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Gericht: Finanzgericht Köln
Beschluss verkündet am 23.05.2008
Aktenzeichen: 2 K 3527/02
Rechtsgebiete: EStG, RL 90/435/EWG, EG


Vorschriften:

EStG 1999 § 44d Abs. 2 EStG
EStG 1999 § 50d Abs. 1 S. 2
RL 90/435/EWG Art. 2
EG Art. 234
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

2 K 3527/02

Tenor:

Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 234 Abs. 2 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (90/435/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 225, 6) dahingehend auszulegen, dass auch eine französische Gesellschaft in der Rechtsform einer "société par actions simplifiée" bereits in den Jahren vor 2005 als "Gesellschaft eines Mitgliedstaats" im Sinne dieser Richtlinie angesehen werden kann und ihr somit für einen von ihrer deutschen Tochtergesellschaft im Jahr 1999 ausgeschütteten Gewinn nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG die Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle zu gewähren ist?

2. Für den Fall, dass die Frage 1. zu verneinen ist:

Verstößt Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (90/435/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 225, 6) insoweit gegen Art. 43 EG und Art. 48 EG oder Art. 56 Abs. 1 und Art. 58 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG als er in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG zwar für eine französische Muttergesellschaft in der Rechtsform einer société anonyme, société en commandite par actions oder société à responsabilité limitée, nicht aber für eine französische Muttergesellschaft in der Rechtsform einer société par actions simplifiée bei Gewinnausschüttungen einer deutschen Tochtergesellschaft eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle vorschreibt?

Gründe:

A.

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin für eine im Jahr 1999 erfolgte Gewinnausschüttung ihrer Tochtergesellschaft die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer beanspruchen kann.

Die Klägerin ist eine in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft. Bis zum Jahr 2002 war sie eine Gesellschaft in der Rechtsform einer "société par actions simplifiée" (S.A.S.). Seit 2002 ist sie eine "société anonyme". Sie ist alleinige Anteilseignerin der G-GmbH mit Sitz in A (im Folgenden: G-GmbH).

Aufgrund eines Bescheids vom 28. Dezember 1998 des Bundesamts für Finanzen - BfF - (seit dem 01.01.2006 Bundeszentralamt für Steuern - BZSt -) war die G-GmbH berechtigt, den Steuerabzug für Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz - EStG - i.H.v. 5 % vorzunehmen.

Am 16. Juni 1999 schüttete die G-GmbH einen Gewinn i.H.v. 980.387,00 DM an die Klägerin aus. Von dieser Gewinnausschüttung behielt die G-GmbH Kapitalertragsteuer i.H.v. 49.019,35 DM sowie einen Solidaritätszuschlag i.H.v. 2.696,06 DM ein und führte die Steuerabzugsbeträge an das zuständige Finanzamt ab.

II.

Am 16. August 1999 stellte die Klägerin beim BfF einen Antrag auf Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer inkl. Solidaritätszuschlag i.H.v. 51.715,41 DM.

Mit Bescheid vom 6. September 1999 lehnte das BfF die beantragte Erstattung ab. Zur Begründung verwies das BfF darauf, dass eine Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer nicht möglich sei, da die Klägerin keine Muttergesellschaft i.S.d. § 44d Abs. 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung - EStG 1999 - i.V.m. Art. 2 der Richtlinie des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (90/435/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - Abl. EG - Nr. L 225, 6, im Folgenden: Richtlinie 90/435/EWG) sei. Die Rechtsform der "société par actions simplifiée" sei in der Liste der unter Art. 2 Buchst. a) der Richtlinie 90/435/EWG fallenden Gesellschaften nicht genannt. Die Aufzählung der Rechtsformen sei abschließend.

Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren verlief erfolglos. Durch Einspruchsentscheidung vom 27. Mai 2002 wies das BfF den Einspruch als unbegründet zurück.

III.

Mit der hiergegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie Folgendes vor:

Sie, die Klägerin, unterfalle auch mit ihrer früheren Rechtsform Art. 2 Buchst. a) i.V.m. Buchst. f) des Anhangs der Richtlinie 90/435/EWG, da sie auch im maßgeblichen Jahr 1999 eine "société anonyme" im Sinne der Richtlinie gewesen sei. Nach Art. 2 Buchst. a) der Richtlinie 90/435/EWG sei "Gesellschaft eines Mitgliedstaats" u.a. jede Gesellschaft, die im Anhang der Richtlinie aufgeführt sei. Entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung im Rahmen der Auflistung sei dabei nicht, ob der Namenszusatz bzw. das Namenskürzel, das die Gesellschaft zu führen habe, im Anhang benannt sei. Entscheidend sei vielmehr, ob die Gesellschaft in einer der dort genannten Rechtsformen organisiert sei. Gemäß Buchstabe f) des Anhangs seien Gesellschaften französischen Rechts, die in der Rechtsform der "société anonyme", d.h. der Aktiengesellschaft, organisiert seien, Gesellschaften im Sinne der Richtlinie. Diese Bezeichnung umfasse dabei auch die "société anonyme simplifiée", d.h. die vereinfachte Aktiengesellschaft, da diese lediglich ein Unterfall der "société anonyme" sei und keine andere Rechtsform darstelle.

Auch ein Vergleich mit der Aktiengesellschaft nach deutschem Recht zeige, dass die Versagung der Kapitalertragsteuererstattung aufgrund der namentlichen Unterscheidbarkeit der "société anonyme simplifiée" von der "société anonyme" unrichtig sei, weil dies zu zufälligen und nicht begründbaren Ergebnissen führe. Im deutschen Recht hebe sich die sog. "kleine" Aktiengesellschaft nicht durch einen Zusatz im Namen oder im Kürzel von der "regulären" Aktiengesellschaft ab. Sie sei daher ohne weiteres als Gesellschaft i.S. der Richtlinie 90/435/EWG zu klassifizieren. Der vereinfachten Aktiengesellschaft des französischen Rechts bliebe hingegen die Einordnung als Gesellschaft i.S. der Richtlinie 90/435/EWG allein deshalb verwehrt, weil der französische Gesetzgeber sich dafür entschieden habe, die Unterscheidung zwischen einer "société anonyme" und einer "société anonyme simplifiée" auch namentlich kenntlich zu machen. Diese unterschiedlichen Ergebnisse seien weder rechtssystematisch noch nach Sinn und Zweck der Richtlinie nachvollziehbar und begründbar.

Darüber hinaus sei die Richtlinie 90/435/EWG im Lichte der primärrechtlichen Grundfreiheiten auszulegen. Dabei sei insbesondere die in Art. 43, 48 EG gewährleistete Niederlassungsfreiheit zu berücksichtigen. Die Nichterstattung der auf einer Dividendenausschüttung einbehaltenen Kapitalertragsteuer würde eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit darstellen. Die nach Art. 10 EG zwingend vorzunehmende gemeinschaftskonforme Auslegung der Richtlinie 90/435/EWG gebiete es daher, den Katalog der Gesellschaftsformen im Anhang zur Richtlinie als nicht abschließend anzusehen. Für diese gemeinschaftskonforme Auslegung spreche auch, dass es zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 90/435/EWG die Rechtsform der S.A.S. im französischen Recht noch nicht gegeben habe. Der Richtliniengeber habe aber durch die Richtlinie 90/435/EWG alle körperschaftsteuerpflichtigen Kapitalgesellschaftsformen erfassen wollen. Dies zeige zum einen der Anhang zur Richtlinie 90/435/EWG. Dort seien alle Kapitalgesellschaftsformen aufgezeichnet, die in dem jeweiligen Mitgliedstaat im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie existiert hätten. Zum anderen werde diese Schlussfolgerung auch durch einen die Richtlinie 90/435/EWG betreffenden Änderungsvorschlag der EU-Kommission aus dem Jahr 1993 (AblEG Nr. C 225/5-6) bestätigt, der folgende Begründung enthalte:

"In Artikel 2 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates werden die Gesellschaften aufgeführt, die in ihren Anwendungsbereicht fallen. In diesem Artikel werden nicht alle Formen von Unternehmen genannt, die in einem Mitgliedsstaat niedergelassen und körperschaftsteuerpflichtig sind. Die Richtlinie sollte daher für alle Unternehmen gelten, die grenzüberschreitende Tätigkeiten in der Gemeinschaft ausüben können und in einem Mitgliedstaat körperschaftsteuerpflichtig sind."

Hier komme deutlich zum Ausdruck, dass der Richtliniengeber alle körperschaftsteuerpflichtigen Kapitalgesellschaften habe erfassen wollen, die bei Erlass der Richtlinie 90/435/EWG bereits bestanden hätten. Denn der Richtliniengeber habe mit der vorgeschlagenen Änderung des Wortlauts nicht die Richtlinie auf Gesellschaften erweitern wollen, die er zuvor als nicht begünstigte Gesellschaften ausgeschlossen habe. Zweck der Wortlautänderung sei es lediglich gewesen, den Regelungsbereich der Richtlinie in ihrer ursprünglichen Fassung klarzustellen.

Außerdem sei das Urteil des EuGH vom 18. September 2003 (C-168/01, "Bosal Holding BV", Slg. 2003, I-9409) zu berücksichtigen. Nach dieser Entscheidung impliziere die Vereinbarkeit einer nationalen Norm mit dem Sekundärrecht nicht die Gemeinschaftskonformität der nationalen Regelung. Vielmehr müsse sich die eine Richtlinie umsetzende nationale Regelung selbst am Primärrecht messen lassen. Im Streitfall sei daher auch die nationale Regelung in § 44d Abs. 2 EStG 1999 ebenso wie die Richtlinie 90/435/EWG im Lichte der Grundfreiheiten auszulegen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 6. September 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Mai 2002 den Beklagten zu verpflichten, einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer i.H.v. 49.019,35 DM zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt der Beklagte im Wesentlichen Folgendes vor:

Eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer S.A.S. könne die Vorteile der Richtlinie 90/435/EWG nicht in Anspruch nehmen. Der Anhang zur Richtlinie 90/435/EWG sei abschließend. Die Gesellschaftsform der S.A.S. sei darin nicht enthalten.

Der französische Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, die S.A.S. als eigenständige Gesellschaftsform gesetzlich zu regeln. Es sei nicht maßgeblich, welche Ähnlichkeiten diese Gesellschaftsform mit anderen Gesellschaften aufweise, oder ob andere nationale Gesetzgeber ähnliche Sachverhalte anders behandelt hätten. Der Umstand, dass der französische Gesetzgeber eine eigene Regelung und eine eigene Bezeichnung für die S.A.S. eingeführt habe, zeige, dass er Unterschiede zur "société anonyme" sehe und die beiden Gesellschaftsformen grundsätzlich unterschiedlich behandelt sehen wolle.

Die von der Klägerin vorgenommene Auslegung der Richtlinie 90/435/EWG und des § 44d EStG 1999 sei angesichts des eindeutigen Wortlauts beider Regelungen nicht möglich.

Die Rechtsansicht des Beklagten werde auch durch die Ausführungen der EU-Kommission in dem Änderungsvorschlag aus dem Jahr 1993 (Abl. EG Nr. C 225/5-6) bestätigt. Dort heiß es:

"In Artikel 2 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates werden die Gesellschaften aufgeführt, die in ihren Anwendungsbereich fallen."

Die sich dem Zitat anschließenden Überlegungen der Kommission bezögen sich auf einen der Kommission wünschenswert erscheinenden, durch die vorgeschlagene Änderung erst noch in der europäischen Gemeinschaft einheitlich herbei zu führenden Rechtszustand. Dieser Rechtszustand sei jedoch bis 2004 nicht hergestellt worden.

B.

I.

1. Der Senat setzt das Streitverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und legt dem Europäischen Gerichtshof - EuGH - die im Leitsatz genannten Fragen zur Vorabentscheidung vor.

2. Die Anrufung des EuGH ist gemäß Art. 234 EG geboten, weil die Auslegung des Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie 90/435/EWG in entscheidungserheblicher Weise zweifelhaft ist. Entscheidend für den Ausgang des Klageverfahrens ist die Frage, ob Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie 90/435/EWG dahingehend auszulegen ist, dass auch einer Gesellschaft französischen Rechts in der Gesellschaftsform einer "société par actions simplifiée" für einen von ihrer deutschen Tochtergesellschaft im Jahr 1999 ausgeschütteten Gewinn die Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG zu gewähren ist.

3. Sollte diese Auslegung nicht möglich sein, so stellt sich die weitere Frage, ob die dann von Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie 90/435/EWG vorgegebene unterschiedliche steuerliche Behandlung verschiedener Gesellschaftsformen französischen Rechts mit Art. 43 EG und Art. 48 EG sowie mit Art. 56 Abs. 1 und Art. 58 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG vereinbar ist.

II.

Den gestellten Frage liegt folgender nationaler rechtlicher Rahmen zugrunde:

1. Können Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen, u.a. nach § 44d EStG 1999 nicht besteuert werden, so kann der Gläubiger der Kapitalerträge gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1999 die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer beanspruchen.

a) Gemäß § 44d Abs. 1 EStG 1999 wird auf Antrag die Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und des § 43 Abs. 1 Satz 1 EStG 1999, die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, aus Ausschüttungen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes oder aus der Vergütung von Körperschaftsteuer zufließen, nicht erhoben. Muttergesellschaft im Sinne des Absatz 1 ist nach § 44d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 eine Gesellschaft, die die in der Anlage 7 zu diesem Gesetz bezeichneten Voraussetzungen des Artikel 2 der Richtlinie Nr. 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 (ABl. EG Nr. L 225, 6) erfüllt und die im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG 1999 nachweislich mindestens zu einem Viertel unmittelbar am Nennkapital der unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Weitere Voraussetzung ist nach § 44d Abs. 2 Satz 2 EStG 1999, dass die Beteiligung nachweislich ununterbrochen zwölf Monate besteht. Wird dieser Beteiligungszeitraum nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG 1999 vollendet, so ist nach § 44d Abs. 2 Satz 3 EStG 1999 die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1999 zu erstatten; das Freistellungsverfahren nach § 50d Abs. 3 EStG 1999 ist ausgeschlossen.

b) In Anlage 7 zum Einkommensteuergesetz 1999 ist folgendes ausgeführt:

"Gesellschaften im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie Nr. 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 (ABl. EG Nr. L 225, 6) über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ergänzt durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassung der die Europäische Union begründenden Verträge vom 24. Juni 1994 (BGBl. II S. 2031).

Gesellschaft im Sinne des Artikels 2 der genannten Richtlinie ist jede Gesellschaft, die

1. eine der aufgeführten Formen aufweist:

...

- Gesellschaften französischen Rechts mit der Bezeichnung:

société anonyme, société en commandite par actions, société à responsabilité limitée sowie die staatlichen Industrie- und Handelsbetriebe und -unternehmen;

...

2. nach dem Steuerrecht eines Mitgliedsstaats in bezug auf den steuerlichen Wohnsitz als in diesem Staat ansässig und auf Grund eines mit einem dritten Staat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens in bezug auf den steuerlichen Wohnsitz nicht als außerhalb der Gemeinschaft ansässig betrachtet wird und

3. ohne Wahlmöglichkeit einer der nachstehenden Steuern

...

- impôt sur les sociétés in Frankreich

...

- oder irgendeiner Steuer, die eine dieser Steuern ersetzt, unterliegt, ohne davon befreit zu sein."

2. Vorbehaltlich der Frage, ob die Klägerin im Jahr 1999 mit ihrer Rechtsform der "société par actions simplifiée" die Voraussetzungen der Nr. 1 der Anlage 7 zu § 44d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 erfüllt (dazu unter III.), liegen die sonstigen Voraussetzungen für die von der Klägerin geltend gemachte Kapitalertragsteuererstattung nach § 50d Abs. 1 Satz 2, § 44d Abs. 1 und 2 EStG 1999 i.V.m. der Anlage 7 zum EStG 1999 vor.

Die Klägerin ist im Hinblick auf die in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige G-GmbH eine Muttergesellschaft i.S.d. § 44d Abs. 1 EStG 1999. Sie gilt nach dem französischen Steuerrecht in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz als in Frankreich ansässig (Anlage 7 Nr. 2 zu § 44d EStG 1999). Auch unterliegt sie in Frankreich der Körperschaftsteuer - "impôt sur les sociétés" - (Anlage 7 Nr. 3 zu § 44d EStG 1999). Die Klägerin war im Zeitpunkt des Zuflusses der Gewinnausschüttung im Jahr 1999 und damit beim Entstehen der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG 1999) in Höhe von 100 % am Nennkapital ihrer Tochtergesellschaft, der G-GmbH, beteiligt. Die Beteiligung besteht nachweislich ununterbrochen seit mehr als 12 Monaten (§ 44d Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG 1999). Schließlich hat die Klägerin beim Beklagten auch den Antrag gestellt, die bei der Gewinnausschüttung von ihrer Tochtergesellschaft einbehaltene und abgeführte Kaptalertragsteuer zu erstatten (§§ 44d Abs. 1, 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 1999).

III.

In entscheidungserheblicher Weise kommt es damit zunächst darauf an, ob die Klägerin eine der in § 44d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 i.V.m. der Anlage 7 Nr. 1 zu § 44d EStG 1999 aufgeführten Gesellschaftsformen aufweist. § 44d Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. der Anlage 7 Nr. 1 zu § 44d EStG verweisen ausdrücklich auf die Voraussetzungen des Artikels 2 der Richtlinie Nr. 90/435/EWG. Der Senat geht daher davon aus, dass die Regelung in § 44d Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. der Anlage 7 Nr. 1 zu § 44d EStG in Übereinstimmung mit der vorgenannten Richtlinienbestimmung auszulegen ist. Wie allerdings diese Richtlinienbestimmung verstanden werden muss, ist unklar. Es obliegt insoweit allein dem EuGH Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie 90/435/EWG auszulegen.

1. Der Wortlaut des Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie 90/435/EWG lautet:

"Im Sinne dieser Richtlinie ist "Gesellschaft eines Mitgliedstaats" jede Gesellschaft,

a. die eine der im Anhang aufgeführten Formen aufweist.

Anhang

Liste der unter Artikel 2 Buchstabe a) fallenden Gesellschaften

...

f) die Gesellschaften französischen Rechts mit der Bezeichnung: société anonyme, société en commandite par actions, société à responsabilité limitée sowie die staatlichen Industrie- und Handelsbetriebe und -unternehmen."

2. Nach dem reinen Wortlaut des Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie 90/435/EWG wies die Klägerin im Jahr der Gewinnausschüttung ihrer Tochtergesellschaft keine der genannten Gesellschaftsformen auf. Die Gesellschaftsform der "société par actions simplifiée" ist im Anhang Buchst. f) der Richtlinie 90/435/EWG nicht aufgeführt. Die Klägerin war nach einer vom Bundesministerium der Finanzen eingeholten Auskunft des französischen Steuerattachés in A vom 5. Mai 2000 auch kein staatliches Industrie- und Handelsunternehmen. Bei einer wortlautgetreuen Auslegung der Richtlinienbestimmung könnte die Klägerin damit die Erstattung der Kapitalertragsteuer nicht beanspruchen.

3. Aus der Sicht des vorlegenden Senats stellt sich allerdings die Frage, ob die Richtlinienbestimmung nur entsprechend ihrem reinen Wortlaut ausgelegt werden kann oder ob im Streitfall andere Auslegungsmethoden vorzuziehen sind.

a) In diesem Zusammenhang ist nach Ansicht des vorlegenden Senats zunächst der sich insbesondere aus der dritten Begründungserwägung ergebende Zweck der Richtlinie 90/435/EWG zu berücksichtigen. Die Richtlinie will die Benachteiligung beseitigen, die sich daraus ergibt, dass die für die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geltenden Steuervorschriften im Allgemeinen ungünstiger sind als diejenigen, die für die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften ein und desselben Mitgliedstaats gelten, und damit den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene erleichtern (vgl. EuGH-Urteil vom 18. September 2003 in der Rechtssache C-168/01, Bosal Holding BV, Slg. 2003, I-9409, Rdnr. 22).

b) Weiterhin weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass es im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 90/435/EWG die Rechtsform der "société par actions simplifiée" im französischen Recht noch nicht gegeben hat. Die Rechtsform der "société par actions simplifiée" wurde erst 1994 in den Artikeln L 227-1 bis L 227-19 des "Code de Commerce" geschaffen.

c) Schließlich ist nach Meinung des vorlegenden Senats zu berücksichtigen, dass die Rechtsform der "société par actions simplifiée" in der Richtlinie des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Änderung der Richtlinie 90/435/EWG über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (2003/123/EG, Amtsblatt der Europäischen Union - ABl. EU - 2004 Nr. L 7, 41, im Folgenden: Richtlinie 2003/123/EG) im Anhang Buchst. f) ausdrücklich als unter Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2003/123/EG fallende Gesellschaftsform genannt wird. In der vierten Begründungserwägung der Richtlinie 2003/123/EG wird hierzu ausgeführt, dass bestimmte Rechtsformen nicht in der Liste im Anhang der Richtlinie 90/435/EWG aufgeführt sind, obwohl die betreffenden Gesellschaften steuerlich in einem Mitgliedstaat ansässig sind und dort der Körperschaftsteuer unterliegen. Daher sollte, so die vierte Begründungserwägung, der Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435/EWG auf weitere Körperschaften, die in der Gemeinschaft grenzüberschreitend tätig sein können und alle Voraussetzungen der Richtlinie erfüllen, ausgedehnt werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Richtlinie 2003/123/EG entsprechend Art. 2 Satz 1 dieser Richtlinie mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 in nationales Recht umgesetzt.

d) Die genannten Gesichtspunkte legen nach Meinung des vorlegenden Senats die Frage nahe, ob Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie 90/435/EWG nicht wegen einer planwidrigen Regelungslücke im Wege einer Analogie dadurch geschlossen werden kann, dass eine französische Gesellschaft in der Rechtsform einer "société par actions simplifiée" bereits in den Jahren vor 2005 als "Gesellschaft eines Mitgliedstaats" im Sinne der Richtlinie 90/435/EWG angesehen werden kann und ihr somit für einen von ihrer deutschen Tochtergesellschaft im Jahr 1999 ausgeschütteten Gewinn die Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle zu gewähren ist. Für eine solche Rechtsfortbildung könnte insbesondere sprechen, dass es keinen sachlichen Grund dafür gibt, eine Gesellschaftsform, die unzweifelhaft alle Voraussetzungen der Richtlinie 90/435/EWG erfüllt und die in dieser Richtlinie nur deshalb nicht aufgeführt wird, weil diese Gesellschaftsform im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie noch nicht existierte, gegenüber anderen ausdrücklich aufgeführten Gesellschaftsformen zu benachteiligen.

IV.

Sollte eine Auslegung des Art. 2 Buchst. a) i.V.m. dem Anhang Buchst. f) der Richtlinie 90/435/EWG zugunsten der Klägerin nicht möglich sein, so stellt sich nach Meinung des vorlegenden Senats die weitergehende Frage, ob dieser Artikel dann nicht selbst gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstößt. Die unterschiedlichen Vorgaben für die steuerliche Behandlung verschiedener Gesellschaftsformen französischen Rechts könnte gegen die in Art. 43 EG und Art. 48 EG gewährleistete Niederlassungsfreiheit oder die in Art. 56 Abs. 1 und Art. 58 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 EG garantierte Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen.



Ende der Entscheidung

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