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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 17.09.2009
Aktenzeichen: 10 K 4058/08
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 169
AO § 174
AO § 367 Abs. 2
EStG § 66 Abs. 1
EStG § 70 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten jetzt noch darüber, ob die zehnjährige Verjährungsfrist für die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung wegen eines Hinterziehungstatbestands anzunehmen ist.

Der Kläger ist Ingenieur und im öffentlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Er ist der Vater des im Februar 1997 geborenen Kindes O. In dem an die Beklagte gerichteten Kindergeldantrag vom 12. Februar 1997 verneinte der Kläger die von der Familienkasse formularmäßig gestellte Frage, ob er oder seine Ehefrau im öffentlichen Dienst beschäftigt seien. In der Folgezeit wurde dem Kläger antragsgemäß das Kindergeld für seinen Sohn bewilligt und von der Beklagten seit dem Monat Februar 1997 ausbezahlt.

Mit einem am 3. März 1997 beim LBV eingegangenen Antrag hatte der Kläger außerdem bei seinem öffentlichen Arbeitgeber Kindergeld beantragt und dabei wahrheitswidrig die dort gestellte Frage verneint, ob er bereits bei einer anderen Familienkasse einen Kindergeldantrag gestellt habe (Kindergeld-Akte, Bl. 20). Anschließend wurde ihm auch vom LBV laufend das beantragte Kindergeld ausgezahlt, und zwar ebenfalls ab Februar 1997.

Aufgrund einer Mitteilung des LBV vom 7. Juli 2008 wurde der Beklagten bekannt, dass der Kläger für die Monate Februar 1997 bis Juli 2008 sowohl bei der Beklagten als auch bei seinem öffentlichen Arbeitgeber Kindergeld für seinen Sohn bezogen hatte. Mit Bescheid vom 10. September 2008 forderte die Beklagte vom Kläger unter Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Februar 2007 bis Juli 2008 zunächst einen Betrag von ... € zurück. Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, weder er noch seine Ehefrau hätten bei der Beklagten einen Antrag auf Kindergeld gestellt. Zahlungen von seiten der Beklagten seien dem Kläger nicht bekannt. Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens wurde dem Kläger mit Schreiben vom 15. Oktober 2008 (Kindergeld-Akte, Bl. 33) mitgeteilt, dass er als Angehöriger des öffentlichen Dienstes von Anfang an keinen Kindergeldanspruch gegenüber der Beklagten gehabt habe. Das Kindergeld sei auf Antrag des Klägers ab Februar 1997 festgesetzt und bis Juli 2008 auf das vom Kläger im Antrag angegebene Konto bei der Bank L überwiesen worden. Daher sei - unter Berücksichtigung der Verjährungsfrist gemäß § 169 AO - über die Rückforderung im Bescheid vom 10. September 2008 hinaus nun auch über die Rückforderung des Kindergelds für die Monate Januar 1998 bis Januar 2007 zu befinden, in denen das Kindergeld ebenfalls zu Unrecht bezogen worden sei. Des Weiteren war der Hinweis enthalten, dass aufgrund des Schreibens noch keine Zahlung vorzunehmen sei und dass der Kläger innerhalb von 3 Wochen die Möglichkeit zur Äußerung habe. Einen ausdrücklichen Hinweis auf die Möglichkeit der Verböserung bzw. nachteilige Änderung des mit dem Einspruch angefochtenen Verwaltungsakts vom 10. September 2008 (§ 367 Abs. 2 AO) enthielt das Schreiben allerdings nicht, insbesondere nicht auf die Möglichkeit, die Verböserung durch Rücknahme des Einspruchs abwenden zu können und auch keine Anfrage dahin, ob an dem Einspruch gleichwohl festgehalten werden solle. In einem behördeninternen Schreiben und in einem weiteren Schreiben an das LBV vom gleichen Tag wurde demgegenüber ausdrücklich erwähnt, dass es sich um eine Verböserung handle und dem Kläger mit dem Schreiben vom 15. Oktober 2008 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei (Kindergeld-Akte, Bl. 35, 37).

Der Kläger reagierte darauf mit einem am 27. Oktober 2008 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben, in welchem er den Eingang der Zahlungen bestätigte, aber geltend machte, diese irrtümlich als Zahlung des LBV interpretiert zu haben. Daher sei in seinem Fall die regelmäßige Verjährungsfrist von 4 Jahren zu berücksichtigen. Außerdem erbitte er die Einräumung einer Möglichkeit zur Ratenzahlung.

Mit einem auf der Grundlage von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ergangenen Änderungsbescheid vom 30. Oktober 2008 hob die Beklagte daraufhin die Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 1998 bis Juli 2008 auf und forderte das nach ihrer Ansicht für diesen Zeitraum überzahlte Kindergeld i.H.v. ... € vom Kläger zurück. Zur Begründung verwies die Beklagte dabei auf ihr Erörterungsschreiben vom 15. Oktober 2008.

Ohne eine Äußerung des Klägers auf den Bescheid vom 30. Oktober 2008 abzuwarten, wies die Beklagte den Einspruch des Klägers vom 13. September 2008 als unbegründet zurück und führte dabei in der Begründung der Einspruchsentscheidung vom 3. November 2008 u.a. aus, der Änderungsbescheid vom 30. Oktober 2008 über die Rückforderung für die Monate Januar 1998 bis Juli 2008 sei gemäß § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des Verfahrens geworden. Wegen der Steuerhinterziehung des Klägers betrage die Festsetzungsfrist 10 Jahre.

Im Anschluss an einen telefonischen Hinweis des Berichterstatters hat der Kläger die Klage mit einem am 10. September 2009 eingegangenen Schriftsatz zurückgenommen, soweit die Monate Januar 2005 bis einschließlich Juli 2008 betroffen waren; in der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2009 hat der Kläger nach weiterem Hinweis des Gerichts auf die Grundsätze der Festsetzungsverjährung außerdem die Klage für die Monate Januar 2004 bis Dezember 2004 zurückgenommen.

Soweit der Kläger an der Klage festhält, macht er geltend, er habe seine Beschäftigung im öffentlichen Dienst erst im März 1997 aufgenommen und ab diesem Zeitpunkt zusammen mit seinem Gehalt das Kindergeld erhalten. Die Doppelzahlung sei ihm nicht aufgefallen. Nachdem der Kläger zunächst behauptet hatte, die Auszahlung des Kindergelds über das LBV sei automatisch und ohne ausdrücklichen Antrag erfolgt, bestätigt er zwar nunmehr die doppelte Antragstellung, erklärt aber, das LBV versehentlich nicht über den bereits bei der Beklagten gestellten Antrag informiert zu haben. Der Kläger habe keine Absicht gehabt, sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen.

Der Kläger beantragt,

den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2008 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 3. November 2008 aufzuheben, soweit er die Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 1998 bis Dezember 2003 betrifft.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, im Streitfall liege eine Steuerhinterziehung vor, weil der Kläger sowohl gegenüber ihr als auch gegenüber dem LBV in seinen Anträgen unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht und sich so einen ungerechtfertigten Steuervorteil erschlichen habe. Es sei nicht glaubhaft, wenn der Kläger nun behaupte, die Doppelzahlung sei ihm nicht aufgefallen. Das Kindergeld sei auf den Gehaltsabrechnungen seines Arbeitgebers offen ausgewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat durch die bewusst wahrheitswidrige Angabe gegenüber dem LBV, keinen weiteren Kindergeldantrag bei einer anderen Familienkasse gestellt zu haben, und durch die dadurch bedingte pflichtwidrige Nichtinformation der Beklagten über den nachträglich beim LBV gestellten Kindergeldantrag sowie den anschließenden doppelten Kindergeldbezug den Straftatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht.

1. Der Bescheid war nicht wegen Verstoßes gegen das sich aus § 367 Abs. 2 AO ergebende Hinweisgebot auf die beabsichtigte Verböserung rechtswidrig. Zwar hat der erkennende Senat erhebliche Zweifel daran, ob im Streitfall die vorgenommene Bescheidänderung auf der Grundlage einer dem Kläger mitgeteilten Verböserungssabsicht erfolgen konnte. Denn das Schreiben der Beklagten vom 15. Oktober enthielt keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Möglichkeit der Verböserung bzw. eine nachteilige Änderung des mit dem Einspruch angefochtenen Verwaltungsakts vom 10. September 2008, insbesondere nicht auf die Möglichkeit, die Verböserung durch Rücknahme des Einspruchs abwenden zu können. Ebenso wenig war eine Anfrage dahin enthalten, ob an dem Einspruch festgehalten werden solle.

Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH handelt es sich jedoch bei der Festsetzung von Kindergeld um einen teilbaren Verwaltungsakt, der deshalb für einzelne Monate aufgehoben werden, für andere Monate bestehen bleiben kann (BFH-Urteile vom 9. Dezember 2002 VIII R 80/01, BFH/NV 2003, 606, vom 21. Januar 2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910). Aus diesem Grund enthält die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung für einen oder mehrere Monate nicht ohne weiteres die Entscheidung, dass die Kindergeldfestsetzung für vorausgegangene Monate bestehen bleibt (BFH-Urteil vom 19. März 2002 VIII R 107/01, BFH/NV 2002, 1290), mit der Folge, dass auch § 68 FGO auf diese Fälle nicht anwendbar ist (BFH-Urteil vom 29. Januar 2003 VIII R 60/00, BFH/NV 2003, 927). Deshalb durfte im Streitfall auch unabhängig von einem verfahrensmäßig korrekten Verböserungshinweis und auch ohne nachträglich bekannt gewordene Tatsache (§ 173 AO) eine weitergehende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 1998 bis einschließlich Januar 2007 erfolgen.

2. Das Gericht sieht sich an einer Entscheidung der Sache auch nicht dadurch gehindert, dass die Beklagte die Einspruchsentscheidung vom 3. November 2008 erlassen hat, ohne eine Äußerung des Klägers - etwa in der Form eines neuerlichen Einspruchs - in Bezug auf den Bescheid vom 30. Oktober 2008 abzuwarten. Denn die Beklagte hat den Bescheid als Änderungsbescheid zu dem zunächst angefochtenen Bescheid vom 10. September 2008 erlassen, um den Änderungsbescheid gemäß § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des anhängigen Einspruchsverfahrens zu machen. Das erforderliche Einspruchsverfahren ist daher durchgeführt. Die Änderung des ursprünglich angefochtenen Bescheids vom 10. September 2008 konnte im Streitfall allerdings nur auf der Grundlage der Vorschrift des § 174 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AO erfolgen.

a) Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für die von der Beklagten in Bezug genommene Änderungsvorschrift des § 173 AO schon deshalb nicht vor, weil von einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache im Zeitpunkt der Änderungsfestsetzung vom 30. Oktober keine Rede sein kann. Denn die doppelte Antragstellung und der doppelte Bezug von Kindergeld über die gesamten Jahre ergab sich bereits im Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheids vom 10. September 2008 aus den Akten.

Auch die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 70 Abs. 2 EStG, nach der eine Kindergeldfestsetzung - soweit in den anspruchserheblichen Verhältnissen eine Änderung eintritt - mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben oder zu ändern ist, lagen im Streitfall nicht vor. Denn die materielle Kindergeldberechtigung des Klägers richte sich ausschließlich nach den Vorschriften §§ 32ff., 62ff. EStG. Die davon unabhängige Frage, ob der Kläger als Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes tätig war, hatte lediglich Auswirkungen darauf, welche Familienkasse für die Festsetzung des Kindergeldes sachlich zuständig war (vgl. §§ 67 Satz 1, 72 Abs. 1 EStG); für die materielle Berechtigung zum Bezug von Kindergeld war die Frage der Arbeitnehmerschaft im öffentlichen Dienst ebenso irrelevant wie die doppelte Erfüllung des Kindergeldanspruchs durch zwei unterschiedliche Familienkassen.

b) Nach § 174 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AO ist ein fehlerhafter Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt in unvereinbarer Weise mehrfach zugunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist. Der Steuerbescheid darf nach § 174 Abs. 2 Satz 2 AO jedoch nur dann geändert werden, wenn die Berücksichtigung des Sachverhaltes auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist.

aa) Nach der Rechtsprechung ist eine mehrfache Berücksichtigung eines bestimmten Sachverhalts dann auf einen Antrag des Steuerpflichtigen zurückzuführen, wenn der durch die widerstreitende Steuerfestsetzung begünstigte Steuerpflichtige den Erhalt des Steuervorteils durch eine objektiv unzutreffende Darstellung des Sachverhalts veranlasst hat. Denn in diesem Fall verdient er in Bezug auf die Bestandskraft des Steuerbescheides keinen Vertrauensschutz (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1980 VIII R 186/78, BFHE 132, 182, BStBl II 1981, 388).

bb) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Denn die fehlerhafte (doppelte) Berücksichtigung des Sohnes des Klägers ist ursächlich darauf zurückzuführen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten erklärt hat, nicht in einem Dienstverhältnis zu einem öffentlichen Arbeitgeber zu stehen, und kurz darauf gegenüber dem für die Kindergeldgewährung tatsächlich zuständigen LBV erklärt hat, innerhalb der letzten 6 Monate keinen weiteren Kindergeldantrag bei einer anderen Familienkarte gestellt zu haben, ohne gleichzeitig die beklagte Familienkasse auf seine Tätigkeit im öffentlichen Dienst hinzuweisen. Vor diesem Hintergrund verdient der Kläger nicht den Schutz der Bestandskraft der mehrfachen Festsetzung des Kindergeldes zu seinen Gunsten. Der erkennende Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des FG Düsseldorf im Urteil vom 18. Juni 2009 15 K 37/09 Kg (EFG 2009, 1519) an.

3. Die Beklagte hat die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auch zu Recht auf die Monate von Januar 1998 bis Dezember 2003 erstreckt, denn auch für die auf diesen Zeitraum entfallenden Kindergeldansprüche war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen.

a) Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO darf die Festsetzung einer Steuervergütung nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr aufgehoben werden. Die Festsetzungsfrist für Steuervergütungen beträgt grundsätzlich vier Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) fünf Jahre und im Falle der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) zehn Jahre, vgl. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. Nach § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer bzw. die Steuervergütung entstanden ist. Da das Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG monatlich gezahlt wird, begann die Festsetzungsfrist für das in den einzelnen Monaten des jeweiligen Kalenderjahres gezahlte Kindergeld somit mit Ablauf dieses Kalenderjahres.

b) Der Kläger hat im Streitfall den Straftatbestand einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung nach § 370 AO erfüllt, sodass gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO eine zehnjährige Festsetzungsfrist zugrunde zu legen war.

aa) Der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1, 2 AO erfordert, dass der Steuerpflichtige gegenüber den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht bzw. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Hierfür ist nach der ständigen Rechtsprechung erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine Handlung vorliegt, durch die Steuern verkürzt oder andere nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden. Als Handlung kommt dabei nicht nur ein positives Tun, sondern im Falle einer Rechtspflicht zum Handeln auch ein Unterlassen in Betracht (vgl. BFH-Urteile vom 16. Januar 1973 VIII R 52/69, BStBl II 1973, 273; vom 21. Oktober 1998 III R 194/84, BStBl II 1989, 216 und vom 13. Februar 2008 IX R 61/07, BFH/NV 2008, 1485-1486).

bb) Den objektiven Tatbestand hat der Kläger im Streitfall dadurch erfüllt, dass er - nachdem er gegenüber der Beklagten ursprünglich erklärt hatte, nicht in einem Dienstverhältnis zu einem öffentlichen Arbeitgeber zu stehen - in seinem nur kurze Zeit später bei dem für ihn zuständigen LBV gestellten Kindergeldantrag nicht nur bewusst wahrheitswidrig erklärt hatte, innerhalb der letzten 6 Monate keinen weiteren Kindergeldantrag bei einer anderen Familienkasse gestellt zu haben, sondern dass er es darüberhinaus unterlassen hatte, die Beklagte spätestens in diesem Zeitpunkt über seine Tätigkeit im öffentlichen Dienst und den beim LBV gestellten Kindergeldantrag aufzuklären. Infolge seiner unterlassenen Mitteilung erlangte der Kläger aufgrund der doppelten Kindergeldfestsetzung einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil.

Die Mitteilungspflicht des Klägers im Streitfall ergibt sich aus § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG (FG Düsseldorf, Urteil vom 18. Juni 2009 15 K 37/09 Kg, EFG 2009, 1519). Danach hat derjenige, der Kindergeld beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen. Dieser Hinweis ist zudem ausdrücklich in beiden Antragsformularen (unmittelbar über dem Unterschriftsfeld) enthalten. Die Tätigkeit des Klägers im öffentlichen Dienst und seine Antragstellung beim LBV sind solche Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind. Denn der Erhalt von Bezügen durch das LBV führte wegen § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG dazu, dass im Verhältnis zur Beklagten kein Anspruch auf Kindergeldzahlung bestand. Hinzu kam im Streitfall der Umstand, dass der Kläger im Rahmen der Antragstellung beim LBV bewusst wahrheitswidrig erklärt hatte, innerhalb der letzten 6 Monate keinen weiteren Kindergeldantrag bei einer anderen Familienkasse gestellt zu haben.

Diese Mitteilungspflicht bestünde in Übrigen selbst dann, wenn der Kläger seine Tätigkeit im öffentlichen Dienst tatsächlich erst ab März 1997 aufgenommen haben sollte, was allerdings nicht festgestellt ist, worauf der erkennende Senat ausdrücklich hinweist. Der Kläger hat weder glaubhaft vorgetragen, wann er sich im öffentlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen beworben hat, noch das Datum seiner Einstellung noch den tatsächlichen Zeitpunkt der Aufnahme seines Dienstes, obwohl sich eine dahingehende prozessuale Mitwirkung angesichts seines Vortrags aufgedrängt hätte. Der Umstand, dass die Doppelzahlung des Kindergelds unstreitig bereits ab Februar 1997 erfolgt ist, deutet vielmehr daraufhin, dass der Kläger zumindest auch im Februar 1997 schon im öffentlichen Dienst gewesen ist und auch insoweit die Unwahrheit gesagt hat.

Dass die Verletzung seiner Mitteilungspflicht der Stellung eines unrichtigen Antrages gleichsteht, folgt nach Ansicht des Senates auch aus der Rechtsnatur der Kindergeldfestsetzung als Dauerverwaltungsakt (BFH-Beschluss vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Denn die Festsetzung aktualisiert sich in der Auszahlung jeweils zu Anfang des Monats auf der Grundlage des ursprünglich gestellten Antrags und wirkt darin fort. Deshalb kann der Fall nicht anders beurteilt werden, als wenn jeden Monat ein neuer Antrag gestellt und daraufhin das Kindergeld festgesetzt würde, sodass sich die Erklärungspflichten des Antragstellers nicht auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Antragstellung beschränken können (FG Düsseldorf im Urteil vom 18. Juni 2009 15 K 37/09 Kg, EFG 2009, 1519).

bb) Der Kläger hat der Beklagten nach Überzeugung des erkennenden Senats die Antragstellung beim LBV und seine Tätigkeit im öffentlichen Dienst vorsätzlich nicht mitgeteilt und damit auch den subjektiven Tatbestand des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung verwirklicht.

aaa) Die Erfüllung des subjektiven Tatbestands erfordert, dass der Steuerpflichtige mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Hierfür genügt es, wenn der Steuerpflichtige es für möglich hält und zugleich billigend in Kauf nimmt, dass er durch sein Verhalten eine Steuerhinterziehung verwirklicht (BFH-Urteile vom 16. Januar 1973 VIII R 52/69, BStBl II 1973, 273). Die eine Steuerhinterziehung ausfüllenden Tatbestandsmerkmale muss er dabei im Rahmen einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" zutreffend erfassen; bezogen auf den Fall der Steuerhinterziehung durch Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile bedeutet dies, dass er es zumindest für möglich halten muss, dass er auf die Gewährung oder Belassung der Vergünstigung keinen Rechtsanspruch hat bzw. dass die Voraussetzungen für die Gewährung nachträglich weggefallen sind (FG Düsseldorf im Urteil vom 18. Juni 2009 15 K 37/09 Kg, EFG 2009, 1519 m.w.N.).

bbb) Auch dem Kläger war vorliegend unstreitig bekannt, dass Kindergeld für jedes Kind nur einmal und nicht etwa mehrfach gewährt wird. Die Einlassung des Klägers, den doppelten Empfang des Kindergeld nicht bemerkt zu haben, betrachtet der erkennende Senat als nicht glaubhafte Schutzbehauptung. Den Erhalt der Kindergeldzahlungen durch die Beklagte, die dem Kläger gesondert überwiesen worden sind, bestreitet dieser nicht. Die Behauptung des Klägers, die Kindergeldzahlungen des LBV, die ihm zusammen mit seinem Arbeitslohn überwiesen worden sind, nicht bemerkt zu haben, hält der erkennende Senat bereits deshalb nicht für glaubhaft, weil der Kindergeldbetrag auf den Gehaltsabrechnungen des öffentlichen Arbeitgebers offen ausgewiesen wurde. Vor dem Hintergrund des offenen Ausweises der Kindergeldbeträge auf den Abrechnungen des LBV ist auch nicht glaubhaft, dass sich der Kläger - nachdem er den doppelten Erhalt des Kindergelds zunächst abgestritten hatte - am 27. Oktober 2008 zunächst dahin eingelassen hatte, er habe zwar doppelte Zahlungen erhalten, die Zahlungen der Beklagten aber irrtümlich als Zahlung des LBV interpretiert. Denn ein Betrag, der von der Familienkasse der Beklagten zusätzlich zum Gehalt gesondert überwiesen wird, kann vernünftigerweise nicht als Leistung des LBV interpretiert werden, welcher diesen Betrag in seinen Abrechnungen gesondert ausweist und ebenfalls überweist. Auch sonst waren die Einlassungen des Klägers widersprüchlich und erweislich unwahr. So hat der Kläger, nachdem er zunächst behauptet hatte, die Auszahlung des Kindergelds über das LBV sei automatisch und ohne ausdrücklichen Antrag des Klägers erfolgt, erst nach Vorhalt die doppelte Antragstellung bestätigt, dann aber trotz des geringen Zeitraums zwischen den Anträgen erklärt, das LBV versehentlich nicht über den bereits bei der Beklagten gestellten Antrag informiert zu haben. Nach alledem ist der erkennende Senat sogar von einem absichtlichen Handeln des Klägers überzeugt.

4. Schließlich erfolgte auch die Rückforderung der im streitigen Zeitraum erbrachten Kindergeldzahlungen durch die Beklagte zu Recht gemäß § 37 Abs. 2 AO. Voraussetzung für die Rückforderung von Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO ist, dass dieses ohne rechtlichen Grund gezahlt wurde. Der Rechtsgrund entfällt, wenn der Festsetzungsbescheid der Familienkasse zu Lasten des Anspruchsberechtigten aufgehoben oder geändert wird (BFH-Urteil vom 18. Mai 2006 III R 80/04, BFHE 214, 1, BStBl II 2008, 371), im Streitfall also durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung durch die Beklagte nach § 174 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AO.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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