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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 14.06.2005
Aktenzeichen: 14 K 787/03
Rechtsgebiete: AO 1977, EWGV 2913/92, ZK


Vorschriften:

EWGV 2913/92 Art. 236
EWGV 2913/92 Art. 237
EWGV 2913/92 Art. 238
EWGV 2913/92 Art. 239
EWGV 2913/92 Art. 243 Abs. 2
ZK Art. 236
ZK Art. 237
ZK Art. 238
ZK Art. 239
ZK Art. 243 Abs. 2
AO 1977 § 367 Abs. 2 S. 1
AO 1977 § 365 Abs. 1
AO 1977 § 88
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
URTEIL

In der Streitsache

wegen Zoll Tabaksteuer Einfuhrumsatzsteuer (Untätigkeitsklage)

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2005 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Klägerin rechtzeitig einen Erlassantrag gestellt hat.

Das beklagte Hauptzollamt -HZA- setzte gegenüber der Klägerin mit Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 2.074.051,60 DM (253.836,99 DM Zoll, 289.344,72 DM Einfuhrumsatzsteuer und 1.530.870 DM Tabaksteuer) fest. Die Klägerin wurde als Hauptverpflichtete in Anspruch genommen, weil das in ihrem Namen am 24. April 1992 beim Zollamt Z/Niederlande für 11 Mio. Zigaretten eröffnete gemeinschaftliche Versandverfahren (Versandschein T 1 Nr. 44.10888) nicht ordnungsgemäß erledigt wurde. Das HZA ging dabei aufgrund der Verurteilung des am streitgegenständlichen Transport beteiligten H von folgendem Sachverhalt aus (vgl. Urteil des Landgerichts vom 23. September 1993): Am 24. April 1992 begab sich der Angeklagte (H) nach Z//Niederlande, wo er die Zigaretten in seinen Auflieger laden ließ und das Zollamt Z das Versandverfahren mit dem T 1-Papier Nr. 44.10888 mit der Bestimmungszollstelle Frankfurt/Oder eröffnete. H brachte die unverzollten und unversteuerten Zigaretten nach Berlin. Dort händigte er die entsprechenden Zollpapiere einem Dritten aus. Seinen Trailer sattelte er ab. Dieser wurde ihm nach einigen Stunden wieder übergeben. Die Verschlüsse waren aufgebrochen, der Auflieger war leer. Die Papiere erhielt der Angeklagte später mit dem Ausfuhrvermerk der in Pomellen tätigen, bestochenen Zöllner zurück. Die Zigaretten blieben im Zollgebiet und wurden, entgegen der Eintragungen im Versandpapier, nicht in ein Drittland ausgeführt.

Mit Schreiben vom 22. Juli 1994 legte die Klägerin gegen den Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 Einspruch ein, der durch die Einspruchsentscheidung vom 24. März 1997 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Nach Klageerhebung setzte das HZA die Einfuhrabgaben mit Steueränderungsbescheid vom 27. Juni 2001 auf insgesamt 1.683.291,39 DM (5.114,77 DM Zoll, 241.356,62 DM Einfuhrumsatzsteuer und 1.436.820 DM Tabaksteuer) herab, weil die streitgegenständlichen Zigaretten im Rahmen einer aktiven Veredelung für den Export hergestellt worden seien.

Die Klage gegen den Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 in Gestalt des Steueränderungsbescheids vom 27. Juni 2001 und der Einspruchsentscheidung wurde durch Urteil des FG München 3 K 1781/97 vom 28. November 2001 als unbegründet zurückgewiesen. Im Urteil führte das Gericht aus, dass ein eventueller Erlass der entstandenen Einfuhrabgaben aus Billigkeitsgründen nach Art. 239 ZK I.V.m. Art. 905 ZK-DVO keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit einer Abgabenfestsetzung habe, sondern nur bedeute, dass auf die Erhebung der Abgaben verzichtet werde. Ein Erlassantrag sei nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. Weder in der Einspruchsentscheidung noch im Steueränderungsbescheid vom 27. Juni 2001 sei eine Billigkeitsentscheidung des HZA zu sehen. Der Erlass sei in einem besonderen Verfahren bei der Zollstelle zu beantragen.

Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch Beschluss des BFH vom 5. Juni 2002 VII B 12/02 (ZfZ 2002, 311) als unbegründet zurückgewiesen. Der BFH wies in diesem Beschluss darauf hin, dass dann, wenn die Behörde über einen zusammen mit dem Einspruch gestellten Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben nach Art. 13 VO Nr. 1430/79 nicht entschieden habe, dies nur unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 FGO im Wege einer Untätigkeitsklage gerügt werden könne. Werde im Rahmen einer solchen Klage geltend gemacht, ein Antrag auf Erlass aus Billigkeitsgründen sei gestellt, aber nicht beschieden worden, so gehöre es zu den tatrichterlichen Aufgaben des FG festzustellen, ob ein solcher Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen vom Abgabenschuldner tatsächlich gestellt worden sei.

Daraufhin erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Februar 2003 Untätigkeitsklage gem. § 46 Abs. 2 FGO, weil das HZA über den vom ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin innerhalb der Zwölfmonatsfrist beantragten Erlass nach Art. 239 ZK noch nicht entschieden habe. Dieser habe zwar nicht die Worte "Billigkeit" und "Erlass" verwendet, es genüge aber, dass auf Tatsachen hingewiesen worden sei, aus denen auf ein solches Begehren geschlossen habe werden könne. Außerdem habe das HZA eine sofortige Konkretisierung und nähere Begründung des Billigkeitsbegehrens verhindert, indem es die Mitwirkung bestochener Zollbeamter erst ab 13. August 1997 eingeräumt und weder im Steuerbescheid noch im Steueränderungsbescheid die Zollbeamten als Gesamtschuldner genannt habe.

Daneben hatte die Klägerin bereits mit Schreiben vom 19. Juli 2001 beim HZA die Erstattung der mit Steueränderungsbescheid vom 27. Juni 2001 festgesetzten Einfuhrabgaben i.H.v. 1.683.291,39 DM gem. Art. 239 ZK beantragt. Dieser Antrag wurde durch Bescheid des HZA vom 5. Februar 2002 wegen Versäumung der Antragsfrist abgelehnt.

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und stellte im Rahmen der weiteren Einspruchsbegründung vom 5. November 2002 den Antrag, über das ursprüngliche Erlassbegehren des früheren Bevollmächtigten der Klägerin noch gesondert zu entscheiden und diesen erneuten Antrag als Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO zu behandeln. Durch Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 2003 wies das HZA den Einspruch gegen Bescheid vom 5. Februar 2002 als unbegründet zurück. Dies war Gegenstand des Klageverfahrens 14 K 788/03.

Die Klägerin beantragt,

das HZA zu verpflichten, über die im Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom 22. Juli 1994 und im Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Finanzgericht vom 30. August 1994 gestellten Erlassanträge zu entscheiden.

Das HZA beantragt

Klageabweisung.

Es bringt vor, dass keines der von der Klägerin genannten Schreiben einen Billigkeitsantrag enthalte und auch nicht als solcher gewertet habe werden können. Dem ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin sei schon im Jahre 1994 bekannt gewesen, dass Zollbeamte an der streitgegenständlichen Entziehung mitgewirkt haben. Im Übrigen könne die Anmerkung im BFH-Beschluss vom 5. Juni 2002 nicht auf den vorliegenden Fall bezogen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die HZA-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung hingewiesen.

Gründe

II.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Zulässigkeit der Klage ergibt sich nicht aus § 46 Abs. 2 FGO, sondern aus § 46 Abs. 1 FGO.

a) Nach § 46 Abs. 2 FGO ist unmittelbar Klage zulässig, wenn jemand bei einer Stelle i.S.v. § 348 Nr. 3 oder 4 AO den Erlass eines Verwaltungsakts beantragt und über diesen ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden wird, weil in diesen Fällen ein Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO nicht in Betracht kommt (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur FGO, Rz. 20 zu § 46). Da es sich beim beklagten HZA aber um keine Stelle i.S.v. § 348 Nr. 3 oder 4 AO handelt, ist vorliegend keine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 2 FGO möglich.

b) Es sind aber die Voraussetzungen nach § 46 Abs. 1 FGO erfüllt. Gem. § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Klage abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Nach § 349 Abs. 2 Satz 1 AO in der bis Ende 1995 geltenden Fassung bzw. jetzt § 347 Abs. 1 Satz 2 AO n.F. ist der Einspruch auch dann statthaft, wenn jemand geltend macht, dass über einen vom ihm gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Dem entspricht Art. 243 Abs. 1 Unterabs. 2 ZK. Eine Frist für den Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO ist nicht vorgesehen (vgl. § 355 Abs. 2 AO) Auch im Fall der Untätigkeit der für den Erlass des beantragten Verwaltungsaktes zuständigen Behörde ist somit ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben, mit der Folge, dass eine Klage nur vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO ohne Vorverfahren zulässig ist (vgl. § 44 Abs. 1 FGO). Insoweit ist ausreichend, dass geltend gemacht wird, über einen gestellten Antrag sei nicht entschieden worden, unabhängig davon, ob die Überprüfung ergibt, dass tatsächlich ein Antrag gestellt wurde oder nicht. Da die Klägerin vorliegend mit Schreiben vom 5. November 2002 gegenüber dem HZA beantragt hatte, über das ursprüngliche Erlassbegehren des früheren Bevollmächtigten der Klägerin noch gesondert zu entscheiden und diesen erneuten Antrag als Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO zu behandeln und das HZA hierüber ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht entschieden hat, konnte sie Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO erheben.

Auch wenn zwischen Einlegung des Untätigkeitseinspruchs und Klageerhebung nur drei Monate verstrichen sind, war die Untätigkeitsklage gem. § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO bereits zu diesem Zeitpunkt wegen der besonderen Umstände des Streitfalles zulässig, da das HZA im letzten Absatz der Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 2003 zu erkennen gegeben hat, dass es nicht bereit ist, über einen Billigkeitsantrag der Klägerin zu entscheiden. Im Übrigen kann eine vorzeitig erhobene Klage "in die Zulässigkeit hineinwachsen", da maßgeblicher Zeitpunkt für die Wahrung der Sechsmonatsfrist derjenige der mündlichen Verhandlung ist (vgl. Gräber/von Groll, Kommentar zur FGO, § 46 Rz 13, mit weiteren Nachweisen).

2. Die Klage ist aber unbegründet, da von der Klägerin innerhalb der Antragsfrist nach Art. 239 Abs. 2 ZK bzw. Art. 13 Abs. 2 VO Nr. 1430/79 weder ein Erstattungs- bzw. Erlassantrag nach Art. 236 ZK noch ein Erlassantrag aus Billigkeitsgründen nach 239 ZK gestellt worden ist. Weder der Einspruch und der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom 22. Juli 1994 noch der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Finanzgericht vom 30. August 1994 können als Antrag auf Erlass der festgesetzten Einfuhrabgaben aus Billigkeitsgründen gewertet werden.

a) Für die im Streitfall vor dem 1. Januar 1994 im Jahre 1992 entstandenen Abgaben sind die in diesem Zeitpunkt geltenden materiell-rechtlichen Vorschriften der VO Nr. 1430/79 über den Erlass von Eingangsabgaben anzuwenden. Lediglich das bei Anwendung des Art. 13 VO Nr. 1430/79 zu beachtende Verfahren richtet sich seit dem 1. Januar 1994 nach Art. 905 bis 909 ZK-DVO. Zu diesen Verfahrensvorschriften gehören auch die Vorschriften über die Fristen und die Form des Antrags nach Art. 878 ZK-DVO (vgl. Beschluss des BFH vom 5. Juni 2002 VII B 12/02, ZfZ 02, 311). Dies kann aber letztlich dahinstehen, denn sowohl nach Art. 239 Abs. 2 ZK als auch nach Art. 13 Abs. 2 VO Nr. 1430/79 erfolgt der Erlass jedenfalls nur auf Antrag, der innerhalb von zwölf Monaten nach Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bzw. der buchmäßigen Erfassung bei der zuständigen Zollstelle zu stellen ist. Da der Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 am 27. Juni 1994 an die Klägerin abgesandt wurde, ist die Antragsfrist somit am 30. Juni 1995 abgelaufen.

b) Von der Klägerin wurde innerhalb der Jahresfrist weder ein Erstattungs- bzw. Erlassantrag nach Art. 236 ZK noch ein Erlassantrag aus Billigkeitsgründen nach 239 ZK gestellt.

Aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 22. Juli 1994, mit dem Einspruch gegen den Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 eingelegt und Aussetzung der Vollziehung beantragt wurde, ist nicht ersichtlich, dass damit auch ein Erlassantrag nach Art. 236 ff ZK gestellt werden sollte. Da sich aus diesem Schriftsatz auch keine Gründe ergeben, die einen Erlass aus Billigkeitsgründen rechtfertigen könnten, war das HZA auch nicht verpflichtet von sich aus Billigkeitsgründe zu prüfen. Auch wenn im Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an das Finanzgericht vom 30. August 1994 auf den Umstand der Beteiligung bestochener Zöllner an der Entziehung hingewiesen worden ist, kann darin kein Antrag auf Erlass der festgesetzten Einfuhrabgaben aus Billigkeitsgründen gesehen werden, da es hierbei um keinen an das HZA gerichteten Antrag handelt. Außerdem war aufgrund der damaligen Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission und der Rechtsprechung des EuGH für das HZA nicht absehbar, dass die Beteiligung bestochener Zollbeamter einen Grund für einen Billigkeitserlass darstellen kann.

Weitere Schreiben innerhalb der Antragsfrist, die als Erlassantrag gewertet werden könnten, liegen nicht vor. Die Klägerin hatte erstmals mit Schreiben vom 8. Juli 1999 den Erlass zuviel geforderter Eingangsabgaben beantragt. Der gegen den Ablehnungsbescheid vom 29. Juli 1999 eingelegte Einspruch wurde aber zurückgenommen, nachdem das HZA die Einfuhrabgaben im Rahmen des Einspruchsverfahrens mit Steueränderungsbescheid vom 27. Juni 2001 auf insgesamt 1.683.291,39 DM herabgesetzt hatte.

c) Die Klägerin hat vielmehr Einspruch gegen den Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 eingelegt. Hierbei handelt es sich um einen Rechtsbehelf i.S.v. Art. 243 Abs. 2 ZK gegen die Abgabenfestsetzung. Streitgegenstand dieses Rechtsbehelfs ist der Steuerbescheid, nicht aber eine einen Erlassantrag ablehnende Entscheidung des HZA (vgl. Beschluss des BFH vom 5. Juni 2002 VII B 12/02, a.a.O.).

Der Umfang der Überprüfung des eingelegten Rechtsbehelfs, hier Einspruch, durch die Finanzbehörde richtet sich gem. Art. 245 ZK nach den Bestimmungen der AO (vgl. Schwarz/Wockenfoth, Kommentar zum Zollrecht, Anm. 30 zu Art. 243 ZK). Gem. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, die Sache zwar in vollem Umfang erneut zu prüfen. Die Überprüfungsmöglichkeit wird durch den Einspruchsantrag und durch das Vorbringen des Einspruchsführers nicht begrenzt (§ 365 Abs. 1 i.V.m. § 88 AO), sie findet ihre Grenze aber im angefochtenen Verwaltungsakt als formellen Gegenstand des Einspruchs (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, Rz. 16 zu § 367). Angefochtener Verwaltungsakt war im Streitfall aber der Steuerbescheid vom 22. Juni 1994 und nicht eine ablehnende Erlassentscheidung des HZA. Das HZA war deshalb nicht verpflichtet, im Einspruchsverfahren gegen den Steuerbescheid mögliche Erlassgründe nach Art. 236 bis 239 ZK zu prüfen, denn das Erstattungs- und Erlassverfahren wird unabhängig davon durchgeführt, ob ein Rechtsbehelf gegen den Abgabenbescheid eingelegt oder dieser bestandskräftig i.S.d. AO geworden ist. Ein Erlass von Einfuhrabgaben hat keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung, sondern bedeutet nur, dass auf die Erhebung der Abgaben aus Billigkeitserwägungen verzichtet wird.

d) Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung des erkennenden Senats auch nicht aus dem Urteil des BFH vom 20. Juli 2004 VII R 99/00 (ZfZ 05, 15), in dem dieser unter Berufung auf das EuGH-Urteil vom 12. Februar 2004 Rs. C-337/01 (ZfZ 04, 122) und die Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Januar 2001 zu C-253/99, Rdnr. 96; EuG-HE 2001, I-6493) entschieden hat, dass die zur Entscheidung über einen Erstattungsantrag berufenen Zollbehörden und Gerichte nicht nur berechtigt, sondern sogar von Amts wegen verpflichtet seien, einen Erstattungsantrag unabhängig von dem geltend gemachten Rechtsgrund umfassend auf alle Erstattungsgründe hin zu überprüfen, die nach dem Vorbringen des Antragstellers einschlägig sein könnten, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmungen, insbesondere die Fristen für die Antragstellung, erfüllt seien. Dem stehe, so der BFH, nicht entgegen, wenn der Erstattungsantrag nicht ausdrücklich auch auf Art. 239 ZK gestützt worden ist, denn ein Antragsteller sei nicht verpflichtet, die konkrete Verordnungsbestimmung zu benennen, auf die er seinen Erstattungsantrag stützte (vgl. EuGH-Urteil vom 11. November 1999 Rs. C-48/98, EuGHE 1999, I-7877 Rdnr. 89). Außerdem könnten außergewöhnlichen Umstände, die eine Erstattung von Abgaben aus allgemeinen Billigkeitsgründen rechtfertigen können, auch dann vorliegen, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für eine Erstattung oder einen Erlass nach Art. 236 Abs. 1 ZK (Art. 2 VO Nr. 1430/79) nicht erfüllt sind (vgl. EuGH-Urteil vom 27. September 2001 Rs. C-253/99, Rdnr. 54, ZfZ 01, 408).

Diese Rechtsprechung kann nicht auf den hier zu entscheidenden Streitfall übertragen werden, da sich vorliegender Sachverhalt maßgeblich von den o.g. Urteilen des EuGH vom 27. September 2001 Rs. C-253/99 und vom 12. Februar 2004 Rs. C-337/01 zugrunde liegenden Sachverhalten unterscheidet.

In diesen Fällen sind die Abgaben jeweils ursprünglich in der richtigen Höhe festgesetzt worden und erst im Zusammenhang mit später vorgelegten Unterlagen ist jeweils die Erstattung bzw. der Erlass nach Art. 236 ZK beantragt und erst gegen die ablehnende Erlassentscheidung des HZA Einspruch eingelegt worden. Nur in diesen Fällen, also wenn ein Erlassantrag Gegenstand des Einspruchsverfahrens und somit auch des späteren Klageverfahrens ist, ist nach o.g. Rechtsprechung das HZA, und ggf. auch das Gericht, verpflichtet, den gestellten Antrag, auf alle Erstattungs- und Erlassgründe nach Art. 236 bis 239 ZK hin zu überprüfen, die nach dem Vorbringen des Antragstellers einschlägig sein könnten.

Aus alledem ergibt sich, dass eine umfassende Prüfungspflicht der Behörden und mithin auch ein Anspruch auf entsprechende Verbescheidung nur im Rahmen des in Titel VII Kapitel 5 des ZK (Art. 235 ff.) geregelten Erstattungs- und Erlassverfahrens besteht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.

Ende der Entscheidung

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