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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 14.09.2006
Aktenzeichen: 3 K 1881/05 Erb
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AO § 176
FGO § 40 Abs. 2
FGO § 45
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

3 K 1881/05 Erb

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO).

Der Kläger (Kl.) übertrug aufgrund notariellen Vertrages vom 20.09.2002 u.a. auf seine Ehefrau IC im Wege der Schenkung diverses Betriebsvermögen (BV) und verpflichtete sich zur Übernahme der Schenkungsteuer. Zu den Einzelheiten wird auf die Kopie der notariellen Vertragsurkunde (Bl. 2-8 der Steuerakten zur StNr. 000/0000/0000) verwiesen.

Bezüglich dieser Schenkung setzte der Beklagte (Bekl.) gegen den Kl. unter Berücksichtigung der Steuerbefreiungen nach § 13 a Erbschaftsteuergesetz ( ErbStG) durch Bescheid vom 25.04.2005 Schenkungsteuer i.H.v. 25.707 Euro fest. Die Steuerfestsetzung erfolgte gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO in vollem Umfang vorläufig im Hinblick auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren II R 61/99. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Steuerbescheid (Bl. 6-12 der Gerichtsakte -GA-) verwiesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kl. am 09.05.2005 Sprungklage, die dem Bekl. am 17.05.2006 zugestellt wurde. Mit Schriftsatz vom 10.06.2005, eingegangen beim Gericht am 16.06.2005, erteilte der Bekl. seine Zustimmung zur Sprungklage.

Zur Begründung trägt der Kl. vor, dass zwar die Feststellungen zur Höhe des Erwerbs nicht zu beanstanden seien, der Bescheid jedoch nicht vorläufig nach § 165 AO hätte ergehen dürfen. Zwar sei beim BFH ein Revisionsverfahren anhängig, jedoch könne dies nicht zu seinen Lasten gehen. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 13 a ErbStG im Hinblick auf einen Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz (GG) dürfe bei dem Erlass des Schenkungsteuerbescheides gegen ihn keine Rolle spielen. Denn aus Vertrauensschutzgründen könne das BVerfG allenfalls zu Gunsten eventuell ungerechtfertigt Benachteiligter entscheiden und nicht etwa zu seinen Ungunsten. Damit erübrige sich die Notwendigkeit einer vorläufigen Steuerfestsetzung. Es gehe darum, diejenigen zu schützen, in deren Interesse ein Einspruch läge, weil die anstehende Entscheidung des BVerfG ihre Rechtsposition verbessern könnte. Denjenigen, die wie er, kein Interesse an einem Einspruch hätten, dürfe aber die durch einen vorbehaltlosen Bescheid bewirkte Rechtssicherheit nicht verwehrt werden. Im Übrigen sei der Bescheid schon deshalb rechtswidrig, weil der Bekl. nicht erkannt habe, dass er eine Ermessensentscheidung habe treffen müssen. Der Bekl. habe sein Ermessen nicht ausgeübt, da der Vorläufigkeitsvermerk vollautomatisiert in den Bescheid aufgenommen worden sei. Dem Rechtsschutzinteresse des Kl. stehe auch § 176 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht entgegen. Zwar schütze § 176 Abs. 1 AO in der geltenden Form durchaus das Vertrauen des Stpfl. in die Gültigkeit einer Rechtsnorm bei der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden. Diese Norm könne aber im Wege einer einfachen Gesetzesänderung vom Gesetzgeber beseitigt werden. Daran ändere auch das Rückwirkungsverbot nichts, das der Gesetzgeber bereits in der Vergangenheit immer wieder infrage gestellt habe. Diese Ungewissheit dürfe nicht zu Lasten des Steuerbürgers gehen, der ein Recht darauf habe, aus Gründen der Rechtssicherheit, endgültig beschieden zu werden. Im Streitfall seien die Besteuerungsgrundlagen und die Rechtslage bekannt. Deshalb sei eine Vorläufigkeit nicht gerechtfertigt. Es könne dem Kl. nicht zugemutet werden, mehrere Jahre in Rechtsunsicherheit zu bleiben, bis das BVerfG über die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Rechtsnormen entschieden habe.

Der Kl. beantragt,

den Schenkungsteuerbescheid vom 25.04.2005 betreffend den Erwerb der Frau IC aus der Schenkung des Kl. vom 28.10.2004 aufzuheben und ohne Vorbehalte erneut zu erlassen;

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Zur Begründung führte der Bekl. im Wesentlichen aus, in Folge des unter dem Aktenzeichen II R 61/99 beim BFH anhängigen Revisionsverfahrens habe die Finanzverwaltung am 06.12.2001 (BStBl I 2001 Seite 985) gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden veröffentlicht, wonach Erbschaftsteuer- (ErbSt-) bzw. Schenkungsteuerfestsetzungen nach § 165 Abs. 1 AO in vollem Umfang für vorläufig zu erklären seien. Ein Raum für eine Ermessensentscheidung im Einzelfall bestehe für den Bekl. nicht. Die Vorschrift des § 176 Abs. 1 AO schütze ausdrücklich das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Gültigkeit einer Rechtsnorm, der Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift bei Aufhebungen oder Änderungen von Steuerbescheiden. Das Rechtsschutzbedürfnis des Bekl. sei hierdurch hinreichend befriedigt.

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Parteien gem. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

Die Sprungklage (§ 45 FGO) ist unzulässig.

Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kl. geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt zu sein. Im Streitfall begehrt der Kl. ausschließlich die Aufhebung des angefochtenen Schenkungsteuerbescheides und die Neubescheidung ohne Mitteilung eines Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO.

Der Kl. ist indes durch die Erteilung des Vorläufigkeitsvermerks gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nicht beschwert. Der Kl. ist durch den Vorläufigkeitsvermerk nicht in seinen Rechten verletzt. Gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO kann eine Steuer u.a. dann vorläufig festgesetzt werden, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist. Musterverfahren und Besteuerungsverfahren müssen dieselbe Vorschrift betreffen. Dies ist vorliegend der Fall, da der BFH mit Beschluss vom 22.05.2002 die erbschaftsteuerrechtliche Privilegierung des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 u. 2, Abs. 6 Satz 4, §§ 12, 13 a, 19 a ErbStG i.F.d. Jahressteuergesetzes 1997 dem Bundesverfassungsgericht zur verfassungsrechtlichen Überprüfung vorgelegt hat und Gegenstand des Verfahrens auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschafts- und Schenkungsgesetzes ist (vgl. BFH, Vorlagebeschluss vom 22.05.2002 II R 61/99, BStBl II 2002, 598; Az. beim Bundesverfassungsgericht: 1 BvL 10/2002).

Die vorläufige Steuerfestsetzung gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO steht im Ermessen der Finanzbehörde. Ob der Bekl. das ihm eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, kann dahinstehen. Denn der Kl. ist auch im Falle einer ermessensfehlerhaften Anordnung der Vorläufigkeit gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt. Anders als bei der vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ist bei der vorläufigen Festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nur eine Änderung des Steuerbescheides gem. § 165 Abs. 2 Satz 1 AO zugunsten des Stpfl. möglich. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und den Regelungen des § 176 AO. Durch diese Vorschriften soll vermieden werden, dass Stpfl. gezwungen werden, gegen ihre Steuerbescheide Rechtsbehelfe einzulegen, wenn sie insoweit von der Feststellung einer Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht profitieren wollen. Die Vorschrift des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO dient damit allein dem Interesse des Stpfl. sowie dem der Allgemeinheit, unnötig parallele Rechtsbehelfsverfahren zu vermeiden. Eine Änderung der Festsetzung zum Nachteil des Stpfl. ist daher auch bei einer vorläufigen Festsetzung gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nur nach den §§ 172 ff. AO möglich. Dabei sind die Regelungen des § 176 AO zu beachten, die auch bei Änderungen vorläufiger Steuerfeststetzungen gem. § 165 Abs. 2 Satz 1 AO gelten (vgl. BFH, Urteil vom 11.10.1988 VIII R 419/83, BStBl II 1989, 284; BFH Großer Senat, Beschluss vom 23.11.1987 GrS 1/86, BStBl II 1988, 180).

Nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO darf bei einer Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Stpfl. berücksichtigt werden, dass das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht bzw. ein oberster Gerichtshof des Bundes eine Norm, auf der die bisherige Steuerfestsetzung beruht, nicht anwendet, weil er sie für verfassungswidrig hält. Die Regelungen des § 176 AO enthalten insofern einen einheitlichen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass der Stpfl. davor geschützt werden soll, dass sich ein Rechtsakt, der Eingang in den Steuerbescheid gefunden hat, später als mit der Rechtsordnung nicht vereinbar erweist.

Aufgrund des in § 176 AO gesetzlich normierten Vertrauenstatbestandes ist es dem Bekl. somit trotz der vorläufigen Steuerfestsetzung gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO verwehrt, in Folge der Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 10/02 zukünftig die Schenkungsteuer zuungunsten des Kl. neu festzusetzen. Insofern ist der Kl. durch den Vorläufigkeitsvermerk nicht beschwert. Dabei kann entgegen der Auffassung des Kl. nicht darauf abgestellt werden, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 176 AO in Zukunft aufheben könnte. Die Beschwer ist anhand der aktuellen Rechtslage und somit unter Berücksichtigung des gesetzlich normierten Vertrauenstatbestandes des § 176 AO zu würdigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.

Die Revision wurde zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. FGO) zugelassen.

Ende der Entscheidung

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