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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 29.04.2009
Aktenzeichen: 4 K 3409/07
Rechtsgebiete: AO, UStG
Vorschriften:
AO § 163 | |
AO § 227 | |
UStG § 4 |
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Umsatzsteuer für die Jahre 1998 bis 2002, deren Festsetzung zwischen den Beteiligten umstritten ist, nicht auf jeden Fall aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO abweichend auf 0,00 DM festzusetzen bzw. gemäß § 227 AO zu erlassen ist.
Die Klägerin ist seit nunmehr .. Jahren als Fachärztin für Chirurgie und plastische Chirurgie in eigener Praxis tätig und erzielt insoweit Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. In sämtlichen Betriebsprüfungsberichten für die früheren Jahre findet sich die Feststellung, dass alle Einnahmen der Klägerin aus ihrer fachärztlichen Tätigkeit unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG fielen und sie deshalb nicht umsatzsteuerpflichtig sei, so in den Bp-Berichten vom 03.11.1988 für die Jahre 1981 bis 1985, 19.04.1993 für die Jahre 1986 bis 1989, 04.03.1996 für die Jahre 1990 bis 1993 und 19.07.2000 für die Jahre 1995 bis 1997.
Auch bei der Durchführung der anschließenden Betriebsprüfung für die Jahre 1998 bis 2000 ging die Prüfung zunächst von der Steuerfreiheit sämtlicher Umsätze der Klägerin aus. Nach der Prüfungsanordnung vom 12.08.2002 galt die Prüfung ausschließlich der Überprüfung der Einkommensteuerveranlagungen. Bei der letzten Besprechung am 11.12.2002 - eine förmliche Schlussbesprechung hatte nicht stattgefunden - waren nach dem Akteninhalt und der unwidersprochenen Darstellung der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten zunächst ausschließlich einkommensteuerliche Sachverhalte erörtert worden, die teilweise noch zu klären waren. Sämtliche ihm zur Prüfung zur Verfügung gestellten Unterlagen gab der Prüfer am 12.12.2002 zurück.
Monate später, am 11.08.2003, forderte der Prüfer - offenbar nach Bekanntwerden des Urteils des FG Berlin vom 12.11.2002 (7 K 7264/02, EFG 2003, 418), nach dem Umsätze aufgrund medizinisch nicht indiziierter reiner Schönheitsoperationen nicht nach § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerbefreit sind - die Klägerin auf, die Unterlagen, insbesondere die Ausgangsrechnungen an Privatpatienten nochmals zur Überprüfung einzureichen und die in den Jahren 1998 bis 2000 erbrachten und abgerechneten Leistungen gegenüber Privatpatienten aufzuschlüsseln in medizinisch indiziierte Operationen und solchen, die ausschließlich aus ästhetischen Gründen durchgeführt worden seien, und dies durch geeignete Unterlagen zu belegen. Mit Verfügung vom 05.12.2003 erfolgte dann eine förmliche Erweiterung des Prüfungsgegenstandes auf die Umsatzsteuer.
Die Klägerin stellte sich auf den Standpunkt, dass die Rechnungen für die Fragestellung ohnehin nicht aussagekräftig seien. Darüber hinausgehende Unterlagen, insbesondere Daten aus der Patientenkartei, dürften aufgrund des ärztlichen Schweigegebots nicht vorgelegt werden. Im übrigen sei sie plastische Chirurgin und führe nach ihrem ärztlichen Selbstverständnis ausschließlich medizinisch indizierte Operationen bzw. Behandlungen durch.
Daraufhin schätzte der Betriebsprüfer wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht einen Anteil der Umsätze der Klägerin aus reinen (nicht medizinisch indiziierten) Schönheitsoperationen (Tz. 2.3 des Bp-Berichts vom 08.12.2003: 65 % der Privatpatientenerlöse). Das Finanzamt wertete den Betriebsprüfungsbericht aus und schätzte darüber hinaus die Umsatzsteuer "analog" auch für die Folgejahre 2001 und 2002, wobei es allerdings für 2002 zunächst die gesamten Erlöse aus Privatpatientenrechnungen als steuerpflichtig behandelte.; mit Änderungsbescheid für 2002 vom 14.05.2008 behandelte das Finanzamt dann auch für dieses Jahr 65 % der Privatpatientenerlöse als steuerpflichtig. Diese Festsetzungen waren bzw. sind zwischen den Beteiligten dem Grunde und der Höhe nach umstritten, die Bescheide.- jeweils in Form der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung - vom 29.04.2004 für die Jahre 1998 bis 2000 im Klageverfahren 4 K 2686/05, der Bescheid vom 30.12.2003 für das Jahr 2002 (geändert mit Bescheid vom 14.05.2008) im Klageverfahren 4 K 4096/04 und der Bescheid vom 23.06.2005 für das Jahr 2001 in einem derzeit noch ruhenden außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren. Mit Urteilen vom heutigen Tage hat der Senat entschieden, dass die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 1998 - 2000 (4 K 2686/05) und 2002 (4 K 4096/04) grundsätzlich rechtmäßig, der Höhe nach aber herabzusetzen ist.
Unabhängig von diesem Streit der Beteiligten über die Umsatzsteuerfestsetzung dem Grunde und der Höhe nach stellte die Klägerin einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen. Angesichts der vielen Betriebsprüfungen für die Vorjahre und der dort immer wieder getroffenen Feststellung, dass sämtliche Umsätze ihrer fachärztlichen Tätigkeit umsatzsteuerfrei seien, habe sie auch weiterhin darauf vertrauen dürfen, dass diese Einnahmen nicht der Umsatzsteuerpflicht unterlägen. Auch der Betriebsprüfer sei Ende 2002 offenkundig noch von der vollständigen Umsatzsteuerfreiheit ihrer Leistungen ausgegangen. Erst mit Veröffentlichung des auf das Urteil des FG Berlin vom 12.11.2002 ergangene Revisionsurteils des BFH vom 15.07.2004 (V R 27/03, BStBl II 2004, 862) könne nicht mehr von der Steuerfreiheit sämtlicher Leistungen eines plastischen Chirurgen ausgegangen werden. Es habe vorher eine einheitliche Verwaltungspraxis gegeben, und zwar auch im Lande Nordrhein-Westfalen, wie z. B. durch ihren Fall anschaulich bestätigt werde. Diese Auffassung sei nicht nur einhellig von der Literatur geteilt worden, sondern es gebe auch - wenngleich in anderen Bundesländern - ausdrückliche Verwaltungsweisungen zu dieser unstrittigen Praxis, z. B. die Verfügung der OFD Karlsruhe/Stuttgart in der Verfügung vom 25.03.2002 (StEK UStG 1980 § 4 Ziff. 14, Nr. 81 = UStR 2002,383); erst später habe sich die OFD insoweit korrigiert, aber mit der gleichzeitigen Anordnung einer Übergangsregelung, wonach die uneingeschränkte Befreiung noch für bis zum 31.12.2002 erbrachte Leistungen gelten müsse. Auch die Oberfinanzdirektionen München und Nürnberg hätten hinsichtlich der zeitlichen Anwendung verfügt, dass es aus Billigkeitsgründen nicht zu beanstanden sei, wenn vor dem 01.01.2003 erbrachte Leistungen auf dem Gebiet der Schönheitschirurgie generell als steuerfrei behandelt würden (Hinweis auf Verfügung der OFD Nürnberg vom 7.04.2003, StEK UStG 1980, § 4 Ziff. 14 Nr. 85 = UR 2003, 555).
Wegen der unterschiedlichen Handhabung in den einzelnen Bundesländern habe der BMF unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Verfügungen auf eine gleichmäßige Rechtsanwendung hingewirkt und es sei in der Sitzung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder in 2003 vereinbart worden, dass es abweichend von den allgemeinen Grundsätzen aus Billigkeitsgründen nicht zu beanstanden sei, wenn vor dem 01.01.2003 erbrachte Leistungen auf dem Gebiet der Schönheitschirurgie als steuerfrei behandelt würden, soweit Vertrauenstatbestände vorlägen. Hierzu verweist die Klägerin auf die BMF-Schreiben vom 27.05.2003 IV D1-S7170-27/03 (genannt im BFH-Urteil IV R 27/03 vom 15.07.2004) und vom 19.10.2004 IV A6-S7170-13/04 (genannt in der Verfügung der OFD Frankfurt vom 07.04.2005 - S7170 A-69-St I 2.3 -).
In Anbetracht des bundeseinheitlichen UStG könne eine Vertrauensschutzregelung auch nur bundeseinheitlich gelten. Sonst wäre das Gebot der steuerlichen Gleichbehandlung erheblich verletzt. In seinem Urteil vom 19.12.2002 (V R 28/00, BStBl II 2003, 532) habe der Bundesfinanzhof entschieden, dass eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes darin liege, dass einem Steuerpflichtigen in Nordrhein-Westfalen die Umsatzsteuerbefreiung für seine Umsätze versagt werde, weil in diesem Bundesland eine Regelung fehle, er aber in einem anderen Bundesland nach einer dort vorhandenen Regelung die Befreiung erhalten hätte. Unter diesen Umständen widerspräche die Versagung der Umsatzsteuerbefreiungsregelung dem Gebot der steuerlichen Gleichbehandlung. Bei Umsätzen im Inland hänge eine Steuerbefreiung nicht vom Sitz des Unternehmens ab.
Schließlich werde auf die Ausführungen des Vorsitzenden und Berichterstatters in den Klageverfahren 4 K 4096/04 für das Jahr 2002 und 4 K 2686/05 für die Jahre 1998 bis 2000 verwiesen, der seinerseits auf die Anmerkung des Vorsitzenden Richters am BFH Dr. Wagner zum BFH-Urteil vom 15.07.2004 (V R 27/03, BStBl II 2004, 862) und die dort ausdrücklich offen gelassene Billigkeitsfrage hingewiesen habe.
Mit Verfügung vom 07.02.2007 lehnte das beklagte Finanzamt den Antrag ab. In der Begründung führte es im wesentlichen aus, ein Erlass aus Billigkeitsgründen käme lediglich dann in Betracht, wenn vor dem 01.01.2003 erbrachte Leistungen auf dem Gebiet der Schönheitschirurgie als steuerfrei behandelt worden wären, soweit durch Erlasse oder Verfügungen oder einzelne Auskünfte in den Ländern entsprechende Vertrauenstatbestände geschaffen worden wären. Dies sei vorliegend und generell in NRW nicht der Fall. Es existierten keine Erlasse oder sonstigen Anweisungen des Landes NRW, die einen Vertrauensschutz der Steuerpflichtigen hätten begründen können. Es bleibe vielmehr wie bisher bei der Anwendung des mit dem BMF-Schreiben vom 08.11.2001 wiedergegebenen Grundsatzes, dass § 4 Nr. 14 und Nr. 16 UStG, die auf der Grundlage von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der 6. EG-Richtlinie "Ärztliche Heilbehandlungen" bzw. "Heilbehandlungen der Humanmedizin" von der Umsatzsteuer befreiten, i. S. des EuGH-Urteils vom 14.09.2000 - Rechtssache C-384/98, UR 2000. 432 - auszulegen seien und somit Leistungen nur dann steuerfrei sein könnten, wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund stehe. Der Zweck der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 UStG sei nicht, die ärztliche Tätigkeit generell von der Umsatzbesteuerung auszunehmen. Vielmehr hänge es von den Umständen des Einzelfalles ab, ob eine Leistung der medizinischen Betreuung eines Menschen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen diene und somit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund stehe. Indiz hierfür könne die regelmäßige Übernahme der Kosten durch Krankenversicherungen sein.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Zur ergänzenden Begründung legt sie einen Schriftwechsel mit dem BMF vor, insbesondere ein Schreiben vom 06.02.2007, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
Nach Ergehen des BFH-Beschlusses vom 25.09.2007 (IX R 28/07, BStBl. II 2008, 405) steht die Klägerin auf dem Standpunkt, dass diese BFH-Entscheidung einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen im vorliegenden Fall nicht entgegen stehe. Der BFH-Fall unterscheide sich von dem vorliegenden: Im Streitfall seinen die wiederholten Vorprüfungen über fast zwei Jahrzehnte hinweg zu berücksichtigen, die die Umsatzsteuerfreiheit mehrfach bestätigt hätten. Von einem schlichten Verwaltungsunterlassen könne überhaupt nicht die Rede sein. Der Beklagte habe ein zum Erlass einer Übergangsregelung verpflichtendes schützenswertes Vertrauen geschaffen. Er habe eine gesicherte, der Meinung der Klägerin entsprechende Rechtsauffassung vertreten, weshalb der Klägerin die Rechtslage auch nicht als zweifelhaft habe erscheinen müssen. Der Beschluss des BFH vom 26.09.2007 V B 8/06 a.a.O. sei auch in wesentlichen Passagen unverständlich und habe zu kritischen Anmerkungen von Richtern anderer Senate des BFH geführt (Hinweis auf Rüsken, NWB Nr. 14 vom 31.03.2008, Fach 2 Seite 9721; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 12/2008 Anm. 1).
In der mündlichen Verhandlung überreicht der Vertreter der Klägerin die "Leitlinien der ..., der ..., der ..., der ..., der ... und der ... für die umsatzsteuerliche Behandlung ästhetische-chirurgischer Maßnahmen", die maßgeblich von Prof. Dr. M von der ... Universität verfasst worden seien, und einen von ihm - dem Bevollmächtigten - gefertigten Auszug daraus.
Die Klägerin beantragt,
das Finanzamt zu verpflichten, die Bescheide vom 29.04.2004 zur Umsatzsteuer 1998 - 2000, den Bescheid vom 23.06.2005 zur Umsatzsteuer 2001 und den Bescheid vom 14.05.2008 zur Umsatzsteuer 2002 in der Weise zu ändern, dass die Steuer gemäß § 163 AO auf jeweils 0,-- DM (für 1998 - 2001) bzw. 0,-- €; (für 2002) festgesetzt wird, oder die in diesen Bescheiden festgesetzte Steuer zu erlassen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bleibt bei seiner bereits vorher vertretenen Ansicht, dass mangels entsprechender früherer Verwaltungserlasse in Nordrhein-Westfalen ein Vertrauenstatbestand, der sich zugunsten der Klägerin auswirken könnte, nicht geschaffen worden sei. Nach Bekanntwerden der Entscheidung des BFH vom 26.09.2007 (V B 8/06, BStBl. II 2008, 405) sieht sich das Finanzamt in vollem Umfang bestätigt.
Es hat am 19.12.2007 ein Erörterungstermin stattgefunden, über dessen Verlauf eine Niederschrift gefertigt worden ist, die den Beteiligten bekannt ist und auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
Auf die Sitzungsniederschrift vom heutigen Tage wird ergänzend inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Die Entscheidung des Beklagten, eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO oder den Erlass aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.
Gemäß § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuern nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung ist eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden. Die Rechtmäßigkeit dieser Ermessensentscheidung darf das Gericht nach § 102 FGO nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Die ablehnende Verfügung vom 07.02.2007 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung enthält keine Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten oder von dem ihm eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Vorschriften nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Fehlerfrei hat er das Vorliegen von sachlichen Billigkeitsgründen verneint. Auf das etwaige Vorliegen persönlicher Billigkeitsgründe hat sich die Klägerin nicht berufen. Sie hat zwar die Härte der Entscheidung beklagt, nicht aber eine dadurch eintretende eventuelle Existenzgefährdung behauptet.
Sachlich unbillig ist die Festsetzung oder Einziehung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Falle derart zuwider läuft, dass die Erhebung der Steuer als unbilig erscheint. Sachliche Gründe sind danach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt -, im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. z. B. Beschluss des BVerfG vom 05.04.1978 1 BvR 117/73, BStBl II 1978, 441).
Nach § 4 Nr. 14 UStG sind u. a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt von der Umsatzsteuer befreit. § 4 Nr. 14 UStG beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (so auch die Regierungsbegründung zu § 4 Nr. 14 UStG 1980). Die Bestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG lautet:
"(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedsstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
.....
c) Die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedsstaat definierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufe erbracht werden."
Diese Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des EuGH dahingehend auszulegen, dass medizinische Leistungen, die nicht in der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung bestehen, nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen; befreit sind nur diejenigen Leistungen, deren Zweck der Schutz der menschlichen Gesundheit ist; die befreiten Leistungen müssen der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen (vgl. EuGH-Urteil vom 14.09.2000 - RS. C-384/98 -, UR 2000, 432). Dieser Auffassung hat sich auch der BFH in seiner Entscheidung vom 15.07.2004 (V R 27/03, BStBl II 2004, 862 angeschlossen (mittlerweile gefestigte Rechtsprechung; vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 28.09.2007 V B 7/06, BFH/NV 2008, 122). Nur die Schwere und Unfreiwilligkeit einer medizinisch indizierten Behandlung rechtfertigt die Freistellung von der Steuer, nicht die - wie möglicherweise aufgrund des schlichten Wortlauts des § 4 Nr. 14 UStG zu vermuten - bloße Ausführung einer dem Arzt vorbehaltenen Tätigkeit. Bereits zur - insoweit wortgleichen - Vorgängervorschrift § 4 Nr. 14 UStG 1967 hat der BFH entschieden, dass nicht alle vom Arzt ausgeführten Umsätze steuerfrei sind, sondern nur diejenigen, die er in Ausübung seiner heilkundlichen Tätigkeit bewirkt ( BFH-Urteil vom 26.05.1977 V R 95/76, BStBl II 1977, 879). Bereits in den damaligen UStR (z. B. UStR 1997, Abschn. 88) war die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG grundsätzlich an die Vornahme einer Heilmaßnahme geknüpft worden. Dementsprechend wurden seit jeher ärztliche Gutachten nur im Zusammenhang mit der Heilung von Krankheiten, nicht aber z. B. zur Tauglichkeitsfeststellung oder bei Vaterschaftsgutachten oder zur Feststellung des Alkoholgehalts im Blut als steuerfrei angesehen.
Da der Gesetzgeber mit der insoweit wortgleichen Vorschrift des § 4 Nr. 14 UStG 1980 nur die Richtlinienvorschrift des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie umsetzen wollte und nach der nationalen Regelung medizinisch nicht indizierte Eingriffe nicht in Ausübung der heilkundlichen Tätigkeit erbracht werden, sind nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers die vorliegend strittigen Umsätze der Klägerin nicht nach § 4 Nr. 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Damit läuft die Festsetzung der Umsatzsteuer nicht den Wertungen des Gesetzgebers zuwider.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Finanzverwaltung durch ihr Verhalten auch keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, auf dessen weiteren Bestand die Klägerin nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vertrauen durfte.
Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt eine besondere Vertrauenssituation zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt voraus. Ein solcher Vertrauenstatbestand besteht in einem bestimmten Verhalten des einen Teils, aufgrund dessen der andere bei objektiver Beurteilung annehmen kann, jener werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten. Diese Vertrauenssituation kann grundsätzlich nur durch die Erteilung einer verbindlichen Zusage oder Auskunft geschaffen werden (st. Rspr. vgl. u. a. BFH-Urteil vom 11.10.1988 VIII R 419/83, BStBl II 1989, 284). Allgemeine Verwaltungsweisungen genügen normalerweise nicht: Der zumindest konkludente Vorbehalt einer späteren anderen Auslegung durch die Rechtsprechung gilt zudem vor allem dann, wenn - wie hier - die behandelte Frage zuvor höchstrichterlich noch nicht entschieden war (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 31.10.1990 I R 3/86, BStBl II 1991, 610). Geklärt ist aber auch, dass allgemeine Übergangsregelungen oder Anpassungsregelungen ergehen müssen, um den Steuerpflichtigen im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage und getätigte Dispostionen nicht zu enttäuschen, wenn sich die bisherige - höchstrichterliche - Rechtsprechung zu seinen Ungunsten verändert oder eine höchstrichterliche Entscheidung von einer Verwaltungsanordnung und dementsprechend allgemein geübten Verwaltungspraxis abweicht. Soweit der gebotene Vertrauensschutz nicht durch die Verwaltung im Wege einer allgemeinen Billigkeitsregelung gewährt wird, muss ihm das Finanzamt durch Einzelmaßnahmen Rechnung tragen. Geklärt ist weiterhin, dass ein schützenswertes Vertrauen, das die Pflicht zum Erlass einer Übergangsregelung oder zu einer Einzelmaßnahme auslöst, nur dann gegeben ist, wenn als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestand und die Rechtslage nicht als zweifelhaft erscheinen musste. Eine gesicherte Rechtsauffasung in diesem Sinne liegt jedoch nicht vor, wenn die maßgebliche Rechtsfrage weder durch die Rechtsprechung des BFH geklärt war noch eindeutige Verwaltungsregelungen bestanden, sondern lediglich ein schlichtes Verwaltungsunterlassen vorlag (vgl. BFH-Beschluss vom 26.09.2007 V B 8/06, BStBl II 2008, 405).
Zutreffend hat das beklagte Finanzamt darauf hingewiesen, dass es im Bereich der nordrhein-westfälischen Finanzverwaltung und speziell im Bereich der OFD Köln keine allgemeinen Verwaltungsanweisungen gab, die besagt hätten, dass medizinisch nicht indizierte Leistungen eines plastischen Chirurgen gemäß § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei zu belassen seien. Auch gab es keine gerichtliche, noch viel weniger höchstrichterliche Entscheidung in diesem Sinne. Eine verbindliche Zusage oder eine Auskunft, wie diese Umsätze steuerlich zu behandeln seien, hat die Klägerin nicht eingeholt; dies ist verständlich, weil - soweit ersichtlich - vor dem Jahr 2000 die Finanzverwaltung ganz generell und durchgängig diese Umsätze als umsatzsteuerfrei behandelt hat. Den Beleg hierfür liefert der vorliegende Fall: Noch im Betriebsprüfungsbericht für die Jahre 1995 bis 1997 vom 19.07.2000 wird die Umsatzsteuerfreiheit dieser Leistungen festgestellt. Bei dieser Fallgestaltung von einem "schlichten Verwaltungsunterlassen" zu sprechen, wie der BFH dies in seinem Beschluss vom 26.09.2007 (V B 8/06, BStBl II 2008, 405) tut, erscheint dem Senat zumindest missverständlich. Allerdings ist anerkannt, dass aus dem Ergebnis vorangeganger Betriebsprüfungen ein Vertrauenstatbestand nicht hergeleitet werden kann und dass der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung das Finanzamt verpflichtet, eine als falsch erkannte Rechtsauffassung zum verfahrensrechtlich frühestmöglichen Zeitpunkt zu korrigieren, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte (std. Rspr.; vgl. z. B. BFH-Urteil vom 05.09.1990 X R 100/89, BFH/NV 1991, 217); dies gilt auch dann, wenn die - fehlerhafte - Auffassung im Prüfungsbericht niedergelegt worden ist, die Finanzbehörde die rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung über einen längeren Zeitraum vertreten hat und der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat.
Die Klägerin hat in den Fortbestand einer ihr sicher erscheinenden, gleichwohl aber keineswegs ganz zweifelsfreien und vor allen Dingen noch nicht höchstrichterlich geklärten Rechtsauffassung auf eigenes Risiko vertraut. Von einer gesicherten Rechtsauffassung als Grundlage eines Vertrauensschutzes für die Steuerfreiheit von Schönheitsoperationen konnte sie jedoch nicht ausgehen.
Wenn einige Oberfinanzdirektionen, insbesondere in Bayern und/oder Baden-Württemberg von einer anderen Rechtslage ausgegangen sind und - weil sie ggf. durch frühere Erlasse eine ausdrückliche Steuerfreiheit für die hier strittigen Leistungen geregelt hatten - Vertrauensschutz ohne ausreichende Vertrauensgrundlage gewährt haben, so ist dies für den vorliegenden Rechtsstreit unbeachtlich. Denn es ist geklärt, dass der Gleichheitssatz ( Art. 3 Abs. 1 GG) keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis und damit auf "Gleichheit im Unrecht" vermittelt (vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 26.09.2007 V B 8/06, BStBl II 2008, 405 m. w. Nw.).
Gleichwohl hat der Senat die Revision zugelassen, weil er der Frage, wann bei Fällen, in denen über Vertrauensschutzregelungen gestritten wird, von einer wirklich klaren und eindeutigen Rechtslage gesprochen werden kann, grundsätzliche Bedeutung beimisst. Der Senat hat lange erwogen, ob nicht im Rahmen des Vertrauensschutzes die Situation im Streitfall derjenigen gleichzuachten ist, in der eine durch bundeseinheitliche Richtlinie vorgegebene Rechtsauffassung durch eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung eine Änderung erfährt. Wenn eine allgemeine Rechtsauffassung einer ständigen, durchgängigen und von niemandem in Zweifel gezogenen Verwaltungsübung entspricht, sich Zweifel an der Richtigkeit aufgrund des Gesetzeswortlauts auch jedenfalls nicht aufdrängen und deshalb die Verwaltung keine allgemeine Anweisung für nötig hält und deshalb auch keine Streitfälle vor die Gerichte kommen, könnte trotz des "Verwaltungsunterlassens" die Gewährung von Vertrauensschutz sachgerecht sein bis zu dem Zeitpunkt, ab dem die Rechtslage zweifelhaft geworden ist. In dem Zusammenhang könnte auch der Umstand bedeutsam sein, dass es der deutsche Gesetzgeber seinerzeit versäumt hat, die Vorgaben der 6. EG-Richtlinie durch Änderung des Wortlauts des § 4 Nr. 14 UStG hinreichend klar in nationales Recht umzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Ende der Entscheidung
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