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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 25.04.2007
Aktenzeichen: 10 K 4638/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 7g
EStG § 7g Abs. 4 S. 2
EStG § 7g Abs. 7 S. 1
EStG § 7g Abs. 7 S. 2 Nr. 1
EStG § 7g Abs. 7 S. 2 Nr. 3
EStG § 18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 4638/06

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, wann vom Kläger gebildete sog. Existenzgründerrücklagen nach § 7g EStG aufgelöst werden müssen.

Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute.

Der Kläger war in den Jahren bis einschließlich 1995 als Zahnarzt nichtselbständig tätig. In der Zeit vom 1. Oktober 1995 bis 31. Januar 1996 war er arbeitslos. In dieser Zeit machte er Praxisvertretungen. Hierfür erhielt er am 23. November 1995 zwei Zahlungen über jeweils 500,-- DM, am 8. Januar 1996 eine Zahlung über 2.400,-- DM und am 19. Januar 1996 eine Zahlung über 600,-- DM. Dies wurde dem früher zuständigen Finanzamt erst durch eine Kontrollmitteilung am 5. Oktober 1999 bekannt. Der Kläger hatte diese Beträge nicht in seinen Einkommensteuererklärungen 1995 und 1996 erklärt.

In den Einkommensteuererklärungen für 1995 vom 29. März 1996 und für 1996 vom 7. Mai 1997 machte der Kläger vorweggenommene Betriebsausgaben für eine Praxisneugründung geltend. Hierbei handelte es sich um Aufwendungen für Praxisbesichtigungen. Das früher zuständige Finanzamt berücksichtigte in den Einkommensteuerbescheiden für 1995 und 1996 dementsprechend negative Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit in Höhe von 2.780,-- DM (1995) und 1.761,-- DM (1996).

Im Jahre 1997 machte der Kläger sich selbständig. Er erstellte auf den 1. Januar 1997 eine Eröffnungsbilanz und ermittelte seinen Gewinn für das Jahr 1997 gemäß § 4 Abs. 1 EStG durch Bestandsvergleich.

Ab 1998 ermittelte der Kläger seinen Gewinn durch Einnahme-Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG. In den Gewinnermittlungen für seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit bildete der Kläger Ansparrücklagen nach § 7g Abs. 3 i.V.m. Abs. 6 EStG in Höhe von 7.500 DM (3.834,69 €) in 1998, 75.000,-- DM (38.346,89 €) in 1999 und 135.000,-- DM (69.024,40 €) in 2001. Das Finanzamt berücksichtigte die entsprechenden Aufwandsposten im Rahmen der bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagungen für die Jahre 1998 bis 2001. Der Kläger nahm bis Ende 2003 im Hinblick auf die gebildeten Ansparrücklagen keine Investitionen vor.

In der Gewinnermittlung für 1998 ist die Ansparrücklage unter den Betriebsausgaben wie folgt geltend gemacht worden: "Bildung Ansparabschreibungen nach § 7g Abs. 3, 6 EStG". Aus dem der Gewinnermittlung 2000 beigefügten Anlageverzeichnis ergibt sich, dass der Kläger in 2000 keine Investition in begünstigte Wirtschaftsgüter vorgenommen hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gewinnermittlungen der Jahre 1998 bis 2003 Bezug genommen.

Im Rahmen der Veranlagung für den Veranlagungszeitraum 2003 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 7g Abs. 7 EStG als Existenzgründer nicht erfülle. Bereits in den Jahren 1995 und 1996 seien Einkünfte aus selbständiger Arbeit durch Praxisvertretungen erzielt worden. Die in 1998, 1999 und 2001 gebildeten Rücklagen nach § 7g EStG seien gewinnerhöhend aufzulösen. Ferner sei in entsprechender Anwendung des § 7g Abs. 5 EStG ein Gewinnzuschlag in Höhe von 1.150,41 € (1998), 9203,25 € (1999) und 8.282,93 € (2001) vorzunehmen.

Der Beklagte erhöhte dementsprechend in dem Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 17. März 2006 den erklärten Gewinn aus selbständiger Arbeit um 129.842,57 € aus der Auflösung der Ansparrücklagen wegen Nichtanerkennung der Existenzgründereigenschaft.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2006, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, als unbegründet zurück.

Mit der Klage tragen die Kläger vor:

Er, der Kläger, sei im Rahmen der Praxisvertretungen nichtselbständig tätig geworden. Er sei in der Verwendung seiner Arbeitskraft in die Gewohnheiten der zu vertretenden Praxis derart eingegliedert gewesen, dass er in Bezug auf die Behandlungsmethoden an die Weisungen des Praxisinhabers gebunden war, so wie es auch für einen angestellten Assistenzarzt zutreffe. Es hätten durch ihn lediglich Schmerzpatienten behandelt werden dürfen. Seine Behandlung habe sich auch nur auf die kurzfristige Beseitigung der Schmerzen bezogen. Die Behebung der Ursachen der Schmerzen sowie die weiterführende Behandlung der Patienten sei dem Praxisinhaber vorbehalten gewesen. In der Art der Verwendung seiner Arbeitskraft sei er insoweit gebunden gewesen, dass eine bestimmte Art von Schmerz auch nur durch eine bestimmte Behandlung beseitigt werden konnte. Der gesamte Praxisablauf sowie die Materialbeschaffung sei durch die Mitarbeiterinnen auf Weisung des Praxisinhabers bewältigt worden. Er habe feste Arbeitszeiten gehabt, für die feste Bezüge vereinbart worden seien und evtl. Überstunden seien vergütet worden. Er habe somit kein unternehmerisches Risiko getragen und keinen Kapitaleinsatz benötigt. Alle Leistungen seien über den Praxisinhaber abgerechnet worden.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2003 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 6. Februar 2007 mit der Maßgabe zu ändern, dass die Einkünfte aus selbständiger Arbeit um 77.307,33 € (69.024,40 € und 8.282,93 €) gemindert werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat am 6. Februar 2007 einen Einkommensteueränderungsbescheid erlassen. In diesem hat er die Auflösung der für 1999 gebildeten Ansparrücklage in Höhe von 75.000,-- DM zurückgenommen, da diese erst in 2004 zu erfassen sei. Außerdem hat er den Gewinnzuschlag aus der Auflösung der 1998 gebildeten Rücklage in Höhe von 1.150,41 € herausgenommen.

Zur Begründung führt der Beklagte ergänzend zur Einspruchsentscheidung aus:

Er schließe sich hinsichtlich der Auflösung der Rücklage der Auffassung des Finanzgerichts Hamburg in dem Urteil vom 18. August 2005 III 404/04 (EFG 2006, 99) an. Eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume vor 2003 sei mangels Vorliegens einer Änderungsvorschrift nicht möglich. Außerdem sei davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 7g Abs. 3 EStG bei Bildung der Ansparrücklage vorlagen. Da der Kläger kein Existenzgründer gewesen sei, wäre die in 1998 gebildete Ansparrücklage in 2000 mit Zinszuschlag aufzulösen gewesen. Da die Einkommensteuerfestsetzung 2000 nicht mehr korrigiert werden könne, sei die Rücklage zu dem sich aus §§ 7g Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 EStG ergebenden Zeitpunkt, hier Ende des Veranlagungszeitraums 2003, ohne Zinszuschlag aufzulösen. Eine Auflösung zu einem beliebigen früheren Zeitpunkt, z.B. der ersten noch änderbaren Festsetzung, sei nicht zulässig. Für die in 2001 gebildete Ansparrücklage laufe die Frist des 7g Abs. 3 EStG mit Ablauf des Kalenderjahres 2003 ab. Zu diesem Zeitpunkt sei die Rücklage aufzulösen. Es habe eine Verzinsung nach § 7g Abs. 5 EStG zu erfolgen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.

Der angefochtene Einkommensteueränderungsbescheid ist jedenfalls nicht zu Ungunsten der Kläger rechtswidrig und verletzt diese deshalb nicht in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -.

Der Beklagte hat zu Recht die in den Gewinnermittlungen für 1998 und 2001 gebildeten Ansparrücklagen im Veranlagungszeitraum 2003 aufgelöst.

1. Die in 1998 gebildete Ansparrücklage war grundsätzlich gemäß § 7g Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG - mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 2000 gewinnerhöhend aufzulösen.

a) Nach dieser Vorschrift ist eine Rücklage am Ende des zweiten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres gewinnerhöhend aufzulösen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch vorhanden ist. Dies war im Streitfall der Fall, da der Kläger im Hinblick auf die 1998 gebildete Rücklage keine Investition getätigt hat.

b) Der Kläger war kein Existenzgründer, so dass eine Verlängerung der Investitionsfrist auf fünf Jahre gemäß § 7g Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 EStG ausscheidet.

Nach § 7g Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 EStG ist Existenzgründer nur eine natürliche Person, die innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Wirtschaftsjahr der Betriebseröffnung u.a. keine Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 - 3 EStG erzielt hat. Der Kläger hat jedoch in den Jahren 1995 und 1996 Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne des § 18 EStG erzielt und selber erklärt, die vom damals zuständigen Finanzamt auch berücksichtigt worden sind. Dass es sich hierbei um vorweggenommene Betriebsausgaben im Rahmen einer beabsichtigten Betriebseröffnung, die dann jedoch zunächst nicht erfolgt ist, handelt, ist unerheblich. Auf die Art und Höhe der Gewinneinkünfte kommt es nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 2.8.2006 XI R 44/05, BStBl II 2006, 903; Sächsisches Finanzgericht, Urteil vom 25. Januar 2005 1 K 1489/04, Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 941, BFH Az.: VIII R 75/05; Schmidt/Drenseck, EStG, 25. Auflage 2006, § 7g Rz. 28). Auf die Frage, ob der Kläger im Rahmen der Praxisvertretungen selbständig oder nichtselbständig tätig geworden ist, kommt es deshalb nicht an.

c) Die Einkünfte aus selbständiger Arbeit in 1995 und 1996 hängen nicht mit den aus der 1997 eröffneten Praxis erzielten Einkünften dergestalt zusammen, dass man von einer Praxiseröffnung in 1995 ausgehen könnte (s. hierzu FG Köln, Urteil vom 15.11.2006 13 K 82/06; zur Berechnung, wenn Beginn und Ende der Betriebseröffnung in zwei Veranlagungszeiträume fallen, s. Meyer/Ball, Finanzrundschau 1998, 984, 992 f.). Bei einer Arztpraxis kann vom Beginn der Praxiseröffnung frühestens zu dem Zeitpunkt ausgegangen werden, ab dem konkrete Bemühungen in Bezug auf die später tatsächlich eröffnete bzw. übernommene Praxis unternommen werden. Eine Arztpraxis wird entscheidend vom Patientenstamm geprägt. Solange deshalb nicht der Ort der Praxis zumindest in etwa feststeht, kann von einem Beginn der Praxiseröffnung nicht ausgegangen werden.

2. Da die Veranlagung des Jahres 2000 jedoch bereits bestandskräftig ist, ohne dass die Rücklage aufgelöst wurde, ist die ab 2001 zu Unrecht fortgeführte Rücklage im ersten noch offenen Veranlagungszeitraum aufzulösen. Nach Auffassung des Senats ergibt sich dies aus dem Gedanken, dass ein Bilanzierungsfehler im ersten noch offenen Veranlagungszeitraum zu berichtigen ist, wenn eine Berichtigung an der "Fehlerquelle" nicht mehr möglich ist. Der erste noch offene Veranlagungszeitraum ist im Streitfall das Jahr 2003.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 18. August 2005 III 404/04 (EFG 2006, 99) nicht einschlägig. Das Urteil ist dahingehend zu verstehen, dass eine Existenzgründerrücklage nach dem fünften Folgejahr ohne Gewinnzuschlag aufzulösen ist. Handelt es sich jedoch nicht um eine Existenzgründerrücklage, da es sich bei dem Steuerpflichtigen nicht um einen Existenzgründer handelt, kann auch nicht der Fünfjahreszeitraum gelten. Sollte das Urteil des FG Hamburg anders zu verstehen sein, könnte der erkennende Senat dem nicht folgen (vgl. hierzu auch Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28. April 2005 IV R 30/04 BFH/NV 2004, 1683).

3. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Beklagte ebenfalls zu Recht die in 2001 gebildete Rücklage im Veranlagungszeitraum 2003 aufgelöst hat, da der Kläger im Hinblick auf diese Rücklage keine Investitionen getätigt hat.

4. Ob der Beklagte zu Recht die in 1999 gebildete Rücklage erst in 2004 aufgelöst hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da er den angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheid 2003 nicht zu Ungunsten der Kläger ändern darf.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Rechtsprechung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfragen zu, ob negative Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, die im Rahmen einer später gescheiterten Praxisgründung entstanden sind, die Existenzgründereigenschaft ausschließen und wann eine Ansparrücklage gewinnerhöhend aufzulösen ist.



Ende der Entscheidung

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