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Gericht: Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 26.03.2007
Aktenzeichen: 2 V 126/06
Rechtsgebiete: SGB VIII, FGO, UStG, 6. RL. 77/388/EWG


Vorschriften:

SGB VIII § 17 Abs. 2
SGB VIII § 20
SGB VIII § 31
SGB VIII § 34
FGO § 73 Abs. 1
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG § 4
6. RL. 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g
6. RL. 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h
6. RL. 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern

2 V 126/06

Umsatzsteuer 2000 - 2005

hier: vorläufiger Rechtsschutz

In dem Rechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 2. Senat, durch xxx

am 26. März 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Verfahren 2 V 126/06 und 2 V 137/06 werden zur gemeinsamen Entscheidung unter dem Aktenzeichen 2 V 126/06 verbunden.

Die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2000 - 2004, jeweils vom 23.08.2006, wird ausgesetzt.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner zu 85 v. H., die Antragstellerin zu 15 v. H.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 13.766,00 EUR festgesetzt.

Hinweis: Verbundenes Verfahren

Verbundverfahren:

FG Mecklenburg-Vorpommern - 26.03.2007 - AZ: 2 V 137/06

Gründe:

I. Streitig ist, ob Umsätze der Antragstellerin umsatzsteuerfrei sind.

Die Antragstellerin ist seit Beginn des Jahres 2000 als freiberufliche Familienpflegerin tätig. Sie beschäftigte in den Streitjahren zwischen 10 und 13 Arbeitnehmer.

Am 24.02.2000 beschloss der Jugendhilfeausschuss der Stadt G "die Übertragung der Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe für die aus den G.'er Pflegediensten H... ausgegliederte Familien- und Jugendhilfe H." (Antragstellerin).

Die Antragstellerin erzielte Umsätze aus der vollzeitigen Unterhaltung und Betreuung einer therapeutischen Wohngemeinschaft (Heimerziehung, § 34 SGB VIII) sowie aus stundenweiser Betreuung Jugendlicher und junger Erwachsener im Rahmen der Wohnform "Betreutes Wohnen" (§ 34 SGB VIII).

Weitere Umsätze erzielte die Antragstellerin aus der ambulanten Betreuung und Versorgung von Kindern in Notsituationen (§ 20 SGB VIII) und mit Leistungen im Bereich sozialpädagogischer Familienhilfe (§ 31 SGB VIII).

Die Antragstellerin erzielte darüber hinaus Umsätze im Zusammenhang mit dem vom Jugendamt initiierten und finanzierten Projekt "Kinder-Eltern-Schule-System" (KESS) an der F-Schule in G. Sie stellte zwei Mitarbeiter als Ansprechpartner für Schüler, Lehrer und Eltern zur Verfügung. Diese leisteten pädagogische Hilfestellung bei auffälligem Verhalten von Kindern, das auf Erziehungsprobleme im Elternhaus hindeutete (Erziehungsberatung nach § 28 SGB VIII).

In gerichtlichen Scheidungsverfahren stellte die Antragstellerin Verfahrenspfleger zur Verfügung, die dem Familiengericht Grundlagen für Sorgerechtsentscheidungen lieferten (§ 17 Abs. 2 SGB VIII).

Sie führte in Abstimmung mit dem Jugendamt Trainingskurse für gewaltbereite Jugendliche zum gewaltfreien Verhalten in konfliktgeladenen Situationen durch (Jugendsozialarbeit i. S. des § 13 Abs. 1 SGB VIII).

Schließlich hielt die Antragstellerin im Auftrag des Vereins B. e. V. Vorträge über soziale Dienstleistungsanbieter.

Mit Ausnahme der Honorare für Vorträge rechnete die Antragstellerin sämtliche Leistungen gegenüber dem Jugendamt ab. Umsatzsteuer wies sie in ihren Rechnungen gegenüber dem Jugendamt nicht aus, Umsatzsteuererklärungen gab sie für die Jahre 2000 - 2004 nicht ab.

Aufgrund einer 2006 durchgeführten Außenprüfung vertrat der Antragsgegner die Ansicht, dass die Umsätze der Antragstellerin aus Leistungen im Rahmen des therapeutischen und des betreuten Wohnens umsatzsteuerfrei, alle übrigen Umsätze hingegen umsatzsteuerpflichtig seien.

Unter dem 18.05.2006, Eingang beim Antragsgegner am 22.05.2006, gab die Antragstellerin eine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2005 ab, in der sie eine verbleibende Umsatzsteuer in Höhe von 19.804,00 EUR errechnete.

Auf der Grundlage einer von der Antragstellerin vorgelegten Aufstellung schlüsselte der Antragsgegner die Umsätze 2000 - 2004 in steuerbefreite und steuerpflichtige Umsätze auf, ermittelte abziehbare Vorsteuern und erließ unter dem 23.08.2006 für die Jahre 2000 - 2004 erstmals Umsatzsteuerbescheide, in denen er für

21.739,62 EUR (42.519,00 DM),

22.701,08 EUR (44.413,00 DM),

23.720,77 EUR,

26.417,00 EUR und für

23.330,73 EUR

Umsatzsteuer festsetzte (zur Ermittlung der Umsätze im Einzelnen, aufgeschlüsselt nach einzelnen Leistungen vgl. Bl. 15 - 19 Bp-Akte). Dabei beließ er Umsätze steuerfrei, die die Antragstellerin für Leistungen im Rahmen der Heimerziehung und der sonstigen betreuten Wohnformen (§ 34 SGB VIII) erzielte, alle anderen Umsätze behandelte er umsatzsteuerpflichtig.

Die Antragstellerin erhob unter dem 24.08.2006 Einspruch gegen die Umsatzsteuerbescheide 2000 - 2004 und beantragte, deren Vollziehung auszusetzen.

Mit Antrag vom 24.10.2006 beantragte sie, die Vollziehung ihrer - einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehenden - Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2005 bis zum Abschluss des Verfahrens gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2000 - 2004 auszusetzen.

Zur Begründung des Einspruches und der Aussetzungsanträge berief sie sich auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstaben g) und i) der 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17.05.1977. Sie habe Leistungen erbracht, die eng mit der Sozialfürsorge im Sinne der Richtlinie verbunden seien. Das gelte für Fachleistungsstunden, die sie für das Jugendamt bei der Betreuung und Versorgung von Kindern in Notsituationen und bei der sozialpädagogischen Familienhilfe erbracht habe (Buchstabe g der vorgenannten Richtlinie). Hinsichtlich des KESS-Projektes und der sozialen Trainingsstunden berufe sie sich auf Buchstabe i) der 6. RL. Sie sei nach § 75 SGB VIII als Trägerin der freien Jugendhilfe anerkannt, das Jugendamt übernehme als Träger für Sozialleistungen sämtliche Kosten der Fachleistungsstunden (§ 27 SGB I).

Den AdV-Antrag betreffend die Umsatzsteuerbescheide 2000 - 2004 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 31.08.2006 ab.

Die Antragstellerin hat am 17.10.2006 hinsichtlich der Bescheide 2000 - 2004 bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht (Az.: 2 V 126/06). Sie hält daran fest, dass ihre Leistungen nicht umsatzsteuerpflichtig seien, und macht geltend, die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide stelle eine unbillige Härte dar.

Den AdV-Antrag betreffend die Umsatzsteuerjahreserklärung 2005 hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 06.11.2006 abgelehnt. Hiergegen hat sie unter dem Aktenzeichen 2 V 137/06 am 14.11.2006 bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2000 - 2004 in vollem Umfang und

die Vollziehung der Umsatzsteuerfestsetzung 2005 in Höhe von 19.755,00 EUR auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor, dass die streitbefangenen Leistungen der Antragstellerin aus pädagogisch-psychologischer Beratung, nämlich die ambulanten Fachleistungsstunden, Leistungen im Rahmen des KESS-Projektes sowie die sozialen Trainingsstunden nach nationalem Umsatzsteuerrecht nicht steuerbefreit und nach der Entscheidung des BFH vom 18.08.2005 auch nicht unter unmittelbarer Berufung auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g) oder i) der 6. RL steuerbefreit seien.

Dem Senat lagen ein Band Umsatzsteuerakten 2000 - 2004, ein Band Umsatzsteuerakten 2005, ein Band Betriebsprüfungsakten und ein1 Band Betriebsprüfungshandakten vor.

II. Die Entscheidung über die Verbindung der Verfahren 2 V 126/06 und 2 V 137/06 beruht auf § 73 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

1) 2000 - 2004

Der gem. § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist begründet. Der Senat hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzungen 2000 - 2004, soweit Leistungen der Antragstellerin im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe, nämlich der Betreuung und Versorgung von Kindern in Notsituationen (§ 20 SGB VIII), der sozialpädagogischen Familienhilfe (§ 31 SGB VIII), des KESS-Projektes (§ 28 SGB VIII), der Sorgerechtsberatung (§ 17 Abs. 2 SGB VIII) und der Jugendsozialarbeit (§ 13 Abs. 1 SGB VIII) als umsatzsteuerpflichtig behandelt wurden.

Die streitbefangenen Umsätze der Antragstellerin sind nach nationalem Recht gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar. Sie sind aber nicht steuerbefreit. Als steuerbefreiende Vorschriften dürften allein die in § 4 UStG geregelten Tatbestände in Betracht zu ziehen sein. Indessen ist nicht ersichtlich, dass eine dieser Normen, etwa § 4 Nr. 14, Nr. 15, Nr. 18 Nr. 23 oder Nr. 25 UStG die Tätigkeiten der Antragstellerin erfassen und steuerfrei belassen würde. Das ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Die Antragstellerin kann sich für die Steuerfreiheit ihrer Tätigkeiten, soweit das Jugendamt die Kosten getragen hat, jedoch unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstaben g, h) und i) der 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17.5.1977 (ABl EG Nr. 1 145 S. 1, ber. ABl EG 1977, Nr. 1 157 S. 23, Nr. 1 173 S. 27, Nr. 1 242 S. 22 und Nr. 1 262 S. 44 -6. RL-) berufen.

Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstaben g), h) und i) bestimmen:

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

g) die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen,

h) die eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen,

i) die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung.

Das deutsche Umsatzsteuergesetz hat diese Richtlinienbestimmungen nicht hinreichend umgesetzt. Ein Einzelner kann sich in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen aber auf Bestimmungen einer Richtlinie, die die Tätigkeiten, die steuerfrei sind, ihrerseits hinreichend genau und unbedingt aufzählt, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen (vgl. BFH, Urteil vom 18.08.2005, V R 71/03 BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143, mit weiteren Nachweisen).

Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstaben g), h) und i) der 6. RL zählen die Tätigkeiten, die steuerfrei sind, hinreichend genau und unbedingt auf. Es sind dies die eng mit der Sozialfürsorge verbundenen Dienstleistungen gem. Buchstabe g (vgl. dazu BFH, Urteil vom 18.08.2005, V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143), die eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen gem. Buchstabe h (vgl. dazu Hessisches FG, Urteil vom 13.12.2005, 6 K 4053/04, EFG 2006, 937 und Niedersächsisches FG, Urteil vom 28.09.2006, 16 K 76/05, juris), und die Erziehung von Kindern und Jugendlichen sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen gem. Buchstabe i (vgl. FG Köln, Urteil vom 29.01.2007 7 K 6072/04, juris).

Die Antragstellerin hat Leistungen im Rahmen der Betreuung und Versorgung von Kindern in Notsituationen gem. § 20 SGB VIII sowie Leistungen der sozialpädagogischen Familienhilfe (§§ 27, 31 SGB VIII) aufgrund entsprechender Vereinbarungen mit dem Jugendamt, dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (vgl. § 69 SGB VIII) erbracht.

Nach § 20 Abs. 1 SGB VIII sollen Elternteile unter bestimmten weiteren Voraussetzungen bei der Betreuung und Versorgung von im Haushalt lebenden Kindern unterstützt werden, wenn der (andere) Elternteil, der die überwiegende Betreuung des Kindes übernommen hat, für die Wahrnehmung dieser Aufgabe aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen ausfällt.

Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt, § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII. Nach § 31 SGB VIII soll sozialpädagogische Familienhilfe durch intensive Betreuung und Begleitung von Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben.

Die Antragstellerin hat mit den von ihr so bezeichneten ambulanten Fachleistungsstunden Leistungen erbracht, deren Art und Umfang im Sozialgesetzbuch beschrieben sind. Nach § 1 Abs. 1 SGB I soll das Recht des Sozialgesetzbuches zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer und erzieherischer Hilfe gestalten. Leistungen, wie die von der Antragstellerin im Rahmen der Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 16 - 21 SGB VIII) und der Hilfe zur Erziehung (§§ 27 - 35 SGB VIII) erbrachten Leistungen, konkret die Betreuung und Versorgung von Kindern in Notsituationen (§ 20 SGB VIII) und die sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31 SGB VIII), sind danach eng mit der sozialen Fürsorge im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g) 6. RL verbunden (vgl. BFH, Urteil vom 18.08.2005, V R 71/03 BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143), sie stellen eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistungen, (Buchstabe h) und eng mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen verbundene Dienstleitungen (Buchstabe i) dar.

Soweit die Antragstellerin im Rahmen des KESS-Projektes für das Jugendamt tätig geworden ist, indem sie in einer Schule pädagogische Hilfestellungen bei auffälligem Verhalten von Kindern, das auf Erziehungsprobleme im Elternhaus hindeutete, anbot, gehört dies bei summarischer Betrachtung zu den im SGB VIII geregelten sozialfürsorglichen und eng mit der Erziehung von Kindern verbundenen Aufgaben der Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Nach § 28 SGB VIII sollen Erziehungsberatungsstellen und andere Beratungsdienste und -einrichtungen Kinder, Jugendliche, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und der zugrundeliegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung unterstützen. Erziehungsberatung in der Schule stellt danach eine eng mit der Sozialfürsorge und mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen verbundene Dienstleistung im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstaben g) und i) der 6. RL dar.

Die Unterstützung von Eltern im Falle der Trennung oder Scheidung unter angemessener Beteiligung betroffener Kinder oder Jugendlicher bei der Entwicklung eines einvernehmlichen Konzeptes für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge, das auch als Grundlage für richterliche Entscheidungen über die elterliche Sorge dienen kann (Sorgerechtsberatung), ist in § 17 Abs. 2 SGB VIII als Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe geregelt. Entsprechende Tätigkeiten unterfallen eng mit der Sozialfürsorge und eng mit Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstaben g) und h) der 6. RL.

Das mit dem Jugendamt abgestimmte Angebot von Trainingskursen für gewaltbereits Jugendliche mit dem Ziel des Anlernens, provozierende Situationen gewaltfrei zu überstehen, dürfte in § 13 SGB VIII als Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe beschrieben sein. Danach sollen jungen Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, im Rahmen der Jugendhilfe sozialpädagogische Hilfen angeboten werden, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und - was hier einschlägig sein dürfte - ihre soziale Integration fördern. Derartige Jugendsozialarbeit ist ebenfalls eng mit sozialer Fürsorge verbunden, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g) 6. RL.

Bei der Antragstellerin und ihrer beruflichen Tätigkeit handelt es sich um eine "von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung" im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstaben g), h) und i) 6. RL.

Der Begriff "Einrichtung" in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstaben g), h) und i) der 6. RL ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen (vgl. BFH, Urteil vom 18.08.2005, V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 mit weiteren Nachweisen). Die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter kann bereits aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden (BFH, Urteil vom 18.08.2005, V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 mit weiteren Nachweisen).

Die Antragstellerin hat angegeben, ihre Leistungen in Abstimmung mit dem Jugendamt erbracht und sämtliche Kosten mit diesem, dem für die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zuständigen Leistungsträger für die betreffende Sozialleistung (§ 12 und § 27 SGB I) abgerechnet zu haben. Das hat die Außenprüfung nicht in Frage gestellt.

Dabei kann dahinstehen, ob die Antragstellerin, wie vorgetragen, tatsächlich als Trägerin der freien Jugendhilfe im Sinne des § 75 SGB VIII wirksam anerkannt worden ist.

Soweit die Antragstellerin aus Vortragstätigkeit grundsätzlich umsatzsteuerpflichtige Umsätze erzielte, lagen die Umsätze unter den Grenzbeträgen für Kleinunternehmer nach § 19 UStG und waren deshalb nicht zu versteuern.

2) 2005

Der Antrag im Sinne des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO, die Vollziehung der Umsatzsteuerfestsetzung 2005 auszusetzen, ist unbegründet. Dem Antrag steht die Bestandskraft der Steuerfestsetzung entgegen.

Die beim Antragsgegner am 22.05.2006 eingegangene Umsatzsteuerjahreserklärung für 2005 steht gem. § 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 168 Abs. 1 AO als Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Die Steueranmeldung war wegen der verbliebenen Umsatzsteuer nicht zustimmungsbedürftig, § 168 Satz 2 AO. Der Antragsgegner hat auch keine Zustimmung erklärt. Nach § 355 Abs. 1 Satz 2 AO ist ein Einspruch gegen eine Steueranmeldung innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde, in den Fällen des § 168 Satz 2 innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden der Zustimmung, einzulegen. Die Monatsfrist war nach dem Eingang der Steueranmeldung bei dem Finanzamt am 22.05.2006 verstrichen, ohne dass die Antragstellerin gegen ihre Umsatzsteuerjahreserklärung Einspruch eingelegt hätte. Die Umsatzsteuerfestsetzung 2005 ist daher bestandskräftig geworden.

Die Antragstellerin hat zwar mit Schriftsatz vom 24.10.2006 bei dem Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung ihrer Umsatzsteuerjahreserklärung 2005 beantragt. Sie wendet sich mit dem Schriftsatz auch inhaltlich gegen die Wirkungen der Steueranmeldung, nämlich gegen entsprechende Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, indem sie geltend macht, die Umsatzsteuerfestsetzungen seien im Hinblick auf Steuerbefreiungen nicht rechtens. Wäre der Schriftsatz innerhalb der Einspruchsfrist bei dem Antragsgegner eingegangen, könnte er ohne Weiteres als Einspruch gegen die Steuerfestsetzung ausgelegt werden. Nach dem Ablauf der Monatsfrist kann der Schriftsatz jedoch nicht mehr als Einspruch ausgelegt werden. Er würde dann in einen wegen Verfristung unzulässigen Rechtsbehelf umgedeutet werden, was nicht im Sinne der Antragstellerin liegen.

Damit liegt im Streitfall kein Einspruch/Rechtsbehelf vor, in dessen Rahmen allein ein AdV-Antrag Erfolg haben könnte.

§ 361 Abs. 1 AO fordert, ebenso wie § 69 Abs. 3 und Abs. 2 FGO, dass der Verwaltungsakt, dessen Vollziehung ausgesetzt werden soll, durch außergerichtlichen Rechtsbehelf oder durch Klage angefochten sein muss und noch nicht bestandskräftig geworden sein darf. Das bedeutet, dass die AdV eines nicht angefochtenen Verwaltungsaktes nicht begehrt werden kann (vgl. Koch in Gräber, FGO, 6. Aufl., § 69 Rdn. 33 f. mit Nachweisen auf die Rechtsprechung; vgl. Brockmeyer in Klein, AO, 9. Aufl. § 361 Rdn. 8). So liegt es hier. Die Steuerfestsetzung ist nach Ablauf eines Monats nach Eingang der Umsatzsteuerjahreserklärung bei dem Finanzamt am 22.05.2006 bestandskräftig geworden. Zur Prüfung, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen, kommt es aber nicht mehr, wenn der Verwaltungsakt bestandskräftig ist (Koch in Gräber, FGO, 6. Aufl. § 69 Rdn. 98; ebenso zu der Frage, ob ein AdV-Antrag gegen einen bestandskräftigen Bescheid unzulässig oder unbegründet ist).

Der Schriftsatz vom 24.10.2006 ist vielmehr als Antrag nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO auszulegen. Danach kann ein Steuerpflichtiger die Aufhebung oder Änderung der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Der Antrag nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO ist - im Gegensatz zum Einspruch nach § 347 AO - kein Rechtsbehelf; der Bescheid, dessen Änderung begehrt wird, ist deshalb nicht "angefochten" im Sinne des § 69 FGO. Entsprechend ermöglicht der Antrag nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO keine Aussetzung der Vollziehung (FG Köln, Beschluss vom 7.10.1994, 1 V 4851/94, EFG 1995, 190; Tipke/Kruse, AO § 164 Tz. 42).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Der Senat hat die Beschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen, §§ 128 Abs. 3 i.V.m. 115 Abs. 2 FGO.

[...]

Der Streitwert wird auf 13.766,00 EUR festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

Ende der Entscheidung

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