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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 13.03.2008
Aktenzeichen: 10 K 2342/07
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 37
AO § 155 Abs. 4
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1
EStG § 31 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 2342/07

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, einen bestandskräftigen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid aufzuheben.

Der Kläger erhielt für seinen Sohn Kindergeld. Er hatte am 19. Oktober 2001 die Ausbildungsbescheinigung an die Beklagte geschickt. Danach dauerte die Ausbildung vom 1. August 2001 bis zum 31. Januar 2005.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2004 und Erinnerung vom 9. Februar 2005 forderte die Beklagte den Kläger auf, Unterlagen einzureichen, aus denen sich das Ausbildungsende ergab. Da dies nicht geschah, hob die Beklagte mit Verfügung vom 6. Oktober 2005 die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Oktober 2001 bis Dezember 2004 auf und forderte das für diesen Zeitraum für das Kind T (geb. 13. April 1982) gezahlte Kindergeld zurück. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid eingelegte Klage nahm der Kläger zurück.

Am 25. April 2007 beantragte der Kläger die Aufhebung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids. Diesen Antrag wies die Beklagte mit Verfügung vom 15. Mai 2007 zurück, ebenso den hiergegen eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2007.

Mit der Klage trägt der Kläger vor:

Sein Sohn T habe sich bis zum 19. Januar 2005 bei der Firma S in Ausbildung zum Elektroinstallateur befunden. Deshalb sei die Auszahlung des Kindergelds unstreitig zu Recht erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestehe kein Erstattungsanspruch der Behörde, wenn ein nach der materiellen Rechtslage geschuldeter Betrag gezahlt worden sei (vgl. BFH in BStBl II 1997, 112, 114).

Im Übrigen sei das Kindergeld für den laufenden Lebensunterhalt verbraucht worden, so dass er inzwischen entreichert sei.

Sofern überhaupt eine unterlassene Mitwirkung in Betracht komme, habe er es allenfalls leicht fahrlässig unterlassen, die Bescheinigung über das Ausbildungsende einzureichen.

Die vom Kläger nachgereichte Bescheinigung über das Ausbildungsende am 19. Januar 2005 datiert vom 4. Juli 2006.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 15. Mai 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2007 zu verpflichten, den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 6. Oktober 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.

Der angefochtene Ablehnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten, vgl. § 101 der Finanzgerichtsordnung - FGO -.

Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 6. Oktober 2005 aufzuheben.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 der Abgabenordnung 1977 - AO - (der hier allein in Betracht kommenden Änderungsvorschrift) ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

Nach § 31 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG - wird Kindergeld als Steuervergütung gezahlt. Die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften sind gemäß § 155 Abs. 4 AO auf die Festsetzung einer Steuervergütung sinngemäß anzuwenden, mithin auch die Änderungsvorschrift des § 173 AO.

Den Kläger trifft im Streitfall ein grobes Verschulden daran, dass die Tatsache, dass die Ausbildung des Sohnes T am 19. Januar 2005 geendet hat, erst nachträglich der Beklagten bekannt geworden ist.

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem, nicht entschuldbarem Maße verletzt. So liegt z.B. grobes Verschulden vor, wenn es der Steuerpflichtige aus mangelnder Sorgfalt unterlässt, eine bestimmte Tatsache, deren für ihn günstige steuerliche Auswirkung auf der Hand lag, mitzuteilen (Klein/Rüsken, AO, 9. Auflage 2006, § 173 Rz. 112 f. mit Rechtsprechungsnachweisen). Grob schuldhaft ist es in jedem Fall, wenn der Steuerpflichtige bzw. hier der Kindergeldberechtigte trotz Aufforderung und Erinnerung durch die Familienkasse Unterlagen nicht vorlegt, die erforderlich sind, um der Behörde die Prüfung zu ermöglichen, ob und ggfl. für welchen Zeitraum Kindergeld festzusetzen ist.

Der Kläger kann sich gegenüber dem Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid nicht darauf berufen, dass er das Kindergeld für den Lebensunterhalt verwendet habe und deshalb entreichert sei. Der Einwand der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist im Rahmen des öffentlich-rechtlich Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar (Bundesfinanzhof - BFH - Beschluss vom 27. April 1998, VII B 296/97, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1998, 499, FG-Köln, Urteil vom 31. August 2000 2 K 4876/99, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2000, 1394).

Der Rechtmäßigkeit des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids steht letztendlich auch nicht entgegen, dass dem Kläger materiell-rechtlich unstreitig Kindergeld für den Zeitraum Oktober 2001 bis Dezember 2004 zustand. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 hat derjenige, auf dessen Berechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags, wenn eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist. Unabhängig von der Frage, ob man im Rahmen des § 37 AO der sog. formellen oder materiellen Rechtsgrundtheorie folgt (vgl. hierzu Klein/Brockmeyer, AO, 9. Auflage 2006, § 37 Rz. 4 f. mit Rechtsprechungsnachweisen) ist Grundlage für das Behaltendürfen des ausgezahlten Kindergelds der Kindergeldfestsetzungsbescheid. Wird dieser aufgehoben, entfällt damit der rechtliche Grund für das Behaltendürfen des Kindergeldes und ist dieses zurückzuzahlen (vgl. BFH, Urteil vom 29. Oktober 2002 VII R 2/02, BStBl II 2003, 43). Sollte sich aus dem BFH-Urteil vom 6. Februar 1996 VII R 50/95 (BStBl II 1997, 112, 114) etwas Abweichendes ergeben, so folgt der erkennende Senat dieser Auffassung nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und ggfl. wegen Abweichung von dem BFH-Urteil vom 6. Februar 1996 VII R 50/95 zu. Er sieht für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage an, ob die Familienkasse Kindergeld, das materiell-rechtlich unstreitig zu Recht ausgezahlt worden ist, allein mit der Begründung zurückfordern kann, dass die Festsetzung rückwirkend aufgehoben worden ist, weil der Kindergeldberechtigte seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist.

Ende der Entscheidung

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