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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 24.07.2007
Aktenzeichen: 10 K 4916/06
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 31 S. 3
EStG § 66 Abs. 2
AO § 169
AO § 170
AO § 171
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 4916/06

Kindergeld für ... von April 1996 bis Dezember 2001

In der Streitsache

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

... als Einzelrichter

ohne mündliche Verhandlung

am 24. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob die Verjährung für die Festsetzung von Kindergeld gehemmt war.

I. Die Klägerin (Klin) ist die Mutter der am 06.03.1978 geborenen D. D ist schwerbehindert.

Laut Schwerbehindertenausweis vom 07.10.1999 beträgt der Grad der Behinderung 100%; ferner wurde durch das Merkmal B die Notwendigkeit ständiger Begleitung anerkannt.

Am 12.01.2006 ging bei der Beklagten (die Familienkasse --FK--) ein zunächst an den Bezirk X gerichteter Kindergeldantrag der Klin vom 06.01.2006 ein. Mit Bescheid vom 03.05.2006 bewilligte die FK Kindergeld ab Januar 2002. Für den vorangehenden Zeitraum lehnte die FK die Kindergeldfestsetzung im selben Bescheid wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 13. Dezember 2006 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Ablauf der Festsetzungsverjährung entsprechend § 171 Abs. 1 Abgabenordnung --AO--gehemmt gewesen sei. Die Klin habe einen Hinweis des zuständigen Mitarbeiters des Sozialamtes anlässlich des 18. Geburtstags ihrer Tochter, dass aufgrund der Behinderung ein lebenslanger Kindergeldanspruch bestehe, dahin verstehen dürfen, dass das Kindergeld automatisch weitergezahlt werde. Die Klin habe es aufgrund der schwierigen Situation ihrer Tochter mit einer Vielzahl von Behörden zu tun gehabt, habe an allen Informationsveranstaltungen der von D besuchten Einrichtung teilgenommen, sei durch die Situation aber stark belastet gewesen und fälschlicherweise davon ausgegangen, dass das Kindergeld direkt an die Einrichtung gezahlt werde.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom 03.05.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2006 insoweit aufzuheben als hierin die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum April 1996 bis Dezember 2001 abgelehnt wird und die FK zu verpflichten, für diesen Zeitraum Kindergeld festzusetzen.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass kein Fall höherer Gewalt vorliege und nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Einhaltung der Festsetzungsfrist ohne Zutun der Klin verhindert worden sei.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 18.07. 2007 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

II. 1. Die Klage ist unbegründet.

Der Kindergeldanspruch für den Streitzeitraum April 1996 bis Dezember 2001 ist wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung erloschen.

a) Das Kindergeld wird nach § 31 S. 3 EStG als Steuervergütung gezahlt. Es gelten daher die Vorschriften der AO (§ 1 Abs. 1 S. 1 AO). Nach § 155 Abs.4 AO sind die Vorschriften über die Steuerfestsetzung (§§ 155 bis 178 AO), also auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§§ 169 bis 171 AO), sinngemäß auf die Festsetzung einer Steuervergütung anzuwenden. Die Festsetzungsfrist für Steuervergütungen beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf die Steuervergütung entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Das als Steuervergütung ausgestaltete Kindergeld wird auf Antrag (§ 67 S. 1 EStG) vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen weggefallen sind (§ 66 Abs. 2 EStG). Der Anspruch auf das Kindergeld entsteht somit für jeden Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen zu irgendeinem Zeitpunkt vorgelegen haben. Die Festsetzungsfrist für das in den einzelnen Monaten des jeweiligen Kalenderjahres zu zahlende Kindergeld beginnt somit mit Ablauf dieses Kalenderjahres.

Die Festsetzungsfrist für das in den Kalenderjahren 1996 bis 2001 zu zahlende Kindergeld war somit mit Ablauf der Jahre 2000 (für 1996) bzw. 2001 (für 1997) bzw. 2002 (für 1998) bzw. 2003 (für 1999) bzw. 2004 (für 2000) bzw. 2005 (für 2001) abgelaufen.

b) Da der Antrag auf Kindergeld erst 2006 gestellt wurde, konnte für die zum 31.12.2005 bereits verjährten Ansprüche keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO eintreten.

c) Es liegt auch kein Fall der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 1 AO wegen höherer Gewalt vor. Unter höherer Gewalt sind alle von außen kommenden Ereignisse zu verstehen, die es bei Anwendung der äußersten den Umständen nach zu erwartenden Sorgfalt nicht zulassen, dass der Anspruch verfolgt wird. Geringstes Verschulden schließt höhere Gewalt aus. Beispiele sind: Krieg, Naturkatastrophen und andere unabwendbare Zufälle (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH--vom07.05.1993 III R 95/88, BFHE 172, 1, BStBl II 1993, 818).

Dabei kommt nach der Rechtsprechung des BFH eine Ablaufhemmung wegen höherer Gewalt nur in Betracht, wenn die höhere Gewalt den davon Betroffenen hindert, seinen Willen in die Tat umzusetzen (Urteil in BFHE 172, 1 , BStBl II 1993, 818)). Dazu ist erforderlich, dass der Betroffene den Willen zum Tätigwerden hat. Konnte ein solcher Wille nicht entstehen, weil der Betroffene keine Kenntnis von dem Sachverhalt hatte, der ein Tätigwerden verlangte, kommt eine Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 1 AO selbst dann nicht in Betracht, wenn diese Unkenntnis die Folge höherer Gewalt ist. Sollte § 171 Abs. 1 AO entsprechend der Ansicht der Klin und gegen den Wortlaut der Vorschrift auch bei einer auf den Steuerpflichtigen/ Kindergeldberechtigten einwirkenden höheren Gewalt anwendbar sein, wäre gleichermaßen auf den Willen und nicht auf die Unkenntnis des Steuerpflichtigen bzw. Kindergeldberechtigten abzustellen. Für eine unterschiedliche Behandlung der Finanzbehörden bzw. Familienkassen einerseits und des Steuerpflichtigen andererseits gäbe es dann keine sachliche Rechtfertigung; zumal der BFH in dem genannten Urteil (in BFHE 172, 1 , BStBl II 1993, 818) zur weiteren Begründung seiner Auffassung auf § 203 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (in der bis 31.12.2001 gültigen Fassung) und damit auf eine Vorschrift verweist, die nicht auf Hoheitsträger, sondern allgemein auf Berechtigte zugeschnitten ist.

Demgemäß scheidet im Streitfall eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 1 AO von vornherein aus. Die Klägerin war nicht durch höhere Gewalt gehindert, einen vorhandenen Willen, das Kindergeld ab Januar 1996 zu beantragen, in die Tat umzusetzen; vielmehr fehlten ihr die Kenntnisse, aufgrund derer sich ein Wille zur Antragstellung hätte herausbilden können. Insoweit ist es auch unerheblich, auf welchen konkreten Umständen die Unkenntnis der Klin von der Notwendigkeit einer Antragstellung beruhte.

Zudem fehlt es im vorliegenden Fall an der weiteren Voraussetzung des § 171 Abs. 1 AO, dass sich das betreffende unvermeidbare Vorkommnis entweder innerhalb der letzten sechs Monate der Festsetzungsfrist ereignet hat oder seine Folgen unmittelbar in die letzten sechs Monate des Fristlaufes hineinwirken. Vielmehr beruft sich die Klin auf Vorkommnisse aus dem Jahr 1996 (Auskünfte im Zusammenhang mit der Vollendung des 18. Lebensjahres der D).

Für eine analoge Anwendung des § 171 Abs. 1 AO besteht mangels Gesetzeslücke kein Raum.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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