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Gericht: Finanzgericht Köln
Beschluss verkündet am 28.11.2007
Aktenzeichen: 10 K 6227/04
Rechtsgebiete: GG, BVerfGG, EStG, JStG 200


Vorschriften:

GG Art. 100 Abs. 1 S. 1
BVerfGG § 80 Abs. 1
EStG § 46 Abs. 2 Nr. 1
EStG § 52 Abs. 55j
JStG 2007 Art. 1 Nr. 39
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

10 K 6227/04

Tenor:

Das Verfahren wird gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ausgesetzt.

Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 (JStG 2007 - BGBl I 2006, 2878/2887, BStBl I 2007, 28/37) insoweit mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, als er den Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 39 des JStG 2007 (BGBl I 2006, 2878/2885, BStBl I 2007, 28/35), der die Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR begrenzt, auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 erweitert.

Gründe:

I. Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer für das Jahr 2000 zu Recht wegen Versäumung der Zweijahresfrist abgelehnt hat.

Der Kläger ist Betriebswirt und war als leitender Angestellter bei Unternehmen der Versicherungsbranche tätig. Bis Ende 2000 bewohnten die Kläger ein ihnen gehörendes Wohnobjekt in der Stadt B (Bundesland C). Die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit beliefen sich für 1997 auf rd. 170.000 DM, für 1998 auf rd. 150.000 DM und für 1999 auf rd. 215.000 DM. Ihre Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1997 bis 1999 gaben sie beim damals zuständigen FA G ab. Dieses führte die Veranlagung der Kläger für die Jahre 1997 und 1998 mit Vermietungsverlusten von über 50.000 DM bzw. 20.000 DM zur Einkommensteuer durch.

Im Zuge eines Arbeitsplatzwechsels verzogen die Kläger Ende des Jahres 2000 in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Das ihnen gehörende Wohneigentum in der Stadt B, H-Str. veräußerten sie mit notariellen Vertrag vom 10. November 2000. Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1999 übersandten die Kläger im März 2001 an das FA G, welches die Steuererklärung noch im gleichen Monat an den wegen des Wohnsitzwechsels zwischenzeitlich für die Einkommensteuerveranlagung der Kläger zuständig gewordenen Beklagten weiterleitete (vgl. Schreiben des Beklagten vom 14. Januar 2004). Zuvor hatte der Beklagte die Kläger bereits mit Schreiben vom 24. Januar 2001 betreffend Einkommensteuer 2000 angeschrieben, um die Voraussetzungen einer möglicherweise steuerpflichtigen Veräußerung des Grundstücks in der Stadt B abzuklären. Im Juni 2001 veranlagte der Beklagte die Kläger mit Vermietungsverlusten von insgesamt rd. 14.000 DM zur Einkommensteuer für das Jahr 1999 (GA Bl. 19).

Im Dezember 2003 reichten die Kläger beim Beklagten die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2001 ein, mit dem ergänzenden Hinweis, die Unterlagen betreffend das Jahr 2002 demnächst übersenden zu wollen. Außerdem führte der Kläger aus, dass ihm beim Ausfüllen der Formulare aufgefallen sei, dass ihm noch kein Steuerbescheid für das Jahr 2000 vorliege. Die Steuererklärung für das Jahr 2000 habe er im Mai 2001 an das damals für ihn zuständige FA G gesandt, an welches er im März 2001 auch die Steuererklärung für das Jahr 1999 übersandten habe. Während die Kläger für 1999 im Juni 2001 vom Beklagten veranlagt worden seien, hätten sie von der Veranlagung für das Jahr 2000 nichts mehr gehört.

Darauf wandte sich der Beklagte im Januar 2004 an das FA G mit der Bitte um Prüfung der Angaben des Klägers. Dieses erklärte, dass ihm weder eine Steuererklärung der Kläger für das Jahr 2000 vorliege noch sonst eine Veranlagung für 2000 durchgeführt worden sei.

Mit Schreiben vom 1. Juni 2004 wandte sich der Kläger erneut an den Beklagten mit dem Hinweis, dass der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 nach wie vor ausstehe. Offensichtlich habe das FA G dem Beklagten die Steuererklärung für 2000 und die anliegenden Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt. Vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, um eine Veranlagung auf der Basis der noch vorhandenen Zweitexemplare bewirken zu können. Die ausstehende Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 wurde dem Beklagten allerdings nicht mit übersandt.

Der Beklagte lehnte den Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem vorliegend streitgegenständlichen Verwaltungsakt vom 15. Juni 2004 ab, weil die Übersendung der Steuererklärung und der Unterlagen betreffend das Jahr 2000 an das FA G nicht nachgewiesen worden sei.

Erst mit ihrem dagegen gerichteten Einspruch vom 15. Juli 2004, beim Beklagten eingegangen am 16. Juli 2004, übersandten die Kläger kopierte Steuererklärungsformulare, die auf den 23. Mai 2001 datiert waren und in der Kopfzeile das FA G als Adressat auswiesen. Es handelte sich einerseits um die Kopie eines Antrags auf Gewährung einer Eigenheimzulage für das Objekt "M-Str." in der Stadt D und die Kopie einer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000. Ergänzend führten die Kläger aus, die ordnungsgemäße Absendung der Einkommensteuererklärung 2000 im Mai 2001 an das FA G nicht nachweisen zu können, da sie als Privatleute kein Postausgangsbuch führten. Erklärt waren für das Jahr 2000 u. a. ein Bruttoarbeitslohn von 310.000 DM sowie Vermietungsverluste von über 2.000 DM aus einer den Klägern bereits seit längerem gehörenden Eigentumswohnung in der Stadt E.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 15. November 2004 aus: Der Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Veranlagungsfrist für das Jahr 2000 sei zu Recht abgelehnt worden. Die Erklärungsfrist sei am 31. Dezember 2002 abgelaufen. Bis dahin sei eine Steuererklärung für das Streitjahr 2000 weder beim Beklagten noch beim zuvor zuständigen FA G eingegangen. Es könne nicht festgestellt werden, dass die erst am 16. Juli 2004 beim Beklagten eingegangenen Formular-Kopien bereits im Mai 2001 gefertigt und - entsprechend der Behauptung der Kläger - an das FA G übersandt worden seien. Dieses habe weder den Eingang der Einkommensteuererklärung noch den Eingang des angeblich gleichzeitig abgesandten Antrags auf Eigenheimzulage bestätigen können. Der Vortrag der Kläger genüge nicht die Voraussetzungen, die erforderlich seien, um schlüssig die behauptete Absendung der Formulare darzulegen. Die Feststellungslast für die ordnungsgemäße Absendung trügen die Kläger. Nicht glaubhaft sei außerdem der Vortrag, die Steuererklärung im Mai 2001 abgesandt, den fehlenden Einkommensteuerbescheid für 2000 aber erst im Dezember 2003 bemerkt zu haben. Ebenso wenig sei es glaubhaft, dass den Klägern die Nichtauszahlung der angeblich beantragten Eigenheimzulage für die Jahre 2000 und 2001 entgangen sei.

Die Kläger machen geltend, sie hätten ihre Steuererklärungen für die gesamten Jahre immer selbst erstellt, ohne die Hilfe eines Beraters in Anspruch zu nehmen. Der Wechsel der FA-Zuständigkeit in Fällen eines Wohnungswechsels sei den Klägern nicht bekannt. In den Ländern A und C, in denen die Kläger zuvor gewohnt hätten, seien bei Nichtabgabe der Steuererklärungen gesonderte Aufforderungen an die Steuerpflichtigen versandt worden, während der Beklagte diese Übung nicht fortgesetzt habe. Das Ausbleiben des Steuerbescheides sei wegen der beruflichen und persönlichen Veränderungen erst Ende 2003 aufgefallen. Dies sei auch nicht unglaubhaft, weil die Kläger zum Bestreiten ihres Lebensunterhaltes nicht auf die Steuererstattung angewiesen seien.

Die zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienenen Kläger haben schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Juni 2004 und der Einspruchsentscheidung vom 15. November 2004 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und den Beklagten verpflichten, die erklärungsgemäße Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 2000 durchzuführen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des BVerfG in den Verfahren 2 BvL 55/06 und 2 BvL 56/06 über die Vorlagebeschlüsse des BFH VI R 49/04 und VI R 46/05.

Der Beklagte hält an seiner Ansicht fest, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren. Es sei angesichts der ab Anfang 2001 vom Beklagten an die Kläger versandten Erörterungsschreiben nicht nachvollziehbar, dass den Klägern der Zuständigkeitswechsel entgangen sei. Eine Wiedereinsetzung könne aber auch dann nicht gewährt werden, wenn man von einem schuldlosen Fristversäumnis ausgehe. Denn die Wiedereinsetzung sei mit Schreiben vom 1. Juni 2004 beantragt worden. Die Monatsfrist für die Nachholung der versäumten Handlung sei daher am 16. Juli 2004 längst abgelaufen gewesen.

Das Gericht hat das Verfahren mit Beschluss vom 9. März 2005 bis zur Entscheidung des BFH im Verfahren VI R 70/04 ausgesetzt und mit Beschluss vom 12. September 2007 wieder aufgenommen.

II. Gegenstand der Vorlage

Die Vorlage an das BVerfG ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 1 BVerfGG geboten, weil das vorlegende Gericht § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 (JStG 2007 - BGBl I 2006, 2878/2887, BStBl I 2007, 28/37) insoweit für unvereinbar mit dem Grundgesetz hält, als er den Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 39 des JStG 2007 (BGBl I 2006, 2878/2885, BStBl I 2007, 28/35), der die Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR begrenzt, auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 erweitert (Verstoß gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot).

1. Gesetzliche Regelung und Rechtsentwicklung

a) Inhalt der gesetzlichen Regelung

Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG wird die Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird (Antragsveranlagung). Der Antrag ist gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen. Eine zwingende Veranlagung von Amts wegen unabhängig von der Erklärungsabgabe innerhalb der Zweijahresfrist (Amtsveranlagung) war hingegen u. a. nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der für das Streitjahr 2000 geltenden Fassung in den Fällen vorgesehen, in denen die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterworfen war, ..., jeweils mehr als 800 DM betrug. Durch § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 39 des JStG 2007 (BGBl I 2006, 2878/2885, BStBl I 2007, 28/35) wurde die Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR begrenzt. Die so geänderte Fassung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist nach § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des JStG 2007 vom 13. Dezember 2006 (JStG 2007 - BGBl I 2006, 2878/2887, BStBl I 2007, 28/37) auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 - und damit im Streitfall auch für das Streitjahr - anzuwenden.

b) Die Rechtsentwicklung der im Streitfall für das Streitjahr 2000 maßgeblichen Vorschriften stellt sich wie folgt dar (vgl. dazu im Einzelnen auch die Vorlagebeschlüsse des BFH an das BVerfG vom 22. Mai 2006 in den Verfahren VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808 und VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820):

§ 46 EStG regelt seit dem EStG 1934 die Veranlagung von Arbeitnehmern. Die Veranlagung von Steuerpflichtigen, deren Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften bestand, von denen ein Lohnsteuerabzug vorgenommen worden war, hing zunächst im Wesentlichen davon ab, ob das Einkommen insgesamt oder insbesondere die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bestimmte im Gesetz näher bezeichnete Beträge überstiegen. Neben die Amtsveranlagung trat ab 1950 die Möglichkeit Antragsveranlagung bei berechtigtem Interesse des Steuerpflichtigen und später, als weiterer Antragsgrund, auch zum Zwecke der Zusammenveranlagung von Ehegatten (BGBl I 1951, 1; BStBl I 1951, 5). Nach § 57 Abs. 1 EStDV 1950 mussten der Antrag und Darlegung des berechtigten Interesses bis zum Ablauf der Steuererklärungsfrist erfolgen; andernfalls fand nach § 46 Abs. 2 EStG 1934 keine Veranlagung statt. Mit dem Steueränderungsgesetz 1973 und wurde die Frist für den Antrag auf Veranlagung in das EStG selbst übernommen und die noch heute gültige Zweijahresfrist eingeführt (§ 46 Abs. 2 Satz 2 EStG, BGBl I 1974, 1489; BStBl I 1974, 521, anwendbar erstmals für den Veranlagungszeitraum 1972). Danach war der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs zu stellen.

In der Folgezeit bestand der Dualismus zwischen Amtsveranlagung und Antragsveranlagung fort. Die Tatbestände der Amtsveranlagung wurden dabei immer wieder geändert und ergänzt. Auch die Möglichkeiten der Antragsveranlagung wurden erweitert, etwa um den Fall der Inanspruchnahme der Steuervergünstigung nach § 34c und § 35 EStG (BGBl I 1974, 1769; BStBl I 1974, 530) oder um den in der Praxis bedeutsamen Fall der Körperschaftsteueranrechnung (BGBl I 1976, 2597; BStBl I 1976, 445). Die Vorschrift über die Antragsfrist in § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG wurde 1976 (BGBl I 1976, 1054; BStBl I 1976, 282) um einen Satz 3 ergänzt, nach dem im Falle des § 10d Satz 1 EStG der Antrag für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum bis zum Ablauf des diesem folgenden dritten Kalenderjahrs zu stellen war. Auch danach kam es immer wieder zu Änderungen und Erweiterungen der Vorschrift über die Antragsveranlagung in § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG, von denen die Zweijahresfrist als solche aber nicht betroffen war (zu Einzelheiten vgl. die dezidierte Darstellung in den Vorlagebeschlüssen des BFH vom 22. Mai 2006 VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808 und VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820).

Die nächste praktisch bedeutsame Änderung erfuhr die Regelung über die Arbeitnehmerveranlagung durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093; BStBl I 1988, 224). Nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG konnte der Antrag auf Veranlagung nunmehr nur noch durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung gestellt werden. Durch das Steueränderungsgesetz 1992 (BGBl I 1992, 297; BStBl I 1992, 146) wurde § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG im Zusammenhang mit der Aufhebung der Vorschriften über den Lohnsteuer-Jahresausgleich neu gefasst. Die einzelnen Antragsgründe wurden gestrichen und durch eine generelle Antragsveranlagung ersetzt. Die bisher in § 46 Abs. 2 Satz 2 EStG geregelte Frist für den Antrag auf Veranlagung wurde in § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG eingefügt. Dasselbe galt für die zuvor in § 46 Abs. 2 Satz 3 EStG geregelte Antragsfrist. Auch in der Folgezeit haben insbesondere die Vorschriften über die Amtsveranlagung in § 46 Abs. 2 noch wiederholt Änderungen erfahren. Wesentlich ist hier vor allem die ersatzlose Aufhebung der Amtsveranlagung bei Überschreitung der Einkommensgrenzen von zuletzt 54.000 DM bei zusammen veranlagten Ehegatten bzw. 27 000 DM bei den übrigen Steuerpflichtigen durch das Jahressteuergesetz 1996 (BGBl I 1995, 1250; BStBl I 1995, 438), durch die sich die Anzahl finanziell bedeutsamer Ausschlüsse von der Veranlagung mit der Folge einer materiell unrichtigen Besteuerung erheblich erhöht hat. Die Vorschrift über die Antragsveranlagung und die Antragsfristen in § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG blieben hingegen im Wesentlichen unverändert. Die Antragsfrist bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahrs gilt dementsprechend nunmehr seit über 30 Jahren.

Nachdem der BFH mit Urteilenvom 21. September 2006 VI R 47/05 (BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47) und VI R 52/04 (BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45) die Voraussetzungen einer Amtsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG (nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfene Einkünfte von mehr als 800 DM/410 EUR) entgegen der bis dahin gängigen Verwaltungsansicht auch dann bejaht hatte, wenn es durch negative Einkünfte zur Grenzbetragsüberschreitung kam, wenn also Verluste von über 800 DM (410 EUR) angefallen waren, änderte der Gesetzgeber die Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch Art. 1 Nr. 39 des JStG 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878/2885, BStBl I 2007, 28/35) erneut dahin, dass die Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR begrenzt begrenzt wurde. In § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des JStG 2007 ist die Geltung dieser geänderten Fassung auch für Veranlagungszeiträume vor 2006 vorgeschrieben, im Streitfall also auch für das Streitjahr.

2. Bedeutung der im Streitfall maßgeblichen Vorschriften, ihre rechtliche Beurteilung in Rechtsprechung und Schrifttum

a) Die Tatbestände, in denen eine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt wird, wenn das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit besteht, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, sind in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG abschließend aufgezählt. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift durch die Verwendung des Wortes "nur" als auch aus § 25 EStG, während § 149 Abs. 1 AO 1977 lediglich die Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Abgabe von Steuererklärungen betrifft. Liegen die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 nicht vor, ist eine Veranlagung durch die Finanzbehörde deshalb auch dann nicht möglich, wenn sie den Steuerpflichtigen zuvor - und sei es auch unter Androhung von Zwangsmitteln - zur Abgabe der Steuererklärung aufgefordert hatte (BFH-Beschluss vom 22. Mai 2006 VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820; zu im Streitfall nicht einschlägigen Einschränkungen des Anwendungsbereichs der Vorschrift, vgl. Hollatz, NWB Heft 48/2006, Fach 6, S. 4733 ff.).

b) Bei der zweijährigen Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG handelt es sich um eine nicht verlängerbare gesetzliche Ausschlussfrist. Sie wird weder durch die Übersendung von Erklärungsvordrucken noch die Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen oder die Festsetzung eines Zwangsgelds zur Erzwingung der Einkommensteuererklärung erweitert (BFH-Beschlüsse vom 22. Mai 2006 VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808 und VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820, unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 14. März 1989 I R 77/85, BFH/NV 1991, 311). Deshalb kommt nach Ablauf der Frist - unabhängig vom Stand der Veranlagungsarbeiten - eine Veranlagung nur noch bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (BFH-Urteil vom 22. Mai 2006 VI R 51/04, BFHE 214, 145, BStBl II 2006, 833).

c) Der VI. Senat des BFH hat mit seinen Vorlagebeschlüssenvom 22. Mai 2006 VI R 49/04 (BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808) und VI R 46/05 (BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820) eine Entscheidung des BVerfG über die Vereinbarkeit der zweijährigen Antragsfrist im Rahmen des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG mit dem Grundgesetz eingeholt. Die Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG bewirke, dass Steuerpflichtige, die nur auf Antrag zur Einkommensteuer veranlagt werden, die Veranlagung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres beantragen müssten, während Steuerpflichtige, die von Amts wegen zur Einkommensteuer veranlagt werden, die Durchführung der Veranlagung noch bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden siebten Kalenderjahres erreichen könnten. Ausgehend vom Zweck der Vorschrift, der sowohl für die Antrags- als auch für die Amtsveranlagung nach § 46 EStG darin bestehe, über die Veranlagung die verfassungsrechtlich gebotene Lastengleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen herzustellen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 13. Dezember 1967 1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70), sieht der VI. Senat in der in erster Linie im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung zur Anwendung kommenden Antragsfrist einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Da nicht erkennbar sei, dass die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist für die öffentlichen Haushalte zu untragbaren finanziellen Folgen führen würde, rechtfertigten auch Gründe der Budgetsicherheit die Ungleichbehandlung durch die Antragsfrist nicht. Eine abschließende Entscheidung über die vom VI. Senat aufgeworfenen Fragen steht noch aus (vgl. dazu anhängige Verfahren beim BVerfG 2 BvL 55/06 und 2 BvL 56/06).

d) Mit der Verfassungsmäßigkeit der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des Jahressteuergesetzes 2007, der die Begrenzung der Amtsveranlagung durch die Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 erweitert, hat sich bisher das Niedersächsische FG im Urteil vom 25. April 2007 2 K 379/04 (DStR 2007, 1477) befasst. Es befürwortet eine einschränkende (verfassungskonforme) Auslegung dahin, dass die Änderung nicht diejenigen Fälle erfasse, in denen die zweijährige Antragsfrist bei Inkrafttreten des JStG 2007 bereits abgelaufen ist.

Der vorlegende Senat teilt diese Ansicht nicht. Die verfassungskonforme Auslegung einer gesetzlichen Regelung ist zulässig und auch geboten, wenn diese mehrere Deutungen zulässt, von denen nur eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt (BFH-Urteil vom 18. Mai 1994 IV R 85/93, BFHE 175, 451, BStBl II 1995, 67). Dieser Grundsatz erlaubt es allerdings nicht, jede überschießende Norm auf ihr verfassungsrechtlich zulässiges Maß zu reduzieren. Die verfassungskonforme Auslegung findet - wie jede Form der Auslegung - ihre Grenze an dem eindeutigen Wortlaut und dem Sinn und Zweck der betreffenden gesetzlichen Vorschrift. Das bedeutet, dass sich aus dem Wortlaut der einzelnen Norm oder dem System-Zusammenhang der Vorschriften im Gesetz insgesamt zumindest ein Anhaltspunkt für die ins Auge gefasste verfassungskonforme Auslegung ergeben muss. Ist dies nicht der Fall, würde durch die Auslegung der normative Regelungsinhalt erst geschaffen oder neu bestimmt. Dies kann nicht durch die Gerichte geschehen, weil sie damit einen Akt der Rechtsetzung vornehmen würden, der dem Gesetzgeber vorbehalten ist (BVerfG vom 8. Januar 1959 1 BvR 425/52 BVerfGE 9, 83, BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1977 1 BvL 23/75 BVerfGE 45, 393, BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284).

Im Streitfall bietet weder der unmittelbare Wortlaut des § 52 Abs. 55j EStG noch der Systemzusammenhang der einkommensteuerrechtlichen Vorschriften ein Anhaltspunkt für die vom Niedersächsischen FG vorgenommene restriktive Auslegung. Dort wird ohne Einschränkung die Anwendung der Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG "auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006" angeordnet. Letztlich wollte der Gesetzgeber mit der Anwendungsvorschrift rückwirkend eine Rechtslage kodifizieren, die der Verwaltungsmeinung bis zum Ergehen der BFH-Urteile vom 21. September 2006 VI R 47/05 (BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47) und VI R 52/04 (BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45) entsprach. Entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG vertritt der vorlegende Senat deshalb hinsichtlich des Regelungsgehaltes des § 52 Abs. 55j EStG die Auffassung, dass er die Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das JStG 2007 mit Rückwirkung für alle bei den jeweiligen Steuerpflichtigen noch offenen Veranlagungszeiträume vor 2006 versieht und damit auch für die Vergangenheit die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer in Fällen einer Überschreitung des Grenzbetrags nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG von 800 DM (410 EUR) durch negative Einkünfte (Verluste) auf der Grundlage der o. a. BFH-Urteile verhindert, wenn die Einkommensteuererklärung nicht innerhalb der zweijährigen Antragsfrist der Nr. 8 abgegeben worden ist.

3. Aus diesem Grund hält das vorlegende Gericht § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des Jahressteuergesetzes 2007 für verfassungswidrig. Es sieht in der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Neuregelung zu § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das JStG 2007 (Begrenzung der Amtsveranlagung auf Fälle positiver Einkünfte von über 410 EUR) auf Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2004 (die Antragsfrist für den VZ 2004 endete am 31. Dezember 2006) einen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Verbot der Rückbewirkung von Rechtsfolgen (echte Rückwirkung).

a) Für das Steuerrecht gibt es allerdings - anders als für das Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG) - kein explizites und absolutes verfassungsrechtliches Rückwirkungsverbot. Der Erlass rückwirkender belastender Steuergesetze wird vielmehr durch die allgemeinen aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsätze begrenzt (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67/78; BFH-Urteil vom 14. März 2006 I R 1/04, BFH/NV 2006, 1222, BFHE 213, 38, BStBl II 2006, 549). Nach der vom BVerfG für die Frage zulässiger Rückwirkung entwickelten Systematik ist zu differenzieren zwischen der "Rückbewirkung von Rechtsfolgen" ("echte" Rückwirkung) und der tatbestandlichen Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung).

aa) Nach diesen Grundsätzen entfaltet eine Rechtsnorm Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist. Der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm bestimmt, in welchem Zeitpunkt die Rechtsfolgen einer gesetzlichen Regelung eintreten sollen. Die Eigenart rückwirkender Gesetze besteht darin, dass sie eine bis zu ihrem Inkrafttreten bestehende Rechtslage mit Wirkung für die Vergangenheit durch neues Recht ordnen. Die Rückbewirkung von Rechtsfolgen bzw. eine "echte" Rückwirkung liegt deshalb vor, wenn angeordnet wird, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten und damit nachträglich in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen wird und die Rechtsfolgen zum Nachteil des Bürgers geändert werden, die ursprünglich an diese Tatbestände geknüpft waren (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547 : Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 242 ff., BStBl II 1986, 628: Grenzen zulässiger Rückwirkung von Steuergesetzen, AStG; BFH-Beschluss vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259: Vorlagebeschluss).

Demgegenüber betrifft die tatbestandliche Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung) nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind; die Norm macht mithin den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig. Diese Tatbestände, die den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig machen, berühren vorrangig die Grundrechte und unterliegen weniger strengen Beschränkungen als die Rückbewirkung von Rechtsfolgen. Für das Einkommensteuerrecht kommen je nach Art der betroffenen Einkünfte und der Wege, auf denen sie erzielt worden sind, namentlich Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 sowie Art. 2 Abs. 1 GG als betroffene Rechte in Betracht (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547 : Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 242 ff., BStBl II 1986, 628: Grenzen zulässiger Rückwirkung von Steuergesetzen, AStG).

bb) Der Eingriff in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt, durch die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten (Rückbewirkung von Rechtsfolgen, "echte" Rückwirkung), ist besonders einschneidend und daher grundsätzlich unzulässig. Denn der Gesetzgeber greift mit der Rückbewirkung von Rechtsfolgen nicht nur in Dispositionen des Steuerpflichtigen ein, sondern er verstößt zusätzlich auch gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit, welches das Vertrauen in den Bestand der ursprünglich geltenden Rechtsfolgenlage schützt und seinen verfassungsrechtlichen Grund im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG findet. Dieses erlaubt grundsätzlich nur solche belastende Gesetze, deren Rechtsfolgen frühestens mit der Verkündung beginnenden Zeitraum eintreten. Der von einem Gesetz Betroffene muss grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer Neuregelung darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände im nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten. Das BVerfG hält die Rückbewirkung von Rechtsfolgen daher grundsätzlich für unzulässig, ohne dass es - anders als bei tatbestandlicher Rückanknüpfung - einer Betätigung des Steuerpflichtigen im Vertrauen auf die alte Rechtslage bedarf (vgl. BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 285; BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547 : Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200-278, BStBl II 1986, 628: Grenzen zulässiger Rückwirkung von Steuergesetzen, AStG; P. Kirchhof, StuW 2000, 221, 222, 224, 227).

Eine tatbestandliche Rückanknüpfung ist demgegenüber grundsätzlich zulässig, da es kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Unabänderlichkeit der Rechtsordnung gibt. Im Einzelfall abzuwägen ist das Bedürfnis des Staates und des Steuerpflichtigen. Unzulässig kann eine tatbestandliche Rückanknüpfung deshalb nur sein, wenn der Steuerpflichtige sich im Vertrauen auf die alte Rechtslage betätigt und Dispositionen vorgenommen hat. Nur im Falle einer Betätigung im Vertrauen auf die alte Rechtslage bedarf er eines Schutzes durch die Rechtsordnung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 5. Mai 1987 1 BvR 724, 1000, 1015/81, 1 BvL 16/82 und 5/84, BVerfGE 75, 246, 280).

b) Die Differenzierung des BVerfG wird teilweise für überholt und unpraktikabel gehalten. Sie habe bisher keinen überzeugenden Vertrauensschutz für die Dispositionen des Steuerpflichtigen hervorzubringen vermocht. Daher wird gefordert, von einem einheitlichen, dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriff auszugehen (Albert, Vertrauensschutz und rückwirkende Besteuerung, IFSt-Schrift Nr. 431/2005, S. 71 ff., 86 ff.; Birk, Die Verwaltung Bd. 35, 91, 109, 111, Friauf, BB 1972, 669, 675; Lang, Die Wirtschaftsprüfung 1998, 163 ff. und in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., § 4 Rz. 178; Schaumburg, DB 2000, 1884 ff.; Jachmann, ThVBl 1999, 269 ff.; ausführlich Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 245 ff., m.w.N.). Rückwirkung soll danach vorliegen, wenn ein Gesetz Rechtsfolgen für Vertrauensbetätigungen ändere, die vor dem endgültigen Änderungsbeschluss des Gesetzgebers oder der Verkündung des Gesetzes als abgeschlossen zu beurteilen seien (Lang, WPg 1998, 163, 172).

c) Die kritischen Stimmen im Schrifttum rechtfertigen es nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nicht, die bisherige Rückwirkungsdogmatik aufzugeben. Daher folgt das Gericht dem BFH im Vorlagebeschlussvom 16. Dezember 2003 IX R 46/02 (BFHE 204, 228 , BStBl II 2004, 284 BFH/NV 2004, 412; ebenso für ein - wenn auch modifiziertes - Festhalten an der bisherigen Rückwirkungsdogmatik Seer/Drüen, Rückwirkender Steuerzugriff, FR 2006, 661/668) und hält auch im Streitfall an der Differenzierung zwischen der "Rückbewirkung von Rechtsfolgen" (echte Rückwirkung) einerseits und der "tatbestandlichen Rückanknüpfung" (unechte Rückwirkung) andererseits fest.

aa) Dabei verkennt das vorlegende Gericht nicht die Problematik, die sich im Rahmen der bisherigen Rückwirkungsdogmatik gerade in Einkommensteuerangelegenheiten aus dem gesetzlich normierten Entstehungszeitpunkt der Steuer ergibt. So handelt es sich bei der Einkommensteuer um eine Jahressteuer, die im Regelfall erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht (§ 36 Abs.1 EStG). Gleichwohl stellt der I. Senat des BFH für die Frage, ob einer Norm nachträglich in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift, zu Recht darauf ab, wann der Tatbestand der Einkommensteuer durch einen bestimmten tatsächlichen Vorgang erfüllt oder vollendet wurde, weil die Einkommensteuer in der Sache an eine Vielzahl von Einzeltatbeständen anknüpft, die teils steuerbegründenden, teils steuermindernden Charakter haben. So steht die Steuerpflicht mit der Verwirklichung aller Merkmale eines bestimmten Besteuerungstatbestands dem Grunde nach bereits fest, während der Regelung des § 36 Abs. 1 EStG lediglich besteuerungstechnische Bedeutung beizumessen sei (BFH-Beschluss vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259).

bb) Dem ist das BVerfG im Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83 (BVerfGE 72, 200-278, BStBl II 1986, 628) allerdings nur eingeschränkt gefolgt und stellt sowohl für die Steuerpflichtigkeit als auch für die Steuerfreiheit von Einkünften auf den Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraums ab. Danach liegt eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen ("echte" Rückwirkung) erst dann vor, wenn eine nach Ablauf des Veranlagungszeitraums verkündete Norm mit Wirkung für diesen Zeitraum eine ursprünglich geltende steuerliche Rechtsfolgenlage nachträglich ändert. In allen anderen Fällen, in denen die Änderung noch während des Laufs des Veranlagungszeitraums verkündet wird, liegt lediglich eine Neubestimmung einer bislang noch nicht eingetretenen Rechtsfolge vor (ebenso BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547 : Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen).

cc) Trotz der sich aus diesen unterschiedlichen Betrachtungen ergebenden Abgrenzungsproblematik will das vorlegende Gericht nach wie vor an der Abgrenzung zwischen der "Rückbewirkung von Rechtsfolgen" (echte Rückwirkung) einerseits und der "tatbestandlichen Rückanknüpfung" (unechte Rückwirkung) andererseits festhalten. Dafür spricht zum einen, dass aus einer reinen dispositionsorientierten Sichtweise nicht automatisch ein einheitlicher Rückwirkungsbegriff abzuleiten ist (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284 BFH/NV 2004, 412; ebenso bereits Seer/Drüen, Rückwirkender Steuerzugriff, FR 2006, 661/668). Darüber hinaus geht es bei der Bewertung von in die Vergangenheit reichenden Gesetzesänderungen eben nicht nur um einen Vertrauensschutz. Denn unabhängig von dem Schutzbedürfnis, das Vermögensdispositionen zukommt, die im Vertrauen auf eine vergangene Rechtslage getätigt wurden, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber bei einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen nicht nur in Dispositionen des Steuerpflichtigen eingreift, sondern zusätzlich auch gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit verstößt. Allein dieser Verstoß verbietet (von Ausnahmefällen abgesehen, s. u.) die Rückbewirkung von Rechtsfolgen. Der einzelne Staatsbürger ist eben nicht der Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers in Abhängigkeit zur jeweiligen Haushaltslage überantwortet.

d) Gemessen daran ist im Streitfall in der Vorschrift des § 52 Abs. 55j EStG entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG im Urteil vom 25. April 2007 2 K 379/04 (DStR 2007, 1477) eine "Rückbewirkung von Rechtsfolgen", also ein Fall grundsätzlich unzulässiger "echter Rückwirkung", gegeben. Obwohl der Lebenssachverhalt der Erzielung von Einkünften in den vergangenen Veranlagungszeiträumen längst abgeschlossen ist, versieht die Anwendungsregelung die Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das JStG 2007 mit Rückwirkung für alle bei den jeweiligen Steuerpflichtigen noch offenen Veranlagungszeiträume vor 2006 und verhindert damit auch für die Vergangenheit die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer in Fällen einer Überschreitung des Grenzbetrags nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG von 800 DM (410 EUR) durch negative Einkünfte (Verluste) auf der Grundlage der BFH-Urteile vom 21. September 2006 VI R 47/05 (BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47) und VI R 52/04 (BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45), wenn die Einkommensteuererklärung nicht innerhalb der zweijährigen Antragsfrist der Nr. 8 abgegeben worden ist. Es handelt sich mithin um ein Geschehen, das zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung für die Veranlagungszeiträume vor 2006 sowohl tatsächlich als auch rechtlich längst abgeschlossen war. Bei hinreichenden negativen Einkünften wäre eine Veranlagung ohne die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 55j EStG jedenfalls für alle Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2004 auch außerhalb der Zweijahresfrist bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist ohne weiteres möglich. Die erst zum Ende des Veranlagungszeitraums 2006 verkündete Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 55j EStG greift - unabhängig von den sich aus § 36 Abs. 1 EStG ergebenden Fragen - nachträglich in diese ursprüngliche Rechtslage ein und ändert sie zum Nachteil des Steuerbürgers.

e) Das für Fälle der Rückbewirkung von Rechtsfolgen bestehende rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot darf nur ausnahmsweise aus zwingenden Gründen des gemeinen Wohls durchbrochen werden, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, oder wegen eines nicht - oder nicht mehr - vorhandenen schutzbedürftigen Vertrauens des Einzelnen. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Fälle des generell fehlenden oder nicht mehr vorhandenen schutzwürdigen Vertrauens falltypisch entwickelt worden, ohne dass diese Falltypen allerdings erschöpfend wären (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547 : Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200/258 ff., BStBl II 1986, 628; ferner BFH-Beschluss vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259: Vorlagebeschluss). Von diesen Falltypen ist keiner dem Streitfall auch nur ansatzweise vergleichbar.

aa) Kein schutzwürdiges Vertrauen wegen zu erwartender Regelung

Eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen mangels schutzwürdigen Vertrauens ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zunächst dann möglich, wenn der Bürger in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, bereits mit der Regelung rechnen musste und sich deshalb nicht auf den durch die bisherige Rechtslage erzeugten Rechtsschein verlassen durfte (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547 ; BVerfG-Beschluss vom 31. März 1965 2 BvL 17/63, BVerfGE 18, 429, 439; BFH-Beschluss vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259: Vorlagebeschluss). Das ist im Streitfall nicht erkennbar. Der BFH hat in seinen Vorlagebeschlüssen zu § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG und den übrigen zu § 46 Abs. 2 EStG ergangenen Entscheidungen aus dem Jahr 2006 dezidiert dargelegt, dass der Gesetzgeber in mehreren Vorschriften des Einkommensteuergesetzes zwischen positiven und negativen Einkünften ausdrücklich differenziert hat. Aus der Norm selbst ergab sich kein Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei der ursprünglichen Beschränkung auf den Begriff der "Einkünfte" in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG um einen handwerklichen Fehler des Gesetzgebers handelte, mit dessen Korrektur gerechnet werden musste. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift, sowohl über die Antrags- als auch über die Amtsveranlagung die verfassungsrechtlich gebotene Lastengleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen herzustellen (BVerfG-Beschluss vom 13. Dezember 1967 1 BvR 679/64, BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70), drängte sich eine Auslegung des Begriffs der "Einkünfte" in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG im umfassenden Sinn des § 2 EStG vielmehr geradezu auf, um die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer zu ermöglichen statt sie zu verhindern. Denn die Abweichung des Lohnsteuerabzugs von der materiell richtigen Einkommensteuer gewinnt nicht nur mit zunehmend höheren positiven, sondern auch mit zunehmend höheren negativen Nebeneinkünften wachsende Bedeutung (BFH-Urteile vom 21. September 2006 VI R 47/05, BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47 und VI R 52/04, BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45).

bb) Kein schutzwürdiges Vertrauen bei unklarer Rechtslage

Daneben verneint die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ein schutzwürdiges Vertrauen dann, wenn die bis zur Neuregelung bestehende Rechtslage unklar oder verworren war (BVerfG-Beschluss vom 31. März 1965 2 BvL 17/63, BVerfGE 18, 429, 439; BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628). Nach den Ausführungen unter aa) und der klaren Begriffsbestimmung in § 2 EStG kann im Streitfall jedoch auch von einer unklaren oder verworren Rechtslage keine Rede sein.

cc) Kein schutzwürdiges Vertrauen wegen verfassungswidriger Lücke

Ferner wird ein schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen verneint, wenn durch die Neuregelung eine verfassungswidrige Lücke im bisherigen System der inländischen Einkommensbesteuerung geschlossen worden ist (BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200-278, BStBl II 1986, 628). Da mit der Veranlagung Steuerüber- und -untererhebungen ausgeglichen werden sollen, die im Lohnsteuerverfahren systembedingt auftreten, könnte von einer planwidrigen Unvollständigkeit in diesem Sinne durch die bisherige Regelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG allerdings nur ausgegangen werden, wenn das Missverhältnis, mit dem der Gesetzgeber Steueruntererhebungen auf der einen Seite durch eine lange Festsetzungsfrist begegnet, und seine sehr weit gehende Tolerierung von Steuerübererhebungen auf der anderen Seite (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 22. Mai 2006 VI R 49/04, BFHE 213, 508, BStBl II 2006, 808 und VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820) in irgend einer Weise verfassungsrechtlich verankert wären. Davon kann jedoch keine Rede sein.

dd) Kein schutzwürdiges Vertrauen in Bagatellsachen

Darüber hinaus hat das BVerfG ein schutzwürdiges Vertrauen in sog. Bagatellsachen abgelehnt (BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200/258 ff., BStBl II 1986, 628). Dass in der erheblichen Einschränkung der Amtsveranlagung für Steuerübererhebungen in § 46 EStG keine Bagatellsache zu sehen ist, bedarf keiner weiteren Erörterung.

ee) Teilweise verschwimmen in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auch die zwingenden Gründe des Gemeinwohls mit der Frage schutzwürdigen Vertrauens, etwa wenn der Steuerpflichtige mit einer Neuregelung rechnen musste. So wurden zwingende Gründe des gemeinen Wohls etwa für den Fall der Aufhebung/Änderung einer als wirtschaftlich unsinnig erkannten Steuervorschrift für die Zeit bejaht, die das rechtsstaatliche Gesetzgebungsverfahren notwendig erforderte. Diese Zeit sollte von den Steuerpflichtigen nicht dazu genutzt werden können, um den Gesetzgeber durch die Erfüllung des bisherigen Subventionstatbestands noch vor dem Beschluss über die Gesetzesänderung zuvorzukommen (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67-88, NJW 1998, 1547 : Sonderabschreibungen bei Handelsschiffen). Eine solche Situation war im Streitfall jedoch wie bereits ausgeführt nicht gegeben.

Auch sonst sind zwingende Gründe des gemeinen Wohls für die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 55j EStG, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet wären, nicht ersichtlich. Das Vorliegen solcher Gründe wird erwogen, wenn die Gesetzesänderung dazu dienen soll, den aus dem Verfassungsrecht abzuleitenden Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu verwirklichen, ohne ihm allerdings generell Vorrang gegenüber dem Grundsatz der Rechtssicherheit einzuräumen (Vorlagebeschluss des BFH vom 3. November 1982 I R 3/79, BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259). Im Streitfall dient die zur Überprüfung vorgelegte Vorschrift jedoch gerade nicht der Richtigkeit und damit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie dient lediglich dem verwaltungstechnischen Abschluss des Veranlagungszeitraums, um die Zeitnähe der Besteuerung sicherzustellen, und ist in Fällen der vorliegenden Art vielmehr geeignet, eine Ungleichbehandlung zwischen Über- und Untererhebung zu zementieren. Der Wunsch des Gesetzgebers, einerseits Rückzahlungsverpflichtungen aus Übererhebungen der Einkommensteuer möglichst frühzeitig zu entgehen und Steueruntererhebungen andererseits durch eine lange Festsetzungsfrist zu begegnen, ist kein zwingender Grund des gemeinen Wohls. Denn auch der Gesetzgeber selbst gibt nicht vor, dass das gemeine Wohl von der Zementierung einer im Einzelfall materiell rechtswidrig zu hoch erhobenen Steuer abhängt.

4. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

Der Senat hat das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG zu der Vorlagefrage einzuholen, da es für die Entscheidung des Streitfalles auf die Verfassungsmäßigkeit der Anwendungsregelung in § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des JStG 2007 ankommt (Art. 100 Abs. 1 GG; § 80 Abs. 1 BVerfGG).

a) Wenn das BVerfG die rückwirkende Anwendungsregelung für verfassungsmäßig hält, hätte der Beklagte den Antrag der Kläger auf Durchführung der Veranlagung für 2000 zu Recht abgelehnt. Denn die Kläger hätten die zweijährige Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG, die im Streitfall für das Streitjahr 2000 am 31. Dezember 2002 ablief, versäumt, da ihre angebliche Steuererklärung erst Mitte Juli 2004 beim Beklagten eingegangen ist. Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könnten trotz der bedenklich großzügigen Wiedereinsetzungsrechtsprechung des VI. Senats des BFH im Urteil vom 22. Mai 2006 VI R 51/04 (BFHE 214, 145, BStBl II 2006, 833; zur Kritik vgl. Hollatz, NWB Heft 48/2006, Fach 6, S. 4733 ff.) nicht bejaht werden. Denn die Kläger waren nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Antragsfrist gehindert. So spricht für die Unwahrheit der Behauptung der Kläger, die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 bereits im Mai 2001 an das FA G übersandt zu haben, zunächst das Abgabeverhalten der Kläger in den übrigen Jahren, das zeitlich nicht zu ihrem Vortrag für das Streitjahr passt. Die Angabe, die Steuererklärung im Mai 2001 abgesandt, den fehlenden Einkommensteuerbescheid für 2000 aber erst im Dezember 2003 bemerkt zu haben, ist ebenso wenig glaubhaft wie die Behauptung, dass den Klägern die Nichtauszahlung der angeblich beantragten Eigenheimzulage für die Jahre 2000 und 2001 entgangen sei. Zur Unglaubwürdigkeit der Kläger trägt auch der Umstand bei, dass der Beklagte die Kläger bereits Anfang 2001 in ihrer Einkommensteuersache kontaktiert hat. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass das in Kopie eingereichte Erklärungsformular vom Kläger nur deshalb bewusst unwahr auf den 23. Mai 2001 datiert worden ist, weil der Beklagte die Kläger im Juni 2001 für das Jahr 1999 veranlagt hat und spätestens ab diesem Zeitpunkt eine Übersendung von Einkommensteuererklärungen an das FA G für niemanden mehr nachvollziehbar gewesen wäre.

Unabhängig davon würde eine Wiedereinsetzung der Kläger in den vorigen Stand an § 110 Abs. 2 Sätze 1 und 3 AO 1977 scheitern, die vorschreiben, dass die versäumte Handlung (Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000) binnen Monatsfrist nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen ist. Im Streitfall ist das Hindernis spätestens am 1. Juni 2004 weggefallen, weil der Kläger an diesem Tag in einem an den Beklagten gerichteten Schreiben gemutmaßt hat, dass diesen die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 nicht erreicht hat und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat. Die Steuererklärung ging aber erst am 16. Juli 2004 beim Beklagten ein, nachdem der Wiedereinsetzungsantrag bereits mit Bescheid vom 15. Juni 2004 abgelehnt worden war.

b) Im Falle der Verfassungswidrigkeit der Anwendungsregelung § 52 Abs. 55j EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 43 Buchst. w des JStG 2007 wären der angefochtene Verwaltungsakt und die insoweit ergangene Einspruchsentscheidung dagegen rechtswidrig, weil der Beklagte die Kläger wegen der - nach dem Vorjahresergebnissen nachvollziehbar - erklärten Vermietungsverluste von über 2.000 DM auf der Grundlage der BFH-Urteile vom 21. September 2006 VI R 47/05 (BFHE 215, 149, BStBl II 2007, 47) und VI R 52/04 (BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45) von Amts wegen hätte zur Einkommensteuer veranlagen müssen. Denn danach liegen die Voraussetzungen einer Amtsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht nur dann vor, wenn die positive Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Einkünfte den Grenzbetrag von 800 DM (410 EUR) überschreitet, sondern auch dann, wenn es durch negative Einkünfte zur Grenzbetragsüberschreitung kommt, wenn also Verluste von über 800 DM (410 EUR) angefallen sind. Wegen der in einem Fall der Amtsveranlagung bestehenden Subsidiarität der Antragsveranlagung hätte es im Streitfall für die Durchführung des Veranlagungsverfahrens keines Antrags des Steuerpflichtigen nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG mehr bedurft (BFH-Urteil vom 22. Mai 2006 VI R 15/05, BFHE 214, 149, BStBl II 2006, 912).

Ende der Entscheidung

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