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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 13.03.2008
Aktenzeichen: 10 K 2174/07
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a | |
EStG § 62 | |
EStG § 63 Abs. 1 S. 2 |
Finanzgericht Köln
Tenor:
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28. März 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2007 werden für die Monate Mai 2005 bis September 2005 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu 11/16 und die Beklagte zu 5/16 zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Tochter der Klägerin in den Monaten Mai 2005 bis August 2006 ausbildungsplatzsuchend war und der Klägerin deshalb das Kindergeld für diesen Zeitraum zusteht.
Die Klägerin hat in der Vergangenheit laufend das Kindergeld für ihre im September 1986 geborene Tochter T bezogen. Diese besuchte im Schuljahr 2004/2005 eine Gesamtschule in H. Ausweislich einer Schulbescheinigung sollte der Schulbesuch voraussichtlich bis Juli 2007 andauern (Kindergeldakte, Bl. 79). Am 20. April 2005 brach die Tochter der Klägerin ihre Schulausbildung allerdings ab. Am 27. April 2005 hat sie den Abbruch ihrer Schulausbildung offensichtlich der Berufsberatung der Agentur für Arbeit H mitgeteilt. Denn diese hat sich mit Schreiben vom 30. April 2006 unter dem Aktenzeichen ... und unter Hinweis auf die Meldung über die Beendigung der Schulausbildung an die Tochter der Klägerin gewandt. Darin wurde die Tochter der Klägerin darüber informiert, dass eine beitragsfreie Zeit im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung unter bestimmten Voraussetzungen als Anrechnungszeit berücksichtigt werden könne. Deshalb wurde die Tochter der Klägerin aufgefordert, ihrem Rentenversicherungsträger den Zeitraum vom 27. April 2005 bis 30. September 2005 zu melden, und zwar mit dem Meldegrund "Ausbildungssuche bei einer deutschen Agentur für Arbeit (§ 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3a SGB VI)" [Kindergeldakte, Bl. 96]. Die Familienkasse der Agentur für Arbeit H wurde von der Berufsberatung über den gesamten Vorgang nicht informiert.
Seit Juli 2006 ist die Tochter der Klägerin mit einem in der Türkei lebenden Ehemann verheiratet (Kindergeldakte, Bl. 84, 97). Im November 2006 beantragte die Klägerin Kindergeld für ein verheiratetes Kind und erklärte dabei, dass ihre Tochter nicht die Schule besuche. Auf Kontrollanfrage bei der Schule wurde der Familienkasse bekannt, dass die Tochter der Klägerin ihre Schulausbildung am 20. April 2005 abgebrochen hatte. Am 15. Januar 2007 wurde der Beklagten das o.g., an die Tochter der Klägerin gerichtete Schreiben der Agentur für Arbeit H übermittelt. Mit Schreiben vom 22. Februar 2007 forderte die Beklagte die Klägerin auf, den beigefügten Vordruck "KG 11a" betreffend Kinder ohne Ausbildungsplatz ausgefüllt zurückzusenden sowie zur Vorlage einer Bestätigung der für die Arbeitsvermittlung zuständigen Stelle darüber auf, ob und ggfs. seit wann das Kind dort als arbeitssuchend geführt werde und außerdem zur Übersendung von Nachweisen über aktuelle eigene Bemühungen um einen Ausbildungsplatz. Die Klägerin sandte jedoch lediglich den Vordruck "KG 11a" ausgefüllt zurück; eigene Bemühungen der Tochter der Klägerin um einen Ausbildungsplatz sind unstreitig weder vorgetragen noch feststellbar.
Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 28. März 2007 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Tochter der Klägerin für die Monate Mai 2005 bis August 2006 auf und forderte das nach ihrer Ansicht für diese Zeit überzahlte Kindergeld von 2.464 EUR zurück. Nach dem Abbruch der Schulausbildung habe die Tochter der Klägerin keine weitere Berufsausbildung aufgenommen und sei auch nicht ausbildungsplatzsuchend gewesen.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2007). Eine Berücksichtigung der Tochter der Klägerin nach § 32 Abs. 4 Nr. 1 EStG sei nicht möglich, weil diese im Streitzeitraum nicht arbeitssuchend gemeldet gewesen sei. Die Bescheinigung über Meldezeiträume sei ausschließlich für die Rentenversicherung bestimmt und begründe keinen Kindergeldanspruch.
Zwischen den Beteiligten besteht Streit über den Inhalt der Meldung vom 27. April 2005 gegenüber der Berufsberatung der Agentur für Arbeit H. Während die Beklagte mangels Beweises des Gegenteils durch die Klägerin davon ausgeht, dass die Tochter der Klägerin ihr lediglich den Abbruch ihrer Schulausbildung mitgeteilt habe, machen die Klägerin und ihre Tochter geltend, sie habe in diesem Gespräch nicht nur den Abbruch ihrer Schulausbildung angezeigt, sondern sich darüber hinaus als ausbildungsplatzsuchend gemeldet. Dies ergebe sich auch aus der von der Berufsberatung gemäß § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3a SGB VI erteilten Bescheinigung für den Rentenversicherungsträger. Daher habe der Klägerin das Kindergeld auch für die Monate ab Mai 2005 zugestanden. Die Beklagte könne sich nicht darauf stützen, dass diese Bescheinigung ausschließlich für die Rentenkasse bestimmt sei. Die Klägerin sei allen Meldepflichten nachgekommen. Auch über ihre Heirat im Juli 2006 habe sie die Beklagte sofort benachrichtigt.
Nachdem der Berichterstatter auf Zweifel an den Erfolgsaussichten der Klage hingewiesen hatte, wandte sich der Bevollmächtigte erneut an die Berufsberatung der Agentur für Arbeit H. Diese teilte ihm mit, dass die Tochter der Klägerin seit dem 28. November 2006 als arbeitssuchend gemeldet sei. Zu dem an die Tochter der Klägerin gerichteten Schreiben könnten keine Angaben gemacht werden, da die Aufbewahrungszeit für derartige Daten lediglich 10 Monate betrüge. Darüber hinaus teilte die Agentur für Arbeit H dem Bevollmächtigten mit, dass es zu Bescheinigung der Meldezeit über das Schreiben vom 30. April 2006 hinaus keiner weiterer Bescheinigung bedürfe.
Vor diesem Hintergrund hielt die Klägerin an ihrer Klage fest und trägt ergänzend vor, es könne nicht zu ihren Lasten gehen, dass die eine Abteilung einer Behörde Leistungen für einen Zeitraum zurückverlange, für den die andere Abteilung derselben Behörde die gespeicherten Daten gelöscht habe.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid für die Monate Mai 2005 bis August 2006 vom 28. März 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, das an die Tochter der Klägerin gerichtete Schreiben der Berufsberatung betreffend die Meldung über beitragsfreie Zeiten der Ausbildungssuche an den Rentenversicherungsträger rechtfertige nicht die Gewährung von Kindergeld. Die Meldung als Ausbildungsplatzsuchender führe nach Änderung des SGB VI lediglich zur Anrechnungszeit in der Rentenversicherung. Da eine maschinelle Übermittlung der Anrechnungszeiten an den Rentenversicherungsträger derzeit nicht möglich sei, versende die Berufsberatung zentral erstellte Bescheinigungen über eine dort erfolgte Meldung. Bescheinigt wird die Zeit vom Tag der Anmeldung bis zum 30. September des jeweiligen Berichtsjahres in der Berufsberatung. Die Bescheinigungen würden unabhängig davon erstellt, ob das Kind während des gesamten Zeitraumes tatsächlich Bewerber um einen Ausbildungsplatz gewesen sei. Sie hätten deshalb keine Bindungswirkung für die Festsetzung des Kindergeldes. Insbesondere handle es sich nicht einen Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 (Hinweis auf das Urteil des FG Düsseldorf vom 11. August 2006 18 K 5042/05 Kg, EFG 2006, 1764). Entscheidend sei vielmehr, dass die Tochter der Klägerin nach Abbruch ihrer Schulausbildung nicht als ausbildungsplatzsuchend registriert gewesen sei.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Familienkasse nicht von der Berufsberatung über die Meldung der Tochter vom 27. April 2005 informiert worden sei. Denn bei der Berufsberatung und der Familienkasse handle es sich um unterschiedliche Behörden, auch wenn diese nach außen einheitlich unter dem Namen der jeweiligen Agentur für Arbeit aufträten. Vom Kindergeldberechtigten sei ohne weiteres zu erwarten, dass er seine Mitwirkungs- und Informationspflichten vollständig gegenüber der jeweiligen Familienkasse erfülle. Mit einer Meldung bei der jeweiligen Berufsberatung erfülle der Kindergeldberechtigte seinen Mitwirkungspflichten nicht.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nur für die Monate Mai bis September 2005 begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Die Tochter der Klägerin befand sich nur für die Monate bis einschließlich April 2005 in Berufsausbildung (Kindergeldanspruch gemäß § 62, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG); im Anschluss daran war die Tochter, die sich unstreitig nicht selbst um einen Ausbildungsplatz bemüht hatte, wegen ihrer Meldung bei der Berufsberatung der Agentur für Arbeit H am 27. April 2005 entgegen der Ansicht der Beklagten noch bis einschließlich September 2005 als ausbildungsplatzsuchend zu berücksichtigen (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG).
a) Der BFH hat sich zum Nachweis des ernsthaften Bemühens des Kindes um einen Ausbildungsplatz noch nicht abschließend geäußert (BFH-Beschluss vom 21. April 2006 III S 31/05, BFH/NV 2006, 1467). Der Senat hat die Berücksichtigung von Kindern als ausbildungsplatzsuchend gemäß § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zuletzt wiederholt vom Nachweis eigener Bemühungen um einen Ausbildungsplatz abhängig gemacht, wenn das Kind nicht bereits bei der Berufsberatung als ausbildungsplatzsuchend gemeldet war (FG Köln, Urteile vom 11. November 2004 10 K 5425/03, EFG 2005, 455 und vom 22. September 2005 10 K 5182/04, EFG 2006, 68).
b) Solche Bemühungen der Tochter der Klägerin sind im Streitfall weder vorgetragen noch sonst feststellbar. Die Erfüllung des Tatbestands gemäß § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ergibt sich im Streitfall jedoch aus der von der Berufsberatung an die Tochter der Klägerin gerichteten Aufforderung, dem Rentenversicherer den Zeitraum vom 27. April 2005 bis 30. September 2005 mit dem Meldegrund "Ausbildungssuche bei einer deutschen Agentur für Arbeit (§ 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3a SGB VI)" zu melden. Bei dieser Bescheinigung handelt es sich zwar nicht um einen Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 (ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 11. August 2006 18 K 5042/05 Kg, EFG 2006, 1764). Ein solches Schreiben ist aber auch nicht völlig bedeutungslos und begründet die Vermutung der Ausbildungsplatzsuche bis zum 30. September 2005 mit der Folge einer Beweislastumkehr zulasten der beklagten Behörde. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der sphärenorientierten Beweislastverteilung (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171). So sind die Arbeitsweisen der verschiedenen Abteilungen der Agentur für Arbeit in keiner Weise aufeinander abgestimmt. Während die Familienkasse das Vorliegen der Kindergeldvoraussetzungen allenfalls jährlich prüft, beruft sich die Berufsberatung darauf, dass die Aufbewahrungs- bzw. Speicherfrist für ihre Vorgänge nur 10 Monate betrage. Da Familienkasse und Berufsberatung dem Kind bzw. Kindergeldberechtigten einheitlich als "Agentur für Arbeit" gegenübertreten, ist es nicht gerechtfertigt, dem Kindergeldberechtigten das Nachweisrisiko für die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Behörden-Abteilungen aufzuerlegen.
c) Auch im Streitfall steht aufgrund des Schreibens der Berufsberatung vom 27. April 2005 zumindest fest, dass die Tochter der Klägerin sich bereits am 27. April 2005 an die Berufsberatung der Agentur für Arbeit H gewandt hat. Da die Berufsberatung der Beklagten inzwischen alle diesbezüglichen Vorgänge gelöscht hat und deshalb nicht mehr feststellbar ist, ob sich die Tochter der Klägerin bei dieser Gelegenheit auch als ausbildungsplatzsuchend gemeldet hat, könnte das Schreiben der Berufsberatung gegenüber der Tochter der Klägerin nur dann als bedeutungslos angesehen werden, wenn sein Inhalt erkennbar unrichtig wäre, etwa weil feststünde, dass das Kind in dieser Zeit keinen Ausbildungsplatz gesucht hat (so offensichtlich im Fall des FG Düsseldorf, Urteil vom 11. August 2006 18 K 5042/05 Kg, EFG 2006, 1764). Das ist vorliegend indessen nicht der Fall. Vielmehr ist die Behauptung der Tochter der Klägerin, sich gleichzeitig als ausbildungsplatzsuchend gemeldet zu haben, wegen der Löschung des Vorgangs nicht widerlegbar. Deshalb kann aus dem Urteil des FG Düsseldorf entgegen der Ansicht der Beklagten nicht die Bedeutungslosigkeit der Mitteilung der Berufsberatung hergeleitet werden; eines Rückgriffs auf die Grundsätze von Treu und Glauben bedarf es dazu nicht.
d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Beklagten auf die nach ihrer Ansicht bestehende Verletzung von Mitwirkungspflichten, weil es sich bei der Berufsberatung und die Familienkasse um unterschiedliche Behörden handle und deshalb ein Austausch von Informationen nicht zu erwarten sei. Denn jedenfalls gegenüber dem Kindergeldberechtigten treten die unterschiedlichen Abteilungen einheitlich unter der jeweiligen Agentur für Arbeit auf. Daher kann zumindest erwartet werden, dass der Kindergeldberechtigte nicht durch gegenläufige Arbeitsweisen der einzelnen Abteilungen in Beweisnot gebracht wird.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 S. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zu, da es einer höchstrichterlichen Klärung bedarf, welche Bedeutung die Mitteilung an die Rentenversicherung hat.
Ende der Entscheidung
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