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Gericht: Finanzgericht Köln
Urteil verkündet am 19.04.2007
Aktenzeichen: 6 K 5714/02
Rechtsgebiete: AO 1977, AuslInvestmG, EGV


Vorschriften:

AO 1977 § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a
AuslInvestmG § 18
EGV Art. 56
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln

6 K 5714/02

Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, die Feststellungsbescheide für 1993 vom 27.12.2000 und für 1994 vom 20.12.2000 zu ändern und quotenmäßig zu verteilende Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 47.324 DM für 1993 und 59.570 DM für 1994 anzusetzen.

Die bis zur mündlichen Verhandlung entstandenen Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 60% und der Beklagte zu 40%, die danach entstandenen Kosten trägt der Beklagte zu 100%.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand:

Die Kläger sind (in ungeteilter Erbengemeinschaft) Erben der im Jahr 1992 verstorbenen Frau E. Frau E. hatte Kapitalanlagen in Luxemburg getätigt, deren Erträge ab dem Jahr 1993 einheitlich und gesondert festgestellt und den Klägern zugerechnet werden.

In den Streitjahren erzielten die Kläger aus diesen Anlagen unstreitig Zinsen (aus Festgeldern, aus festverzinslichen Wertpapieren, aus laufender Rechnung, Stückzinsen) in Höhe von 25.950,11 DM (1993) bzw. 18.532,59 DM (1994). Daneben gehörten zu den Kapitalanlagen Investmentanteile der ... Bank Luxemburg, und zwar die Teilfonds "A." und "B.".

Der Bestand dieser Teilfonds entwickelte sich wie folgt:

"A.":

 06.05.1993Kauf219.654,21 DM
23.12.1993Kauf33.787,04 DM
 Summe253.441,25 DM
31.12.1993Bestand (Kurswert)274.825,28 DM
13.01.1994Verkauf275.809,54 DM

"B.":

 13.01.1994Kauf275.607,93 DM
14.04.1994Kauf192.452,17 DM
 Summe468.060,10 DM
31.12.1994Bestand (Kurswert)431.330,40 DM

Bei diesen Fonds handelte es sich ausweislich der Bescheinigungen der ... Bank Luxemburg bis zum Jahr 1994 einschließlich um sog. "schwarze" Fonds, deren Besteuerung in § 18 Abs. 3 AuslInvestmG geregelt war. Dieser Regelung entsprechend setzte der Beklagte für den Teilfond "A." Erträge in Höhe von 34.229,33 DM in 1993 (= 90% des Mehrwerts, der sich zwischen dem ersten im Kalenderjahr und dem letzten im Kalenderjahr ermittelten Rücknahmepreis ergibt) und 55.161,91 DM in 1994 (= 20% des Entgelts für die Veräußerung) sowie in 1994 für den Teilfonds "B." Erträge in Höhe von 42.841,20 DM (= 10% des letzten im Kalenderjahr ermittelten Rücknahmepreises) an.

Hieraus ergaben sich für die Erbengemeinschaft aus den Luxemburger Anlagen Einnahmen aus Kapitalvermögen von insgesamt 60.179,44 DM in 1993 und 116.535,70 DM in 1994. Die entsprechenden Feststellungsbescheide ergingen am 27.12.2000 (für 1993) bzw. 20.12.2000 (für 1994).

Mit Schriftsatz vom 11.09.2001 beantragte der Bevollmächtigte der Kläger im Namen aller Kläger die Änderung der Feststellungsbescheide: Statt einer Besteuerung nach § 18 Abs. 3 AuslInvestmG sollten die tatsächlichen Kapitaleinkünfte besteuert werden.

Der Beklagte lehnte eine Änderung der Bescheide unter Hinweis auf deren Bestandskraft ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 26.09.2002 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.

Die Kläger machen zum einen geltend, dass der für das Aufgabengebiet damals zuständige Sachbearbeiter Herr X während der Einspruchsfristen telefonisch erklärt habe, dass kein Einspruch erforderlich sei: Falls das AuslInvestmG nicht zum Tragen komme, erfolge automatisch eine Änderung der Feststellungsbescheide. Als er, der Vertreter der Kläger, dann über längere Zeit nichts gehört habe und Herrn X wegen Urlaubs- und Krankheitszeiten nicht habe erreichen können, habe er vorsorglich am 11.09.2001 trotzdem Einspruch eingelegt.

Zum anderen sind die Kläger der Ansicht, dass durch die Anwendung des AuslInvestmG eine unzumutbare höhere Besteuerung entstehe als bei einer Besteuerung nach den tatsächlich entstandenen Kapitaleinkünften. Die tatsächlich angefallenen Kapitalerträge haben die Kläger zunächst bzgl. des Teilfonds "A." mit 21.374,03 DM in 1993 und 994,26 DM in 1994, bzgl. des Teilfonds "B." in 1994 mit - 36.729,70 DM beziffert. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben sich die Beteiligten tatsächlich dahingehend verständigt, dass die tatsächlich erzielten und ohne Anwendung des §18 AuslInvestmG zu versteuernden Kapitalerträge für 1993 insgesamt 47.324 DM und für 1994 insgesamt 59.570 DM betragen.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, die Feststellungsbescheide 1993 und 1994 zu ändern und dabei Kapitalerträge in Höhe von 47.324 DM für 1993 und 59.570 DM für 1994 anzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er gesteht zu, dass angesichts einer möglicherweise missverständlichen telefonischen Auskunft des damaligen Sachbearbeiters den Klägern wegen der Versäumung der Einspruchsfristen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Im Übrigen bestätigt er, dass der Bevollmächtigte der Kläger im Namen aller Kläger innerhalb der Einspruchsfristen telefonisch eine Änderung der Bescheide unter Verzicht auf die Anwendung der §§ 17 und 18 AuslInvestmG beantragt hat.

In der Sache hält er daran fest, dass die Besteuerung der fraglichen Erträge im Streitfall - ungeachtet der bisher angesprochenen Rechtsprechung - nach § 18 Abs. 3 AuslInvestmG erfolgen müsse und diese Vorschrift im vorliegenden Fall auch zutreffend angewandt worden sei.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf antragsgemäße Änderung der streitbefangenen Feststellungsbescheide.

Die beantragte Änderung ist verfahrensrechtlich zulässig.

Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) AO darf ein Steuer- bzw. Feststellungsbescheid, der - wie vorliegend - die Einkommensteuer betrifft, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird; dies gilt zugunsten des Steuerpflichtigen nur, soweit er vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder den Antrag gestellt hat.

Hiernach ist eine Änderung der streitbefangenen Feststellungsbescheide möglich. Zwar hat der Bevollmächtigte der Kläger erst am 11.09.2001 einen schriftlichen Antrag auf Änderung der Feststellungsbescheide unter Außerachtlassung des § 18 AuslInvestmG gestellt. Aber bereits während der Einspruchsfrist hat er - wie der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat - diesen Antrag fernmündlich beim Beklagten gestellt. Da der Antrag nach § 172 AO keiner Form bedarf (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 172 AO Rz. 33), ist hiermit die dort genannte Frist gewahrt worden.

Die beantragte Änderung ist auch materiellrechtlich geboten. Der Beklagte ist nach pflichtgemäßem Ermessen verpflichtet, die streitbefangenen Feststellungsbescheide antragsgemäß zu ändern, da sie offensichtlich rechtswidrig sind.

Zwar entsprechen die Bescheide - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - den Vorschriften des in den Streitjahren geltenden nationalen Steuerrechts. Denn bei den beiden von der Erbengemeinschaft gehaltenen Investmentfonds handelte es sich in diesen Jahren um sog. schwarze Fonds, deren Besteuerung in § 18 Abs. 3 AuslInvestmG geregelt war. Die entsprechend dieser Vorschrift anzusetzenden Erträge hat die ... Bank in ihren Bescheinigungen ausgewiesen. Der Beklagte hat diese Werte zutreffend angesetzt.

Die Regelungen des § 18 AuslInvestmG stehen aber in offensichtlichem Widerspruch zu Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrags von Amsterdam (EGV).

Nach Art. 56 EGV sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Eine solche Beschränkung des freien Kapitalverkehrs liegt dann vor, wenn die nationale Regelung bewirkt, dass in dem betreffenden Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtige Personen davon abgehalten werden, ihr Kapital bei Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat anzulegen; sie wirkt sich außerdem gegenüber den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften beschränkend aus, weil sie sie darin behindert, in dem betreffenden Mitgliedstaat Kapital zu sammeln (EuGH-Urteil vom 07.09.2004 C-319/02, Manninen, Slg. 2004, I-7477, IStR 2004, 680).

§ 18 AuslInvestmG bewirkt eine solche Benachteiligung ausländischer Fondsgesellschaften.

Insbesondere § 18 Abs. 3 Satz 4 AuslInvestmG fingiert unabhängig von Besitzdauer, Fondserträgen und Wertzuwächsen des Fonds einen Zwischengewinn, der bei inländischen Fonds lediglich in Höhe der tatsächlichen Einnahmen bzw. Zwischengewinnen erfasst wird. Auch das in § 18 Abs. 2 Satz 3 AuslInvestmG normierte Erfordernis, dass die ausländische Fondsgesellschaft einen inländischen Vertreter zu bestellen hat, der sie gegenüber den Finanzbehörden und Finanzgerichten vertritt, vermag inländische Anleger von einer entsprechenden Investition abzuhalten, da diese auf eine solche Vertreterbestellung keinen Einfluss haben.

Die streitbefangenen Regelungen sind nicht nach Art. 58 Abs. 1 EGV gerechtfertigt.

Zwar wird nach Art. 58 Abs. 1 EGV durch Art. 56 EGV nicht das Recht der Mitgliedstaaten berührt, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln, und die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern. Nach Art. 58 Abs. 3 darf dies jedoch nicht zu einer willkürlichen Diskriminierung oder zu einer verschleierten Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs führen.

Danach kann eine nationale Steuerregelung nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses, insbesondere die Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu gewährleisten, gerechtfertigt sind. Außerdem ist die unterschiedliche Behandlung unterschiedlicher Kategorien von Dividenden nur dann gerechtfertigt, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zum Erreichen des mit der fraglichen Regelung verfolgten Zieles erforderlich ist (EuGH-Urteil vom 07.09.2004 C-319/02, Manninen, Slg. 2004, I-7477, IStR 2004, 680).

Dem werden die Vorschriften des § 18 AuslInvestmG nicht gerecht.

Denn die in Abs. 3 Satz 4 dieser Vorschrift normierte Pauschalbesteuerung ist weder erforderlich noch verhältnismäßig, da sie es dem Steuerpflichtigen gänzlich unmöglich macht, den Nachweis zu erbringen, wie hoch die ihm zugeflossenen Erträge sind. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass der Steuerpflichtige Belege und Aufzeichnungen vorlegen kann, anhand derer die deutschen Steuerbehörden eindeutig und genau prüfen können, welche Erträge dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugeflossen sind. Hierbei verbleibende Unsicherheiten können die Behörden mit einer individuellen Schätzung begegnen (so auch BFH-Beschluss vom 14.09.2005 VIII B 40/05, BFH/NV 2006, 508 zur Frage der Vereinbarkeit der Vorschrift mit Art. 3 Abs. 1 GG).

Auch ist nicht ersichtlich, dass für die ordnungsgemäße Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen zwingend ein inländischer Vertreter erforderlich ist. Insoweit dürften die sich aus § 90 AO ergebenden Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen einerseits sowie die Möglichkeiten gemeinschaftsrechtlicher Amtshilfe andererseits genügen.

Die sich hieraus ergebende gemeinschaftsrechtlich diskriminierende Wirkung des § 18 AuslInvestmG ist nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des EuGH so offensichtlich, dass eine Vorlage an den EuGH entbehrlich ist. Der erkennende Senat schließt sich insoweit - wie auch im Übrigen - den Ausführungen des FG Berlin im rechtskräftigen Urteil vom 08.02.2005 (7 K 7396/02, EFG 2005, 1094) an.

Hat danach bereits aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen eine Anwendung des § 18 AuslInvestmG zu unterbleiben, kommt es auf die Frage, ob diese Vorschrift auch gegen das Grundgesetz verstößt (so BFH-Beschluss vom 14.09.2005 VIII B 40/05, BFH/NV 2006, 508), nicht mehr an, so dass eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ausgeschlossen ist.

Ohne Anwendung des § 18 AuslInvestmG sind den Feststellungsbescheiden die tatsächlich erzielten Kapitalerträge zu Grunde zulegen, die entsprechend der in der mündlichen Verhandlung getroffenen tatsächlichen Verständigung 47.324 DM (1993) bzw. 59.570 DM (1994) betragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 2 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird insbesondere angesichts der abweichenden Entscheidung des FG Düsseldorf vom 22.12.2005 12 K 5252/02 E (EFG 2006, 866) zugelassen. Gegen dieses Urteil ist unter dem Az. VIII R 2/06 die Revision anhängig.



Ende der Entscheidung

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