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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 10.06.1999
Aktenzeichen: 2 K 93/99
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 62 Abs 2 S 1 | |
StlÜbk Art 29 | |
StlÜbk Art 24 Abs 1b | |
StlÜbk Art 24 Abs 1b ii | |
EStG § 62 Abs 2 |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Kindergeld für die Kinder A (geboren 02.06.1986) und B (geboren 14.11.1996) zusteht.
Der Kläger war früher ...(ausländischer) Staatsangehöriger, seine Ehefrau ...(Ausländerin). Seit 1993 halten beide sich in Deutschland auf. Derzeit wohnen sie in einer Gemeinde bei ... .
Nach dem am 08.07.1998 vom Landrat des ... Kreises ausgestellten Reiseausweis ist der Kläger staatenlos und verfügt in Deutschland über eine Aufenthaltsbefugnis. Die beiden vorgenannten Kinder sind eheliche Kinder des Klägers und seiner Ehefrau.
Der Kläger beantragte am 25. August 1998 beim Beklagten für die beiden Kinder die Gewährung von Kindergeld. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 17.09.1998 ab, da der Kläger nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung ist. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 16.12.1998 ab, in der er die im Ablehnungsbescheid gegebene Begründung wiederholte.
Mit der Klage trägt der Kläger vor:
Er sei nach der sog. Staatenlosenkonvention kindergeldberechtigt.
Der Kläger beantragt,
ihm für die Zeit ab Februar 1998 Kindergeld für die Kinder A und B zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach einer telefonischen Auskunft des Pressesprechers des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, wird durch das Bundesamt keine Bescheinigung über die Anerkennung als Staatenloser erteilt.
Gründe
Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet.
Die Ablehnung eines entsprechenden Kindergeldbescheids durch den Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger dadurch in seinen Rechten (vgl. § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
Der Kläger hat Anspruch auf Kindergeld für die Kinder A und B.
Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes -EStG- hat ein Ausländer zwar nur Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger, der lediglich eine Aufenthaltsbefugnis hat, nicht.
Die vorgenannte Einschränkung ist aber auf den Kläger nicht anzuwenden. Der grundsätzliche Ausschluß des Kindergeldanspruchs für aufenthaltsrechtlich nur geduldete Ausländer durch § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG wird nämlich eingeschränkt durch über- oder zwischenstaatliches Recht (vgl. Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 21.01.1999, 10 K 5596/97 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte 1999, 567 m.w.Nw.).
Im Streitfall ist der Kläger aufgrund des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen (Staatenlosenübereinkommen -StlÜbk-, Bundesgesetzblatt II 1976, Seite 474, in Kraft gesetzt durch Gesetz vom 12.04.1976, BGBl II 1976, 473) einem Deutschen gleichgestellt.
Der Kläger ist staatenlos. Dies wird durch den Reiseausweis vom 08.07.1998 dokumentiert und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Der Bundesfinanzhof (Beschluß vom 16.10.1998, VI B 192/98, BFH/NV 1999, 310) hat zwar ausgeführt, daß Staatenlose, die aufgrund des StlÜbk als solche anerkannt seien, den Deutschen gleichgestellt seien. Eine solche Anerkennung als Staatenloser ist jedoch weder in dem Übereinkommen vorgesehen, noch wird sie vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge überhaupt ausgesprochen. Sie ist deshalb nicht Voraussetzung, um sich auf das Staatenlosenübereinkommen berufen zu können.
Artikel 29 StlÜbk stellt Staatenlose hinsichtlich der steuerlichen Lasten den Staatsangehörigen des Wohnsitzstaates des Staatenlosen gleich. Der Kläger kann sich in bezug auf die Kindergeldberechtigung auf diese Vorschrift berufen, da das Kindergeld seit der Neugestaltung durch das Jahressteuergesetz 1996 als Steuervergütung gezahlt wird (Kanzler in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 31 EStG Anm. 30; Weber/Grellet in Schmidt, EStG, 18. Aufl. 1999, § 62, Rz. 4).
Artikel 29 StlÜbk wird nicht durch Artikel 24 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ii eingeschränkt. Nach dieser Vorschrift gewähren die Vertragsstaaten den Staatenlosen die gleiche Behandlung wie ihren Staatsangehörigen in bezug auf die soziale Sicherheit vorbehaltlich besonderer innerstaatlicher Rechtsvorschriften über Leistungen oder Leistungsteile, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten werden. Diese Vorschrift hat das Bundessozialgericht zwar auch auf das Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz angewandt (Urteil vom 03.12.1996, 10 RKg 8/96 - Sozialrecht 3-5870, § 1 Nr. 12 zu § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes). Dieses Urteil ist aber durch die Neuregelung des Kindergeldes überholt. Das Kindergeld wird nicht mehr als Sozialleistung, sondern nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers gemäß § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt. In bezug auf das Staatenlosenübereinkommen bedeutet dies, daß die Vorschrift zur Anwendung kommt, die sich mit der steuerlichen Gleichstellung von Staatenlosen befaßt und nicht mehr die Vorschrift, die Regelungen hinsichtlich von Sozialleistungen an Staatenlose enthält.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 FGO, § 708 Nr. 10 der Zivilprozeßordnung.
Der Senat läßt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Die Frage, ob und ggf. ob nur Artikel 29 StlÜbk auf Kindergeldzahlungen nach neuem Recht anwendbar ist und diese Vorschrift Vorrang vor der Bestimmung des Artikels 24 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ii hat, ist streitig und bedarf einer höchstrichterlichen Entscheidung.
Ende der Entscheidung
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