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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 09.08.2007
Aktenzeichen: 10 K 3347/04
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 10d Abs. 4 S. 1
AO 1977§ 170 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 3347/04

Tenor:

Die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1998 noch aufgrund eines im Dezember 2003 gestellten Antrags möglich war.

Der ledige Kläger absolvierte im Jahre 1998 eine Ausbildung zum Piloten. Einkünfte erzielte er in 1998 nicht; eine Einkommensteuererklärung bzw. einen Antrag auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gab er zunächst ebenfalls nicht ab. Erstmals für das Jahr 1999 wurde der Kläger zur Einkommensteuer veranlagt.

Nachdem der VI. Senat des BFH mit Urteilenvom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884 undvom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 u. a. für einen Piloten entschieden hatte, dass auch bei einer erstmaligen Berufsausbildung vorab entstandene Werbungskosten vorliegen können, beantragte der Kläger mit einem am 6. Dezember 2003 eingegangenen Erklärungsformular die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1998 aufgrund der ihm vorab entstandenen Aufwendungen für seine Piloten-Ausbildung (zunächst rd. 16.000 DM Fahrtkosten sowie 90.000 DM sonstige Kosten). Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 2. März 2004 unter Hinweis auf den Ablauf der Antragsfrist ab.

Mit seinem Einspruch berief sich der Kläger auf das BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01 (BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681). Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2004 aus: Nach Ablauf der Festsetzungsfrist für das Verlustentstehungsjahr könnten erstmals geltend gemachte Verluste auch nicht gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 berücksichtigt werden.

Der Kläger trägt vor, die Verlustfeststellung unterliege lediglich der Festsetzungsfrist gemäß § 169 AO 1977. Diese ende zwar am 31. Dezember 2002, nachdem BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01 könne die Verlustfeststellung gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 jedoch auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgen, wenn die Verlustfeststellung von mittelbarer oder unmittelbarer Bedeutung für die Folgejahre sei. Davon sei auch im Streitfall auszugehen, weil eine Berücksichtigung des Verlusts im Jahr 2001 noch möglich gewesen sei. Darüber hinaus sei die begehrte Verlustfeststellung auch für künftige Jahre von Bedeutung, da er die Verluste in Folgejahren mit positiven Einkünften aus seiner Piloten-Tätigkeit verrechnen wolle. Durch die Technik der separaten Feststellung vom Besteuerungsgrundlagen dürften ihm als Steuerpflichtigen keine Nachteile entstehen. Deshalb könne es nicht von Bedeutung sein, dass der Verlust nicht zuvor im Rahmen einer Veranlagung zur Einkommensteuer ermittelt worden sei. Es könne von einem Steuerpflichtigen, der in einem Veranlagungszeitraum nur Verluste erzielt habe, nicht verlangt werden, gleichwohl eine Steuerfestsetzung zu betreiben, obwohl diese rechtlich für ihn ohne Bedeutung sei. Die BFH-Urteile vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97 (BFHE 187, 523 , BStBl II 2000, 3) undvom 9. Mai 2001 XI R 25/99 (BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817) seien im Streitfall nicht einschlägig. Denn sie hätten Fälle betroffen, in denen der Verlust jedenfalls teilweise durch das zu versteuernde Einkommen verbraucht worden sei und dadurch zu einer Steuerfestsetzung auf 0 DM geführt habe. Danach sei der vom Beklagten der Höhe nach nicht bestrittene Verlust antragsgemäß festzustellen. Ergänzend erklärt der Kläger in der mündlichen Verhandlung, das bei der Berechnung der zu berücksichtigenden Kosten ein Fehler unterlaufen und insgesamt nur 99.230 DM zu berücksichtigen seien.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung vom 2. März 2004 und der Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2004 zu verpflichten, die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1998 in Höhe von 99.230 DM durchzuführen,

hilfsweise

die Zulassung der Revision (v.u.g.).

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die Ansicht des Kläger für unzutreffend, weil andernfalls eine Verlustfeststellung faktisch ohne jegliche zeitliche Begrenzung vorgenommen werden könne. Dadurch werde das Prinzip der Rechtssicherheit ausgehöhlt. Der Kläger habe nur deshalb nachträglich die Verlustfeststellung beantragt, weil der VI. Senat seine Rechtsprechung geändert habe. Würde die Ansicht des Klägers zutreffen, ergebe sich für ihn ein nicht zu rechtfertigender Vorteil gegenüber denjenigen Steuerpflichtigen, die auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung bereits zur Einkommensteuer veranlagt worden seien.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1998 zu Recht abgelehnt, weil insoweit mit Ablauf des Jahres 2002 Feststellungsverjährung eingetreten war.

1. Gemäß § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 1998 geltenden Fassung ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug i.S. des § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG gesondert festzustellen.

2. Im Streitfall konnte jedoch keine Feststellung des auf den 31. Dezember 1998 verbleibenden Verlustabzugs mehr erfolgen, weil der Antrag auf Verlustfeststellung erst im Dezember 2003 und damit nach Ablauf der Feststellungsfrist zum 31. Dezember 2002 gestellt worden ist.

a) Die Feststellungsfrist für die im Jahr 1998 entstandenen Verluste, die weder ausgeglichen noch gemäß § 10d Abs. 1 EStG zurückgetragen werden konnten, beträgt nach § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 ff. AO 1977 vier Jahre. Die Feststellungsfrist beginnt gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 170 Abs. 1 AO 1977 grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verlust entstanden ist. Abweichend hiervon beginnt die Feststellungsfrist jedoch nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 in den Fällen, in denen aufgrund gesetzlicher Vorschrift eine Steuererklärung einzureichen ist, mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Steuererklärung i.S. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist gemäß § 181 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 die Erklärung zur gesonderten Feststellung.

b) Im Streitfall bestand keine Verpflichtung zur Abgabe einer entsprechenden Feststellungserklärung, sodass die Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 nicht eingreifen konnte. Denn eine Pflicht zur Abgabe einer Erklärung betreffend die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ergibt sich weder aus § 181 Abs. 2 AO 1977 noch aus den §§ 25, 46 EStG noch aus § 56 EStDV. So sieht auch § 56 Satz 2 EStDV die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nur dann vor, wenn - anders als im Streitfall - zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums ein verbleibender Verlustabzug festgestellt worden ist. Auch ist der Kläger im Streitfall nicht zur Abgabe einer solchen Erklärung aufgefordert wurden (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1998 VIII R 35/95, BFH/NV 1999, 445). Die Feststellungsfrist begann daher mit Ablauf des Kalenderjahres 1998, in welchem der Verlust entstanden ist.

c) Die eingetretene Feststellungsverjährung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 181 Abs. 5 AO 1977 bedeutungslos.

aa) Nach dieser Vorschrift kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist.

bb) Vor dem Hintergrund der BFH-Rechtsprechung in den Urteilenvom 1. März 2006 XI R 33/04 (BFHE 212, 497, BFH/NV 2006, 1204) undvom 2. August 2006 XI R 65/05 (BFH/NV 2006, 2345) hat der Gesetzgeber jedoch § 10d Abs. 4 EStG durch das Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006 um einen Satz 6 ergänzt. Danach endet die Feststellungsfrist nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen ist; § 181 Abs. 5 AO 1977 ist nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat. Damit hat der Gesetzgeber eine klärende Einschränkung des § 181 Abs. 5 AO 1977 dahin vorgenommen, dass der Ablauf der Feststellungsfrist nur dann unbeachtlich sein soll, wenn ein pflichtwidriges Unterlassen der Finanzbehörde vorliegt. Für eine solche pflichtwidrig unterlassene Verlustfeststellung innerhalb der Feststellungsfrist bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte, weil der Kläger dem Beklagten die Verlustentstehung erst im Dezember 2003 unterbreitet hat (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 4. Januar 2007 16 K 354/05).

cc) Etwas anderes würde sich auch dann nicht ergeben, wenn man die Vorschrift des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG im Streitfall wegen des bereits eingetretenen Ablaufs der Feststellungsfrist nach § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG nicht für anwendbar hielte.

aaa) Zwar ist die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1998 von Bedeutung i.S. des § 181 Abs. 5 AO 1977 (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681) für die - nach nicht bestrittener telefonischer Auskunft des Beklagten allerdings bestandskräftige - Festsetzung der Einkommensteuer des Jahres 1999 und möglicherweise auch für die ebenfalls bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen der folgenden Jahre. Der Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung macht jedoch eine einschränkende Auslegung des Wortlauts erforderlich, wenn das FA nicht - etwa durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung - innerhalb der Feststellungsfrist Kenntnis von einem verbleibenden Verlustabzug erhält (a.A. FG Düsseldorf, Urteil v. 22. Mai 2007 3 K 1200/04 F, EFG 2007, 1220). Denn nur bei entsprechender Kenntnis des FA vom Verlust kann mit dem BFH von einer amtswegigen Pflicht zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gesprochen werden. Anders als in den vom BFH mit Urteilenvom 12. Juni 2002 XI R 26/01 (BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681) undvom 6. Juli 2005 XI R 27/04 (BFH/NV 2006, 16) entschiedenen Fällen hatte der Beklagte jedoch im Streitfall innerhalb der Feststellungsfrist gerade keine Kenntnis von dem entstandenen Verlust, während in den angeführten Entscheidungen für das jeweilige Verlustentstehungsjahr innerhalb der Festsetzungsfrist Veranlagungen zur Einkommensteuer durchgeführt worden waren; in diesen Fällen sollte der Steuerpflichtige vor dem Hintergrund der amtswegigen Verpflichtung der Finanzbehörden zur Verlustfeststellung gemäß § 10d Abs. 3 bzw. 4 EStG nicht von den Folgen einer pflichtwidrigen Unterlassung getroffen werden. Da eine solche pflichtwidrige Unterlassung im Streitfall jedoch nicht erkennbar ist, ist dieser entgegen der Ansicht des Klägers nicht mit den Sachverhalten der genannten Urteile vergleichbar.

bbb) Wäre die Ansicht des Klägers zutreffend, könnte eine Verlustfeststellung faktisch ohne jegliche zeitliche Begrenzung vorgenommen werden. Denn es sind durchaus Sachverhaltskonstellationen denkbar, wo sich der Verlust nicht bereits in dem auf das Verlustentstehungsjahr folgenden Jahr auswirkt, sondern u. U. erst viele Jahre später, wenn in den auf das Verlustentstehungsjahr unmittelbar folgenden Jahren keine entsprechenden positiven Einkünfte erzielt werden. In einem solchen Fall müsste dann im Rahmen des Feststellungsverfahrens über die tatsächlichen Voraussetzungen eines bereits vor vielen Jahren entstandenen Verlusts entschieden werden. Dies ist unpraktikabel und würde die notwendige Rechtssicherheit erheblich einschränken, was der erkennende Senat für nicht hinnehmbar hält.

Ferner ergäbe sich in Fällen wie dem Streitfall ein nicht zu rechtfertigender Vorteil gegenüber denjenigen Steuerpflichtigen, die auf der Grundlage früherer Rechtsprechung im Verlustentstehungsjahr bereits zur Einkommensteuer veranlagt worden sind. So hat der BFH in dem vom Kläger angeführtenUrteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01 (BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681) ausdrücklich ausgeführt, dass durch die verfahrensmäßige Verselbständigung der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs dem Steuerpflichtigen zwar keine Nachteile, aber auch keine Vorteile entstehen dürfen. Diesen Gedanken entnimmt der erkennende Senat auch den BFH-Urteilenvom 9. Dezember 1998 XI R 62/97 (BFHE 187, 523 , BStBl II 2000, 3) undvom 9. Mai 2001 XI R 25/99 (BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817), auch wenn die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Fälle mit dem Streitfall ebenfalls nicht vergleichbar sind, weil es dort um einen Antrag auf Verlustfeststellung für ein Verlustentstehungsjahr ging, welches bereits bestandskräftig veranlagt war. Für diese Fälle hat der BFH die beantragte Verlustfeststellung abgelehnt, weil der jeweils bereits bestandskräftige Steuerbescheid für das Verlustentstehungsjahr nicht mehr geändert werden konnte.

ccc) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den BFH-Urteilenvom 2. August 2006 XI R 65/05 (BFH/NV 2006, 2345) undvom 1. März 2006 XI R 33/04 (BFHE 212, 497, BFH/NV 2006, 1204). So ist das BFH-Urteil vom 2. August 2006 XI R 65/05 (BFH/NV 2006, 2345) vorliegend deshalb nicht einschlägig, weil dort anders als im Streitfall für die dem Streitjahr vorangegangenen Zeiträume erhebliche, noch zu verrechnende Verluste festgestellt worden waren. Das BFH-Urteil vom 1. März 2006 XI R 33/04 (BFHE 212, 497, BFH/NV 2006, 1204) ist mit dem Streitfall schon deshalb nicht vergleichbar, weil dort die Verlustfeststellung für das Jahr 1998 noch im Jahr 2002, also noch innerhalb der Feststellungsfrist beantragt worden war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Der Revision war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat mit seiner Entscheidung möglicherweise vom BFH-Urteil vom 2. August 2006 XI R 65/05 (BFH/NV 2006, 2345) abweicht.

Ende der Entscheidung

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