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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 19.12.2007
Aktenzeichen: 5 K 1194/07
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 173 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

5 K 1194/07

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) ein grobes Verschulden des Klägers entgegensteht.

Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist seit 1997 als Rechtsanwalt tätig und Mitglied der Sozietät ................................Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Einkünfte vom Finanzamt ..................... unter der Steuernummer ..................... gesondert und einheitlich festgestellt werden. Die Feststellungserklärungen und Gewinnermittlungen der GbR werden von einem Steuerberatungsbüro erstellt. Die Feststellungserklärungen wurden am ........2001 (für 2000), am .......2002 (für 2001), am .......2003 (für 2002) und am ........2004 (für 2003) eingereicht. Die Feststellungsbescheide ergingen am 14.03.2002 (für 2000), am 24.03.2003 (für 2001), am 27.11.2003 (für 2002) und am 12.11.2004 (für 2003).

Die Kläger erstellten die Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre am 11.02.2002 für 2000, am 27.04.2003 für 2001, am 31.03.2004 für 2002 und am 05.01.2005 für 2003. Sie wurden zur Einkommensteuer 2000 bis 2003 antragsgemäß veranlagt. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung wurden die in dem jeweiligen Mantelbogen zur Einkommensteuererklärung angegebenen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie die private Haftpflichtversicherung als Sonderausgaben (Vorsorgeaufwendungen) berücksichtigt.

Nachdem die Kläger im Rahmen der Abgabe der Einkommensteuererklärung 2004 festgestellt hatten, dass, wie auch bereits in den Vorjahren seit 1997, die Mitgliedsbeiträge des Klägers an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Höhe von 4.845,00 DM im Jahre 2000, 6.588,00 DM im Jahr 2001, 4.002,60 EUR im Jahr 2002 und 5.369,19 EUR im Jahr 2003 in den Vorjahren nicht geltend gemacht und berücksichtigt worden waren, beantragten sie die rückwirkende Berichtigung der bestandskräftigen Bescheide. Diese Anträge wurden mit Bescheid vom ......2006 abgelehnt.

Mit ihrem hiergegen gerichteten Einspruch trugen die Kläger vor, die Nichtberücksichtigung entstandener Vorsorgeaufwendungen stelle eine neue Tatsache dar. Sie, die Kläger, treffe am nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsachen auch kein grobes Verschulden. Die Buchführung und die Erstellung der Steuererklärung für die GbR obliege Herrn Steuerberater ...... Die GbR werde durch das Finanzamt ................... veranlagt. Der Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit des Klägers liege im Arbeits- und Beamtenrecht, nicht jedoch im Steuerrecht. Über das normale Maß hinausgehende steuerrechtliche Kenntnisse, habe er nicht. Die Einkommensteuererklärungen seien ohne Hinzuziehung eines Beraters erstellt worden. Aus den Erklärungsvordrucken (insbesondere dem Mantelbogen zur Einkommensteuererklärung, Sonderausgaben) ergebe sich nicht eindeutig, dass im Rahmen der Sonderausgaben auch die Aufwendungen zur Altersversorgung eines Selbständigen einzutragen seien. Ausdrücklich erwähnt würden im Mantelbogen lediglich der Arbeitnehmeranteil sowie andere gleichgestellte Aufwendungen, wobei sich zusätzlich die Hinweise "ohne steuerfreie Zuschüsse des Arbeitgebers" und "in der Regel der Lohnsteuerbescheinigung zu entnehmen" fänden. Selbst bei sorgfältiger Durchsicht lasse sich hieraus nicht entnehmen, dass lediglich Eintragungen von Arbeitnehmern, nicht jedoch von Selbständigen vorzunehmen seien. Der Text im Mantelbogen selbst erwähne auch nur Arbeitnehmer. Der Kläger sei jedoch kein Arbeitnehmer und eine Lohnsteuerbescheinigung werde für ihn nicht ausgestellt. Insofern liege kein grobes Verschulden vor, wenn angesichts der Formulierung im Steuerformular angenommen werde, dass dort keine Versorgungsaufwendungen für Selbständige einzutragen seien. Sofern das Erklärungsformular die Steuerpflichtigen nicht auf die für sie zutreffende Fallgestaltung ausdrücklich hinweise, bestehe darüber hinaus kein weitergehender Anlass, evtl. mit der Steuererklärung übersandte umfangreiche Merkblätter auf diese spezielle Abzugsmöglichkeit hin zu überprüfen (Tipke/Kruse, AO, § 173 AO, Rdnr. 77 und Urteil des FG Köln vom 09.04.1991 13 K 5413/89, EFG 1991, 639). Hinzu komme, dass die Beträge für das Versorgungswerk über die Buchhaltung der Kanzlei überwiesen worden seien. Insofern habe der Kläger annehmen dürfen, dass diese Aufwendungen bereits in der Gewinn- und Verlustrechnung der GbR berücksichtigt und versteuert worden seien. Tatsächlich seien diese Aufwendungen in der Steuererklärung der GbR zwar aufgeführt, jedoch nur im Rahmen der Buchungen und nicht als gewinnmindernder Abzugsposten. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 09.10.1992 III R 72/91 sei grobe Fahrlässigkeit dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige das Erklärungsformular nicht gewissenhaft durchgelesen habe. Der Steuerpflichtige müsse nach Ansicht des BFH jedoch nur die im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellten und auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogenen Fragen nicht beachtet haben. Diese Rechtsprechung werde auch durch die weitere Entscheidung des BFH vom 21.07.1989 III R 303/84, BStBl II 1989, 960 bestätigt. Hier sei eine nachträgliche Änderung des Bescheides bejaht worden, weil die Steuerpflichtigen irrtümlich einen steuerlichen Begriff zu eng ausgelegt hätten. Vorliegend sei in dem maßgeblichen Erklärungsformular (Mantelbogen zur Einkommensteuererklärung, Sonderausgaben), keine auf ihre, der Kläger, Situation bezogene ausdrückliche Frage gestellt worden.

Der Einspruch wurde mit Entscheidung vom ......2007 als unbegründet zurückgewiesen. Die Zahlung der Mitgliedsbeiträge zum Versorgungszweck der Rechtsanwälte sei zwar eine neue Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Den Klägern sei jedoch ein grobes Verschulden zur Last zu legen. Sie hätten die ausdrücklich gestellte Frage nach der freiwilligen Versicherung von Nichtarbeitnehmern nicht beantwortet. Diese Frage sei nicht schwieriger zu verstehen als andere durchschnittliche Fragen des Vordruckes. Aufgrund der Eindeutigkeit des Erklärungsvordruckes und der Anleitung könnten sich die Kläger auch nicht auf Rechtsunkenntnis berufen. Vielmehr seien sie ihrer Erklärungspflicht nur unzureichend nachgekommen, indem sie unvollständige Angaben gemacht hätten. Der Steuerpflichtige habe jedoch gemäß § 150 Abs. 2 Satz 1 AO die Angaben der Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Um eine Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß abgeben zu können, müsse er das Erklärungsformular gewissenhaft durchlesen. Werde eine im Steuererklärungsvordruck ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene, Frage nicht beantwortet, liege regelmäßig ein grobes Verschulden vor. Der Umstand, dass die Kläger davon ausgegangen seien, dass die Zahlungen an das Versorgungswerk im Rahmen der Gewinnermittlung der GbR berücksichtigt worden seien, spreche nicht gegen das Vorliegen eines groben Verschuldens. Denn das Versäumnis sei bei der Bearbeitung der Steuererklärung 2004 von den Klägern selbst bemerkt worden. Dieser Umstand deute darauf hin, dass die Kläger die Fragestellung bzw. den Vordruck an dieser Stelle verstanden hätten und in den Vorjahren lediglich nicht mit der zu erwartenden Sorgfalt vorgegangen seien. Sich aufdrängenden Zweifelsfragen, hier die Frage der Berücksichtigung der Zahlungen bei der GbR, müsse der Steuerpflichtige nachgehen. Unter Berücksichtigung des niedrigen Schwierigkeitsgrades erscheine es nicht nachvollziehbar, dass die Kläger, besonders der Kläger als Rechtsanwalt, die Fragen unbeantwortet gelassen hätten, weil sie den Sinn der Fragestellung nicht hinreichend erfasst hätten.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage verweisen die Kläger zunächst auf ihren Vortrag im Einspruchsverfahren und tragen ergänzend wie folgt vor:

Mit Ausnahme der Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte seien alle Vorsorgeaufwendungen vom Kläger selbst über sein privates Konto gezahlt worden. Der Kläger sei irrtümlich davon ausgegangen, dass diese Aufwendungen aufgrund der erfolgten Abbuchung der Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk über das Konto der GbR auch im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte der GbR berücksichtigt würden. Dieser Irrtum über die Besonderheiten des Verfahrens zur einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften gemäß §§ 179, 180 Abs. 1 Nr. 2 a, 182 AO sei erst im Zusammenhang mit der Gewinnermittlung der GbR für das Jahr 2004 und der in deren Folge zu erstellenden Einkommensteuererklärung bemerkt worden.

Soweit der Beklagte darauf hinweise, dass grobes Verschulden regelmäßig dann anzunehmen sei, wenn der Steuerpflichtige eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf bestimmte Vorgänge bezogene, Frage nicht beantworte, sei darauf hinzuweisen, dass diese Formulierung gerade nicht als generelles Abgrenzungskriterium tauge, sondern sich nur anhand der jeweiligen tatsächlichen Umstände im Einzelfall zur rechtlichen Einordnung eigne. Wenn jeder Kennziffer in den Steuererklärungsformularen bzw. Erläuterungen und Merkblättern die Eigenschaft einer ausdrücklich gestellten, auf bestimmte Vorgänge bezogene Frage verliehen werde, könne es bei fehlerhaftem Ausfüllen von Steuererklärungsformularen letztlich keinen Fall geben, in dem nicht zumindest grobe Fahrlässigkeit angenommen werden müsse. So weise auch Loose in Tipke/Kruse, a.a.o.,§173 AO Rdnr. 77 zutreffend darauf hin, dass jedenfalls ein normaler, steuerlich nicht beratener, Steuerpflichtiger mit Vordrucken und Merkblättern aufgrund seiner eigenen Kenntnisse nicht viel anfangen könne und infolge dessen deren Nichtbeachtung gerade nicht allgemein, sondern nur ausnahmsweise, den Vorwurf grob fahrlässiger Handlungsweise rechtfertige. Ein Ausnahmefall in diesem Sinne liege nach der Rechtsprechung des BFH z.B. bei dem im Veranlagungszeitraum 1996 verwendeten Merkblatt über Kindergeld (BFH-Urteil vom 21.01.2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910) oder dem Erklärungsteil der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1994 zum Bereich Kinderfreibeträge/Ausbildungsfreibeträge (BFH-Urteil vom 23.10.2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441) vor. Hingegen begründe nach dem Urteil des FG Baden-Württemberg vom 04.05.2006 14 K 90/02, Haufe Steueroffice Index 1711621, das Unterlassen des Studiums der kompletten Anleitung zur Steuererklärung ohne Vorliegen eines konkreten Anlasses kein grobes Verschulden des Steuerpflichtigen, sondern allenfalls leichte Fahrlässigkeit. Zwar möge sich für einen steuerlich erfahrenen oder sogar im Steuerrecht ausgebildeten Steuerpflichtigen hinsichtlich der in den Zeilen 63 - 71 des Mantelbogens zur Einkommen -steuererklärung aufgeführten verschiedenen Rubriken zu den Vorsorgeaufwendungen eine Differenzierung nach Arbeitnehmern und Nichtarbeitnehmern erschließen. Dies sei jedoch bei einem steuerlichen Laien nicht der Fall. Der Kläger sei zwar Volljurist, verfüge aber über keine entsprechenden Kenntnisse und Erfahrungen im Steuerrecht und sei im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit im Arbeits- und Beamtenrecht und gerade nicht im Steuerrecht tätig. Dass sich die Feststellungserklärungen der GbR lediglich auf die Höhe der Einkünfte sowie deren Zuordnung zu den einzelnen Beteiligten erstrecke und Abzugsposten wie z.B. Sonderausgaben in Form von Vorsorgeaufwendungen gerade nicht erfasst würden, sei dem Kläger schlichtweg nicht bekannt gewesen. Andererseits benenne § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO als Gegenstand der Feststellung nicht nur die einkommensteuerpflichtigen und körperschaftsteuerpflichtigen Einkünfte, sondern auch die mit ihnen im Zusammenhang stehenden anderen Besteuerungsgrundlagen. Die Veranlagungs- und Erklärungspraxis weise jedenfalls in der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Grundlagen für die Einkommenbesteuerung ausdrücklich auf Sonderausgaben als Erklärungsbestandteil hin. Dabei handele es sich jedoch nur um Spenden an Stiftungen, für kirchliche Zwecke und an politische Parteien. Diese seien den am Gegenstand der Einkünfteerzielung beteiligten Gesellschaftern steuerlich ebenfalls zuzuordnen. Diesbezüglich habe sich der Kläger geirrt und dieser Rechtsirrtum sei auch ursächlich für die fehlende Eintragung der geleisteten Vorsorgeaufwendungen in die persönliche Einkommensteuererklärung der Kläger gewesen.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom ......2006 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom .......2007 die Einkommensteuer 2000 bis 2003 unter Berücksichtigung der vom Kläger in den Jahren 2000 bis 2003 gezahlten Beiträge zum Versorgungszweck der Rechtsanwälte neu festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass der Kläger als Rechtsanwalt nach seiner Ansicht nicht mit einem steuerlichen Laien gleichzusetzen sei. Die Kennzahlen in der Einkommensteuererklärung zu den privaten Vorsorgeaufwendungen hätten die Kläger zum Teil ausgefüllt. Die Frage, was mit den Beiträgen zu dem Versorgungswerk der Anwälte sei, hätte sich den Klägern aufdrängen müssen, wobei es unerheblich sei, von welchem Konto diese Beträge gezahlt worden seien.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist nicht begründet. Der Beklagte hat die begehrte Änderung der Einkommensteuerbescheide zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegen nicht vor.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide zugunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt geworden sind, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

1. Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 ist, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Diese können auf rechtlichem Gebiet liegen, insbesondere bei juristischen Subsumtionen, oder auf tatsächlichem Gebiet, wie bei einer Schätzung (BFH - Urteile vom 10.04.1997, BFH/NV 1997, 757 und vom 27.10.1992 VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569 m.w.N.). Die zu einer niedrigeren Steuer führende Tatsache im Sinne dieser Vorschrift ist vorliegend der Umstand, dass der Kläger in den Streitjahren Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte gezahlt hat.

2. Diese Tatsache ist dem Beklagten erst nachträglich im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bekannt geworden. Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das Finanzamt bei Erlass des Steuerbescheides noch nicht kannte (BFH - Urteil vom 13.09.2001 IV R 79/99, BStBl II 2002, 2). Die vom Kläger geleisteten Vorsorgeaufwendungen an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte sind dem Beklagten, was auch unstreitig ist, erst durch den Änderungsantrag der Kläger und damit nach Ergehen der Erstbescheide bekannt geworden.

3. Auch die weitere Voraussetzung für eine Änderung nach § 173 Abs.1 Nr.1 AO, die Rechtserheblichkeit der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache (vgl. hierzu schon Beschluss des großen Senats des BFH vom 23.11.1987 GrS 1/86, BStBl II 1988, 180 und Urteil des BFH vom 28.09.1995 II R 67/96, BFH/NV 1999, 1), ist gegeben. Rechtserheblichkeit in diesem Sinne ist zu bejahen, wenn auch nur die Möglichkeit einer anderen, rechtlich zutreffenden Entscheidung durch den Beklagten bestanden hat; umgekehrt ist Rechtserheblichkeit zu verneinen, wenn er auch bei Kenntnis der neuen Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine andere - höhere - Steuer festgesetzt hätte (Beschluss des großen Senats des BFH vom 23.11.1987, a.a.O.). Im Streitfall hätte der Beklagte bei Kenntnis der Tatsache, dass der Kläger Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte gezahlt hat, diese bei Erlass der Erstbescheide berücksichtigt.

4. Der Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide steht im Streitfall jedoch ein grobes Verschulden des Klägers am nachträglichen Bekanntwerden der Beitragszahlungen entgegen.

Als grobes Verschulden im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH - Urteile vom 22.05.1992 VI R 17/91, BStBl II 1993, 80, m.w.N.; vom 01.10.1993 III R 58/92, BStBl II 1994, 346, m.w.N; vom 23.01.2001 XI R 42/00, BStBl II 2001, 379, m.w.N; vom 23.10.2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441, vom 06.10.2004 X R 14/02, BFH/NV 2005, 156 und vom 19.12.2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866). Fehler, die üblicherweise vorkommen und mit denen immer gerechnet werden muss, begründen hingegen keine grobe Fahrlässigkeit (BFH - Urteil vom 04.02.1998 XI R 47/97, BFH/NV 1998, 682; Tipke/Kruse, AO - FGO § 173 AO Tz. 31 ff., m.w.N.). Die Beschränkung der Änderungsmöglichkeit soll den Steuerpflichtigen von vornherein dazu anhalten, seine Erklärungs- und Mitwirkungspflichten mit der gebotenen Sorgfalt zu erfüllen. Der Verschuldensmaßstab ist somit grundsätzlich subjektiv und nicht objektiv. Ob ein Beteiligter in diesem Sinne grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen eine Tatfrage.

Grob fahrlässiges Handeln kann vorliegen, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (BFH-Urteile vom 19.12.2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866; vom 16.09.2004 IV R 62/02, BStBl II 2005, 75; vom 01.10.1993 III R 58/92; BStBl II 1994, 346 und vom 30.10.1986 III R 163/82 BStBl II 1987, 161). Beruht die unvollständige Steuererklärung dagegen allein auf einem Rechtsirrtum infolge mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Beschluss vom 31.01.2005 VIII B 18/02, BFH/NV 2005, 1212; BFH-Urteile in BFH/NV 2007, 866; vom 23.02.2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978 und vom 10.08.1988 IX R 219/84, BStBl II 1989, 131, m.w.N.). Der Vorwurf grober Fahrlässigkeit entfällt jedoch nur dann, wenn der Rechtsirrtum subjektiv entschuldbar ist (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2007, 866; vom 23.11.2001 VI R 125/00, BStBl II 2002, 296 und vom 23.01.2001 XI R 42/00, BStBl II 2001, 379, m.w.N.).

Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige nicht berufen, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet (BFH-Urteile in BFH/NV 2007, 866 und vom 23.10.2002 III R 32/00, BFH/NV 2003, 441; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 173 Rz. 115, jeweils m.w.N.). Gemäß § 150 Abs. 2 Satz 1 AO müssen die Angaben in den Steuererklärungen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen gemacht werden. Um eine Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß abgeben zu können, muss ein Steuerpflichtiger das Erklärungsformular und die den Steuererklärungsformularen beigefügten Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt gewissenhaft lesen (BFH-Urteile in BStBl II 2001, 379; in BStBl II 1994, 346; vom 09.08.1991 III R 24/87, BStBl II 1992, 65 und vom 11.05.1990 VI R 76/86, BFH/NV 1991, 281). Allerdings müssen auch die Erläuterungen für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig sein (BFH-Urteil in BStBl II 2001, 379 ). Drängen sich dem Steuerpflichtigen aufgrund der zu erklärenden Sachverhalte und/oder angesichts seiner eigenen Kenntnisse Zweifel auf, dass er seinen steuerlichen Pflichten und Obliegenheiten ohne fachkundigen Rat nachzukommen im Stande ist, oder hätten sich ihm nach Lage des Falles solche Zweifel aufdrängen müssen, so handelt er grob fahrlässig, wenn er fachliche Hilfe nicht in Anspruch nimmt und infolgedessen für ihn günstige Tatsachen nicht rechtzeitig geltend macht (BFH-Urteile vom 06.10.2004 X R 14/02, BFH/NV 2005, 156; vom 13.06.1989 VIII R 174/85, BStBl II 1989, 789; in BStBl II 1994, 346 und in BStBl II 2001, 379 ). Diese Hilfe erfordert nicht notwendigerweise die (entgeltliche) Beauftragung eines steuerlichen Beraters, sondern kann auch darin liegen, dass der Steuerpflichtige den aus seiner Sicht Zweifel begründenden Sachverhalt vollständig dem FA zur Prüfung unterbreitet bzw. von dort eine Auskunft einholt. Auch ein steuerrechtlich nicht ausgebildeter Laie handelt daher grob fahrlässig, wenn er eine im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte und auch verstandene Frage nur deshalb nicht oder nur unvollständig beantwortet, weil er infolge eines Rechtsirrtums der Ansicht ist, die unterlassenen Angaben hätten in seinem Einzelfall keine Auswirkung (BFH-Urteile in BFH/NV 2007, 866 und vom 09.08.1991 III R 24/87, BStBl II 1992, 65; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 AO Tz. 76; Frotscher in Schwarz, AO, § 173 Rz. 73, m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Kläger nach den gesamten Umständen des Falles grob fahrlässig gehandelt, als er in der Steuererklärung die Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte nicht geltend gemacht hat. Denn gemäß § 90 AO ist er verpflichtet, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, indem die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig offen gelegt werden.

Auch wenn dem Kläger hier, wie vorgetragen, aufgrund fehlerhafter steuerrechtlicher Kenntnisse ein Rechtsirrtum unterlaufen sein sollte, lässt dies den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht entfallen; denn bei gehöriger Sorgfalt hätte dieser Irrtum vermieden werden können. Im Vordruck (Mantelbogen der Einkommensteuererklärung) wird in den Zeilen 63-71 nach den verschiedenen Vorsorgeaufwendungen gefragt. In Zeile 67 werden ausdrücklich die Beiträge von Nichtarbeitnehmern zur Sozialversicherung erwähnt und abgefragt. Die dortigen Ausführungen sind nach Ansicht des Senates verständlich und klar formuliert. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht in der Lage war, die im Vordruck gestellte Frage sowie ihre Bedeutung zu erfassen, bestehen nicht. Vielmehr spricht der Umstand, dass der Kläger ein juristisches Studium erfolgreich abgeschlossen hat, für einen hohen Ausbildungsstand, der ihn intellektuell in die Lage versetzte, den Steuererklärungspflichten in diesem überschaubaren Punkt ordnungsgemäß nachzukommen. Stattdessen ist er nach eigenem Vortrag in der falschen Annahme einer anderweitigen Berücksichtigung der Beiträge zum Versorgungswerk im Feststellungsverfahren davon ausgegangen, die Beiträge seien nicht in Zeile 67 einzutragen. Bei gehöriger und zumutbarer Sorgfalt hätten sich dem Kläger aber zumindest Zweifel darüber aufdrängen müssen, ob die streitigen Beiträge nicht möglicherweise doch bei der Einkommensteuer zu berücksichtigen sind. Er hätte deshalb die Berechtigung seiner Annahme, die Beiträge würden im Feststellungsverfahren berücksichtigt, durch Einholung weiterer Informationen überprüfen müssen. Dabei hätte es schon ausgereicht und wäre es dem Kläger auch zumutbar gewesen, sich in der Buchhaltung, beim Berater der Kanzlei oder auch beim Beklagten zu erkundigen, ob die Beiträge tatsächlich im Feststellungsverfahren zu berücksichtigen bzw. berücksichtigt werden.

Wenn der Kläger stattdessen über Jahre hinweg ohne weitere Prüfung davon ausgegangen ist, dass die Beiträge zum Versorgungswerk nicht bei der Einkommensteuer zu berücksichtigen seien und er diese deshalb nicht in der Einkommensteuererklärung angegeben hat, so liegt darin ein grobes Verschulden, das es ausschließt, die Beiträge nunmehr noch nachträglich zu berücksichtigen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.



Ende der Entscheidung

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