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Gericht: Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 08.04.2009
Aktenzeichen: 1 K 687/04
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 17
AO § 175 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 1. Senat,

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 08. April 2009

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht ... als Vorsitzenden,

der Richterin am Finanzgericht ... und

des Richters am Finanzgericht ... sowie

der ehrenamtlichen Richterinnen ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Abweichend von dem Bescheid für 1997 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom ... Dezember 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... September 2004 sind bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens bei der Klägerin keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. H. v. 550.640,00 DM aufgrund eines tarifbegünstigten Veräußerungsgewinns zu berücksichtigen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in der gleichen Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert beträgt 28.957,00 EUR.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns der Klägerin im Jahr 1997 streitig.

Die mit dem Kläger zusammen veranlagte Klägerin erzielte im Streitjahr neben den streitigen Einkünften aus Gewerbebetrieb negative Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und aus Vermietung und Verpachtung sowie positive Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Klägerin war von Anfang an Gesellschafterin der am 21. Januar 1991 gegründeten J. GmbH (= GmbH), die durch Umwandlung aus der LPG - Tierproduktion - ... hervorgegangen ist. Am Stammkapital der GmbH von 227.000,00 DM waren 104 Gesellschafter beteiligt. Die Stammeinlage der Klägerin betrug 3.000,00 DM. Bis zum 30. Juni 1996 schieden mit Ausnahme der Klägerin und den Gesellschaftern L. und S. alle anderen Gesellschafter aus der GmbH aus. Die ausgeschiedenen Gesellschafter wurden von der GmbH nach Maßgabe der Vorschriften des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes ausbezahlt. Die verbliebenen drei Gesellschafter übernahmen keine Geschäftsanteile von den ausgeschiedenen Gesellschaftern und erbrachten für deren Ausscheiden keine Leistungen.

Die Beteiligungsverhältnisse stellten sich nach dem 30. Juni 1996 wie folgt dar:

Klägerin: 3.000,00 DM

L.: 1.900,00 DM

S.: 800,00 DM

eigene Anteile der GmbH: 221.300,00 DM

Stammkapital: 227.000,00 DM.

Die verbliebenen drei Gesellschafter der GmbH gründeten vor dem Streitjahr eine GbR.

Die GmbH veräußerte zum Buchwert das für die Landwirtschaft benötigte Betriebsvermögen einschließlich Vieh an die GbR. Die GmbH gewährte den verbliebenen drei Gesellschaftern Kredite, mit denen die Betriebskosten der GbR beglichen wurden. Die Darlehen betrugen zum 01. Juli 1996 in der Bilanz der GmbH 1.449.428,16 DM und verteilten sich auf die Gesellschafter wie folgt:

Klägerin: 596.662,98 DM

L.: 596.662,98 DM

S.: 256.102,20 DM.

Mit dem Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 20. Dezember 1996 wurde beschlossen, aus dem EK 04 1.133.693,67 DM auszuschütten und mit den Ausleihungen an die jeweiligen Gesellschafter zu verrechnen. Dadurch wurde das Darlehen an die Klägerin in vollem Umfang getilgt.

Mit dem notariell beurkundeten Vertrag vom 30. Juni 1997 veräußerte die Klägerin ihren in Teilgeschäftsanteile von 2.100,00 DM und 900,00 DM aufgeteilten Geschäftsanteil zum Gesamtpreis von 13.750,00 DM an die beiden übrigen Gesellschafter. Die GmbH stimmte der Veräußerung zu. Die Kaufpreise waren am Tage der Beurkundung bis 24:00 Uhr fällig. Das Gewinnbezugsrecht ging mit Wirkung vom Beurkundungstag an die Erwerber über. Unter 5. ist Folgendes geregelt:

"Die mit dieser Urkunde und ihrem Vollzug verbundenen Kosten und die evt. Steuern fallen der Gesellschaft zur Last."

Der Beklagte berücksichtigte zunächst im geänderten Einkommensteuerbescheid für 1996 bei der Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 596.662,00 DM. Im dagegen eröffneten Einspruchsverfahren änderte der Beklagte mit dem Bescheid vom ... Dezember 2003 die Einkommensteuerfestsetzung insoweit, als keine Gewinnausschüttung aus dem EK 04 und damit keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb bei der Klägerin berücksichtigt wurden.

Den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für 1997 vom ... März 1999 änderte der Beklagte nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO mit dem Bescheid vom ... Dezember 2003. Erstmalig berücksichtigte er darin bei der Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 557.961,00 DM.

Dagegen legte die Klägerin mit dem Schreiben vom 09. Januar 2004 Einspruch ein. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die am 11. Dezember 2003 notariell beurkundete und von ihrem Prozessbevollmächtigten wegen der unvorhergesehenen steuerlichen Folgen allen Beteiligten empfohlene Rückabwicklung der Anteilsveräußerung. Diese Rückabwicklung sei nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 31. Dezember 1993 - VIII R 69/88, BStBl II 1994, 648 und vom 19. August 2003 - VIII R 67/02) als rückwirkendes Ereignis zu behandeln, so dass der zunächst verwirklichte Veräußerungsgewinn rückwirkend entfalle. Die Anschaffungskosten für den Geschäftsanteil von 3.000,00 DM seien mit 59.772,00 DM anzusetzen.

Mit der Einspruchsentscheidung vom ... September 2004 verminderte der Beklagte die Einkommensteuer auf 29.896,77 EUR und den Solidaritätszuschlag auf 2.242,26 EUR und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass Ausschüttungen soweit sie aus dem EK 04 stammten und die vom Steuerpflichtigen aufgewendeten Anschaffungskosten für die Beteiligung überstiegen, negative Anschaffungskosten seien, die sich im Jahr der Veräußerung der Beteiligung auf den Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 EStG auswirkten und der Besteuerung zu unterwerfen seien. Unter Beachtung der Regelungen des DM-Bilanzgesetzes ergäben sich Anschaffungskosten von 59.772,00 DM. Zuzüglich der Ausschüttung aus dem EK 04 von 596.662,00 DM und dem Veräußerungserlös von 13.750,00 DM ergäbe sich ein tarifbegünstigter Veräußerungsgewinn von 550.640,00 DM. Die unter 5. im Vertrag vom 30. Juni 1997 enthaltene Regelung erfasse nicht die persönlichen Steuern der Klägerin.

Die im Dezember 2003 vereinbarte Rückabwicklung sei kein rückwirkendes Ereignis, welches die steuerlichen Folgen der Erfassung eines Veräußerungsgewinns im Jahr 1997 beseitigen könne. Das tatsächlich Geschehene könne nicht ungeschehen gemacht werden, indem der tatsächlich durchgeführte Veräußerungsvorgang in umgekehrter Richtung ablaufe. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage komme nicht in Betracht, da die Vertragsbeteiligten über die sich ergebenden unmittelbaren und mittelbaren Steuern keine gemeinsamen Vorstellungen entwickelt und sie zur Grundlage ihrer vertraglichen Vereinbarungen gemacht hätten.

Die Kläger haben am 25. Oktober 2004 Klage erhoben.

Zur Begründung tragen die Kläger im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH vor, dass die Rückabwicklung unter bestimmten Voraussetzungen ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung ( § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) darstelle. Ein solcher Fall liege hier vor. Durch die unerwartet hohe und nicht vorhersehbare Steuerbelastung sei die Geschäftsgrundlage des Anteilskaufvertrages weggefallen. Die steuerlichen Folgen machten die Vertragserfüllung für die Erwerber unzumutbar. Weder sie noch die GmbH seien nach der Ziffer 5 des Anteilskaufvertrages in der Lage, die geschuldete Leistung zu erbringen. Deshalb bestehe ein Rücktrittsrecht, über das sich die Vertragspartner im Vergleichswege am 11. Dezember 2003 verständigt hätten. Die Ungewissheit über die Auslegung der Vertragsklausel hätten die Vertragsparteien im Wege eines Vergleichs in Gestalt der Vereinbarung vom 11. Dezember 2003 beseitigen dürfen.

Die Kläger beantragen,

die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag für 1997 auf 0,00 DM festzusetzen und hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist der Beklagte auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend im Wesentlichen vor, dass der Vertrag vom 11. Dezember 2003 kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung darstelle. Das Urteil des BFH vom 19. August 2003 (VIII R 67/02) sei nicht anwendbar. Punkt 5 des Veräußerungsvertrages vom 30. Juni 1997 enthalte keine Steuerklausel. Die Entstehung der Steuer aus der Veräußerung der wesentlichen Beteiligung bei der Klägerin sei nicht unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu sehen.

Insofern sei das von den Klägern zitierte Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 23. März 2001 (4 K 2805/99) nicht anwendbar. Der Anteilskaufvertrag sei entgegen der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung nicht unter der Vereinbarung eines Vorbehalts oder einer auflösenden Bedingung abgeschlossen worden.

Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08. April 2009 wird Bezug genommen.

Dem Gericht lagen zwei Bände Sonderakten vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Beklagte hat bei der Einkommensteuerveranlagung des Jahres 1997 zu Unrecht bei der Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 550.640,00 DM berücksichtigt. Die Kläger sind durch den angefochtenen Bescheid insoweit in ihren Rechten verletzt ( § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Der Beklagte hat die Veräußerung sämtlicher Teilgeschäftsanteile der Klägerin an der GmbH durch den Vertrag vom 30. Juni 1997 zu Recht als Einkünfte aus Gewerbebetrieb erfasst. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war ( § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG). Eine wesentliche Beteiligung ist gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mehr als 1/4 unmittelbar oder mittelbar beteiligt war ( § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG 1997).

Die Klägerin war vor ihrem Ausscheiden aus der GmbH zu mehr als 1/4 beteiligt. Zwar war sie nominell mit ihrer Stammeinlage von 3.000,00 DM am Stammkapital nur mit 1,32 v. H. beteiligt. Nach der Rechtsprechung des RFH und des BFH ist eine GmbH, soweit sie eigene Geschäftsanteile hält, wirtschaftlich nicht an ihrem Unternehmen beteiligt. Wenn - wie hier - die GmbH den ausgeschiedenen Gesellschaftern ein dem Wert des Geschäftsanteils entsprechendes Entgeld gezahlt hat, müssen bei der nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheidenden Frage, in welchem Verhältnis die verbliebenen Gesellschafter an der GmbH beteiligt sind, die eigenen Geschäftsanteile der GmbH außer Betracht bleiben (vgl. BFH-Urteil vom 18. April 1989 - VIII R 329/84, BFH/NV 1990, 27; Schmidt, EStG, 16. Aufl., § 17 Rdnr. 41). Unter Abzug der von der GmbH selbst gehaltenen Geschäftsanteile von 221.300,00 DM vom Stammkapital i. H. v. 227.000,00 DM verbleibt ein zu berücksichtigendes Stammkapital von 5.700,00 DM. Daran war die Klägerin zu 52,63 v. H. beteiligt, d.h. zu mehr als 1/4.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist der Tatbestand der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung i.S.v. § 17 EStG in dem Zeitpunkt verwirklicht, zu dem das bürgerlich-rechtliche oder wirtschaftliche Eigentum an diesen Anteilen auf den Erwerber übergeht (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2004 VIII R 28/02, BStBl II 2005, 46). Diese Voraussetzungen sind hier unstreitig im Jahr 1997 erfüllt worden.

Der Beklagte hat zu Unrecht einen Veräußerungsgewinn von 550.640,00 DM ermittelt.

Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt ( § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG). Die Höhe der Anschaffungskosten mit 59.772,00 DM aufgrund der Besonderheiten des DM-BilG ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Veräußerungserlös aus dem Vertrag vom 30. Juni 1997 beträgt - auch insoweit unstreitig - 13.750,00 DM.

Grundsätzlich zu Recht hat der Beklagte aufgrund der am 20. Dezember 1996 von der Gesellschafterversammlung der GmbH beschlossenen Ausschüttung aus dem EK 04, von der 596.662,98 DM auf die Klägerin entfielen, eine entsprechende Minderung ihrer Anschaffungskosten für die Beteiligung angenommen und zwar auch soweit, als der Betrag der Anschaffungskosten dadurch negativ wird ( BFH-Urteil vom 20. April 1999 - VIII R 44/96, BStBl II 1999, 698). Vorrangiger Zweck des § 17 EStG ist es, den an einer Kapitalgesellschaft wesentlich beteiligten Gesellschafter auf der Vermögensebene hinsichtlich der in der Beteiligung gebildeten stillen Reserven so zu behandeln, als ob die Beteiligung zu einem Betriebsvermögen gehörte. Damit stellt § 17 EStG auf das steuerrechtliche Gesamtergebnis ab, das der Erwerber mit der Beteiligung erzielt. Das bedeutet, dass alle beim Gesellschafter eintretenden Vermögensmehrungen, die die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigen, als "Beteiligungsertrag" zu erfassen sind; erfolgsneutral sind sie nur insoweit, als sie mit dem von ihm aufgewendeten Anschaffungskosten verrechnet werden können. Die im Privatvermögen des Gesellschafters eintretende Vermögensmehrung unterliegt erst im Zeitpunkt der Veräußerung der Beteiligung oder bei Verwirklichung einer der übrigen in § 17 EStG genannten Veräußerungstatbestände - und damit steuerbegünstigt - der Einkommensbesteuerung (vgl. BFH-Urteil, BStBl II 1999, 698, 700). Die Veräußerung der Geschäftsanteile der Klägerin fand im Jahr 1997 statt, so dass grundsätzlich in diesem Jahr die durch die Ausschüttung aus dem EK 04 bei der Klägerin eingetretene Minderung ihrer Anschaffungskosten steuerlich zu erfassen ist.

Bei dem Vertrag vom 11. Dezember 2003, mit dem die Vertragsbeteiligten wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ihren Rücktritt vom Vertrag vom 30. Juni 1997 erklärt haben, handelt es sich um ein Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit (rückwirkendes Ereignis) im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.

#Nach der Rechtsprechung des BFH gilt § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sinngemäß für Bescheide, die rechtzeitig - wie hier - mit dem Einspruch angefochten worden sind ( BFH-Urteil vom 19. August 2003 - VIII R 67/02, BStBl II 2004, 107, 109).

Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kann ein Steuerbescheid geändert werden, soweit ein Ereignis eintritt, dass steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Zu den rückwirkenden Ereignissen zählen alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge, aber auch tatsächliche Lebensvorgänge, die steuerlich - ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen - in der Weise Rückwirkung entfalten, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.1; vom 13. September 2000 X R 148/97, BFHE 193, 129, BStBl II 2001, 641).

Grundsätzlich kann mit steuerrechtlicher Wirkung ein Sachverhalt nicht rückwirkend gestaltet werden, weil der Steuerpflichtige auf einen entstandenen Steueranspruch nicht rückwirkend Einfluss nehmen kann. Eine solche Einflussnahme wäre ein unzulässiger Eingriff in öffentlich-rechtliche Verhältnisse ( BFH-Urteil vom 18. September 1984 - VIII R 119/81, BStBl II 1985, 55 m.w.N.).

Die Rechtsprechung hat jedoch von dem Rückwirkungsverbot Ausnahmen zugelassen (vgl. BFH-Urteile vom 19. August 2003 VIII R 67/02, BStBl II 2004, 107 und vom 18. September 1984 VIII R 119/81, BStBl II 1985, 55; Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897). Sowohl in den Fällen des Fehlens als auch in denen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bilden die infolge einer Vertragsanpassung oder eines Rücktritts bewirkten Veränderungen des Veräußerungspreises Ereignisse, die i.S.d. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO Rückwirkung entfalten (vgl. F. Dötsch, Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe, S. 144; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO und FGO, § 41 AO Rdnr. 116).

Durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138), das am 01. Januar 2002 in Kraft getreten ist, sind in § 313 BGB die bisher von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage kodifiziert worden. Inhaltlich stimmt die Regelung in § 313 BGB mit den von der Rechtsprechung angewandten Grundsätzen überein (vgl. Palandt, BGB, 68. Aufl., § 313 Rdnr. 1). Aufgrund der Überleitungsvorschrift in EGBGB 229 § 5 kommt diese Vorschrift hier nicht zur Anwendung, weil die Neuregelungen der §§ 275 ff. BGB nur angewendet werden können, wenn das Schuldverhältnis nach dem 01. Januar 2002 entstanden ist (Palandt, BGB, 68. Aufl., EGBGB 229 § 5 Rdnr. 5). Das maßgebliche Schuldverhältnis aufgrund des Vertrages vom 30. Juni 1997 ist vor dem 01. Januar 2002 entstanden.

Nach der vor Inkrafttreten des heutigen § 313 BGB entwickelten ständigen Rechtsprechung bildete sich die Geschäftsgrundlage durch die beim Vertragsabschluss zutage getretene, vom Geschäftsgegner in ihrer Bedeutung erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung beider Teile vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt oder Nichteintritt gewisser Umstände, auf denen sich der Geschäftswille aufbaut. Diese Umstände müssen für die Partei, die deren Fehlen oder Wegfall moniert, so wichtig gewesen sein, dass sie den Vertrag nicht oder anders abgeschlossen hätte, wenn sie die Richtigkeit ihrer Voraussetzung als fraglich erkannt hätte ( BGH-Urteil vom 24. November 1995, V ZR 164/94, BGHZ 131, 209, 214; F. Dötsch, a.a.O., S. 144).

Soweit der Beklagte ausgeführt hat, dass die Voraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht vorliegen, weil sich keine der Vertragsparteien Gedanken über die Höhe möglicher Steuern gemacht und dies der anderen Partei mitgeteilt hat und dabei darauf hinweist, dass sich regelmäßig einer der Geschäftspartner über die Steuerpflicht als solche oder über deren Höhe falsche Vorstellungen machen müsse, die er dem anderen Geschäftspartner mitgeteilt oder auf andere Weise zur Kenntnis gebracht habe, wird damit nicht der Bereich fehlenden oder unvollständigen Bewusstseins von bestimmten Rahmenbedingungen erfasst. Nach der bislang herrschenden zivilrechtlichen Meinung kommt es nicht darauf an, hinsichtlich der Vorstellungen des einen oder beider Vertragsteile positiv konkrete (Fehl-) Vorstellungen nachzuweisen, sondern dass hier auch das Fehlen von Umständen relevant wird, deren Vorhandensein man für den betreffenden Vertrag sinnvoller- oder selbstverständlicherweise voraussetzt oder umgekehrt das Vorhandensein von Umständen, deren Fehlen vorauszusetzen ist (vgl. Roth in MüKo, BGB, § 313 Rdnr. 45; BGHZ 131, 209, 215). Im Einzelnen können sich die Störungen im subjektiven Vorstellungsbild der Beteiligten entweder als Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit durch positive Vorstellungen (Fehlvorstellungen) oder als Fehlen jeglicher Vorstellung über den fraglichen Umstand (fehlende Vorstellungen) darstellen.

Im Streitfall konnte keinem Vertragsbeteiligten am 30. Juni 1997 das BFH-Urteil vom 20. April 1999 bekannt sein, mit dem der BFH erstmalig zu der Frage Stellung genommen hat, wie sich die Ausschüttung einer Kapitalgesellschaft aus dem EK 04 auf die Höhe der Anschaffungskosten des Gesellschafters und damit auf die Höhe eines Veräußerungsgewinns i.S.d. § 17 EStG auswirkt. Hätte die Klägerin diese Folge vorausgesehen oder voraussehen können, hätte sie sinnvollerweise den Vertrag in dieser Form nicht abgeschlossen. Dies hat die steuerlich in diesem Zusammenhang im Jahr 1997 nicht beratene Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert. Umgekehrt haben auch die die Teilgeschäftsanteile erwerbenden Gesellschafter keine Vorstellung von der steuerlichen Behandlung der Ausschüttung aus dem EK 04 bei der Anteilsveräußerung haben können und nach den glaubhaften Angaben der Klägerin gehabt.

Dies haben sie in dem Vertrag vom 11. Dezember 2003 zum Ausdruck gebracht, indem sie bestätigen, dass die tatsächliche Einkommensteuerbelastung der Klägerin aufgrund der Rechtsprechung nicht ihren Annahmen beim Vertragsabschluss entsprochen habe. Auch die erwerbenden Gesellschafter hätten bei Kenntnis der steuerlichen Folgen zur Überzeugung des Senats sinnvollerweise den Vertrag nicht in dieser Form, zumindest aber bei der Abfassung der von der Notarin vorgegebenen Vertragsklausel unter Tz. 5 den Begriff "Steuern" sorgfältiger definiert. Da die beiden Parteien des Vertrages vom 30. Juni 1997 von den steuerlichen Folgen einer Ausschüttung aus dem EK 04 beim Vertragsschluss keine Vorstellung haben konnten und der Veräußerungserlös ohne die Ausschüttung in vollem Umfang durch die unstreitigen sonstigen Anschaffungskosten steuerlich neutralisiert worden wäre, ist der Vertrag vom 30. Juni 1997 zu Recht in vertretbarer Weise nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage von den Vertragsparteien am 11. Dezember 2003 durch Rücktritt vom Vertrag aufgehoben worden.

Ob eine entsprechende zivilgerichtliche Verfolgung des Rücktrittsbegehrens tatsächlich erfolgreich gewesen wäre, kann offen bleiben.

Der Vertrag vom 11. Dezember 2003 ist zwar kein Vergleich im Sinne des BFH-Urteils vom 19. August 2003 (VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107). Jedoch haben sich die Vertragsparteien durch diesen Vertrag verpflichtet, die jeweils empfangenen Leistungen zurückzugewähren und sie haben in dinglicher Hinsicht die Geschäftsanteile durch Abtretung und Annahme an die Klägerin zurück übertragen. Es besteht kein vernünftiger Grund, dem Vertrag vom 11. Dezember 2003 keine steuerliche Rückwirkung beizumessen und die Vertragspartner zu einer zivilgerichtlichen Auseinandersetzung zu zwingen, wenn die Rückabwicklung tatsächlich durchgeführt wird. Da die Rückgewähr des Kaufpreises aus Gründen erfolgte, die im Kaufvertrag selbst angelegt waren (Vertragsgrundlage), liegt ein "rückwirkendes Ereignis" i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor.

Der Vertrag vom 30. Juni 1997 enthält keine auflösenden Bedingungen. Insbesondere handelt es sich bei der Regelung in Tz. 5 des Vertrages vom 30. Juni 1997 um keine Steuerklausel. Steuerklauseln sind Vertragsbestimmungen, denen zur Folge ein Rechtsgeschäft oder bestimmte Rechtsgeschäfte ganz oder teilweise als aufgelöst oder nicht abgeschlossen angesehen werden oder unwirksam sein und dementsprechend behandelt werden sollen, wenn sich herausstellt, dass sich nach Auffassung der für die Besteuerung zuständigen Stelle an das Rechtsgeschäft andere (insbesondere ungünstigere) Steuerfolgen knüpfen, als die Parteien vorausgesetzt, sich vorgestellt oder erwartet haben (Tipke/Kruse, AO, § 41 Rdnr. 49). Im Streitfall ist in Tz. 5 die Tragung der Kosten und Steuern geregelt worden, die sich aus der Urkunde und ihrem Vollzug ergeben.

Die Themen Auflösung und Wirksamkeit des Vertrages im Ganzen oder in Teilen werden nicht behandelt. Es braucht deshalb nicht auf die umstrittene zivilrechtliche Qualifikation und steuerrechtliche Wirkung derartiger Klauseln eingegangen zu werden (vgl. Tipke/Kruse, AO, § 41 Rdnr. 51 ff.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. der entsprechenden Anwendung von §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO im Hinblick auf die Auslegung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i.V.m. dem BFH-Urteil vom 19. August 2003 (VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107) zuzulassen.

Der Streitwert war nach § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) zu bestimmen.

Ende der Entscheidung

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