich eine genaue Anschrift seines Vaters - derzeit unter den gegebenen Umständen nicht bereit, die Anschrift seines Vaters zu benennen." Darauf wurden die Bescheide für 1999 und 2000 öffentlich zugestellt (Tag des Aushangs: 5. September 2002), ohne dass der Beklagte allerdings zuvor bei der spanischen Meldebehörde in Q versucht hätte, die beim deutschen Einwohnermeldeamt angegebene Anschrift zu überprüfen bzw. die Ummeldung an eine neue Anschrift zu ermitteln.

Da der Kläger auch für das Streitjahr 2001 keine Einkommensteuererklärungen abgab, wurden auch die Besteuerungsgrundlagen für Einkommensteuer 2001 und Umsatzsteuer 2001 mit Bescheiden vom 6. Mai 2003 geschätzt. Auch die Bescheide für 2001 trugen im Adressfeld den maschinellen Aufdruck "Herrn L, ..., Q/Spanien als Gesamtrechtsnachfolger für Herrn L und Frau L..." (GA Bl. 54)". Sie wurden jedoch vom Rechenzentrum nicht an diese Anschrift abgesandt. Der Beklagte fragte beim Einwohnermeldeamt nach, ob diesem zwischenzeitlich eine neue Anschrift des Klägers bekannt geworden sei. Das Einwohnermeldeamt verneinte diese Anfrage am 22. April 2003. Eine Übersendung der Bescheide für 2001 an die Anschrift in Q erfolgte allerdings nicht. Auch jetzt versuchte der Beklagte nicht, die bei der deutschen Meldebehörde angegebene Anschrift bei der spanischen Meldebehörde in Q zu überprüfen, obwohl seit der öffentlichen Bekanntgabe der Bescheide für 1999 und 2000 inzwischen acht Monate vergangen waren. Der Umsatzsteuer- und der Einkommensteuerbescheid für 2001 wurden vielmehr ebenfalls öffentlich zugestellt (Tag des Aushangs 26. Mai 2003). In der Verfügung über die öffentliche Zustellung vom 23. Mai 2003 wird unter Angabe der spanischen Meldeanschrift in Q ausgeführt, der derzeitige Aufenthaltsort des Klägers sei unbekannt. Weiter heißt es, "Zustellungsversuche durch die Post und Ermittlungen über den Aufenthaltsort seien ergebnislos geblieben". In der dem Aushang zugrunde liegenden Ausfertigung des Einkommensteuerbescheids vom 6. Mai 2003 hatte der Beklagte von dem maschinellen Aufdruck im Adressfeld den Zusatz "... als Gesamtrechtsnachfolger für Herrn L und Frau L..." durch Schwärzung unkenntlich gemacht.

Auf Anforderungen des zwischenzeitlich auch für den Kläger tätigen R (Zustellungsvollmacht vom 27.04.2004, GA Bl. 73) übersandte der Beklagte diesem eine Kopie des streitbefangenen Steuerbescheides und anderer - zwischenzeitlich aufgehobener - Steuerbescheide zum Zwecke der Überprüfung der vom Beklagten geltend gemachten Steuerforderungen. Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19. Mai 2004 Einspruch ein und beantragte rein vorsorglich die Wiedereinsetzung in vorigen Stand. Er trug im Wesentlichen vor, dem Beklagten sei bekannt gewesen, dass sich der Kläger im Jahr 2001 nach Q/Spanien umgemeldet habe. Anfang Dezember 2001 sei der Kläger jedoch nach N umgezogen und habe dies bei den spanischen Behörden ordnungsgemäß angezeigt. Außerdem seien die Schätzungen auch deshalb nichtig, weil sie wirtschaftlich unmöglich und schon gar nicht vernünftig seien (Mondschätzung).

Der Beklagte verwarf u. a. den Einspruch des Klägers wegen Einkommensteuer 2001 mit Einspruchsentscheidung vom 15. April 2005 als unzulässig. Der Einspruch sei verspätet eingelegt worden und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Eine öffentliche Zustellung sei zwar nur zulässig, wenn alle anderen Bekanntgabemöglichkeiten ausgeschöpft seien. Allerdings dürften die Anforderungen an die Behörde nicht überspannt werden. Es genüge der Nachweis, dass alle der Sache nach möglichen und geeigneten Nachforschungen angestellt worden seien. Es sei ausreichend, wenn das FA versuche, die Anschrift durch das Einwohnermeldeamt oder die Polizei zu ermitteln und sich ggfs. bei einem Bevollmächtigten erkundige. Dass die Anschrift einem Angehörigen bekannt sei, sei jedenfalls dann unerheblich, wenn dieser sich weigere, dem FA die Anschrift anzugeben. Die Ermittlungspflicht des Beklagten gehe nicht soweit, ein Ersuchen über den Aufenthaltsort an die spanischen Behörden oder die dort befindlichen konsularischen oder diplomatischen Vertretungen zu stellen. Die Schätzung sei auch nicht nichtig, da selbst grobe Schätzungsfehler regelmäßig keinen Nichtigkeitsgrund darstellten. Bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sei der Beklagte davon ausgegangen, das aufgrund der Aktivitäten auf dem Bausektor und der Anzahl der veräußerten Objekte Einkünfte aus gewerblichem Grundstückshandel erzielt worden seien. Für das Streitjahr 2001 seien außerdem die aufgrund der Beteiligungs-Veräußerung erzielten Einkünfte nach § 17 EStG anzusetzen gewesen. Der Beklagte habe weiterhin die zinsbringende Anlage der Veräußerungsgewinne unterstellt und Einkünfte aus Kapitalvermögen geschätzt. Dem Beklagten hätten keine Angaben vorgelegen, aus denen er die Fehlerhaftigkeit der vorgenommenen Schätzungen habe erkennen können.

Am 24. Juni 2005 legte der Kläger im Rahmen des Klageverfahrens eine Anmelde-Bestätigung für N/Spanien vom 4. Dezember 2001 vor (GA Bl. 80). Ferner stellte sich heraus, dass die umsatzsteuerliche Vermietungstätigkeit im Rahmen einer aus den Eheleuten bestehenden GbR ausgeführt worden war (entgegen den in früheren Jahren abgegebenen Umsatzsteuererklärungen, die nur den Kläger als Unternehmer aufführten). Da sich aus einem am 13. Juli 2005 beim Beklagten eingegangenen Erbschein außerdem ergab, dass der Kläger nicht - wie vom Beklagten zunächst angenommen - Erbe seiner verstorbenen Ehefrau geworden war, sondern die beiden Kinder des Klägers jeweils zur Hälfte (GA Bl. 90), wurden die Bescheide der Jahre 1999, 2000, sowie Umsatzsteuer 2001 mit Verfügung vom 21. Juli 2005 aus formalen Gründen aufgehoben. Streitig ist deshalb nur noch der Einkommensteuerbescheid für 2001.

Die Bevollmächtigten halten den Einkommensteuerbescheid für 2001 nach wie vor für nichtig, und zwar sowohl in der öffentlich bekannt gegebenen Form wegen Verletzung der §§ 14, 15 VwZG als auch in Form der später ausgehändigten Kopie wegen des unrichtigen Bescheid-Adressaten. So sei der öffentlich bekannt gegebene Bescheid auch dann unwirksam, wenn der Zusatz "als Gesamtrechtsnachfolger ..." in der öffentlich zugestellten Ausfertigung tatsächlich wie vorgetragen geschwärzt gewesen sei. Denn die öffentliche Zustellung sei unwirksam, weil der Beklagte § 14 VwZG nicht beachtet habe, obwohl der Kläger im EU-Ausland gemeldet gewesen sei. Der Beklagte habe nicht den Versuch der Zustellung durch ein Ersuchen der zuständigen spanischen Behörde bzw. der diplomatischen Vertretung des Bundes gemacht. Vor Vornahme einer öffentlichen Zustellung seien zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs gründliche Bemühungen zur Ermittlung des gegenwärtigen Aufenthaltsortes erforderlich (Bezugnahme auf BVerwG-Beschluss vom 25. April 1994 1 B 69.94). Die Zustellungsfiktion gemäß § 15 VwZG sei verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar sei (BVerfG-Beschluss vom 26. Oktober 1987 1 BvR 198/87). Da der Kläger sich im Dezember 2001 in N angemeldet habe, hätte die zuständige diplomatische Vertretung des Bundes die neue Anschrift des Klägers auf Anfrage der Finanzverwaltung ermitteln können.

Eine mögliche Heilung durch Aushändigung einer Bescheid-Kopie sei ebenfalls nicht eingetreten. Denn dem Kläger sei keine Kopie des öffentlich zugestellten Bescheids, sondern eine Kopie mit dem Zusatz "als Gesamtrechtsnachfolger ..." bekannt gegeben worden. Da ein Verwaltungsakt mit dem bekannt gegebenen Inhalt wirksam werde, beinhalte die dem Kläger ausgehändigte Bescheid-Kopie einen wegen fehlerhafter Adressierung unwirksamen Bescheid. Da nämlich die Ehefrau des Klägers bereits im Jahr 2000 verstorben sei, habe eine Gesamtschuldnerschaft mit dem Kläger überhaupt nicht mehr vorliegen können. Ein nach dem Tode des Steuerschuldners gegen diesen erlassener Steuerbescheid gehe ins Leere. Inhaltsadressat könnten nur die Gesamtrechtsnachfolger - die Kinder - sein, die in dem angefochtenen Bescheid jedoch nicht erwähnt würden.

Außerdem seien die Schätzungen auch deshalb nichtig, weil sie wirtschaftlich unmöglich und schon gar nicht vernünftig seien.

Der Kläger beantragt,

1. Die Einspruchsentscheidung vom 15. April 2005 aufzuheben und

2. Die Unwirksamkeit des Einkommensteuerbescheids 2001 in der öffentlich bekannt gegebenen Form festzustellen.

3. Die Unwirksamkeit des Einkommensteuerbescheids 2001 in Form der später ausgehändigten Kopie festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Lediglich der im Rechenzentrum gespeicherte Einkommensteuerbescheid für 2001 beinhalte den Zusatz über die Gesamtrechtsnachfolge. Dieser sei jedoch nicht zentral vom Rechenzentrum versandt worden. In der öffentlich bekannt gegebenen Bescheid-Ausfertigung nebst Verfügung habe der Beklagte vor der öffentlichen Zustellung den Zusatz "als Gesamtrechtsnachfolger ..." geschwärzt. Aus diesem Grund sei der Bescheid für 2001 im Gegensatz zu den übrigen Bescheiden auch nicht im Klageverfahren 10 K 4201/05 aufgehoben worden. Allein die vorgelegte Kopie der Anmeldung des Klägers in N vom 4. Dezember 2001 bestätige nicht seine ordnungsgemäße Ab-/Ummeldung innerhalb von Spanien. Bei einer ordnungsgemäßen Ummeldung hätte die spanische Post in Q einen Hinweis auf die neue Adresse des Klägers auf den als unzustellbar zurückgesandten Schriftstücken angeben können.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist überwiegend begründet. Die angefochtene Einspruchsentscheidung vom 15. April 2005 war gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO isoliert aufzuheben, weil der Kläger durch die Verwerfung seines Einspruchs als unzulässig in seinen Rechten verletzt wurde. Der Einspruch des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid für 2001 war entgegen der Annahme des Beklagten nicht verspätet, weil die Voraussetzungen einer öffentlichen Bekanntgabe gemäß §§ 14, 15 VwZG nicht vorlagen und die öffentliche Zustellung des Einkommensteuerbescheids für 2001 (Tag des Aushangs: 26. Mai 2003) deshalb unwirksam war (1.). Der Einkommensteuerbescheid für 2001 ist mit der Heilung der Bekanntgabemängel durch die Übersendung der Bescheid-Kopie Ende April 2004 wirksam geworden (2.).

1. Nach § 15 Abs. 1 VwZG in der ab Juli 2002 gültigen Fassung i.V.m. § 122 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 kann "durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist ..." (Buchst. a) oder wenn die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes erfolgen müsste, aber unausführbar ist oder keinen Erfolg verspricht (Buchst. c). Im Streitfall lagen die Voraussetzungen beider Varianten der Vorschrift nicht vor, mit der Folge, dass die öffentliche Zustellung des Einkommensteuerbescheids für 2001 unwirksam war.

a) Wegen des Anspruchs des Zustellungsempfängers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist die Zustellungsfiktion des § 15 Abs. 3 Satz 2 VwZG verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist. § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG setzt deshalb voraus, dass nicht nur die betreffende Behörde die Anschrift nicht kennt, sondern der Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers allgemein unbekannt ist (BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998; BVerfG-Beschluss vom 26. Oktober 1987 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361). Sie ist nur als "letztes Mittel" zulässig, wenn alle anderen nach der Sachlage des Falles gebotenen Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Denn die öffentliche Zustellung des betreffenden Schriftstückes hat, wie auch der Streitfall zeigt, in aller Regel zur Folge, dass der Empfänger von ihm erst nach geraumer Zeit und zufällig oder überhaupt nicht Kenntnis erhält und dadurch der Möglichkeit beraubt wird, sich gegen eine in ihm enthaltene Entscheidung fristgerecht und damit erfolgversprechend zu wehren (BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998; BFH-Beschluss vom 13. März 2003 VII B 196/02, BFHE 201, 425 , BStBl II 2003, 609).

b) Die Anforderungen an die Behörde dürfen jedoch im Einzelfall nicht überspannt werden. Unzumutbare Anforderungen sind an den Zustellenden nicht zu stellen; es genügt der Nachweis, dass er alle der Sache nach möglichen und geeigneten Nachforschungen angestellt hat. Die Behörde genügt ihrer Prüfungspflicht in aller Regel, wenn sie versucht, die Anschrift des Adressaten durch das Einwohnermeldeamt oder die Polizei zu ermitteln und sich ggf. bei einem Bevollmächtigten erkundigt (BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998).

c) Der Aufenthaltsort des Klägers war im Streitfall nicht allgemein unbekannt. Die ab Dezember 2001 gültige Anschrift des Klägers war zumindest den Behörden in N bekannt, wie sich aus der im Klageverfahren vorgelegten Anmelde-Bestätigung vom 4. Dezember 2001 ergibt. Deshalb muss davon ausgegangen werden, das eine entsprechende Mitteilung auch der Meldebehörde in Q gemacht worden ist, und zwar entweder vom Kläger oder von der Behörde in N. Nach Ansicht des erkennenden Senats hätte es nahegelegen, vor einer öffentlichen Zustellung bei der für den Kläger zunächst zuständigen Meldebehörde in Q anzufragen, ob sich der Kläger dort angemeldet und ggfs. - im Dezember 2001 - wieder abgemeldet hatte. Für das Erfordernis, auch bei einer ausländischen Meldebehörde zu ermitteln, spricht nicht zuletzt der Gedanke des § 14 VwZG, der für eine Zustellung im Ausland die Einschaltung der zuständigen Behörde des fremden Staates oder der in diesem Staate befindlichen konsularischen oder diplomatischen Vertretungen des Bundes fordert. Das Unterlassen einer Anfrage in Q ist angesichts des mit einer öffentlichen Zustellung in aller Regel verbundenen Verlusts des rechtlichen Gehörs nicht damit zu rechtfertigen, dass "die Anforderungen an die Ermittlung der Anschrift des Steuerpflichtigen nicht überspannt werden dürfen", wie der Beklagte meint. So hat sich der BFH selbst für eine Abmeldung unter Angabe einer polnischen Anschrift dafür ausgesprochen, dass eine öffentliche Zustellung nicht durch die bloße Vermutung gerechtfertigt ist, bei einer ausländischen Adresse handle es sich um eine Scheinadresse ist (BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 55/99, BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560, obwohl für Zustellungen in Polen zumindest zu dieser Zeit noch teilweise bis zu zwei Jahren benötigt wurden). Dies muss erst recht für ein EU-Land wie Spanien gelten.

Zwar reicht nach Ansicht des BFH der Versuch aus, die Anschrift des Steuerpflichtigen durch Nachfrage bei der Meldebehörde zu ermitteln und sich ggfs. beim Bevollmächtigten zu erkundigen, wenn die Handlungsweise des Zustellungsempfängers auf eine Verheimlichung seines Aufenthaltsortes gerichtet ist (BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998). Auch im Streitfall ist die Annahme des Beklagten nicht von der Hand zu weisen, der Kläger habe sich abgesetzt, nachdem er zunächst jahrelang Steuererstattungen eingestrichen und dann sein Vermögen versilbert habe, um die steuerverstrickten stillen Reserven dem steuerlichen Zugriff des Deutschen Staates zu entziehen. Dafür spricht, dass der Kläger sich im noch Jahr 2001 in N niedergelassen hat, nachdem er sich gegenüber den deutschen Behörden zunächst nach Q abgemeldet hatte. Dies ist allerdings nicht gewiss und würde jedenfalls dann keine öffentliche Zustellung rechtfertigen, wenn sich der Kläger bei den Behörden in Q ordnungsgemäß nach N umgemeldet hätte. Denn jedenfalls dann bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger durch seinen Umzug nach N seinen Aufenthaltsort verheimlichen wollte. Insoweit hätte sich der Beklagte durch eine einfache Anfrage bei den Meldebehörde in Q Gewissheit verschaffen können. Ohne eine solche Nachfrage jedenfalls kann eine öffentliche Zustellung nicht durch das Tatbestandsmerkmal "unbekannter Aufenthaltsort" gerechtfertigt werden.

d) Allerdings kann nach § 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG trotz bekannten Aufenthaltsortes dann öffentlich zugestellt werden, wenn die Zustellung im Ausland nach § 14 VwZG mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden Staates oder der in diesem Staate befindlichen konsularischen oder diplomatischen Vertretungen des Bundes unausführbar ist oder zumindest keinen Erfolg verspricht. Eine Auslandszustellung verspricht dann keinen Erfolg, wenn sie an sich möglich wäre, ihre Durchführung aber etwa wegen Kriegs, Abbruchs der diplomatischen Beziehungen, Verweigerung der Rechtshilfe oder unzureichender Vornahme durch die örtlichen Behörden nicht zu erwarten ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. So hielt der BFH selbst den Umstand, dass Zustellungen nach Polen über die dortigen diplomatischen Vertretungen jedenfalls zur damaligen Zeit ca. zwei Jahre in Anspruch nehmen konnten, nicht für ausreichend, um einen Bescheid nach § 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG wirksam öffentlich zuzustellen (BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 55/99, BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560 für die Abmeldung unter Angabe einer Anschrift in Polen). Deshalb hat der Beklagte zu Unrecht von der nach § 14 Abs. 1 VwZG vorgeschriebenen Zustellung ins Ausland mittels Ersuchen der zuständigen Behörde des spanischen Staates oder der dort befindlichen konsularischen oder diplomatischen Vertretungen des Bundes abgesehen. Der Versuch einer solchen Zustellung hätte vielleicht sogar die Möglichkeit eröffnet, die vom Kläger bei der deutschen Meldebehörde angegebene Anschrift in Q in Spanien zu verifizieren oder zu falsifizieren; möglicherweise hätte dies sogar dazu geführt, dass dem Beklagten die neue Anschrift des Klägers bekannt geworden wäre.

2. Aus der unwirksamen öffentlichen Zustellung folgt allerdings nicht, dass der Einkommensteuerbescheid 2001 insgesamt nicht wirksam bekannt gegeben worden und folglich im Interesse der Rechtsklarheit aufzuheben ist. Denn die Mängel der förmlichen Zustellung sind durch die Übersendung der Fotokopie Ende April 2004 an den damaligen Vertreter des Klägers gemäß § 9 Abs. 1 VwZG geheilt worden.

a) Nach § 9 Abs. 1 VwZG gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt, oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Ein Verstoß gegen § 15 VwZG (öffentliche Zustellung) schließt die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 1 VwZG nicht aus. Das bedeutet, dass ein nach § 9 Abs. 1 VwZG heilbarer Mangel auch dann vorliegt, wenn die öffentliche Zustellung wegen einer Verletzung der Ermittlungspflicht der Behörde über den Aufenthalt des Empfängers unwirksam ist (BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 55/99, BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560).

b) Auch ohne Übergabe des Originals kann eine Heilung dadurch eintreten, dass dem Steuerpflichtigen/Bevollmächtigten eine Kopie des Bescheids übergeben wird. Der Zweck der Bekanntgabe ist nämlich erreicht, wenn dem Adressaten eine zuverlässige Kenntnis des Inhalts des Bescheids verschafft wird. Diese zuverlässige Kenntnis vom Inhalt des Bescheids vermittelt auch eine Fotokopie, wenn sie das Original vollständig wiedergibt. (BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 55/99, BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560).

c) Die Heilung wird auch nicht dadurch gehindert, dass ein Beamter, der von einer wirksamen öffentlichen Zustellung ausgeht, mit der Übersendung einer Kopie an den Bevollmächtigten nicht die Vorstellung verknüpft, dass dadurch eine Bekanntgabe nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 bewirkt wird, dass dem Beamten also bei der Übersendung der Bescheid-Kopie der Bekanntgabe-Wille fehlt. Denn die Heilung gemäß § 9 Abs. 1 VwZG stellt lediglich auf den tatsächlichen Erhalt des Schriftstücks ab, sodass es ausreichend ist, dass die Behörde zu einem früheren Zeitpunkt ihren Bekanntgabewillen dokumentiert hat. Es ist nicht erforderlich, dass auch die nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten vom Willen der Behörde erfasst wird. Solange dieser durch die fehlerhafte Zustellung dokumentierte Bekanntgabewille nicht durch ausdrückliche Erklärung oder konkludentes Verhalten zurückgenommen worden ist, wirkt er fort und umfasst daher auch die spätere Übersendung einer vollständigen Fotokopie des Bescheides (BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 55/99, BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560).

d) Die Heilung der Zustellung scheitert auch nicht daran, dass auf der dem Bevollmächtigten übermittelten Bescheid-Kopie der Zusatz mit dem fehlerhaften Hinweis auf die Gesamtrechtsnachfolge nicht gestrichen war. Denn der Zusatz, dass der Bescheid auch an den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau gerichtet war, ändert nichts daran, dass jedenfalls auch der Kläger Bescheid-Adressat war und die Kopie, die das Original ansonsten vollständig wiedergab, dem Kläger zuverlässige Kenntnis vom Inhalt des Bescheids vermittelte. Der Bescheid ist deshalb dem Kläger gegenüber durch Übersendung der Bescheid-Kopie an seinen Bevollmächtigten uneingeschränkt wirksam geworden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, welche Ermittlungspflichten der Finanzbehörde vor einer öffentlichen Zustellung obliegen, wenn der Bescheidadressat ins Ausland verzieht.



Ende der Entscheidung

Zurück