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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 24.04.2008
Aktenzeichen: 6 K 2488/06
Rechtsgebiete: FGO, EStG, AO


Vorschriften:

FGO § 102 S. 1
EStG § 3 Nr. 66
EStG § 4 Abs. 1
EStG § 10d
AO § 5
AO § 227
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

6 K 2488/06

Tenor:

Unter Änderung der Ablehnungsverfügung vom 17. Januar 2004 (richtig 2005) und der Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2006 wird der Beklagte verpflichtet, die durch den Bescheid für 1998 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 22. Mai 2006 festgesetzte Einkommensteuer 1998 von 16.919,16 EUR in voller Höhe zu erlassen.

Im Übrigen - wegen des Erlasses der Einkommensteuer 1999 bis 2002 - wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Erhebung der Einkommensteuer, die auf einem gesondert festgestellten Aufgabegewinn beruht, aus sachlichen Gründen unbillig ist, soweit darin ein Erlass von Betriebsschulden enthalten ist, der nach dem bis 1997 geltenden § 3 Nr. 66 EStG als Sanierungsgewinn steuerfrei gewesen wäre.

Die Kläger sind Eheleute und beide Diplom-Pädagogen. Zusammen mit dem Sonderschullehrer N erwarben sie als Miteigentümer 1984 das Grundstück "E" in ... sowie 1988 das Grundstück "L" in B und gründeten für jedes Objekt eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), in der sie die Objekte als Tagungshotels herrichteten und dort gegen Entgelt verschiedenste Aus- und Fortbildungsveranstaltungen durchführten.

Der Beklagte stellte die Einkünfte der beiden GbR jeweils einheitlich und gesondert fest und veranlagte die Kläger gemeinsam zur Einkommensteuer. Seit 1990 erwirtschaftete die L GbR durchgehend Verluste, da die Einnahmen erheblich unter den Finanzierungskosten blieben. Dies führte bei der Einkommensteuer der Kläger zur Feststellung entsprechender Verlustvorträge.

Das L wurde 1995 unter Fortführung des Gewerbebetriebes verpachtet. Das Objekt E wurde 1996/1997 veräußert und diese GbR seinerzeit aufgelöst. Nach Beendigung ihrer aktiven Mitarbeit in den beiden GbR führen die Kläger Teile des Angebots im eigenen Namen weiter. Mit den daraus erzielten Einkünften aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit sowie Gewinnen aus der Auflösung der E-GbR wurde der Verlustvortrag verrechnet. In den Streitjahren (1998 bis 2001) war der Kläger als Berufsbetreuer selbständig tätig, die Klägerin veranstaltete Kommunikationsseminare, bot Insolvenzberatungen an und war beim X in .... angestellt. Ende 1997 verblieben den Klägern 72.905 DM Verlustvortrag.

Die im vorliegenden Verfahren interessierende GbR L wurde 1998 aufgelöst und das L 1999 zwangsversteigert. Die GbR war mit 2 Mio. DM bilanziell überschuldet. Hauptgläubiger waren die Volksbank ... e.G. und die Eheleute D, die Erwerb und Umbau des Objektes finanziert hatten. Von den 4 Mio. DM Verbindlichkeiten konnten nur 1,4 Mio. DM durch den Versteigerungserlös getilgt werden, der den Buchwert des Grundstückes (1,9 Mio. DM) deutlich unterschritt. In der Folgezeit schlossen die Kläger sowie Herr N mit den beiden Hauptgläubigern der GbR Vergleichsvereinbarungen. Danach sollten mit der Zahlung näher bestimmter Beträge alle Ansprüche im Wege des Verzichtes abgegolten sein. Im Ergebnis wurden von den 4.044.473 DM Verbindlichkeiten 2.268.194 DM gezahlt oder von anderen Gläubigern weiterhin kreditiert. Die restlichen 1.776.279 DM erloschen Anfang 2002 aufgrund der Vergleichsvereinbarungen. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass die Gläubiger die Schulden im Sinne des § 397 Abs. 1 BGB erlassen haben. Gemäß den Beteiligungsquoten des Gesellschaftsvertrages entfallen von den erlassenen Beträgen 15,5% (= 275.323,35 DM) auf den Kläger und 35,5% (= 630.579,29 DM) auf die Klägerin.

Mit Schriftsätzen vom 9. November, 14. und 30. Dezember 2004 beantragten die Kläger durch den Prozessbevollmächtigten die Einkommensteuer für die Streitjahre zu erlassen, soweit darin ein Sanierungsgewinn enthalten sei. Sie stützten dies - soweit für die Klage noch von Bedeutung - auf sachliche Unbilligkeit und verwiesen auf das BMF-Schreiben vom 27. März 2003 (BStBl I 2003, 240) sowie auf das zwischenzeitlich zu einem vergleichbaren Sachverhalt ergangene Urteil des FG Münster vom 27. Mai 2004 (2 K 1307/02 AO, EFG 2004, 1572). Der Beklagte lehnte den Erlassantrag mit Verfügung vom 17. Januar 2004 (richtig 2005) ab.

Am 11. Mai 2006 wies der Beklagte den Einspruch gegen die Ablehnung des Erlasses zurück. Er blieb bei seiner Auffassung, dass das BMF-Schreiben für das Begehren der Kläger nichts hergebe und lehnte es ab, die Grundsätze aus dem Urteil des FG Münster zugunsten der Kläger anzuwenden.

Hierauf haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Nachdem zwischen den Beteiligten zunächst Streit über Zeitpunkt und Höhe eines Veräußerungs- oder Aufgabegewinns bestanden hatte, stellte der Beklagte durch Einspruchsentscheidung - ebenfalls vom 11. Mai 2006 - für die GbR im Jahr 1998 einen Aufgabegewinn von 583.419 DM fest, von dem er dem Kläger 90.429 DM und der Klägerin 207.113 DM zurechnete. Der laufende Verlust der GbR von 290.140,13 DM und die Anteile der Kläger daran (44.972 DM und 103.000 DM) blieben unverändert. Im Übrigen blieb dieser Einspruch ohne Erfolg. Mit diesem Inhalt ist die Einspruchsentscheidung bestandskräftig geworden. Streitig ist im Klageverfahren 6 K 2489/06 noch, ob der Beklagte im Tenor der Entscheidung zu Recht festgestellt hat, dass hinsichtlich des Aufgabegewinns kein Sanierungsgewinn im Sinne des BMF-Schreibens vom 27. März 2003 (BStBl I 2003, 401) vorliege.

Die Einkommensteuerbescheide für die übrigen Streitjahre wurden wegen des Streites über die Zuordnung und Höhe eines Veräußerungs- und Auflösungsgewinns wiederholt geändert und hatten für 1998 bis 2001 - aufgrund von unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgestellten Verlustvorträgen - zeitweise 0 DM betragen.

Im Hinblick auf die Einigung der Beteiligten über die Gewinnfeststellung für 1998 vom 11. Mai 2006 sind folgende festgesetzte Einkommensteuerbeträge bestandskräftig geworden:

Einkommensteuer 1998 Bescheid vom 22. Mai 2006 16.919,16 EUR (33.091 DM) Einkommensteuer 1999 Bescheid vom 13. April 2005 35.034 DM Einkommensteuer 2000 Bescheid vom 23. Juni 2004 47.602 DM Einkommensteuer 2001 Bescheid vom 27. Oktober 2004 43.568 DM Einkommensteuer 2002 Bescheid vom 13. August 2004 31.240 EUR

Im Bescheid für 1998 verrechnete der Beklagte die Anteile der Kläger am laufenden Verlust der GbR mit den Anteilen am Auflösungsgewinn, so dass 149.570 DM Einkünfte aus Gewerbebetrieb der GbR übrig blieben. Hinzu gerechnet wurden die Einkünfte der Kläger aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit (109.292 DM und 39.812 DM). Nach Abzug von 15.988 DM Sonderausgaben und des festgestellten Verlustvortrags zum 31. Dezember 1997 von 72.905 DM, verblieben 209.781 DM zu versteuerndes Einkommen, für die sich die genannten 33.091 DM Einkommensteuer ergaben.

Der Einkommensteuerrückstand für die Streitjahre beträgt 112.686,24 EUR. Die Vollziehung der Bescheide hat der Beklagte überwiegend ausgesetzt.

Mit der hiesigen Klage wegen Erlasses der Einkommensteuer tragen die Kläger vor:

Die Klage sei neben dem Verfahren 6 K 2489/06 gegen den Feststellungsbescheid für 1998 zulässig. Denn das BMF-Schreiben lasse offen, mit welchem Verwaltungsakt rechtsverbindlich über den Erlass entschieden werde. In der Sache sei der Erlass der Schulden als unternehmensbezogene Sanierung anzusehen. Nach dem BMF-Schreiben genüge es, einen Unternehmensträger vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Der Schuldenerlass ermögliche ihnen - den Klägern - die Fortsetzung ihrer bereits seit 1996 ausgeübten unternehmerischen Tätigkeiten. Dass die Sanierung sich nicht auf den Betrieb des Hauses L bezogen habe, spiele keine Rolle. Der Begriff Unternehmen sei weiter gefasst und schließe alle selbständigen Tätigkeiten ein. Aber selbst wenn sich der Anspruch auf die Feststellung des Sanierungsgewinnes mangels Unternehmensbezogenheit nicht aus dem BMF-Schreiben ergebe, widerspreche es der ständigen Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung zu § 3 Nr. 66 EStG, die eine unternehmerbezogene Sanierung für ausreichend angesehen habe.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 17. Januar 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2006 die Einkommensteuer für 1998 bis 2002 insoweit zu erlassen, als in 1998 steuerfreie Sanierungsgewinne des Klägers von 275.323,35 DM und der Klägerin von 630.579,29 DM zu erfassen und mit positiven Einkünften der Jahre 1998 bis 2002 zu verrechnen sind,

hilfsweise,

den Beklagten zu verpflichten, den Antrag auf Erlass der Einkommensteuer 1998 bis 2002 aus Billigkeitsgründen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,

im Unterliegensfall,

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

im Unterliegensfall,

die Revision zuzulassen.

Er hält an seiner Einspruchsentscheidung fest.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise - für das Jahr 1998 - begründet.

A)

Durch Klage kann nach § 40 Abs. 1 FGO die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten Verwaltungsakts im Wege der Verpflichtungsklage begehrt werden.

I.

Das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ist erfolglos geblieben (§ 44 Abs. 1 FGO). Der von den Klägern erhobene Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 17. Januar 2004 (richtig 2005) ist vom Beklagten am 11. Mai 2006 zurückgewiesen worden. Dabei spielt es keine Rolle, dass im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides für 1998 noch keine Einkommensteuer festgesetzt war, die nach § 227 AO im Erhebungsverfahren hätte erlassen werden können. Der Beklagte hatte sich bereits vor dem Erlassantrag vom 9. November 2004 - nämlich am 2. September 2004 - im Klageverfahren 6 K 1864/04 der Auffassung der GbR angeschlossen, dass der Veräußerungsgewinn im Jahre 1998 zu erfassen sei, was zu einer entsprechenden Einkommensteuerfestsetzung führen musste. Darauf brauchten die Kläger mit ihrem Billigkeitsantrag nicht zu warten, da nach § 163 Satz 1 AO Billigkeitsmaßnahmen bereits im Festsetzungsverfahren möglich sind. Nach allgemeiner Meinung sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von §§ 163, 227 AO - die Unbilligkeit der Erhebung bzw. der Einziehung - im Wesentlichen dieselben (BFH-Beschluss vom 30. August 1999 X B 67/99, BFH/NV 2000, 301). Während des Einspruchsverfahrens gegen den Ablehnungsbescheid - am 13. April 2005 - ist der Einkommensteuerbescheid für 1998 ergangen und der darin festgesetzte Steueranspruch ist als Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis einem Erlass zugänglich (§§ 227, 37 Abs. 1 AO).

II.

Gegenstand der Klage auf Erlass ist hinsichtlich des Jahres 1998 der während des Klageverfahrens ergangene Bescheid vom 22. Mai 2006 geworden, in dem die Einkommensteuer 1998 auf 16.919,16 EUR (= 33.091 DM) herabgesetzt worden ist. Das ergibt sich aus § 68 Satz 1 FGO, der für die Verpflichtungsklage entsprechend anzuwenden ist (BFH-Urteil vom 29. November 2001 IV R 66/99, BFH/NV 2002, 524).

III.

Die gegen den Feststellungsbescheid für die GbR gerichtete Klage 6 K 2489/06 steht der Zulässigkeit der vorliegenden Klage nicht entgegen. Selbst wenn die Feststellung eines Sanierungsgewinns Grundlagenbescheid für den Erlass der Einkommensteuer als Folgebescheid wäre, steht die Regelung in §§ 42 FGO, 315 Abs. 2 AO der Zulässigkeit einer Klage auf Erlass des Folgebescheides nicht entgegen (BFH-Urteil vom 9. November 2005 I R 10/05, BFH/NV 2006, 750).

B)

Das Gericht spricht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung des Beklagten aus, die vorgenannte Einkommensteuer 1998 in voller Höhe zu erlassen, weil in diesem Umfang die Ablehnung des Erlasses rechtswidrig ist, die Kläger dadurch in ihren Rechten verletzt sind und die Sache spruchreif ist. Aus demselben Grund hebt das Gericht zugleich nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf, soweit sich beide auf die Einkommensteuer 1998 beziehen. Wegen der Einkommensteuer 1999 bis 2002 bleibt die Klage ohne Erfolg. Insoweit halten die Verwaltungsentscheidungen einer rechtlichen Überprüfung stand.

I.

Die Ablehnung des Beklagten, die Einkommensteuer 1998 zu erlassen, ist im Sinne des § 102 Satz 1 FGO rechtswidrig.

1. § 102 Satz 1 FGO ist anwendbar, weil der Beklagte ermächtigt ist, über den Erlass der Einkommensteuer nach seinem Ermessen zu entscheiden. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis ist die Einkommensteuer 1998 in Höhe von 16.919,16 EUR, die der Beklagte mit Bescheid vom 22. Mai 2006 gegen die Kläger festgesetzt hat (§§ 37 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1 AO, 2 Abs. 6, 36 Abs. 1 EStG). Das Ermessen der Finanzbehörden zur Entscheidung über einen Erlass nach § 227 AO erstreckt sich sowohl auf die Voraussetzung, dass die Einziehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, als auch auf die Rechtsfolge, dass die Finanzbehörden erlassen "können" (Beschluss des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS OGB 3/70, BStBl II 1972, 603; aus neuerer Zeit BFH, Urteil vom 13. Januar 2005 V R 35/05, BStBl II 2005, 460).

2. Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, beschränkt § 102 Satz 1 FGO die Prüfung des Gerichtes darauf, ob die Ablehnung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist. Sie erstreckt sich nur darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Diese auf Ermessensfehler begrenzte Prüfung trägt § 5 AO Rechnung, der bestimmt, in welcher Weise die Finanzbehörden das eingeräumte Ermessen auszuüben haben.

3. Mit der Ablehnung, die Einkommensteuer 1998 zu erlassen, hat der Beklagte gemäß § 102 Satz 1 FGO die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten. Eine Finanzbehörde hält die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht ein, wenn sie den ihr eingeräumten Entscheidungsspielraum dadurch nicht ausschöpft, dass sie nicht alle gebotenen Erwägungen anstellt (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juni 1983 VII R 4/83, BFHE 138, 508, BStBl II 1983, 695; Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 AO Rn. 40). Eine solche Ermessensunterschreitung liegt hier vor.

Die Einziehung einer Steuer ist unter anderem dann im Sinne von § 227 AO nach Lage des einzelnen Falles unbillig, wenn der konkrete Sachverhalt den abstrakten gesetzlichen Tatbestand erfüllt, aber die Besteuerung mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist (sog. sachliche Unbilligkeit, vgl. etwa BFH-Urteil vom 20. Februar 1991 II R 63/88, BFHE 164, 114, BStBl II 1991, 541). Bei dieser Beurteilung für die Einkommensteuer 1998 hat der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen unterschritten.

Der Beklagte hat über die sachliche Unbilligkeit allein auf der Grundlage des BMF-Schreibens vom 27. März 2003 (IV A 6 - S 2140 - 8/03, BStBl I 2003, 240) entschieden. Diese Verwaltungsanweisung schöpft das Ermessen aber nicht aus, da sie zu eng gefasst ist. Nach der gesetzlichen Regelung in § 227 AO kommt ein Steuererlass bei Sanierungsgewinnen auch über die Voraussetzungen des BMF-Schreibens hinaus in Betracht. In dieser Frage folgt das Gericht der Ansicht des FG Münster (Urteil vom 27. Mai 2004 2 K 1307/02 AO, EFG 2004, 1572, rkr.). Der anderslautenden Auffassung des FG München (Urteil vom 12. Dezember 2007 1 K 4487/06, dagegen Revision VIII R 2/08 beim BFH anhängig, EFG 2008, 615 mit Anm. Hoffmann) und ähnlichen Stimmen im Schrifttum (Kanzler, FR 2003, 481 und Bareis/Kaiser, DB 2004, 1841) kann sich das Gericht demgegenüber nicht anschließen. Soweit aus Billigkeitsgründen gebotene allgemeine Übergangs- oder Anpassungsregelungen der Finanzverwaltung - wie hier nicht vorhanden sind, muss die zuständige Finanzbehörde dem durch eine Einzelmaßnahme Rechnung tragen, wenn sie die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens einhalten will (vgl. BFH-Urteil vom 26. September 2007 V B 8/06, BStBl II 2008, 405). Das hat der Beklagte aber nicht getan

a) Die Anteile der Kläger am Gewinn oder Verlust der N GbR unterliegen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer (§§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Dazu gehören auch Gewinne, die bei der Aufgabe des Gewerbebetriebes erzielt werden (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 1 EStG). Nach dem Feststellungsbescheid für 1998 beträgt der Anteil des Klägers am Aufgabegewinn 90.429 DM und der Anteil der Klägerin 207.113 DM.

Aufgabegewinn ist der Betrag, um den der gemeine Wert bzw. der Veräußerungspreis nach Abzug der Aufgabe- und Veräußerungskosten den Wert der Anteile am Betriebsvermögen übersteigt. Dieser Wert ist für den Zeitpunkt der Aufgabe nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln (§ 16 Abs. 2 Sätze 1 und 2 und Abs. 3 EStG). Erlässt der Gläubiger dem Schuldner aus betrieblichem Anlass eine zu dessen Betriebsvermögen gehörende Schuld, führt deren Erlöschen (§ 397 Abs. 1 BGB) zur Erhöhung des Betriebsvermögens beim Schuldner und damit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG zu einem steuerpflichtigen Gewinn. Von dem Erlass der Schulden gegenüber der Volksbank und den Eheleuten D entfallen auf den Kläger 275.323,35 DM und auf die Klägerin 630.579,29 DM.

b) Die Besteuerung solcher Gewinne aus einem betrieblich veranlassten Erlass von Schulden ist im Grundsatz gerechtfertigt und nicht sachlich unbillig gemäß § 227 AO.

Betrieblich veranlasste Schulden mindern das Betriebsvermögen und führen bereits im Jahr der Entstehung zu einkommensteuerrechtlich abziehbaren Verlusten. Auf die Zeitpunkt der Tilgung kommt es nicht an, diese ist - meist als sog. Aktiv-Passiv-Tausch - nach § 4 Abs. 1 EStG erfolgsneutral. Werden die Schulden aber endgültig nicht getilgt, sondern erlassen, bedarf es eines Ausgleiches für den bereits entstandenen Verlust, da die Schuld im Ergebnis das Betriebsvermögen nicht belastet hat. Dieses Korrektiv ist die Steuerpflicht des Gewinns aus dem Erlass der Schuld. Er bewirkt, dass der periodenübergreifende Totalgewinn für die Zwecke der Einkommensteuer korrekt ermittelt wird. Es besteht deshalb ein Zusammenhang zwischen der Steuerpflicht des Gewinns aus dem Erlass der Schuld und dem Abzug des Verlustes aus der Entstehung der Schuld nach § 10d EStG.

c) Sachlich unbillig im Sinne von § 227 AO ist die Besteuerung des Gewinns aus dem Erlass von Schulden aber dann, wenn der Abzug des Verlustes aus der Entstehung der Schuld nicht möglich ist, etwa weil ein Verlustvortrag ausgeschlossen ist. Dies zeigt die Rechtsentwicklung zum praktisch wichtigsten Fall für den Erlass von betrieblichen Forderungen, nämlich zum Zweck der Sanierung (hierzu eingehend Groh, DB 1996, 1890).

Die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns ist vom RFH im Wege der Rechtsfortbildung für solche Fälle entwickelt worden, in denen eine Verrechnung mit den Verlusten ausgeschlossen war. Obwohl ein uneingeschränkter Verlustausgleich bei der Einkommensteuer erst ab 1985 möglich ist, hat sich der BFH von dieser Betrachtung völlig gelöst und die Steuerfreiheit zu einem Sanierungsprivileg entwickelt, das zusätzlich zum Verlustabzug gewährt wurde (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 1968 VI R 41/66, BFHE 94, 186, BStBl II 1969, 102). Diese Rechtsprechung ist 1976 durch § 3 Nr. 66 EStG in Gesetzesform gegossen worden (Körperschaftsteuerreformgesetz vom 31. August 1976, BGBl I S. 2597). Nach dieser Bestimmung waren Erhöhungen des Betriebsvermögens steuerfrei, wenn sie dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden. In der Gesetzesbegründung ist von einem Zusammenhang mit dem Verlustabzug nicht die Rede (Bundestags-Drucksache 7/1470 S. 19, 243). In der Folgezeit wurden unterschiedliche Begründungen zur Rechtfertigung des Sanierungsprivileges entwickelt. Teilweise wurde angenommen, dass ohne die Steuerbefreiung die Sanierung erheblich erschwert werde, wenn anstelle der erlassenen Verbindlichkeit eine Steuerschuld trete. Andere betonten wirtschaftliche oder sozialpolitische Motive (vgl. Nachweise bei Groh, DB 1996, 1891).

d) Nachdem die Bareis-Kommission 1994 in der Diskussion den Blick wieder auf den Zusammenhang zwischen Steuerbefreiung und Verlustausgleich gelenkt und die Streichung des Sanierungsprivileges vorgeschlagen hatte (BB 1994, Beilage 24 S. 7), ist der Gesetzgeber dem gefolgt und hat § 3 Nr. 66 EStG durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2590) aufgehoben. In der Begründung heißt es, die Steuerfreiheit sei nach den Grundprinzipien des Einkommensteuerrechts systemwidrig, da der Erlass der Verbindlichkeiten entgegen den allgemeinen ertragsteuerlichen Regeln nicht besteuert werde. Die Vorschrift stamme aus einer Zeit, in der das EStG einen unbegrenzten Verlustvortrag noch nicht vorgesehen habe und die Steuerbefreiung einen Ausgleich für nicht abzugsfähige Verluste habe darstellen sollen. Dieser Ausgleich sei seit Einführung des unbegrenzten Verlustvortrages nicht mehr gerechtfertigt. Einzelnen persönlichen oder sachlichen Härtefällen könne im Stundungs- und Erlasswege begegnet werden (Bundestags-Drucksache 13/7480 S. 192).

Die Rüge, dieses Gesetz sei verfassungswidrig, weil es ohne vorherige Beratung im Bundestag allein auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses beschlossen worden sei, hat das BVerfG im Ergebnis zurückgewiesen(Beschluss vom 15. Januar 2008 2 BvL 12/01, DStR 2008, 556). § 3 Nr. 66 EStG ist letztmals anwendbar auf Erhöhungen des Betriebsvermögens, die in dem Wirtschaftsjahr entstehen, das vor dem 1. Januar 1998 endet (§ 52 Abs. 2 Buchstabe i EStG in der Fassung des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997, BGBl. I S. 3121).

e) Da der Gesetzgeber in der zitierten Begründung zur Streichung von § 3 Nr. 66 EStG die Möglichkeit explizit angesprochen hat, einzelnen sachlichen Härtefällen unter anderem im Erlasswege zu begegnen, kann die eingangs erwähnte Auffassung des FG München nicht überzeugen, dass einem Erlass nach § 227 AO der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers entgegenstehe.

Die Besteuerung eines Gewinns aus dem Erlass einer Betriebsschuld ist nach Ansicht des erkennenden Senates für eine Übergangszeit und jedenfalls in dem hier zu beurteilenden Jahr 1998 sachlich unbillig gemäß § 227 AO, wenn und soweit trotz des unbegrenzten Verlustvortrages ein steuerpflichtiger Veräußerungs- oder Auflösungsgewinn verbleibt. Denn in einem solchen Fall fehlt es an der Doppelbegünstigung durch Steuerfreiheit und Verlustvortrag, die den Gesetzgeber zur Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG bewogen hat. Das hat zur Folge, dass die Besteuerung in diesem Umfang den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft.

So liegen die Dinge in dem Einkommensteuerbescheid der Kläger für 1998 vom 22. Mai 2006. Von dem Erlass der Schulden entfallen anteilig 275.323 DM auf den Kläger und 630.579 DM auf die Klägerin. Nach Abzug der Buchverluste aus der Veräußerung des Betriebsgrundstücks und der übrigen Posten ist ein anteiliger Auflösungsgewinn nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG verblieben, der beim Kläger von 90.429 DM und bei der Klägerin von 207.113 DM - zusammen 297.542 DM - beträgt. Der zum 31. Dezember 1997 festgestellte Verlustvortrag von 72.905 DM reicht zum Ausgleich des Auflösungsgewinns nicht aus.

Festzuhalten ist allerdings, dass aus den Vorjahren deshalb kein höherer Verlustvortrag mehr besteht, weil dieser durch Verrechnung mit den übrigen positiven Einkünften der Kläger aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit sowie dem Gewerbebetrieb "E" bereits verbraucht worden sind. Dieser Verbrauch kann jedoch bei der Prüfung einer Doppelbegünstigung im Streitjahr nicht berücksichtigt werden. Die bis Ende 1997 aus der GbR "L" entstandenen Verluste konnten nach der damaligen Rechtslage in voller Höhe verbraucht werden, ohne dass dies die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns nach § 3 Nr. 66 EStG ausgeschlossen hätte. Würde man nun im Jahr 1998 aufgrund der Streichung des § 3 Nr. 66 EStG auch alle bis 1997 bereits verbrauchten Verlustvorträge auf den Auflösungsgewinn anrechnen, ergäbe sich insoweit gegenüber der vorherigen Rechtslage eine echte Rückwirkung bzw. eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, die verfassungsrechtlich nur unter engen Voraussetzungen möglich ist (vgl. dazu Drüen in Tipke/Kruse, § 4 Rn. 16 bis 28 und speziell zu § 3 Nr. 66 EStG Kanzler, FR 1997, 899). Außerdem wäre die Feststellung, in welcher Höhe gerade die Verluste der aufgelösten GbR in der Vergangenheit bereits verbraucht worden sind, mit erheblichem Aufwand verbunden. Diese Probleme lässt sich nach Auffassung des Senates nur befriedigend lösen, wenn man bei der Prüfung einer etwaigen Doppelbegünstigung nur solche Verluste berücksichtigt, die bei Inkrafttreten der Aufhebung von § 3 Nr. 66 EStG noch vorhanden waren oder erst danach entstehen. Im Streitfall sind das der verbleibende Verlustvortrag von 72.905 DM und der anteilige laufende Verlust aus dem Gewerbebetrieb der GbR von 147.942 DM (44.972 DM und 103.000 DM). Nach Verrechnung dieser Verluste verbleiben von den 297.542 DM Auflösungsgewinn noch 76.665 DM. Soweit der Beklagte einen Erlass der auf diesen Betrag entfallenden Einkommensteuer 1998 abgelehnt hat, liegt darin eine Ermessensunterschreitung nach § 102 FGO.

f) Der Gedanke, dass die Erhebung der Steuer auf einen nach Ausschöpfen der ertragsteuerrechtlichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinn aus sachlichen Gründen unbillig ist, liegt auch dem BMF-Schreiben vom 27. März 2003 (BStBl I 2003, 240) zugrunde. Das ist aber insofern zu eng gefasst, als es eine Unbilligkeit nur dann annehmen will, wenn ein Sanierungsgewinn vorliegt und die Sanierung unternehmensbezogen ist.

aa) Wie bereits ausgeführt, stellt sich die Frage nach der sachlichen Unbilligkeit einer Besteuerung von erlassenen Schulden nicht nur im Rahmen einer Sanierung. Es handelt sich vielmehr um ein grundsätzliches Problem in allen Fällen, in denen Betriebsschulden aus betrieblichem Anlass erlassen werden. Erlässt der Steuerpflichtige bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG aus betrieblichen Gründen seinem Schuldner eine Honorarforderung, ist auch dieser Vorgang nur bei periodenübergreifender Betrachtung erfolgsneutral. Im Jahr der Entstehung ist die Forderung gewinnerhöhend zu erfassen und erst im Jahr des Erlasses wirkt sich das Erlöschen der Forderung gewinnmindernd aus (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 1975 (IV R 180/71, BFHE 115, 202, BStBl II 1975, 526). Es ist nicht einzusehen, dass eine sachliche Unbilligkeit der Besteuerung nur in Sanierungsfällen vorliegen soll, bei anderen betrieblich veranlassten Erlassgründen jedoch nicht.

bb) Wenn sich jedoch die Frage der sachlichen Unbilligkeit eines Schuldenerlasses speziell für die Konstellation einer Sanierung stellt, spricht alles dafür, dafür keine anderen Voraussetzungen aufzustellen, als unter der Geltung von § 3 Nr. 66 EStG gegolten haben. Das Unternehmen muss sanierungsbedürftig sein, der Gläubiger in Sanierungsabsicht handeln und der Schuldenerlass sanierungsgeeignet sein (vgl. Heinicke in Schmidt, EStG, 17. Auflage, § 3 ABC Stichwort "Sanierungsgewinn". Diese Erfordernisse sind bei den Klägern erfüllt.

Die von der GbR betriebene Betriebsverpachtung war sanierungsbedürftig. Der Betrieb war überschuldet und eine Besserung der wirtschaftlichen Lage nicht in Sicht. Die Volksbank und die Eheleute D handelten bei dem Schuldenerlass in Sanierungsabsicht. Mit dem - teilweisen - Erlass wollten die Gläubiger erreichen, dass die Gesellschafter der GbR die verbleibenden Verbindlichkeiten abtragen und dann wieder schuldenfrei in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen leben können. In diesem Sinne war der Schuldenerlass zudem sanierungsgeeignet.

In diesem Zusammenhang weisen die Kläger zu Recht darauf hin, dass sich die Sanierung nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht auf ein Unternehmen beziehen musste. Ein Sanierungsgewinn konnte auch dann steuerfrei sein, wenn dem Unternehmer durch den Erlass eine schuldenfreie Liquidation seines Unternehmens und der Aufbau einer Existenz in selbständiger oder nicht selbständiger Position ermöglicht wurde (vgl. grundlegend BFH-Urteil vom 14. März 1990 I R 106/85, BFHE 161, 34; BStBl II 1990, 813 und aus neuerer Zeit das Urteil vom 12. Oktober 2005 X R 42/03, BFH/NV 2006, 715 m.w.N.). Diese Auslegung ist insbesondere mit dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG begründet worden. § 3 Nr. 66 EStG habe den Zwecke, die Leistungsfähigkeit des Schuldners wieder herzustellen, ohne dass er aufgrund von Maßnahmen, die auf dieses Ziel gerichtet seien, zur Einkommensteuer herangezogen werde. Dabei dürfe nicht verlangt werden, dass die Leistungsfähigkeit gerade im Hinblick auf den Betrieb wieder hergestellt werde, in dem die Schulden begründet worden seien. Soweit das BMF-Schreiben demgegenüber die sachliche Unbilligkeit auf Fälle der unternehmensbezogenen Sanierung beschränkt, fehlt dafür eine nachvollziehbare Begründung.

g) Über die sachliche Unbilligkeit der Besteuerung bei einer GbR - wie hier - ist auf der Ebene der Einkommensbesteuerung der Gesellschafter und nicht im Feststellungsverfahren der Gesellschaft zu entscheiden. Einheitlich und gesondert festzustellen sind nach §§ 179 Abs. 2, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a AO die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, wenn an ihnen mehrere Personen beteiligt und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Da § 3 Nr. 66 EStG eine sachliche Einkommensteuerbefreiung regelte, war die Anwendung dieser Bestimmung Teil des Feststellungsverfahrens (vgl. zur früheren Rechtslage BFH-Urteil vom 3. Juli 1997 IV R 31/96, BFHE 183, 509, BStBl II 1997, 690). Mit der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG ist formell die Verbindung zur Feststellung der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte entfallen. Aber auch in der Sache besteht seit 1998 jedenfalls der engere Bezug zur Einkommensbesteuerung der Gesellschafter. Wie ausgeführt, hängt die Unbilligkeit nach § 227 AO in erster Linie davon ab, ob sich aufgrund des Schuldenerlasses bei den Gesellschaftern ein steuerpflichtiger Veräußerungs- oder Aufgabegewinn ergibt und ob dieser durch Verlustvorträge ausgeglichen wird. Diese Frage kann im Feststellungsverfahren nicht geklärt werden. Soweit es um Tatsachen zum Vorliegen eines Schuldenerlasses und ggf. weitere Punkte zur Sanierung auf der Ebene der Gesellschaft geht, kann das Wohnsitzfinanzamt das Betriebsstättenfinanzamt um entsprechende Mitteilung bitten (so auch BMF-Schreiben vom 27. März 2003 Tz. 6 und 8 mit dem Beispiel 2).

II.

Aus der vorstehenden Begründung der Ermessensunterschreitung des Beklagten ergibt sich zugleich, dass die Sache hinsichtlich der beantragten Verpflichtung für 1998 gemäß § 101 Satz 1 FGO spruchreif ist. Hier kommt nur eine Entscheidung ganz bestimmten Inhaltes als ermessensgerecht in Betracht, nämlich den Auflösungsgewinn 1998 insgesamt einkommensteuerfrei zu stellen. Es handelt sich um einen Fall der Ermessensreduzierung auf Null (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, § 5 AO Rn. 76). Ohne den Auflösungsgewinn beträgt die Einkommensteuer 1998 0 DM. Der Beklagte ist deshalb zu verpflichten, die Einkommensteuer 1998 in voller Höhe zu erlassen.

III.

Die Ablehnung des Beklagten, die Einkommensteuern für 1999 bis 2002 zu erlassen, ist nach §§ 101 Satz 1, 102 Satz 1 FGO nicht rechtswidrig. Für diese Jahre hat der Beklagte ohne Ermessensfehler entschieden, dass ein Erlass nach § 227 AO mangels der hier allein geltend gemachten sachlichen Unbilligkeit nicht möglich ist.

Die Einkommensteuern für diese Jahre beruhen allein auf den Einkünften der Kläger aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit. Einkünfte aus der GbR L sind in den Bescheiden nicht enthalten. Die Kläger stützen das Klagebegehren allein auf die Überlegung, dass die Einkommensteuern für 1999 bis 2001 jeweils auf 0 DM festzusetzen wären und sich für 2002 jedenfalls eine erhebliche Herabsetzung ergäbe, wenn die Gewinne der Kläger aus dem Erlass der Schulden von zusammen 905.902 DM (275.323 DM und 630.579 DM) wegen sachlicher Unbilligkeit in 1998 nicht besteuert würden und daneben der gesamte Verlust aus der Auflösung der GbR (= 608.360 DM) in 1998 bestehen bliebe mit der Folge, dass er gemäß § 10d Abs. 2 EStG in die nachfolgenden Jahre vorgetragen werden könnte. Dies liefe jedoch gerade auf die Doppelbegünstigung von Sanierungsgewinn und Verlustabzug hinaus, welche der Gesetzgeber durch die Streichung von § 3 Nr. 66 EStG mit Wirkung ab 1998 beseitigen wollte. Aus diesem Grund hat der Beklagte ohne Ermessensfehler entschieden, dass die Einziehung der Einkommensteuer 1999 bis 2002 nicht unbillig ist.

C)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 FGO, 708 Nr. 10,711 ZPO.

D)

Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen, weil die Behandlung von Sanierungsgewinnen ab 1998 grundsätzliche Bedeutung hat und die unterschiedlichen Auffassung des FG Münster und des erkennenden Senats einerseits und des FG München andererseits zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordern.



Ende der Entscheidung

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