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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 11.12.2007
Aktenzeichen: 10 K 52/07
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 108 Abs. 1
AO § 110 Abs. 1
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1
AO § 355 Abs. 1 S. 1
AO § 357 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 52/07

Kindergeld für H

In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

... als Einzelrichter

ohne mündliche Verhandlung

am 11. Dezember 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob eine Änderung des Kindergeldablehnungsbescheides wegen Bestandskraft ausgeschlossen ist.

I. Der Kläger (Kl) ist der Vater der am...09.1980 geborenen H.

Mit Schreiben vom 04.02.2004, 18.03.2004, 26.04.2004 und 07.02.2005 forderte die Beklagte (die Familienkasse --FK--) vom Kl weitere Unterlagen zur Prüfung des Kindergeldanspruchs an. Mangels Vorlage dieser Unterlagen lehnte die FK mit Bescheid vom 31.03.2005 (laut Absendevermerk am 01.04.2005 abgesandt) die Kindergeldfestsetzung für H ab Januar 2004 ab. Laut Aktenvermerk der FK rief am 11.04.2005 H bei der FK an. Sie teilte mit, dass alle angeforderten Unterlagen von ihr eingereicht worden seien. Daraufhin wurde telefonisch mit dem Sachbearbeiter vereinbart, dass die Unterlagen nochmals eingereicht werden sollen. Laut E-Mail des Service-Centers der FK rief H am 04.10.2005 erneut an. Danach teilte H in dem Telefonat mit, dass sie bereits vor über einem Jahr einen Abzweigungsantrag gestellt und die Unterlagen schon zweimal an die richtige Adresse geschickt habe. Sie schicke sie jetzt noch einmal. Mit Formblattschreiben vom 14.12.2005 beantragte der Kl erneut Kindergeld und reichte eine Ausbildungsbescheinigung vom 14.12.2005 ein. Diesem Antrag entsprach die FK mit Bescheid vom 29.03.2006 nur für die Zeit ab Mai 2005. Bis einschließlich April 2005 lehnte die FK die Kindergeldfestsetzung unter Verweis auf die Bestandskraftwirkung des Bescheides vom 31.03.2005 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 29.11.2006 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Der Kl habe aufgrund des auf den Anruf der H erfolgten Telefongesprächs mit dem Sachbearbeiter davon ausgehen können, dass eine offizielle Einspruchseinlegung nicht notwendig sei. Der Kl habe auf diese Auskunft vertrauen dürfen, da er nicht darauf hingewiesen worden sei, dass durch die Einreichung der Unterlagen die Einspruchsfrist nicht gewahrt werde und der Bescheid vom 29.03.2005 bestandskräftig werde. Die FK könne sich daher nicht auf den Ablauf der Einspruchsfrist berufen. Vorsorglich werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zudem lägen die Voraussetzungen des § 173 Abgabenordnung --AO-- vor, da der Kl alle notwendigen Unterlagen vorgelegt habe.

Der Kl beantragt,

die Bescheide vom 31.03.2005 und 29.03.2006 aufzuheben und die FK zu verpflichten, an den Kl 2.464 EUR zu bezahlen.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie unter Bezugnahme auf die Gründe der Einspruchsentscheidung vor allem darauf, dass im Bescheid vom 31.03.2005 ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass auf einen neuen Antrag Kindergeld nur für den auf die Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folgenden Monat gezahlt werden könne, wenn nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt wird. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitere bereits an der Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 26.12.2006, 27.04.2007 und 25.06.2007 sowie den Schriftsatz der FK vom 13.06.2007 Bezug genommen.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 10.12.2007 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

II. 1. Die Klage ist unbegründet.

a) Der angefochtene Bescheid vom 31.03.2005 hat infolge Versäumung der Einspruchsfrist Bestandskraft erlangt.

Nach § 355 Abs. 1 S. 1 AO ist der Einspruch gegen den ablehnenden Bescheid der FK innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes einzulegen. Im vorliegenden Fall gilt der am 01.04.2005 zur Post gegebene Bescheid als am 04.04.2005 bekannt gegeben (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die einmonatige Einspruchsfrist endete daher mit Ablauf des 04.05.2005 (§ 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Der Anruf der H vom 11.04.2005 bzw. das hierauf mit dem Sachbearbeiter der FK geführte Telefongespräch können schon deshalb nicht als Einspruch gewertet werden, weil sie die Formerfordernisse des § 357 Abs. 1 AO (schriftlich, zur Niederschrift oder per Telegramm) nicht erfüllen.

b) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand § 110 Abs. 1 AO liegen nicht vor. Der Kl war nicht ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Einspruchsfrist einzuhalten: Er kann sich nicht auf seine mangelnden Kenntnisse und seine Unerfahrenheit in juristischen Dingen berufen. Denn der Bescheid vom 31.03.2005 enthielt eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung, aus der sich insbesondere die Form- und Fristanforderungen an einen zulässigen Einspruch ergaben. Zudem enthielt der Bescheid den ergänzenden Hinweis, dass aufgrund eines nach Ablauf der Frist gestellten neuen Kindergeldantrags nur für die Zeit ab dem auf die Bekanntgabe folgenden Monat Kindergeld gezahlt werden könne. Sofern der Kl selbst nicht in der Lage gewesen sein sollte, den Inhalt der Belehrungen zu verstehen, hätte er sich fachkundiger Hilfe (ggf. Übersetzung, Beratung) bedienen müssen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14.03.1989 VIII R 295/84, BFH/NV 1989, 754, BFH-Beschluss vom 18.09.2001 VII B 133/01, BFH/NV 2002, 209). Der Kl kann sich auch nicht auf einen fehlenden oder irreführenden Hinweis durch den zuständigen Sachbearbeiter der FK berufen. Eines weiteren Hinweises durch die FK auf Form und Frist der Einspruchseinlegung bedurfte es angesichts der ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung nicht. Auch enthält der Hinweis an die H, dass die Unterlagen noch nachgereicht werden können, keine Irreführung über die Notwendigkeit einer Einspruchseinlegung. Aus diesem Hinweis ergibt sich weder, dass ein Einspruch an sich entbehrlich ist, noch, dass die Einspruchsfrist nicht eingehalten werden muss. Schließlich musste die FK --entgegen der Ansicht des Kl-- auch nicht darauf hinweisen, dass die Übersendung der notwendigen Nachweise die Einspruchsfrist nicht wahrt. Denn ein solcher Hinweis wäre ohnehin fehlerhaft gewesen. Die FK hätte nämlich bei Nachweisen, die erkennbar mit Willen des Kl übersandt wurden, auch das fristgerechte Übersendungsschreiben als Einspruch werten können, auch wenn dieses nicht als Einspruch bezeichnet gewesen wäre. Ebenso liegen keine hinreichenden Anzeichen dafür vor, dass die rechtzeitige Einspruchseinlegung dadurch unterblieb, dass das Einspruchsschreiben bzw. ein Schreiben mit dem die angeforderten Belege übersandt wurden auf dem Postweg oder innerhalb der Behörde verloren gegangen ist. Der Kl hat insoweit bereits nicht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt, wann --innerhalb der Einspruchsfrist-- eine solche Übersendung erfolgt sein soll. Auch liegen keine sonstigen Anzeichen dafür vor, dass die angeforderten Unterlagen von H --wie es H laut Aktenvermerk vom 11.04.2005 und E-Mail vom 04.10.2005 wohl telefonisch behauptet hatte-- oder vom Kl selbst bereits vorgelegt wurden. Mit Schreiben vom 07.02.2005 forderte die FK unter Übersendung von Vordrucken zur Berufsausbildungsbescheinigung und zur Werbungskostenerklärung weitere Nachweise an. Selbst mit dem neuen Kindergeldantrag vom 14.12.2005 hat der Kl jedoch den geforderten Nachweis über die Werbungskosten für 2004 und Januar bis Juli 2005 und den Bescheid über die Berufsausbildungsbeihilfe ab Januar 2004 nicht eingereicht, obwohl er in seinem am 24.04.06 eingegangenen Einspruchsschreiben behauptete, er habe alle Unterlagen, die er seit 2004 schon mehrmals gesendet habe, nochmals persönlich abgegeben. Vielmehr wurde nur eine Erklärung zu den Werbungskosten 2004 vorgelegt, die bereits vom 15.03.2004 datiert. Diese kann daher weder die geforderte abschließende Aufstellung der tatsächlichen Werbungskosten 2004 noch die geforderte Aufstellung der voraussichtlichen Werbungskosten Januar 2005 bis Juli 2005 enthalten. Ebenso hat der Kl in diesem Zusammenhang kein Einspruchsschreiben oder Übersendungsschreiben vorgelegt, das auf eine rechtzeitige Einspruchseinlegung hindeutet.

c) Die Voraussetzungen einer die Bestandskraft durchbrechenden Änderungsnorm liegen nicht vor.

aa) § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst b AO greift nicht ein, da auch bei Auslegung des Kindergeldantrags vom 14.12.2005 als Änderungsantrag dieser erst nach Ablauf der Einspruchsfrist gestellt wurde.

bb) Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO liegen ebenfalls nicht vor. Zwar sind der FK durch die mit dem Antrag eingereichten Unterlagen neue Tatsachen, nämlich der Fortbestand des Ausbildungsverhältnisses, die Einkünfte 2004 und 2005 und die von H im März 2004 vorausgesehenen Werbungskosten 2004 nachträglich bekannt geworden. Den Kl trifft an dem nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsachen jedoch ein grobes Verschulden. Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Steuerpflichtige seine Erklärungspflicht schlecht erfüllt, indem er unzutreffende oder unvollständige Erklärungen abgibt und bei der Aufklärung des Sachverhalts nicht oder nur schlecht mitwirkt (z.B. BFH-Urteil vom 16.11.2006 III R 44/06 BFH/NV 2007, 643 m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat der Kl objektiv betrachtet in grober Weise seine Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten verletzt, weil er bzw. die in seinem Auftrag handelnde H die schriftlichen und mündlichen Anfragen der Familienkasse vom 04.02.2004, 18.02.2004, 18.03.2004, 26.04.2004, 07.02.2005 und 11.04.2005 nicht beantwortet haben. Anhaltspunkte dafür, dass dieses Verhalten dem Kl subjektiv nicht vorwerfbar wäre, sind weder vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich.

cc) Die Korrekturvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) sind im Streitfall nicht anwendbar, weil sie nicht für Bescheide gelten, mit denen --wie im Streitfall-- eine Kindergeldfestsetzung abgelehnt wird.

dd) Auch ein Fall Prognoseentscheidung über die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes (§ 70 Abs. 4 EStG) ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Hinsichtlich des Kindergelds für 2004 hat die FK nach Ablauf des Kalenderjahres ohnehin eine abschließende Entscheidung getroffen. Für die Monate Januar 2005 bis April 2005 wurde mit dem Bescheid vom 31.03.2005 zwar während des laufenden Jahres die Kindergeldfestsetzung abgelehnt. Die begehrte Änderung beruht aber nicht allein auf einem nachträglichen Bekanntwerden des Unterschreitens der Einkünfte-/Bezügegrenze, sondern zudem auf dem nachträglichen Bekanntwerden des Fortbestehens eines Ausbildungsverhältnisses durch Vorlage der angeforderten Ausbildungsbescheinigung. Für diese weitere Anspruchsvoraussetzung (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst a EStG) greift die Änderungsnorm nicht ein.

Ist ein Verwaltungsakt bestandskräftig, ist die Klage schon aus diesem Grund ohne weitere Sachprüfung als unbegründet abzuweisen (BFH-Urteil vom 20.09.1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl. II 1990, 177).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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