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Gericht: Finanzgericht Köln
Beschluss verkündet am 23.01.2008
Aktenzeichen: 10 K 6227/04
(1)
Rechtsgebiete: FGO, EStG
Vorschriften:
FGO § 138 Abs. 1 | |
EStG § 46 Abs. 2 | |
EStG § 52 Abs. 55j |
Finanzgericht Köln
Tenor:
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Gründe:
Die Beteiligten haben übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid im Anschluss an die - rückwirkende - Aufhebung der Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zur Durchführung der Einkommensteuerveranlagung (Art. 1 Nr. 30 Buchst. w i.V.m. des Art. 1 Nr. 37 Buchst. m1 Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007 - JStG 2008 -, BGBl I 2007, 3150/3157) aufgehoben und sich zu einer Durchführung der begehrten Einkommensteuerveranlagung verpflichtet hatte. Deshalb war nunmehr gemäß § 138 FGO durch Beschluss über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
I.
Keine Anwendung findet im Streitfall allerdings die Vorschrift des § 138 Abs. 2 FGO, die eine Kostentragung durch die beklagte Behörde vorsieht, soweit ein Rechtsstreit dadurch erledigt wird, dass dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben wird. Denn § 138 Abs. 2 FGO ist - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall der Untätigkeitsklage - nur in Verfahren aufgrund von Anfechtungsklagen anwendbar (BFH-Beschluss vom 28. April 1992 VII B 48/92, BFH/NV 1993, 320; Gräber/Ruban, FGO, 6. Aufl., § 138 Rz. 32). Im Streitfall geht es hingegen um die Verpflichtung der beklagten Behörde zur Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung (Verpflichtungsklage).
II.
Die Kostenentscheidung ist deshalb nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen. Danach hat das Gericht nach billigem Ermessen über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Hierbei ist der mutmaßliche Ausgang des Verfahrens ohne das erledigende Ereignis zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 28. April 1992 VII B 48/92, BFH/NV 1993, 320). Vor diesem Hintergrund hält es der beschließende Senat für angemessen, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da der Klage ohne das erledigende Ereignis der Erfolg nicht zu versagen gewesen wäre. Denn die Vorschrift des § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w JStG 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878/2887, BStBl I 2007, 28/37), auf welche der Beklagte die ursprüngliche Ablehnungsentscheidung geschützt hatte, war insoweit mit dem Grundgesetz unvereinbar, als sie den Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 39 des JStG 2007 (BGBl I 2006, 2878/2885, BStBl I 2007, 28/35), der die Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR begrenzt, auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 erweiterte (Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot).
1. Gesetzliche Regelung und Rechtsentwicklung
a) Inhalt der gesetzlichen Regelung
Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG wird die Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird (Antragsveranlagung). Der Antrag war gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen. Eine zwingende Veranlagung von Amts wegen unabhängig von der Erklärungsabgabe innerhalb der Zweijahresfrist (Amtsveranlagung) war hingegen u. a. nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der für das Streitjahr 2000 geltenden Fassung in den Fällen vorgesehen, in denen die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterworfen war, ..., jeweils mehr als 800 DM betrug (zur Rechtsentwicklung im Einzelnen vgl. die dezidierte Darstellung in den Vorlagebeschlüssen des BFH vom 22. Mai 2006 VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808 und VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820).
Nachdem der BFH mit Urteilen vom 21. September 2006 VI R 47/05 (BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47) und VI R 52/04 (BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45) die Voraussetzungen einer Amtsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG (nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfene Einkünfte von mehr als 800 DM/410 EUR) entgegen der bis dahin gängigen Verwaltungsansicht auch dann bejaht hatte, wenn es durch negative Einkünfte zur Grenzbetragsüberschreitung kam, wenn also Verluste von über 800 DM (410 EUR) angefallen waren, änderte der Gesetzgeber die Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch Art. 1 Nr. 39 des JStG 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878/2885, BStBl I 2007, 28/35) erneut dahin, dass die Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR begrenzt wurde. In § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des JStG 2007 ist die Geltung dieser geänderten Fassung auch für Veranlagungszeiträume vor 2006 vorgeschrieben, im Streitfall also auch für das Streitjahr.
2. Bedeutung der im Streitfall maßgeblichen Vorschriften, ihre rechtliche Beurteilung in Rechtsprechung und Schrifttum
a) Die Tatbestände, in denen eine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt wird, wenn das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit besteht, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, sind in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG abschließend aufgezählt. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift durch die Verwendung des Wortes "nur" als auch aus § 25 EStG, während § 149 Abs. 1 AO 1977 lediglich die Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Abgabe von Steuererklärungen betrifft. Liegen die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 nicht vor, ist eine Veranlagung durch die Finanzbehörde deshalb auch dann nicht möglich, wenn sie den Steuerpflichtigen zuvor - und sei es auch unter Androhung von Zwangsmitteln - zur Abgabe der Steuererklärung aufgefordert hatte (BFH-Beschluss vom 22. Mai 2006 VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820; zu im Streitfall nicht einschlägigen Einschränkungen des Anwendungsbereichs der Vorschrift, vgl. Hollatz, NWB Heft 48/2006, Fach 6, S. 4733 ff.).
b) Bei der zweijährigen Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG handelte es sich um eine nicht verlängerbare gesetzliche Ausschlussfrist. Sie wurde weder durch die Übersendung von Erklärungsvordrucken noch die Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen oder die Festsetzung eines Zwangsgelds zur Erzwingung der Einkommensteuererklärung erweitert (BFH-Beschlüsse vom 22. Mai 2006 VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808 und VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820, unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 14. März 1989 I R 77/85, BFH/NV 1991, 311). Deshalb kam nach Ablauf der Frist - unabhängig vom Stand der Veranlagungsarbeiten - eine Veranlagung nur noch bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (BFH-Urteil vom 22. Mai 2006 VI R 51/04, BFHE 214, 145, BStBl II 2006, 833).
c) Der VI. Senat des BFH hat mit seinen Vorlagebeschlüssen vom 22. Mai 2006 VI R 49/04 (BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808) und VI R 46/05 (BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820) eine Entscheidung des BVerfG über die Vereinbarkeit der zweijährigen Antragsfrist im Rahmen des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG mit dem Grundgesetz eingeholt. Die Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG bewirke, dass Steuerpflichtige, die nur auf Antrag zur Einkommensteuer veranlagt werden, die Veranlagung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres beantragen müssten, während Steuerpflichtige, die von Amts wegen zur Einkommensteuer veranlagt werden, die Durchführung der Veranlagung noch bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden siebten Kalenderjahres erreichen könnten. Ausgehend vom Zweck der Vorschrift, der sowohl für die Antrags- als auch für die Amtsveranlagung nach § 46 EStG darin bestehe, über die Veranlagung die verfassungsrechtlich gebotene Lastengleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen herzustellen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 13. Dezember 1967 1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70), sieht der VI. Senat in der in erster Linie im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung zur Anwendung kommenden Antragsfrist einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Da nicht erkennbar sei, dass die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für die öffentlichen Haushalte zu untragbaren finanziellen Folgen führen würde, rechtfertigten auch Gründe der Budgetsicherheit die Ungleichbehandlung durch die Antragsfrist nicht. Eine abschließende Entscheidung über die vom VI. Senat aufgeworfenen Fragen steht noch aus (vgl. dazu anhängige Verfahren beim BVerfG 2 BvL 55/06 und 2 BvL 56/06).
d) Mit der Verfassungsmäßigkeit der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des Jahressteuergesetzes 2007, der die Begrenzung der Amtsveranlagung durch die Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 erweitert, hat sich bisher das Niedersächsische FG im Urteil vom 25. April 2007 2 K 379/04 (DStR 2007, 1477) befasst. Es befürwortet eine einschränkende (verfassungskonforme) Auslegung dahin, dass die Änderung nicht diejenigen Fälle erfasse, in denen die zweijährige Antragsfrist bei Inkrafttreten des JStG 2007 bereits abgelaufen ist.
Der vorlegende Senat teilt diese Ansicht nicht. Die verfassungskonforme Auslegung einer gesetzlichen Regelung ist zulässig und auch geboten, wenn diese mehrere Deutungen zulässt, von denen nur eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt (BFH-Urteil vom 18. Mai 1994 IV R 85/93, BFHE 175, 451, BStBl II 1995, 67). Dieser Grundsatz erlaubt es allerdings nicht, jede überschießende Norm auf ihr verfassungsrechtlich zulässiges Maß zu reduzieren. Die verfassungskonforme Auslegung findet - wie jede Form der Auslegung - ihre Grenze an dem eindeutigen Wortlaut und dem Sinn und Zweck der betreffenden gesetzlichen Vorschrift. Das bedeutet, dass sich aus dem Wortlaut der einzelnen Norm oder dem System-Zusammenhang der Vorschriften im Gesetz insgesamt zumindest ein Anhaltspunkt für die ins Auge gefasste verfassungskonforme Auslegung ergeben muss. Ist dies nicht der Fall, würde durch die Auslegung der normative Regelungsinhalt erst geschaffen oder neu bestimmt. Dies kann nicht durch die Gerichte geschehen, weil sie damit einen Akt der Rechtsetzung vornehmen würden, der dem Gesetzgeber vorbehalten ist (BVerfG vom 8. Januar 1959 1 BvR 425/52 BVerfGE 9, 83, BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1977 1 BvL 23/75 BVerfGE 45, 393, BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284).
Im Streitfall bietet weder der unmittelbare Wortlaut des § 52 Abs. 55j EStG noch der Systemzusammenhang der einkommensteuerrechtlichen Vorschriften ein Anhaltspunkt für die vom Niedersächsischen FG vorgenommene restriktive Auslegung. Dort wird ohne Einschränkung die Anwendung der Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG "auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006" angeordnet. Letztlich wollte der Gesetzgeber mit der Anwendungsvorschrift rückwirkend eine Rechtslage kodifizieren, die der Verwaltungsmeinung bis zum Ergehen der BFH-Urteile vom 21. September 2006 VI R 47/05 (BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47) und VI R 52/04 (BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45) entsprach. Entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG vertritt der vorlegende Senat deshalb hinsichtlich des Regelungsgehaltes des § 52 Abs. 55j EStG die Auffassung, dass er die Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das JStG 2007 mit Rückwirkung für alle bei den jeweiligen Steuerpflichtigen noch offenen Veranlagungszeiträume vor 2006 versieht und damit auch für die Vergangenheit die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer in Fällen einer Überschreitung des Grenzbetrags nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG von 800 DM (410 EUR) durch negative Einkünfte (Verluste) auf der Grundlage der o. a. BFH-Urteile verhindert, wenn die Einkommensteuererklärung nicht innerhalb der zweijährigen Antragsfrist der Nr. 8 abgegeben worden ist.
3. Aus diesem Grund hält das vorlegende Gericht § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des Jahressteuergesetzes 2007 für verfassungswidrig. Es sieht in der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Neuregelung zu § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das JStG 2007 (Begrenzung der Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR) auf Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2004 (die Antragsfrist für den VZ 2004 endete am 31. Dezember 2006) einen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Verbot der Rückbewirkung von Rechtsfolgen (echte Rückwirkung).
a) Für das Steuerrecht gibt es allerdings - anders als für das Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG) - kein explizites und absolutes verfassungsrechtliches Rückwirkungsverbot. Der Erlass rückwirkender belastender Steuergesetze wird vielmehr durch die allgemeinen aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsätze begrenzt (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67/78; BFH-Urteil vom 14. März 2006 I R 1/04, BFH/NV 2006, 1222, BFHE 213, 38, BStBl II 2006, 549). Nach der vom BVerfG für die Frage zulässiger Rückwirkung entwickelten Systematik ist zu differenzieren zwischen der "Rückbewirkung von Rechtsfolgen" ("echte" Rückwirkung) und der tatbestandlichen Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung).
aa) Nach diesen Grundsätzen entfaltet eine Rechtsnorm Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist. Der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm bestimmt, in welchem Zeitpunkt die Rechtsfolgen einer gesetzlichen Regelung eintreten sollen. Die Eigenart rückwirkender Gesetze besteht darin, dass sie eine bis zu ihrem Inkrafttreten bestehende Rechtslage mit Wirkung für die Vergangenheit durch neues Recht ordnen. Die Rückbewirkung von Rechtsfolgen bzw. eine "echte" Rückwirkung liegt deshalb vor, wenn angeordnet wird, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten und damit nachträglich in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen wird und die Rechtsfolgen zum Nachteil des Bürgers geändert werden, die ursprünglich an diese Tatbestände geknüpft waren (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547: Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 242 ff., BStBl II 1986, 628: Grenzen zulässiger Rückwirkung von Steuergesetzen, AStG; BFH-Beschluss vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259: Vorlagebeschluss).
Demgegenüber betrifft die tatbestandliche Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung) nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind; die Norm macht mithin den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig. Diese Tatbestände, die den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig machen, berühren vorrangig die Grundrechte und unterliegen weniger strengen Beschränkungen als die Rückbewirkung von Rechtsfolgen. Für das Einkommensteuerrecht kommen je nach Art der betroffenen Einkünfte und der Wege, auf denen sie erzielt worden sind, namentlich Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 sowie Art. 2 Abs. 1 GG als betroffene Rechte in Betracht (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547: Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 242 ff., BStBl II 1986, 628: Grenzen zulässiger Rückwirkung von Steuergesetzen, AStG).
bb) Der Eingriff in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt, durch die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten (Rückbewirkung von Rechtsfolgen, "echte" Rückwirkung), ist besonders einschneidend und daher grundsätzlich unzulässig. Denn der Gesetzgeber greift mit der Rückbewirkung von Rechtsfolgen nicht nur in Dispositionen des Steuerpflichtigen ein, sondern er verstößt zusätzlich auch gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit, welches das Vertrauen in den Bestand der ursprünglich geltenden Rechtsfolgenlage schützt und seinen verfassungsrechtlichen Grund im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG findet. Dieses erlaubt grundsätzlich nur solche belastende Gesetze, deren Rechtsfolgen frühestens mit der Verkündung beginnenden Zeitraum eintreten. Der von einem Gesetz Betroffene muss grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer Neuregelung darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände im nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten. Das BVerfG hält die Rückbewirkung von Rechtsfolgen daher grundsätzlich für unzulässig, ohne dass es - anders als bei tatbestandlicher Rückanknüpfung - einer Betätigung des Steuerpflichtigen im Vertrauen auf die alte Rechtslage bedarf (vgl. BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 285; BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547: Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200-278, BStBl II 1986, 628: Grenzen zulässiger Rückwirkung von Steuergesetzen, AStG; P. Kirchhof, StuW 2000, 221, 222, 224, 227).
Eine tatbestandliche Rückanknüpfung ist demgegenüber grundsätzlich zulässig, da es kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Unabänderlichkeit der Rechtsordnung gibt. Im Einzelfall abzuwägen ist das Bedürfnis des Staates und des Steuerpflichtigen. Unzulässig kann eine tatbestandliche Rückanknüpfung deshalb nur sein, wenn der Steuerpflichtige sich im Vertrauen auf die alte Rechtslage betätigt und Dispositionen vorgenommen hat. Nur im Falle einer Betätigung im Vertrauen auf die alte Rechtslage bedarf er eines Schutzes durch die Rechtsordnung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 5. Mai 1987 1 BvR 724, 1000, 1015/81, 1 BvL 16/82 und 5/84, BVerfGE 75, 246, 280).
b) Die Differenzierung des BVerfG wird teilweise für überholt und unpraktikabel gehalten. Sie habe bisher keinen überzeugenden Vertrauensschutz für die Dispositionen des Steuerpflichtigen hervorzubringen vermocht. Daher wird gefordert, von einem einheitlichen, dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriff auszugehen (Albert, Vertrauensschutz und rückwirkende Besteuerung, IFSt-Schrift Nr. 431/2005, S. 71 ff., 86 ff.; Birk, Die Verwaltung Bd. 35, 91, 109, 111, Friauf, BB 1972, 669, 675; Lang, Die Wirtschaftsprüfung 1998, 163 ff. und in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., § 4 Rz. 178; Schaumburg, DB 2000, 1884 ff.; Jachmann, ThVBl 1999, 269 ff.; ausführlich Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 245 ff., m.w.N.). Rückwirkung soll danach vorliegen, wenn ein Gesetz Rechtsfolgen für Vertrauensbetätigungen ändere, die vor dem endgültigen Änderungsbeschluss des Gesetzgebers oder der Verkündung des Gesetzes als abgeschlossen zu beurteilen seien (Lang, WPg 1998, 163, 172).
c) Die kritischen Stimmen im Schrifttum rechtfertigen es nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nicht, die bisherige Rückwirkungsdogmatik aufzugeben. Daher folgt das Gericht dem BFH im Vorlagebeschlussvom 16. Dezember 2003 IX R 46/02 (BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284 BFH/NV 2004, 412; ebenso für ein - wenn auch modifiziertes - Festhalten an der bisherigen Rückwirkungsdogmatik Seer/Drüen, Rückwirkender Steuerzugriff, FR 2006, 661/668) und hält auch im Streitfall an der Differenzierung zwischen der "Rückbewirkung von Rechtsfolgen" (echte Rückwirkung) einerseits und der "tatbestandlichen Rückanknüpfung" (unechte Rückwirkung) andererseits fest.
aa) Dabei verkennt das vorlegende Gericht nicht die Problematik, die sich im Rahmen der bisherigen Rückwirkungsdogmatik gerade in Einkommensteuerangelegenheiten aus dem gesetzlich normierten Entstehungszeitpunkt der Steuer ergibt. So handelt es sich bei der Einkommensteuer um eine Jahressteuer, die im Regelfall erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht (§ 36 Abs.1 EStG). Gleichwohl stellt der I. Senat des BFH für die Frage, ob einer Norm nachträglich in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift, zu Recht darauf ab, wann der Tatbestand der Einkommensteuer durch einen bestimmten tatsächlichen Vorgang erfüllt oder vollendet wurde, weil die Einkommensteuer in der Sache an eine Vielzahl von Einzeltatbeständen anknüpft, die teils steuerbegründenden, teils steuermindernden Charakter haben. So steht die Steuerpflicht mit der Verwirklichung aller Merkmale eines bestimmten Besteuerungstatbestands dem Grunde nach bereits fest, während der Regelung des § 36 Abs. 1 EStG lediglich besteuerungstechnische Bedeutung beizumessen sei (BFH-Beschluss vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259).
bb) Dem ist das BVerfG im Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83 (BVerfGE 72, 200-278, BStBl II 1986, 628) allerdings nur eingeschränkt gefolgt und stellt sowohl für die Steuerpflichtigkeit als auch für die Steuerfreiheit von Einkünften auf den Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums ab. Danach liegt eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen ("echte" Rückwirkung) erst dann vor, wenn eine nach Ablauf des Veranlagungszeitraums verkündete Norm mit Wirkung für diesen Zeitraum eine ursprünglich geltende steuerliche Rechtsfolgenlage nachträglich ändert. In allen anderen Fällen, in denen die Änderung noch während des Laufs des Veranlagungszeitraums verkündet wird, liegt lediglich eine Neubestimmung einer bislang noch nicht eingetretenen Rechtsfolge vor (ebenso BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547: Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen).
cc) Trotz der sich aus diesen unterschiedlichen Betrachtungen ergebenden Abgrenzungsproblematik will das vorlegende Gericht nach wie vor an der Abgrenzung zwischen der "Rückbewirkung von Rechtsfolgen" (echte Rückwirkung) einerseits und der "tatbestandlichen Rückanknüpfung" (unechte Rückwirkung) andererseits festhalten. Dafür spricht zum einen, dass aus einer reinen dispositionsorientierten Sichtweise nicht automatisch ein einheitlicher Rückwirkungsbegriff abzuleiten ist (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284 BFH/NV 2004, 412; ebenso bereits Seer/Drüen, Rückwirkender Steuerzugriff, FR 2006, 661/668). Darüber hinaus geht es bei der Bewertung von in die Vergangenheit reichenden Gesetzesänderungen eben nicht nur um einen Vertrauensschutz. Denn unabhängig von dem Schutzbedürfnis, das Vermögensdispositionen zukommt, die im Vertrauen auf eine vergangene Rechtslage getätigt wurden, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber bei einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen nicht nur in Dispositionen des Steuerpflichtigen eingreift, sondern zusätzlich auch gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit verstößt. Allein dieser Verstoß verbietet (von Ausnahmefällen abgesehen, s. u.) die Rückbewirkung von Rechtsfolgen. Der einzelne Staatsbürger ist eben nicht der Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers in Abhängigkeit zur jeweiligen Haushaltslage überantwortet.
d) Gemessen daran ist im Streitfall in der Vorschrift des § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. d. JStG 2007 entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG im Urteil vom 25. April 2007 2 K 379/04 (DStR 2007, 1477) eine "Rückbewirkung von Rechtsfolgen", also ein Fall grundsätzlich unzulässiger "echter Rückwirkung", gegeben. Obwohl der Lebenssachverhalt der Erzielung von Einkünften in den vergangenen Veranlagungszeiträumen längst abgeschlossen war, versah die Anwendungsregelung die Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das JStG 2007 mit Rückwirkung für alle bei den jeweiligen Steuerpflichtigen noch offenen Veranlagungszeiträume vor 2006 und verhinderte damit auch für die Vergangenheit die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer in Fällen einer Überschreitung des Grenzbetrags nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG von 800 DM (410 EUR) durch negative Einkünfte (Verluste) auf der Grundlage der BFH-Urteile vom 21. September 2006 VI R 47/05 (BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47) und VI R 52/04 (BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45), wenn die Einkommensteuererklärung nicht innerhalb der zweijährigen Antragsfrist der Nr. 8 abgegeben worden war. Es handelte sich mithin um ein Geschehen, das zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung für die Veranlagungszeiträume vor 2006 sowohl tatsächlich als auch rechtlich längst abgeschlossen war. Bei hinreichenden negativen Einkünften wäre eine Veranlagung ohne die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 55j EStG jedenfalls für alle Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2004 auch außerhalb der Zweijahresfrist bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist ohne weiteres möglich gewesen. Die erst zum Ende des Veranlagungszeitraums 2006 verkündete Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 55j EStG griff - unabhängig von den sich aus § 36 Abs. 1 EStG ergebenden Fragen - nachträglich in diese ursprüngliche Rechtslage ein und ändert sie zum Nachteil des Steuerbürgers.
e) Das für Fälle der Rückbewirkung von Rechtsfolgen bestehende rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot darf nur ausnahmsweise aus zwingenden Gründen des gemeinen Wohls durchbrochen werden, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, oder wegen eines nicht - oder nicht mehr - vorhandenen schutzbedürftigen Vertrauens des Einzelnen. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Fälle des generell fehlenden oder nicht mehr vorhandenen schutzwürdigen Vertrauens falltypisch entwickelt worden, ohne dass diese Falltypen allerdings erschöpfend wären (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547: Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200/258 ff., BStBl II 1986, 628; ferner BFH-Beschluss vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259: Vorlagebeschluss). Von diesen Falltypen ist keiner dem Streitfall auch nur ansatzweise vergleichbar.
aa) Kein schutzwürdiges Vertrauen wegen zu erwartender Regelung
Eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen mangels schutzwürdigen Vertrauens ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zunächst dann möglich, wenn der Bürger in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, bereits mit der Regelung rechnen musste und sich deshalb nicht auf den durch die bisherige Rechtslage erzeugten Rechtsschein verlassen durfte (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547; BVerfG-Beschluss vom 31. März 1965 2 BvL 17/63, BVerfGE 18, 429, 439; BFH-Beschluss vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259: Vorlagebeschluss). Das ist im Streitfall nicht erkennbar. Der BFH hat in seinen Vorlagebeschlüssen zu § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG und den übrigen zu § 46 Abs. 2 EStG ergangenen Entscheidungen aus dem Jahr 2006 dezidiert dargelegt, dass der Gesetzgeber in mehreren Vorschriften des Einkommensteuergesetzes zwischen positiven und negativen Einkünften ausdrücklich differenziert hat. Aus der Norm selbst ergab sich kein Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei der ursprünglichen Beschränkung auf den Begriff der "Einkünfte" in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG um einen handwerklichen Fehler des Gesetzgebers handelte, mit dessen Korrektur gerechnet werden musste. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift, sowohl über die Antrags- als auch über die Amtsveranlagung die verfassungsrechtlich gebotene Lastengleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen herzustellen (BVerfG-Beschluss vom 13. Dezember 1967 1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70), drängte sich eine Auslegung des Begriffs der "Einkünfte" in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG im umfassenden Sinn des § 2 EStG vielmehr geradezu auf, um die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer zu ermöglichen statt sie zu verhindern. Denn die Abweichung des Lohnsteuerabzugs von der materiell richtigen Einkommensteuer gewinnt nicht nur mit zunehmend höheren positiven, sondern auch mit zunehmend höheren negativen Nebeneinkünften wachsende Bedeutung (BFH-Urteile vom 21. September 2006 VI R 47/05, BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47 und VI R 52/04, BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45).
bb) Kein schutzwürdiges Vertrauen bei unklarer Rechtslage
Daneben verneint die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ein schutzwürdiges Vertrauen dann, wenn die bis zur Neuregelung bestehende Rechtslage unklar oder verworren war (BVerfG-Beschluss vom 31. März 1965 2 BvL 17/63, BVerfGE 18, 429, 439; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628). Nach den Ausführungen unter aa) und der klaren Begriffsbestimmung in § 2 EStG kann im Streitfall jedoch auch von einer unklaren oder verworren Rechtslage keine Rede sein.
cc) Kein schutzwürdiges Vertrauen wegen verfassungswidriger Lücke
Ferner wird ein schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen verneint, wenn durch die Neuregelung eine verfassungswidrige Lücke im bisherigen System der inländischen Einkommensbesteuerung geschlossen worden ist (BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200-278, BStBl II 1986, 628). Da mit der Veranlagung Steuerüber- und -untererhebungen ausgeglichen werden sollen, die im Lohnsteuerverfahren systembedingt auftreten, könnte von einer planwidrigen Unvollständigkeit in diesem Sinne durch die bisherige Regelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG allerdings nur ausgegangen werden, wenn das Missverhältnis, mit dem der Gesetzgeber Steueruntererhebungen auf der einen Seite durch eine lange Festsetzungsfrist begegnet, und seine sehr weit gehende Tolerierung von Steuerübererhebungen auf der anderen Seite (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 22. Mai 2006 VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808 und VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820) in irgend einer Weise verfassungsrechtlich verankert wären. Davon kann jedoch keine Rede sein.
dd) Kein schutzwürdiges Vertrauen in Bagatellsachen
Darüber hinaus hat das BVerfG ein schutzwürdiges Vertrauen in sog. Bagatellsachen abgelehnt (BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200/258 ff., BStBl II 1986, 628). Dass in der erheblichen Einschränkung der Amtsveranlagung für Steuerübererhebungen in § 46 EStG keine Bagatellsache zu sehen ist, bedarf keiner weiteren Erörterung.
ee) Teilweise verschwimmen in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auch die zwingenden Gründe des Gemeinwohls mit der Frage schutzwürdigen Vertrauens, etwa wenn der Steuerpflichtige mit einer Neuregelung rechnen musste. So wurden zwingende Gründe des gemeinen Wohls etwa für den Fall der Aufhebung/Änderung einer als wirtschaftlich unsinnig erkannten Steuervorschrift für die Zeit bejaht, die das rechtsstaatliche Gesetzgebungsverfahren notwendig erforderte. Diese Zeit sollte von den Steuerpflichtigen nicht dazu genutzt werden können, um den Gesetzgeber durch die Erfüllung des bisherigen Subventionstatbestands noch vor dem Beschluss über die Gesetzesänderung zuvorzukommen (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547: Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen). Eine solche Situation war im Streitfall jedoch wie bereits ausgeführt nicht gegeben.
Auch sonst sind zwingende Gründe des gemeinen Wohls für die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 55j EstG i. D. F. d. JStG 2007, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet wären, nicht ersichtlich. Das Vorliegen solcher Gründe wird erwogen, wenn die Gesetzesänderung dazu dienen soll, den aus dem Verfassungsrecht abzuleitenden Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu verwirklichen, ohne ihm allerdings generell Vorrang gegenüber dem Grundsatz der Rechtssicherheit einzuräumen (Vorlagebeschluss des BFH vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259). Die für verfassungswidrig gehaltene Vorschrift diente jedoch gerade nicht der Richtigkeit und damit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, sondern lediglich dem verwaltungstechnischen Abschluss des Veranlagungszeitraums, um die Zeitnähe der Besteuerung sicherzustellen, und ist in Fällen der vorliegenden Art vielmehr geeignet, eine Ungleichbehandlung zwischen Über- und Untererhebung zu zementieren. Der Wunsch des Gesetzgebers, einerseits Rückzahlungsverpflichtungen aus Übererhebungen der Einkommensteuer möglichst frühzeitig zu entgehen und Steueruntererhebungen andererseits durch eine lange Festsetzungsfrist zu begegnen, war kein zwingender Grund des gemeinen Wohls. Denn auch der Gesetzgeber selbst gab nicht vor, dass das gemeine Wohl von der Zementierung einer im Einzelfall materiell rechtswidrig zu hoch erhobenen Steuer abhängt.
Ende der Entscheidung
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