Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 22.10.2008
Aktenzeichen: 4 K 1367/05
Rechtsgebiete: UStG, AO


Vorschriften:

UStG § 14
UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1
AO § 10
AO § 11
AO § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

4 K 1367/05

Tenor:

Der Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 07.01.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.03.2005 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer auf 172.140,39 € festgesetzt wird.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Klägers Herrn N zum Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firma S GmbH.

Der Kläger Herr N betreibt als Einzelunternehmer eine Bauunternehmung. Im Streitjahr war er u.a. im Zusammenhang mit der Errichtung des Objektes "C" in B sowie dem Bauvorhaben "M" in D beauftragt. Hierbei arbeitete er zunächst ab Februar 2002 zur Abwicklung des Auftrags mit der Firma E als Subunternehmen zusammen. Diese beauftragte zu Beginn ihrerseits die Firma S GmbH. Als die Firma E im August 2002 in Zahlungsschwierigkeiten geriet und aufgrund dessen ein Kran auf der vom Kläger zu bedienenden Baustelle stillgelegt wurde, kündigte der Kläger die Zusammenarbeit mit der Firma E und beauftragte die Firma S GmbH unmittelbar u.a. mit Rohbauarbeiten (Einschalung etc.). Dabei wurden ein Bau-Container und größere Werkzeuge bzw. Maschinen sowie das Material vom Kläger zur Verfügung gestellt. Lediglich kleinere Werkzeuge wurden von der S GmbH mitgebracht.

Die S GmbH war mit notariellem Vertrag vom 00.00.0000 gegründet worden. Die Eintragung ins Handelsregister erfolgte am 00.00.0000. Als Firmensitz wurde im Handelsregister die Anschrift 00000 F, G-Strasse angegeben. Alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH waren zu je 1/3 Anteil Herr T1, K-Str., 00000 F; Herr T2, F-Str., 00000 F, sowie Herr T3, L-Str., 00000 F.

Das für die S GmbH zuständige Finanzamt führte am 00.00.0000, 00.00.0000 und 00.00.0000 Nachschauen an den Anschriften G-Str., K-Str. sowie L-Str. in F durch. Auf die entsprechenden Vermerke in der Rechtsbehelfsakte wird Bezug genommen.

Der Beklagte führte im Anschluss daran für die Jahre 2001 und 2002 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für den Betrieb des Klägers durch. Der Prüfer führte im Bericht vom 00.00.0000 aus:

"Die S GmbH hat am 00.00.0000 bei der Stadtverwaltung F ein Gewerbe angemeldet. Als Gegenstand des Unternehmens wurde angegeben: Ausführung von Hoch- und Tiefbauarbeiten, Beteiligung an anderen Unternehmen".

Der tatsächliche Gegenstand des Unternehmens dürfte sich lediglich auf die Erstellung von Rechnungen über nicht von der Firma ausgeführte Lieferungen und Leistungen beschränken. Die Gewerbeanmeldung erfolgte am 00.00.0000. Rechnungsdatum der ersten Rechnung ist der 00.00.0000.

Als Sitz der Firma wurde im Handelsregister die Anschrift G-Str., 00000 F eingetragen. Auf den Rechnungen und bei der Gewerbeanmeldung wurden dagegen als Sitz und Anschrift K-Str., 00000 F verwandt.

Unter beiden Adressen befindet sich nachweislich nicht der Firmensitz.

Im Rahmen von Nachschauen wurde am 00.00.0000 und 00.00.0000 die Anschrift G-Str. aufgesucht. Hierbei handelt es sich um einen umzäunten Schrottplatz auf dem mehrere Busse abgestellt sind. Einzig aufstehendes "Gebäude" ist eine alte, dem Verfall preisgegebene Holzbaracke mit vernagelten Fensteröffnungen und einem verriegelten, offenbar längere Zeit schon nicht mehr benutzten Eingang. Ein Briefkasten oder sonstige Hinweise auf S GmbH konnten dort nicht vorgefunden werden.

Ebenfalls wurden am 00.00.0000 und am 00.00.0000 Nachschauen unter der zweiten, als angeblichem Firmensitz angegebenen Anschrift, K-Str., vorgenommen. Auch hier war kein Firmensitz feststellbar.

Bei dem Gebäude K-Str. handelt es sich um ein, im Eigentum Dritter stehendes Einfamilienhaus. Es sind dort weder Briefkasten, noch Schelle, noch sonstige äußerlich erkennbare Hinweise auf die S GmbH vorzufinden.

In dem Gebäude wird Herrn T1 lediglich ein Raum zum Schlafen zur Verfügung gestellt. Dieser Raum wird von Herrn T1 in unregelmäßigen Abständen benutzt.

Abrechnungsunterlagen, Stundenaufzeichnungen, oder andere für die Geschäftsführung einer GmbH erforderlichen Unterlagen wurden nicht vorgefunden.

Auch der Hauseigentümerin war nicht bekannt, dass sich in ihrem Gebäude der Sitz einer Bauunternehmung befinden soll.

Weiterhin wurde im Rahmen von Nachschauen am 00.00.0000 und 00.00.0000 die Anschriften der anderen beiden Gesellschafter aufgesucht. Auch hier waren keine Hinweise auf das Vorhandensein oder eine evtl. Geschäftstätigkeit der S GmbH zu finden.

Unter der Anschrift L-Str., der Wohnung des Geschäftsführers Herrn T3, sollte sich auch noch ein Firmensitz befinden. Bei den Nachschauen wurde dies von den dort wohnenden Familienmitgliedern sehr bestimmt, u.a. unter Hinweis auf Platzmangel, verneint und als Firmensitz die Anschrift K-Str. benannt.

(...)

Eine unternehmerische Tätigkeit seitens der S GmbH konnte nicht festgestellt werden.

Die Rechnungen wurden bis auf eine alle bar bezahlt. Eine Rechnung der S GmbH wurde mit Scheck beglichen. Trotz Aufforderung wurde dem Prüfer bisher nicht mitgeteilt, welche Person den Scheck eingelöst hat. Ebenfalls wurde der Subunternehmerfragebogen bisher nicht beantwortet.

Die Vorsteuern aus den Eingangsrechnungen der S GmbH sind aus vorgenannten Gründen nicht anzuerkennen."

Hinsichtlich des Geschäftssitzes ermittelte die Umsatzsteuer-Sonderprüfung ferner, dass Anschlussinhaberin der auf der Rechnung der GmbH angegebene Telefonnummer die Tochter des Herrn T3, Frau V, war, die an der derselben Anschrift wie ihr Vater (L-Str.) wohnte und gemeldet war.

Der Beklagte schloss sich der Beurteilung durch den Umsatzsteuersonderprüfer an und versagte im Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 09.05.2003 den Vorsteuerabzug für im Zeitraum August bis Oktober 2002 in Rechnung gestellte Umsatzsteuer in Höhe von 43.467,62 €.

Durch Beschluss des Amtsgerichts B (...) vom 00.00.0000 wurde das vorläufige Insolvenzverfahren über das Vermögen der S GmbH eingeleitet, welches mit Beschluss vom 00.00.0000 eröffnet wurde. Im Gutachten vom 00.00.0000 des vorläufigen Insolvenzverwalters Herrn Q, auf welches im übrigen Bezug genommen wird, heißt es:

"Die Gesellschaft nahm nach Angaben des Geschäftsführers T3 zu Beginn des Jahres 0000 den Geschäftsbetrieb auf. Der einzige bearbeitete Auftrag, den man mit etwa 15 Arbeitnehmern erledigte, war der Bau eines ... der Firma C. Hierbei war die Schuldnerin zunächst tätig als Subunternehmer der Firma E GmbH aus B. Nach dem die Firma C wegen umfangreicher Mängel und nicht eingehaltener Termine die Firma E gekündigt hatte, wurde der Auftrag zu Ende geführt von einer Firma N (Firma des Klägers) aus H, wobei die Schuldnerin wiederum als Subunternehmer tätig war. Der - von Herrn Steuerberater L gebuchte - Gesamtumsatz, den die Schuldnerin bei diesem Bauvorhaben der Firma C machte, beträgt nach einer mir vorliegenden betriebswirtschaftlichen Auswertung auf den 31.12.2002 insgesamt 475.369,98 €. Die Arbeiten wurden etwa im Monat Oktober 2002 beendet.

(...)

Nach Beendigung der Arbeiten bei der Firma C konnte die Schuldnerin nach Angaben des Geschäftsführers T3 keine neuen Aufträge mehr erlangen, so dass der Geschäftsbetrieb seither zum Erliegen gekommen ist. Offenbar hat man auch nicht die Absicht, den Geschäftsbetrieb fortzuführen. Die bei der Schuldnerin vormals beschäftigten Mitarbeiter wurden alle entlassen."

Der Kläger legte gegen den erlassenen Umsatzsteuerbescheid mit Schreiben vom 23.05.2003 Einspruch ein und verlangte die vollständige Berücksichtigung der geltend gemachten Vorsteuern. Die S GmbH sei unternehmerisch tätig gewesen. Er habe sich vor Vertragsvereinbarung mit der Handwerkskammer in Verbindung gesetzt und einen Handelsregisterauszug beigezogen.

Im Zuge der weiteren Ermittlungen im Rechtsbehelfsverfahren legte der Kläger einen schriftlichen Fragebogen, datierend auf den 06.03.2003, vor, aus dem sich folgende Angaben ergeben:

Nach Kündigung des Vertrages mit der Firma E sei die Firma S GmbH, da man mit den bisher geleisteten Arbeiten zufrieden gewesen sei und aufgrund von vereinbarten Fertigstellungsterminen dringend weitergearbeitet werden musste, für ihn auf der Baustelle direkt von August bis Oktober 2002 tätig gewesen. Die auf den Baustellen für die S GmbH tätigen ca. 12 Arbeitnehmer seien durch Herrn T3 beaufsichtigt und angewiesen worden. Dieser habe auch die Rechnungen übergeben, die dann bar bzw. per Scheck beglichen worden seien. Die Räumlichkeiten F, K-Str. seien vom Kläger bzw. einem Vertreter aufgesucht worden und es bestünden bis zum heutigen Tage noch Kontakte zur o.a. Firma.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieses Fragebogens Bezug genommen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 03.03.2005 lehnte der Beklagte eine Anerkennung der streitgegenständlichen Vorsteuern weiterhin ab und vertrat die Auffassung, dass der Abzug der durch eine GmbH in Rechnung gestellten Vorsteuer nur möglich sei, wenn der in der Rechnung ausgewiesene Sitz der GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungsstellung tatsächlich bestanden habe. Die Darlegungs- und Feststellungslast für die den Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen trage der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen wolle. Die Einholung von Handelsregisterauszügen und Auskünften bei der Handwerkskammer reiche hierzu nicht aus. Weder der in den Rechnungen noch der im Handelsregister eingetragene Firmensitz habe zur Zeit der Ausführung der Leistung bestanden. Vielmehr habe überhaupt kein Firmensitz ermittelt werden können. Darüber hinaus sei nicht nachgewiesen worden, dass die in den Rechnungen ausgewiesenen Beträge tatsächlich an die S GmbH gezahlt worden seien. Denn bei den vom Kläger im Prüfungsverfahren zum Nachweis der Bezahlung an die S GmbH vorgelegten "Quittungen" handele es sich um nicht unterschriebene Eigenbelege. Auch sei der Kläger der ihm obliegenden Pflicht, sich über die Richtigkeit der Geschäftsdaten - insbesondere hinsichtlich des Firmensitzes - zu vergewissern, nicht hinreichend nachgekommen. Die einzige Tätigkeit der S GmbH habe darin bestanden, Rechnungen zu erstellen. Die darin angeführten Leistungen seien nicht erbracht und die Beträge nie gezahlt worden. In diesem Fall werde die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer durch den Rechnungsaussteller nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldet, so dass der Vorsteuerabzug schon aus diesem Grunde zu versagen sei.

Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hat im Klageverfahren 11 Rechnungen über einen Bruttobetrag von 306.882,33 € inklusive 42.328,58 € Umsatzsteuer vorgelegt. Bei 10 der vorgelegten Rechnungen handelt es sich um Abschlagszahlungen; eine Rechnung betrifft die Schlussrechnung für das Bauvorhaben "M". Eine Schlussrechnung für das Bauvorhaben "C" wurde durch die Fa. S GmbH nicht gestellt und auch nicht durch den Kläger vorgelegt. An die Firma S GmbH wurden laut den auf den vorgelegten Rechnungen angebrachten Vermerken nach Abzug der einbehaltenen und an das zuständige Finanzamt abgeführten Bauabzugsteuer 260.850 € bar bzw. per Scheck ausgezahlt.

Der Kläger trägt vor, dass die S GmbH ihren tatsächlichen Sitz an der angegebenen Adresse gehabt habe. Jedenfalls habe er Herrn T3 ca. 3 x nach der Arbeit in der K-Strasse abgesetzt. Dieser habe angegeben, dass seine Tochter auch dort die Rechnungen schreibe. Grundsätzlich sei der im Handelsregister eingetragene Sitz der tatsächliche Sitz. Allerdings sei unschädlich, wenn sich der Sitz der Gesellschaft nach der Eintragung ändere und der neue Sitz noch nicht eingetragen sei. Befinde sich z.B. eine Gesellschaft noch in Gründung, so könne nach den Umständen des Einzelfalls auch ein bloßer "Briefkasten-Sitz" mit postalischer Erreichbarkeit der Gesellschaft in dieser Phase ausreichen. Alle Rechnungen trügen zudem alle erforderlichen Angaben. Die Gesellschaft sei unter dem Sitz K-Strasse postalisch erreichbar gewesen und habe dort auch tatsächlich Post empfangen. Die Eintragung in die Handwerksrolle sei unter dieser Adresse erfolgt. Dass die Eintragung der S GmbH erst im ... 0000 ins Handelsregister und in die Handwerksrolle, und damit teilweise vor bzw. nur wenige Tage nach der ersten Rechnungsstellung, erfolgt sei, sei ihm nicht aufgefallen. Seine Ehefrau habe bei dem für die S GmbH zuständigen Finanzamt nachgefragt, ob diese dort steuerlich geführt werde, was bejaht worden sei. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung habe man nicht gefordert, da man mit den bisherigen Arbeiten zufrieden gewesen sei. Der von ihm beauftragte Architekt X sei seines Wissens im Büro der S GmbH in der K-Strasse gewesen und habe dort auch Verhandlungen geführt. Die Anschrift L-Str., Wohnanschrift des Geschäftsführers T3 und dessen Tochter, sei lediglich später im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens gegen die S GmbH durch das Amtsgericht B für Schriftverkehr mit der Insolvenzschuldnerin verwandt worden. Im übrigen ist der Kläger der Ansicht, dass ein Scheinsitz nur ausnahmsweise anzunehmen sei und dies gerade bei einer GmbH besonderer, detaillierter Feststellungen durch die Finanzbehörde bedürfe. Vorliegend sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass die wesentlichen Tätigkeiten eines Bauunternehmens nicht in einem Büro, sondern auf der Baustelle ausgeübt würden. Auch seien an Art und Umfang der Geschäftseinrichtung eines Bauunternehmens keine besonderen Anforderungen zu stellen. Die überwiegende Sicherstellung der Erreichbarkeit des Unternehmens über Mobilfunknummer sei unschädlich und gerade bei Bauunternehmen mit häufig wechselnden Baustellen üblich. Der Kläger behauptet, dass er einen Teil eines Containers auf der Baustelle der S GmbH, insbesondere dem vor Ort immer anwesenden Geschäftsführer T3 zur Verfügung gestellt habe, welcher von diesem auch für die Fertigung von Aufzeichnungen und deren Aufbewahrung genutzt worden sei. Auch die Abwicklung des Zahlungsverkehrs per Bar- bzw. Scheckzahlung spreche nicht für eine Scheinunternehmerschaft, sondern sei ein gängiges, legales und keineswegs anrüchiges Zahlungsmittel. Die Geschäfte mit der S GmbH seien zudem selbst dann umsatzsteuerrechtlich relevant, wenn diese als Strohmann fungiert haben sollte oder Teilarbeiten durch nachgeordnete Subunternehmer hätte ausführen lassen; hierfür habe er aber bis heute keine Anhaltspunkte. Die Arbeiten seien tatsächlich von der S GmbH ausgeführt worden, diese sei stets mit ca. 12 bis 15 Mitarbeitern vor Ort auf der Baustelle gewesen. Dies könnten seine Ehefrau, die Architekten Herr X und Herr D, der für ihn auf der Baustelle tätige Herr R sowie sein Polier Herr P bestätigen. Ansprechpartner sei der stets auf der Baustelle anwesende Geschäftsführer T3 gewesen, der die bei ihm beschäftigten Arbeitskräfte eingeteilt und überwacht habe. Dieser habe darüber hinaus die Rechnungen an den Kläger überbracht und die entsprechenden Geldbeträge in Empfang genommen. Er - der Kläger - sei aufgrund einer Kontrolle durch das zuständige Arbeitsamt im ... 0000 auf der Baustelle auch davon ausgegangen, dass alles seine Ordnung habe. Die Ausführung des Beklagten, dass lediglich dem Nachweis der Zahlungen dienende Eigenbelege vorlägen, sei nicht zutreffend. Vielmehr seien zeitnah gesonderte Quittungen erstellt worden, die von Herrn T3 unterzeichnet worden seien, wobei in diesem Zusammenhang ein Austausch der zuvor erstellten Eigenbelege gegen die unterzeichneten Quittungen erfolgt sei. Der Beklagte sei zudem darlegungspflichtig hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen für eine Versagung des Vorsteuerabzugs. Auch verkenne der Beklagte, dass der Kläger unter dem 29.10.2002 durch das Finanzamt aufgefordert worden sei, die Bauabzugssteuer für die Firma S GmbH abzuführen. Die entsprechenden Beträge seien für die Monate August bis Oktober ordnungsgemäß durch ihn gezahlt worden. Die Erhebung von Bauabzugssteuer setze aber die tatsächliche Erbringung von Bauleistungen durch einen Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne voraus. Auch sei das seit dem 00.00.0000 anhängige Insolvenzverfahren zu berücksichtigen. Hieraus ergebe sich, dass das betroffene Unternehmen rechtlich existent und am Markt tätig gewesen sei. Die Unternehmereigenschaft ergebe sich gerade daraus, dass Rechnungen ausgestellt, Schecks entgegengenommen, Rechnungsbeträge durch Barzahlung vereinnahmt und Erlöse der unternehmerischen Tätigkeit zugute gekommen seien. Die Beurteilung durch den Beklagten bedeute zudem einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, da die in Rechnung gestellten Beträge tatsächlich beim Kläger abgeflossen seien.

Zum Nachweis für alles Vorstehende legt der Kläger eine Erklärung des Steuerberaters der S GmbH Herrn L vom 20.10.2008, eine Erklärung des für den Kläger auf den Baustellen tätigen Herrn R vom 20.10.2008, Meldebestätigungen der Stadt F zu den Meldeadressen der Geschäftsführer Herr T3 und Herr T1 vom 16.10.2008 sowie einen Flurstücksnachweis mit Eigentümerangaben bezüglich des Grundstücks F, K-Straße vom 20.10.2008 vor. Wegen des Inhalts im einzelnen wird auf die zu den Gerichtsakten genommenen Unterlagen Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 09.05.2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.03.2005 dahingehend zu ändern, dass der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des Unternehmens S GmbH in Höhe von 42.328,58 € anzuerkennen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält weiterhin an seiner Auffassung fest, dass ein Firmensitz der S GmbH an der Rechnungsanschrift nicht festzustellen sei, so dass der Vorsteuerabzug nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes - BFH - (z.B. BFH-Urteil vom 27.06.1996 V R 51/93 sowie BFH-Beschluss vom 04.02.2003 V B 81/02) unzulässig sei. Hinsichtlich der Zahlungsnachweise sei anzumerken, dass im Rahmen der Umsatzsteuersonderprüfung lediglich die nicht unterschriebenen Eigenbelege vorgelegt worden seien. Es sei davon auszugehen, dass die nunmehr erstmals im Klageverfahren vorgelegten Quittungen nachgeschrieben worden seien. Es widerspreche auch jedem üblichen Geschäftsgebaren, dass ein Unternehmer Beträge in nicht unerheblicher Höhe zunächst ohne jede Bestätigung bzw. Sicherheit in bar auszahlt und die erstellten Eigenbelege erst später gegen entsprechende Quittungen austausche. Dass für die Firma S GmbH stets 12-15 Mitarbeiter auf der Baustelle tätig gewesen seien, widerspreche den von dieser angemeldeten Lohnsteuerbeträgen. Ein Zusammenhang der gezahlten Bauabzugssteuer mit der Abzugsfähigkeit von Vorsteuern könne nicht hergestellt werden. Ebenso könne aus der Tatsache, dass über das Vermögen der streitgegenständlichen Firma ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, keine Rückschlüsse über Art und Umfang der tatsächlichen Tätigkeit gezogen werden. Dass es sich um ein Unternehmen der Baubranche handele, sei nicht von entscheidender Bedeutung, da es ausschließlich auf den in den Rechnungen angegebenen Firmensitz ankomme.

Im übrigen wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tage, insbesondere wegen des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme, ergänzend inhaltlich Bezug genommen.

Erst im Rahmen der Beratung ist festgestellt worden, dass der zunächst streitgegenständliche Umsatzsteuerbescheid vom 09.05.2003 aufgrund einer am 18.11.2004 durch den Kläger abgegebenen Umsatzsteuererklärung 2002 im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens mit Bescheid vom 07.01.2005 durch den Beklagten geändert und somit nach § 365 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO - zum Gegenstand des laufenden Rechtsbehelfsverfahrens geworden war.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

I. Der Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 07.01.2005 in Form der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

A. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2002 vom 09.05.2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.03.2005 war rechtsschutzgewährend und interessengerecht dahingehend auszulegen, dass der im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 07.01.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.03.2005 angefochten werden sollte, der nach § 365 Abs. 3 S. 1 AO zum Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens geworden ist. Durch den Änderungsbescheid waren keine neuen Streitpunkte in das Verfahren eingeführt worden und es ist offenkundig, dass weder den Verfahrensbeteiligten noch dem Senat in der mündlichen Verhandlung die Existenz des ergangenen Änderungsbescheides bewusst war.

B. Zu Unrecht hat der Beklagte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der S GmbH für den Zeitraum August bis Oktober 2002 abgelehnt. Die tatsächlichen Angaben auf den Rechnungspapieren, insbesondere zum Sitz der S GmbH, genügen den aus umsatzsteuerlicher Sicht zu stellenden Anforderungen. Die ursprünglich aufgestellte Behauptung, bei der S GmbH habe es sich um eine bloße Scheingesellschaft gehandelt, deren Tätigkeit sich in der Erstellung von sog. "Abdeckrechnungen" erschöpft habe, hat das Finanzamt ausdrücklich fallen gelassen.

1. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - kann der Unternehmer die in Rechnungen im Sinne des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Eine Rechnung muss für den Vorsteuerabzug zwingend die Mindestangaben gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung und damit auch die Anschrift des leistenden Unternehmers enthalten. Nach der vom Senat für zutreffend erachteten Rechtsprechung des BFH setzt der Vorsteuerabzug nach dieser Vorschrift voraus, dass der in der Rechnung angegebene Sitz einer GmbH tatsächlich bestanden hat, weil es der Sofortabzug der Vorsteuer gebietet, dass der Finanzverwaltung eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglicht wird. Dabei trägt der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast dafür, dass der in der Rechnung einer GmbH angegebene Sitz tatsächlich bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungserstellung bestanden hat. Insoweit besteht eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, sich über die Richtigkeit der Geschäftsdaten (Anschrift, Firma, Rechtsform u. ä.) zu vergewissern (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 61/05, BStBl II 2008, 695). Die bisherige Rechtsprechung des BFH zu dieser Frage hat dabei auch einen Briefkastensitz mit postalischer Erreichbarkeit der Gesellschaft ausreichen lassen. Danach bedarf es besonderer und detaillierter Feststellungen, um die Annahme eines Scheinsitzes zu rechtfertigen. Anhaltspunkte könnten sich etwa dann ergeben, wenn am eingetragenen Firmensitz keinerlei Geschäftsleitungs- und Arbeitgeberfunktion, Behördenkontakt und Zahlungsverkehr stattfindet (vgl. BFH-Beschluss vom 31. Januar 2002 V B 108/01, BStBl II 2004, 622) und der Leistungsempfänger auch keinerlei geschäftlichen Kontakt mit dem Leistenden über den in der Rechnung angegebenen Firmensitz und die dortigen Bankverbindungen ausübte, insbesondere also z.B. alle Kontakte an den Baustellen mit den dort tätigen Personen - noch dazu bar und nicht etwa nachprüfbar auf ein Bankkonto des Leistenden - abgewickelt wurden (vgl. zu den letztgenannten Kriterien bei einer Baufirma BFH-Urteil vom 27. Juni 1996 V R 51/93, BStBl II 1996, 620). Ob der in einer Rechnung angegebene Firmensitz nur zum Schein unterhalten werde, sei nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.

Im Urteil vom 6. Dezember 2007 (V R 61/05, BB 2008, 807) hat der BFH darüber hinausgehend offengelassen, ob ein "Briefkasten-Sitz" mit postalischer Erreichbarkeit des Unternehmers nach den Umständen des Einzelfalles als hinreichende Adresse des leistenden Unternehmers überhaupt in Betracht kommen kann. Denn er hat die Tatsache, dass die Tätigkeit der GmbH über einen Büroservice ausgeübt wurde, der sich darauf beschränkt habe, eingehende Telefonanrufe und Postsendungen weiterzuleiten, ohne dass eine sonstige unternehmerische Tätigkeit in Form von Geschäftsleitung, Behördenkontakten oder Zahlungsverkehr stattgefunden habe und dass am angeblichen Firmensitz keinerlei Geschäftsunterlagen aufbewahrt worden waren, als besondere und detaillierte Feststellungen zur Annahme eines Scheinsitzes ausreichen lassen. Er hat in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes - EuGH - vom 28. Juni 2007 C-73/06, UR 2007, 654 verwiesen, wonach eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine "Briefkastenfirma" oder für eine "Strohmannfirma" charakteristisch ist, nicht als Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. der 13. Mehrwertsteuer-Richtlinie angesehen werden kann, obwohl die berechtigterweise im eigenen Namen auftretende "Strohmannfirma" nach der Rechtsprechung durchaus als vorsteuerabzugsberechtigte Leistende in Frage kommt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 31. Januar 2004 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622; BFH-Urteil vom 07. Juli 2005 V R 60/03, BFH/NV 2006, 139).

Dem Vorsteuerabzug steht dagegen nach der Rechtsprechung des BFH nicht entgegen, dass sich der leistende Unternehmer nach Leistungsausführung und Rechnungsstellung dem Zugriff der Finanzbehörde entzogen hat. Die von der Rechtsprechung entwickelten Kontrollanforderungen an die Rechnungsangaben können nicht auf den Fall übertragen werden, dass nach Leistungsausführung und Rechnungsstellung der Leistende seinen Sitz (ohne Mitteilung) verlegt oder in sonstiger Weise "untertaucht", um sich u.a. seinen steuerlichen Pflichten zu entziehen. Solche Umstände betreffen allein das Steuerschuldverhältnis des Leistenden zur Finanzbehörde. Sie führen nicht zum Wegfall des entstandenen Vorsteuerabzugsanspruchs (vgl. BFH-Urteil vom 27.Juni 1996 V R 51/93 a.a.O.).

2. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senates ein Sachverhalt fest, der die Annahme rechtfertigt, dass an der in der Rechnung angegebenen Anschrift (K-Strasse in F) jedenfalls ein den umsatzsteuerrechtlichen Anforderungen genügender Sitz der S GmbH im Zeitpunkt der Ausführung der Leistung und der Rechnungsstellung tatsächlich bestanden hat. Die Erreichbarkeit und Überprüfbarkeit der für die S GmbH Verantwortlichen war unter dieser Anschrift jederzeit gewährleistet.

a. Nach welchen rechtlichen Grundlagen der "Sitz" einer Gesellschaft umsatzsteuerrechtlich zu bestimmen ist, wurde - soweit ersichtlich - bislang durch die Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Insbesondere wurden keine Kriterien für die inhaltliche Ausgestaltung des Sitzbegriffes definiert.

aa) Steuerrechtlich finden sich in den §§ 10 und 11 AO allgemeine Bestimmungen zum Ort der Geschäftsleitung und Sitz einer Gesellschaft, wobei letztere lediglich an den gesetzmäßigen bzw. satzungsmäßigen Begriff anknüpft. Geschäftsleitung ist nach § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung ist dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebende Wille gebildet wird. Folglich kommt es darauf an, an welchem Ort die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden. Bei einer Körperschaft ist das regelmäßig der Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführertätigkeit entfalten, d.h. an dem sie die tatsächlichen, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 3. Juli 1997 IV R 58/95, BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86 und vom 15. Oktober 1997 I R 76/95, BFH/NV 1998, 434). Jedes Unternehmen muss zwar einen Ort der Geschäftsleitung haben (vgl. BFH vom 28. Juli 1993 I R 15/93, BFHE 172, 301, BStBl II 1994, 148). Eine feste eigene Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient, ist hierfür aber nicht zwingend erforderlich (vgl. BFH vom 28. Juli 1993 I R 15/93, BFHE 172, 301, BStBl II 1994, 148). Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte kann sich daher beispielsweise auch in der Wohnung des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft befinden. Auch der dem Geschäftsführer von einem Werksvertragspartner zur Unterkunft bereitgestellte Baucontainer o.ä. kann im Bauleistungsgewerbe Ort der Geschäftsleitung eines Subunternehmers sein, wenn dieser Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung ist (vgl. BFH vom 16. Dezember 1998 I R 138/97, BFHE 188, 251, BStBl II 1999, 437).

bb) Von dem Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen im Sinne des § 21 AO betreibt, ist der Ort der Lieferung oder Leistung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes zu unterscheiden. Beide Orte können zusammentreffen, müssen es aber nicht. Entscheidend ist vielmehr, von wo aus der Unternehmer seine gewerbliche Tätigkeit "ausübt", sie "betreibt". Da im Regelfall die gewerbliche Tätigkeit auf einem Plan des Unternehmers beruht, kommt als Ort des Unternehmens derjenige in Betracht, an dem der Plan des Unternehmers zur Ausführung gelangt. Dies wird im allgemeinen dort sein, von wo aus der Unternehmer seine gewerbliche Tätigkeit anbietet, wo er Aufträge entgegennimmt, ihre Ausführungen vorbereitet und die Zahlungen an ihn geleistet werden.

cc) Anhaltspunkte für die Definition des umsatzsteuerlichen Sitzbegriffes bietet darüber hinaus die schon erwähnte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs - EuGH - vom 28. Juni 2007 (C-73/06 - Planzer-, UR 2007, 654 auf Vorlagebeschluss des FG Köln vom 19. Januar 2006 2 K 5044/03, EFG 2006, 612), wo dieser den Begriff des "Sitzes einer wirtschaftlichen Tätigkeit" und den einer "festen Niederlassung" einer Gesellschaft ausgelegt hat (wobei im Streitfall Art. 3 Buchst. b und Art. 9 der 8. Richtlinie 79/1072/EWG und Art. 1 Nr. 1 der 13. Richtlinie 86/560/EWG zu beurteilen waren). Danach verlangt der Niederlassungsbegriff einen Mindestbestand an Mitteln, der durch das ständige Zusammenwirken der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel gebildet wird. Die Niederlassung ist somit durch eine gewisse Beständigkeit und eine Struktur geprägt, die eine autonome Erbringung der Dienstleistungen ermöglicht; Hilfs- oder vorbereitende Tätigkeiten reichen dazu nicht aus. Hierbei sei auch auf die Art der Tätigkeit der Gesellschaft abzuheben. Letztlich veranlasst der Gesichtspunkt des Verbots einer missbräuchlichen Ausnutzung des Gemeinschaftsrechts den EuGH, Mindestanforderungen an die wirtschaftliche Tätigkeit am behaupteten Sitz einer Gesellschaft zu stellen. Deshalb - so führt er aus - hätten solche Gesellschaften, die den Mindestanforderungen nicht genügten und den sog. Briefkasten- oder Strohfirmen zuzurechnen seien, in der Regel keinen Sitz an dem behaupteten Ort.

b. Vorstehende Grundsätze sind nach Ansicht des Senats auch für die Anforderungen an den umsatzsteuerlichen Sitzbegriff im Rahmen des § 14 UStG heranzuziehen, im Streitfall also für die Frage , ob die S GmbH zum Zeitpunkt der Lieferung und der Rechnungserstellung ihren tatsächlichen Sitz in der K-Strasse in F hatte. Dabei ist nach Ansicht des Senats der umsatzsteuerliche Sinn und Zweck des Erfordernisses der Angabe einer zutreffenden Anschrift, nämlich die eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der Person des Leistenden durch die Finanzverwaltung, maßgeblich zu berücksichtigen. Diese Nachprüfbarkeit war im vorliegenden Fall aber gegeben. Im Streitfall steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die in den Rechnungen angegebene Anschrift im Zeitpunkt der Ausführung der Leistung und der Rechnungserstellung zutreffend war, da unter dieser Adresse eine jederzeitige Erreichbarkeit hinreichend zuverlässig gewährleistet war.

aa) Bei dem in der Rechnung angegebenen Firmensitz in der K-Strasse handelt es sich nach den durch die Umsatzsteuersonderprüfung am 00.00.0000 und 00.00.0000 getroffenen Feststellungen und dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Flurstücksnachweis mit Eigentümerangaben zwar um ein der Frau D, der Schwester des Geschäftsführers T1, und deren Ehemann gehörendes Einfamilienhaus, in dem diese eine eigene Wohnung unterhält und ihrem Bruder lediglich ein Zimmer zur Verfügung gestellt hat. Auch ist keiner der Geschäftsführer bei den verschiedenen Umsatzsteuernachschauen dort angetroffen worden. Die heutige Beweisaufnahme war in diesem Punkt weitgehend unergiebig, da der Zeuge X lediglich im Jahre 1999 - und damit zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt - Post in den dort vorhandenen Briefkasten eingeworfen hat, ohne das Gebäude zu betreten. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass die S GmbH dort einen Sitz hatte, der der Finanzverwaltung eine eindeutige Überprüfbarkeit und Erreichbarkeit des leistenden Unternehmers ermöglichte. So wurden in dem Zimmer auf einer Anrichte an die S GmbH adressierte, teils noch verschlossene Schriftstücke gefunden, die - auch aus Sicht des Finanzamtes - offensichtlich zur Abholung für den Bruder als vertretungsberechtigtem Gesellschafter-Geschäftsführer der S GmbH bereit lagen. Unter diesen Schriftstücken befanden sich u.a. eine Mitteilung des Bundesamts für Finanzen über die Zuteilung einer Umsatzsteuer-IdNr. sowie verschiedene Briefe des Finanzamts, ein noch verschlossener Umschlag der Firma W sowie Kontoauszüge der Bank U, welche Buchungen mit Bezug auf die S GmbH enthielten. Ausweislich des Akteninhaltes hat sich am 00.00.0000 unmittelbar nach Durchführung der Nachschau auch ein Herr T - dem über seine Schwester eine Visitenkarte des zuständigen Umsatzsteuersonderprüfers mit der Bitte um Kontaktaufnahme überreicht worden war - telefonisch gemeldet und mitgeteilt, dass wenn er vorher vom Termin Kenntnis gehabt hätte, er zu Hause geblieben wäre, um seine Erreichbarkeit sicherzustellen. Auch die Bekundungen des Zeugen X im heutigen Termin haben jedenfalls ergeben, dass in der Baubranche bekannt war, dass die im Baubereich tätigen Herren T unter der Anschrift K-Strasse postalisch erreichbar waren - auch wenn sich die Angaben des Zeugen noch auf das von den Herren T zuvor geführte (Einzel-)Unternehmen bezogen. Fest steht auch, dass die für die S GmbH bestimmte Post angekommen ist; selbst das Finanzamt hat nicht vorgetragen, dass die Post ihren Adressaten nicht erreicht hätte. Auch andere Behörden, Lieferanten und Auftraggeber wie auch der Kläger, haben die S GmbH unter der angegebenen Anschrift tatsächlich kontaktieren können. Die im Rahmen der Nachschau am 00.00.0000 auf der Anrichte vorgefundenen Unterlagen sprechen jedenfalls für eine regelmäßige Nutzung des Hauses als Anlaufstelle geschäftlicher Aktivitäten. Von der Angabe einer unzutreffenden Anschrift bzw. eines "Scheinsitzes" kann nicht die Rede sein. Letztlich beruht ein etwaiger Steuerausfall auf Seiten der S GmbH auch nicht darauf, dass diese durch die Finanzbehörden nicht aufgefunden werden konnte, weil sie etwa ihre Identität verschleiert hätte, sondern vielmehr auf dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen der Insolvenz.

bb) Dass nach den getroffenen Feststellungen die für ein Büro zu erwartende erforderliche Minimalausstattung - etwa ein Schreibtisch, Regale, Telefon- oder Faxgeräte sowie sonstige für eine Geschäftsausübung erforderliche Vorrichtungen - fehlten, ist nach Ansicht des erkennenden Senats unter Einbezug der weiteren konkreten Umstände unschädlich. Denn das Erfordernis der Angabe des zutreffenden Geschäftssitzes im Rahmen des Vorsteuerabzugs dient allein dazu, die handelnde Person anhand der Angaben selbst, ohne unangemessenen Aufwand identifizieren zu können und die behördliche Erfassung und Überprüfung der Person des leistenden Unternehmers und seiner Aktivitäten zu ermöglichen. Die Anschrift bzw. der Sitz muss zu der verantwortlichen Person hinführen und deshalb tatsächlich bestehen bzw. bei Rechnungserstellung bestanden haben. Das heißt nicht, dass zwingend an der Adresse eine büromäßige Einrichtung vorgehalten werden müsste, wenn diese aufgrund der Umstände des Einzelfalles oder im Hinblick auf die Art des Unternehmens gar nicht erforderlich ist. Die Unterhaltung eines Büros oder Geschäftslokals als zentralem Ort der geschäftsleitenden Tätigkeit gilt zwar als typisches Merkmal einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit. Allein die Tatsache, dass kein Geschäftslokal oder Bürobetrieb unterhalten wird, lässt weder den Schluss auf eine Scheinfirma zu, noch kann sie aus anderen Gründen ohne weiteres zu einer Versagung des Vorsteuerabzugs führen, wenn nach der Art des Unternehmens und der konkreten Form seiner Führung ein eingerichteter und ausgeübter kaufmännischen Geschäftsbetrieb nicht erforderlich ist. Im Zeitalter der mobilen Kommunikation und der Möglichkeiten, Buchführung und verwaltungstechnische Arbeiten von Dienstleistern erledigen zu lassen, dürfen hier die Anforderungen nicht überspannt werden.

Grundsätzlich muss es auch jedem Unternehmen freistehen, von wo aus es seine Geschäftstätigkeit ausübt und ein Unternehmen mag - wie hier geschehen - seine Verwaltungstätigkeit delegieren und im übrigen auch vom Wohnsitz eines seiner Geschäftsführer aus betreiben. Gerade für kleinere Baubetriebe dürfte es typisch sein, dass Kontakte aufgrund ständig wechselnder Baustellen zu einem Großteil von diesen aus und per Handy gepflegt werden, ohne dass die Baufirma an ihrem "Sitz" über einen vollständig ausgestatteten Bürobetrieb verfügt.

cc) Im Streitfall ermöglichte die auf den Rechnungen angegebene Anschrift aber die Überprüfbarkeit durch die Finanzbehörde sowie das Auffinden und die Inanspruchnahme der S GmbH als Unternehmer. Diese übte ihre unternehmerische Tätigkeit weitestgehend auf den verschiedenen Baustellen aus. Geschäftsunterlagen und Buchführungsunterlagen wurden bei einem Steuerberater L, der dies in seiner Bestätigung vom 20.10.2008 ausdrücklich versichert hat, in Z aufbewahrt. Die Bauvorhaben wurden auf den Baustellen abgewickelt und Telefonkontakte erfolgten über Mobilfunk-Telefon. Aus der Bestätigung des für die S GmbH tätigen Steuerberaters L ergibt sich zudem, dass die anfallenden kaufmännischen Arbeiten wie etwa An-/Abmeldungen der Arbeitnehmer sowie die Finanz- und Lohnbuchhaltung im dortigen Büro in Z ausgeführt wurden. Dazu wurden die Belege und Unterlagen zuvor durch die Herren T gesammelt, um sie dann dem Steuerberatungsbüro zu übergeben. Dass an der angegebenen Adresse keinerlei Ausübung von Geschäftsleitungs- und Arbeitgeberfunktionen sowie Zahlungsverkehr festgestellt werden konnte, stellt nach der Rechtsprechung auch lediglich ein Indiz für das Vorliegen eines Scheinsitzes dar. Diesen Indizien kam aber unter Berücksichtigung der weiteren Umstände im hier zu prüfenden Einzelfall keine Bedeutung zu. Unter Berücksichtigung der Beauftragung eines nahegelegenen Steuerbüros mit den Aufgaben der Führung/Aufbewahrung der Geschäftsbücher und der Erstellung steuerlicher Erklärungen aufgrund hereingereichter Belege sowie der Nutzung eines Baucontainers auf den Baustellen ist der Senat überzeugt davon, dass der darüber hinaus noch verbliebene Teil der Unternehmertätigkeit der S GmbH, etwa die vorherige Sammlung der entsprechenden Belege, Schreiben von Abschlagsrechnungen und Überwachung des Zahlungsverkehrs - sofern hierfür überhaupt noch eine büromäßige ortsfeste Anknüpfung und Organisation nötig gewesen sein sollte - an der in der Rechnung angegebenen Anschrift stattgefunden hat. Zur Führung des Unternehmens der S GmbH war auch kein besonderer Aufwand erforderlich. Dieser konnte ohne weiteres von der in der Rechnung angegebenen Anschrift - trotz häufiger Abwesenheit ihrer Geschäftsführer - erbracht werden. Die angegebene Adresse bot daher eine geschäftlich zweckmäßige Möglichkeit, eine feststehende Anschrift zu bieten, um so die umfassende und fortgesetzte Möglichkeit einer - schriftlichen - Kontaktaufnahme sicherzustellen, ohne dass es darauf ankommt, wie dieser Ort auch immer im einzelnen gestaltet war. Dass es einen anderen festen Ort gab, an dem ein hierüber hinausgehendes "Minimum an wirtschaftlichem Leben" vorhanden war oder unternehmerische Entscheidungen getroffen wurden, wurde auch weder vom Beklagten behauptet noch konnte dieses durch den Senat festgestellt werden.

II.

Hiernach ergab sich unter Berücksichtigung der Mehr-Vorsteuerbeträge aus den Rechnungen der Firma S GmbH folgende Steuerberechnung:

 
Umsatzsteuer laut Bescheid 214.468,97
Mehr-Vorsteuer laut Urteil 42.328,58
Umsatzsteuerschuld laut Urteil 172.140,39

III. Die Revision war wegen der grundsätzlich bedeutsamen Frage, welche Anforderungen an den in der Rechnung anzugebenden Sitz einer GmbH zu stellen sind und wegen einer möglichen Abweichung vom BFH-Urteil vom 06.12.2007 V R 61/05 nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.

Ende der Entscheidung

Zurück