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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 21.01.2009
Aktenzeichen: 14 K 3766/05
Rechtsgebiete: EStG, WÜK


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1
WÜK Art. 48 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Bescheid vom 13.10.2003 und die Einspruchsentscheidung vom 23.08.2005 werden aufgehoben, soweit die Kindergeldfestsetzung für den Sohn N (geb. 20.06.1986) ab Juli 2004 abgelehnt worden ist. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Kindergeld für ihren Sohn N unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages ab-wenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin ist ... Staatsangehörige. Sie lebt seit 1973 in Deutschland und arbeitet seit 1984 als Verwaltungsangestellte im ... Generalkonsulat in L. Sie beantragte am 09.09.2004 Kindergeld für ihren in ihrem Haushalt in Deutschland am 20.06.1986 geborenen Sohn N. Dem Antrag legte sie eine Bescheinigung des ... Generalkonsulats vom 9.9.2004 bei, in der bestätigt wird, dass die Klägerin für ihren Sohn seit dem 20.6.2004 (Vollendung des 18. Lebensjahres) keine Familienzulage bzw. Kindergeld mehr beziehe (Bl. 8 der KiG-Akte). Die Klägerin ist alleinerziehend.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13.10.2004 die Festsetzung ab. Zur Begründung trug sie vor, dass davon auszugehen sei, dass die Klägerin von der in der VO (EWG) Nr. 1408/71 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, den Rechtsvorschriften des Staates ... zu unterliegen. Dies habe zur Folge, dass eine Kindergeldzahlung nach deutschem Recht ausgeschlossen sei.

Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung legte sie ein Fax des ... Versicherungsträgers ... vor, aus dem hervorgehe, dass gemäß ... Familienangehörige nach Vollendung des 18. Lebensjahres keinen Anspruch mehr auf Kindergeld hätten. Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 23.08.2006 als unbegründet zurück. Auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren, Kindergeld für ihren Sohn ab Juli 2004 zu gewähren, weiter. Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass sie kein Kindergeld vom ... Staat erhalten habe. Sie habe lediglich eine arbeitsvertragliche Zulage bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ihres Sohnes erhalten, die 5 % des Grundgehalts betragen habe. Sie habe bis zum 3.5.2006 kein Kindergeld in ... beantragt, wie es sich aus dem Formular ... ergebe (Bl. 64 bis 69 der FG-Akte). Der Antrag könne auch nicht mit dem Umstand abgelehnt werden, dass sie in Deutschland keine Steuern zahle. Gemäß Art. 49 WÜK sei sie hiervon befreit. Sie sei aber aufgrund ihres Wohnsitzes in Deutschland hier unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und damit gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG kindergeldberechtigt. Weiterhin sei die VO (EWG) Nr. 1408/71 zu beachten. Entsprechend Art. 13 Abs. 2 lit. a und b. der VO gelte das Recht des Beschäftigungsortes. Die VO werde auch nicht durch Art. 48 WÜK ausgeschlossen, da das Kindergeld nicht unter die Befreiungsregel falle.

Sie habe sich auch nicht für das ... Recht, sondern für das deutsche Sozialversicherungssystem entschieden. Dies ergebe sich auch aus dem Bescheid der Stadt L vom 19.12.1996. In diesem Bescheid sei ihr bei den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz Kindergeld in Höhe von 110 DM abgezogen worden (Bl. 70 FG-Akte). Weiterhin verweist sie auf die eingereichte Rentenauskunft vom 30.11.2005 (Bl. 80 ff. der FG-Akte). Somit sei grundsätzlich von ihrer Kindergeldberechtigung auszugehen.

Sie habe auch bei Abschluss des Arbeitsvertrages keine Wahlmöglichkeit gehabt. Dies sei jetzt anders. Gemäß der ... gesetzlichen Verordnung vom 7. April 2000, Nr. ..., "...", würden örtliche Verwaltungsangestellte ab diesem Datum Arbeitsverträge erhalten, die nach den örtlichen bzw. deutschen Rechtsvorschriften geregelt sind. Diese Beschäftigten seien dann in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Sie habe aber ein Wahlrecht nach Art. 13 Abs. 1, 2 a i.V.m. Art 16. Abs. 1 und Abs. 2 der EU-VO NR. 1408/71 bei dem im Jahre 1984 abgeschlossenen Arbeitsvertrag nicht ausüben können. Sie habe auch nie das vom Gericht übersandte Formular ... "Ausübung des Wahlrechts" ausgefüllt, noch sei ihr ein solches vorgelegt worden. Dies gelte auch für die anderen Kollegen, die beim Generalkonsulat arbeiteten.

Auch die durch Dekret Nr. ... nachträglich eingeführte Möglichkeit, deutsches Recht zu wählen, bestehe nicht mehr. Sie habe es nicht in Anspruch genommen, da im Jahr 2000 hierzu weder eine Veranlassung bestanden habe noch sei sie über die möglichen rechtlichen und finanziellen Folgen aufgeklärt worden. Es wäre aber auch für sie unzumutbar gewesen, sich im Jahr 2000 für das deutsche Recht zu entscheiden, weil sie in diesem Fall bis zu diesem Zeitpunkt bereits erworbene Rechte verloren hätte. Ihre Einkommensteuerpflicht entfalle allein nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit ... vom ... .

Sie vertritt des Weiteren die Ansicht, dass sie aus Gleichbehandlungsgrundsätzen einen Anspruch auf Kindergeld habe. Sie verweist zudem auf das Territorialitäts- und Personengleichstellungsprinzip gemäß der EU-VO Nr. 1408/71 und 572/72 über die europäische soziale Sicherung, zumal von dieser Diskriminierung nur Kinder von alleinerziehenden und in Deutschland allein lebenden örtlichen Mitarbeitern betroffen seien, da sie für ihren Sohn Kindergeld bekommen würde, wenn sie verheiratet und ihr Ehemann in Deutschland beschäftigt wäre. Im Übrigen sei einer ... Kollegin in einem gleich gelagerten Fall Kindergeld gezahlt worden.

Des Weiteren weist sie darauf hin, dass ihr Sohn am 21.10.2004 selbst einen Kindergeldantrag gestellt habe. Dieser Antrag sei aber mit der Begründung abgelehnt worden, dass allein sie kindergeldberechtigt sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 13.10.2003 und die Einspruchsentscheidung vom 23.8.2005 aufzuheben, soweit die Kindergeldfestsetzung für den Sohn N, geboren am 20.06.1986, für den Zeitraum ab dem Juli 2004 abgelehnt worden ist und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,

hilfsweise

den Rechtsstreit auszusetzen und zur Vorabentscheidung dem EuGH vorzulegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Wahlrecht nach Art. 16 Abs. 2 der VO EWG NR. 1408/71 ausgeübt habe. Daher sei ... Recht anwendbar. Zwar gehe die Beklagte nunmehr davon aus, dass die Klägerin vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit beim ... Generalkonsulat einen Wohnsitz im Inland mit der Folge der ständigen Ansässigkeit im Inland gehabt habe. Dessen ungeachtet sei aber nicht geklärt, ob die Klägerin uneingeschränkt den deutschen Rechtsvorschriften unterliege. Nach der EU-VO Nr. 1408/71 bestehe seit dem Jahr 1971 ein Wahlrecht i.S. des Art. 16. Die dazu ergangene Durchführungsverordnung (EWG Nr. 574) konkretisiere in Art. 13, dass das Wahlrecht erstmalig innerhalb von drei Monaten nach dem Tag auszuüben sei, an dem der Arbeitnehmer bei der diplomatischen Vertretung oder konsularischen Dienststelle eingestellt worden sei. Zudem könne das Wahlrecht jeweils am Ende eines Kalenderjahres neu ausgeübt werden.

Auch nach ihrem eigenen Vortrag habe für die Klägerin die Möglichkeit bestanden, sich für die Rechtsvorschriften des deutschen Staates zu entscheiden. Von dieser Möglichkeit habe sie keinen Gebrauch gemacht. Demnach unterliege sie weiterhin den ... Rechtsvorschriften.

Der Arbeitgeber der Klägerin, das ... Generalkonsulat, hat folgende Bescheinigung ausgestellt (Bl. 121 der FG-Akte):

" Hiermit wird bestätigt, dass Frau D, geboren am 17.9.1948, ab dem 1.7.1987 einen unbefristeten Arbeitsvertrag nach ... Recht geschlossen hat, da eine Optionsmöglichkeit seinerzeit nicht gegeben war.

Die Möglichkeit, für einen Arbeitsvertrag nach deutschem Recht zu optieren, ist mit dem Dekret Nr. ... nachträglich eingeführt worden. Da die genannte Angestellte das Optionsrecht nicht innerhalb der vom Dekret vorgesehenen Frist ausgeübt hat, bleibt ihr Arbeitsvertrag nach ... Recht bestehen."

Auf die Übersetzung des Dekret Nr. ... (Bl. 151 der FG-Akte ) wird verwiesen.

Mit einem weiteren Schreiben des Generalkonsulats vom 16.4.2008 wird nochmals mitgeteilt, dass die Klägerin im Jahr 1984 keine Möglichkeit hatte, sich für das deutsche Recht zu entscheiden (Bl. 142 der FG-Akte).

Auf telefonische Nachfrage der Berichterstatterin, warum nicht das nach der VO Nr. 1408/71 geltende deutsche Recht im Jahr 1984 angewandt worden sei, vertrat die Mitarbeiterin des Konsulats die Auffassung, dass die Beschäftigten "sozusagen auf ... Gebiet (Exterritorialität)" arbeiteten (s. Aktenvermerk vom 8.2.2007, Bl. 127 der FG-Akte 14 K 176/05).

Das Gericht fragte mit Schreiben vom 28.7.2008 beim ... und ... an, ob zwischen Deutschland und ... eine Vereinbarung nach Art. 17 VO (EWG) Nr. 1408/71 über eine Ausnahme von Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) i.V.m. Art. 16 VO (EWG) Nr. 1408/71 für Mitglieder des Geschäftspersonals ... konsularischer Vertretungen bestände (Bl. 172 ff. der FG-Akte 10 K 176/05). Die ... teilte darauf hin mit, dass zwischen ... und Deutschland eine Vereinbarung weder im Interesse bestimmter Personengruppen noch für die Klägerin abgeschlossen worden sei (Bl. 157 und Bl. 165 FG-Akte).

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist begründet, soweit sich die Klägerin dagegen wendet, dass die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld für den Sohn N mit der Begründung verweigert hat, sie gehöre nicht zum Kreis der Personen, die nach § 62 EStG Anspruch auf Kindergeld hätten. Insoweit ist der angefochtene Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

2. Die Beklagte hat den Antrag auf Kindergeld zuletzt mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin hätte sich für deutsches Recht entscheiden können, dies aber nicht getan, so dass sich der Anspruch auf Kindergeld ausschließlich nach ... Recht richte. Die Anwendbarkeit des deutschen Rechts sei ausgeschlossen. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass die Beklagte die Frage der Gewährung von deutschem Kindergeldrecht nur nach den Regelungen des Einkommensteuergesetzes zu prüfen hat, die nicht durch ausländisches Recht ausgeschlossen sind.

Das Gericht ist nicht verpflichtet, bis zur Spruchreife aufzuklären, ob die Klägerin nach inländischem Recht einen Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn N hat. Es darf sich vielmehr darauf beschränken, die von der Beklagten für die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung angeführten Gründe auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (BFH-Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04, BStBl II 2006, 184). Das Gericht macht von dieser Befugnis Gebrauch, weil es weiterer Aufklärung bedarf, ob die Klägerin sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt (insbesondere, ob der Sohn als Kind nach § 32 EStG zu berücksichtigen ist). Danach waren lediglich der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Beklagte hat gemäß § 101 Satz 2 FGO über den Antrag der Klägerin nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen erneut zu entscheiden.

a. Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG hat für Kinder i.S. des § 63 EStG Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dass die Klägerin diese Voraussetzung erfüllt ist nicht mehr streitig.

b. Die Anwendung des deutschen Rechts ist weder durch das Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (WÜK) noch durch das Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen.

aa. Gemäß Art. 48 Abs. 1 WÜK sind Mitglieder der konsularischen Vertretung, vorbehaltlich des Absatzes 3, in Bezug auf ihre Dienste für den Entsendestaat und die mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über die soziale Sicherheit befreit und gemäß Art. 49 WÜK von der Steuer befreit. Ob diese Vorschrift einen Anspruch auf Kindergeld überhaupt ausschließen kann, ist schon zweifelhaft (Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar § 62 EStG Rn. 19; vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 23. Juni 2006 18 K 1773/05 Kg [...]; vgl. BSG Urteil vom 29. Januar 2002 B 10/14 EG 1/00 R BSGE 89, 124)). Denn die Steuervergütung Kindergeld unterscheidet sich nach der Definition in § 31 EStG wesentlich von einer Sozialleistung. Zudem ist zu beachten, dass Beschäftigte der konsularischen Vertretung nur in Bezug auf ihre Dienste für den Entsendestaat von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit befreit sind, also von den beschäftigungsbezogenen Beitragspflichten und Leistungen der sozialen Sicherheit. Letztlich braucht der Senat diese Frage jedoch nicht zu entscheiden. Denn die Art. 48 Abs. 1 und 49 WÜK gelten nicht für Mitglieder konsularischer Vertretungen, die im Inland ständig ansässig sind (Art. 1 Abs. 3 WÜK). Insoweit gilt Art. 71 WÜK, der keine Befreiung von den in Deutschland geltenden Vorschriften über die soziale Sicherheit vorsieht.

Da die Klägerin in Deutschland unstreitig ständig ansässig ist (vgl. insoweit zur ständigen Ansässigkeit Urteil des FG Düsseldorf vom 23. Juni 2006 18 K 1773/05 Kg [...]; Urteil des FG Köln vom 24. Januar 2001 12 K 7040/98, EFG 2001, 552), gelten keine Befreiungsvorschriften des WÜK. Daher kann der Umstand, dass die Klägerin nicht den deutschen sozialen Vorschriften, sondern den ... sozialen Vorschriften unterliegt, den Kindergeldanspruch nach deutschem Recht nicht ausschließen.

Es ist im Streitfall auch unerheblich, ob das ... Konsulat zu Recht oder Unrecht eine inländische Steuerbefreiung nach dem WÜK oder nach DBA ... angenommen hat, denn der Kindergeldanspruch hängt nicht davon, dass in Deutschland Lohnsteuer gezahlt wird.

bb. Auch das Gemeinschaftsrecht schließt vorliegend die Anwendbarkeit des § 62 EStG nicht aus.

Für EU-Bürger gilt die EU-Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 (ABl. EG Nr. 149 v. 5. Juli 1971, S. 2) i.d.F. der VO 669/2006/EG v. 5. April 2006 (ABl. EG Nr. L 114 v. 27. April 2006, S. 1). Diese Verordnung hat als Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang. Sofern die VO sachlich und persönlich anwendbar ist, legen die Art. 13 bis 17 a des Titels II der VO fest, welche Rechtsvorschriften auf Arbeitnehmer, die innerhalb der Gemeinschaft zu und abwandern, anwendbar sind. Sie bilden nach ständiger Rechtsprechung ein geschlossenes System der Kollisionsnormen und bezwecken, dass die Betroffenen zu einem bestimmten Zeitpunkt nur einem System der sozialen Sicherheit unterliegen, so dass die Kumulierung anwendbarer Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden (vgl. EuGH-Urteil vom 10. Juli 1986 Rs. 60/85, EuGHE 1986, 2365 Randnr. 12; BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 61/00, BStBl II 2002, 869).

(1) Das Kindergeld fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h "Familienleistungen" (BFH-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 97/01, BFHE 200, 211, BStBl II 2002, 869).

(2) Die VO Nr. 1408/71 ist auch auf die Klägerin persönlich anwendbar, da sie Arbeitnehmerin i.S. des Art. 2, 73 VO Nr. 1408/71 ist.

(3) Die Art. 13 bis 17a des Titels II der VO Nr. 1408/71 legen fest, welche Rechtsvorschriften auf Arbeitnehmer anwendbar sind.

(aa) Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a) i.V.m. Art. 16 Abs. 1 der VO 1408/71 gilt für Mitglieder des Geschäftspersonals einer konsularischen Dienststelle grundsätzlich das Recht des Beschäftigungsstaats. Etwas anderes würde gelten, wenn sich das Mitglied gemäß Art. 16 Abs. 2 VO für das ... Recht entschieden hätte.

Die Klägerin ist als Angestellte des ... Generalkonsulats in L Mitglied des Geschäftspersonals einer konsularischen Dienststelle. Dies ergibt auch aus dem Beschluss der EG-Verwaltungskommission Nr. 89 vom 20. März 1973 zur Auslegung des Artikels 16 Absätze 1 und 2 der VO Nr. 1408/71 (ABl. Nr. C 086 vom 10. Juli 1974, S. 7). In diesem Beschluss wird ausgeführt, dass "Artikel 16 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ... außer auf die in Artikel 2 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Beamten und diesen gleichgestellte Personal auf alle Arbeitnehmer Anwendung (findet), die bei ... konsularischen Dienstellen dieser Vertretungen ... beschäftigt sind."

Demnach gilt für die Klägerin grundsätzlich das Recht des Beschäftigungsstaats, mithin deutsches Recht. Selbst wenn man die Ansicht verträte, dass das ... Generalkonsulat in einigen Bereichen den Status der Exterritorialität genösse (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 22. Januar 2008 10 K 2277/05 Kg), wäre das Konsulatsgelände selbst, auf dem die Klägerin ihre Arbeit zu verrichten hatte, nicht exterritorial (vgl. BAG-Urteil vom 20. November 1997 2 AZR 631/96, BAGE 87, 144). Beschäftigungsstaat im Sinne der VO Nr. 1408/71 ist daher Deutschland. Das ergibt sich zudem aus Art. 16 Abs. 2 der VO, der den Arbeitnehmern von konsularischen Dienststellen, die Möglichkeit eröffnet, das Recht des Arbeitgeberstaates - hier ... Recht - zu wählen. Wäre schon aufgrund einer angenommenen Exterritorialität das ... Recht anwendbar sein, ginge die Wahlmöglichkeit ins Leere.

(bb) Die Klägerin hat sich auch nicht nach Art. 16 Abs. 2 der VO Nr. 1408/71 für das ... Recht entschieden.

Eine ausdrückliche Wahl mittels des Vordrucks ... liegt nicht vor. Das Formular ... wird von der zuständigen Sozialversicherungsbehörde ausgestellt und dient dem Arbeitnehmer der konsularischen Dienststelle als Nachweis darüber, dass sie die Rechtsvorschriften des entsendenden Staates, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, gewählt haben. Ein Exemplar geht u.a. an den Arbeitgeber. Die Klägerin hat erklärt, dass sie ein solches Formular nicht verwandt hat. Dies stimmt auch mit den Angaben ihres Arbeitgebers überein, der mitgeteilt hat, dass ein Wahlrecht nicht bestand, mithin auch ein Wahlrecht gegenüber dem Arbeitgeber nicht ausgeübt werden konnte.

Eine - wenn auch konkludente - Wahl für das ... Recht läge nur dann vor, wenn die Klägerin eine diesbezügliche Wahlmöglichkeit gehabt hätte. Wie das ... Generalkonsulat mehrfach bestätigt hat, bestand für die Klägerin aber gerade keine Wahlmöglichkeit. Eine Wahl wurde daher nicht ausgeübt. Auch durch die Einführung des Dekret Nr. ... erhielten die Angestellten des ... Generalkonsulats nicht die Möglichkeit sich - wie in der VO vorgesehen - für das ... Recht zu entscheiden, sondern allein für das deutsche Recht. Dass sich die Klägerin im Jahr 2000 nicht für das deutsche Recht entschieden hat, sondern überhaupt keine Wahl getroffen hat, bedeutet daher nicht, dass sie nunmehr ihr Wahlrecht nach Art. 16 Abs. 2 der VO ausgeübt hat. Der Arbeitgeber der Klägerin hat ihr mit dem Dekret Nr. ... nicht das ihr zustehende Wahlrecht nach Art. 16 Abs. 2 der VO eingeräumt, sondern vielmehr eine nicht durch die VO gegebene Möglichkeit, deutsches Recht zu wählen.

Demnach bleibt es nach Auffassung des Senats bei dem Recht des Beschäftigungsstaats, mithin bei der Anwendbarkeit des deutschen Rechts.

Die vorliegende Auffassung, dass das ... Generalkonsulat die VO Nr. 1408/71 nach Ansicht des Senats unrichtig angewandt hat, verstößt auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot auf möglicherweise unterschiedliche Interessenlagen und divergierenden Rechtsauffassungen verschiedener Staaten. Denn die deutschen Gerichte sind jedenfalls befugt zu überprüfen, ob die im anderen Vertragsstaat zuständige Stelle die Vorschriften der VO richtig angewandt hat.

(cc) Das deutsche Recht ist auch nicht über Art. 17 der VO Nr. 1408/71 ausgeschlossen. Gemäß Art. 17 der VO Nr. 1408/71 können zwei Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden dieser Staaten oder die von diesen Behörden bezeichneten Stellen im Interesse bestimmter Personengruppen oder bestimmter Personen Ausnahmen von den Artikeln 13 bis 16 vereinbaren.

Eine solche Ausnahmevereinbarung liegt nach der Auskunft der zuständigen ... (Anhang 10 zur Verordnung (EWG) 574/72 über die Durchführung der VO (EWG) 1408/71 Buchstabe D (Deutschland) Nr. 3) nicht vor.

c. Im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20.5.2008 ("Bosmann", C-352/06, Abl EU 2008, Nr C 171, 5) wird selbst, wenn man der Rechtsansicht der Beklagten folgen könnte, ein nach deutschem Recht bestehender Kindergeldanspruch in einem dem Streitfall vergleichbaren Fall durch gemeinschaftsrechtliche Vorschriften nicht mehr ausgeschlossen. Der EuGH hat entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die VO (EWG) 1408/71 Deutschland nicht hindere, Kindergeld auch den Personen zu gewähren, für die nach der EU-Verordnung zwar ausländisches Recht gelte, aber eine Doppelleistung nicht in Betracht komme, weil beispielsweise Kindergeld für Volljährige im Ausland nicht gezahlt werde. Damit steht im vorliegenden Fall, in dem ... der Klägerin für ihren volljährigen Sohn kein Kindergeld gewährt, fest, dass das Gemeinschaftsrecht der Gewährung von Kindergeld an die Klägerin nicht entgegensteht. Da es im deutschen Recht keinen Ausschlusstatbestand gibt, steht der Klägerin grundsätzlich Kindergeld nach § 62 EStG zu.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 FGO; 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

4. Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.

Ende der Entscheidung

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