Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 13.08.2008
Aktenzeichen: 1 K 2045/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 10d
EStG § 23 Abs. 3 S. 8 Hs. 2
EStG § 23 Abs. 3 S. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

1 K 2045/06

In der Streitsache

...

hat der 1. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

... sowie

der ehrenamtlichen Richter ... und ...

ohne mündliche Verhandlung

am 13. August 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist die Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften.

Die Klägerin wird beim Beklagten - dem Finanzamt (FA) - zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Zum 31. Dezember 2003 hatte das FA den verbleibenden Verlustvortrag für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften auf 30.374 EUR festgestellt. Für das Jahr 2004 setzte das FA mit Bescheid vom 10. November 2005 eine ESt von 0 EUR fest. Dabei zog es von den erklärten Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 950 EUR eben diesen Betrag im Wege des Verlustvortrags ab und errechnete ein zu versteuerndes Einkommen von -449 EUR. Auch ohne diesen Verlustvortrag hätte sich ein zu versteuerndes Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages ergeben. Folgerichtig stellte das FA den verbleibenden Verlustvortrag zur ESt zum 31. Dezember 2004 für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Bescheid vom 10. November 2005 wie folgt gesondert fest (in EUR):

 verbleibender Verlustvortrag zum 31.12.2003: 30.374
davon ab: Verlustabzug lt. ESt-Bescheid 2004: 950
(ergibt:) verbleibender Verlustvortrag zum 31.12.2004: 29.424

Der Einspruch der Klägerin gegen die Bescheide über ESt 2004 und die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur ESt zum 31. Dezember 2004 blieb in der Einspruchsentscheidung (EE) vom 28. April 2008 ohne Erfolg.

Die Klägerin will mit Ihrer Klage erreichen, dass eine Verlustverrechnung bei der ESt- Festsetzung 2004 entsprechend folgender Berechnung unterbleibt (in EUR):

 Gesamtbetrag der Einkünfte lt. Steuerbescheid 6.834
zuzüglich Veräußerungsgewinne 2004 950
ergibt 7.784
abzüglich Altersentlastungsbetrag (40% von 950) 380
ergibt Gesamtbetrag der Einkünfte 7.404

Da dieser Gesamtbetrag der Einkünfte unter dem Grundfreibetrag liege, dürfe eine weitergehende Verrechung mit einem bestehenden Verlustvortrag nicht erfolgen. Auch widerspreche der Verlustverbrauch bei der Berechnung des FA der Regelung, wonach bei Einkünften unterhalb der Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 6 Einkommensteuergesetz (EStG) kein solcher Verbrauch eintrete.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Änderung des Bescheides vom 10. November 2005 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur ESt zum 31. Dezember 2004 und Aufhebung der EE vom 28. April 2008 den verbleibenden Verlustvortrag zur ESt zum 31. Dezember 2004 auf 30.374 EUR festzustellen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verweist im Wesentlichen auf die EE.

II. Die Klage ist nicht begründet.

Das FA hat die Verlustverrechnung zutreffend nach Ermittlung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften und vor Abzug des Altersentlastungsbetrages vorgenommen.

Die Klage der Klägerin wird dahingehend ausgelegt, dass sie sich alleine gegen den Verlustfeststellungsbescheid, nicht aber gegen die ESt-Festsetzung mit einer Steuer Null richtet. Im Übrigen wäre eine Klage insoweit, als sie sich gegen die ESt-Festsetzung richtete, unzulässig.

Die Klägerin ist durch eine Steuerfestsetzung von Null nicht beschwert.

1. Nach § 23 Abs. 3 Satz 8 Halbsatz 2 EStG (in der für das Streitjahr geltenden Fassung) dürfen Verluste aus Veräußerungsgeschäften nicht nach § 10d EStG abgezogen werden.

Die Verluste mindern jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt (§ 23 Abs. 3 Satz 9 EStG). Während diese Vorschrift somit eine Verlustverrechnung mit künftigen Einkünften vorsieht, findet die Verlustverrechnung des § 10d Abs. 2 EStG mit dem Gesamtbetrag der Einkünfte statt, mithin - bezogen auf den Streitfall - nach Abzug des Altersentlastungsbetrages. Die Frage, an welcher Stelle die Verrechnung zu erfolgen hat, ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Die Literatur liest aus der Formulierung "nach Maßgabe des § 10d" in § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG teils, dass die Verrechnung ebenso wie sonst mit dem Gesamtbetrag der Einkünfte zu erfolgen habe (so Lutterbach, Deutsches Steuerrecht [DStR] 1999, 521), sonst gibt sie überwiegend, jedoch ohne nähere Auseinandersetzung, dem Wortlaut des § 23 EStG mehr Gewicht, so dass die Verrechnung bei der Ermittlung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erfolgen soll (so Musil in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG § 23 Rz. 321, ohne nähere Begründung; Walter/Stümper, DStR 2002, 204, allerdings zur Berücksichtigung der Freigrenze beim Verlustrücktrag; Blümich-Glenk, § 23 EStG Rz. 198, ohne Begründung; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 5. Oktober 2000 IV C 3-S 2256-263/00, BStBl I 2000, 1383, Tz. 42, nicht eindeutig; ebenfalls nicht eindeutig ist die Gesetzesbegründung: vgl. Drucksache des Deutschen Bundestags 14/443, S. 34; ohne nähere Begründung: Schmidt/Heinicke, EStG, 21. Auflage, § 23 Rz. 55 a.E., keine Stellungnahme in der aktuellen Auflage; offen gelassen in Littmann/Jacobs- Soyka, EStG § 23 Rz. 189). Die Finanzverwaltung nimmt die Verrechnung auf der Ebene der Einkünfte vor. Die Instanzrechtsprechung hat sich - allerdings zur Frage der Berücksichtigung der Freigrenze - für die Verrechnung auf der Ebene der Ermittlung der Einkünfte entschieden (Finanzgericht [FG] München, Urteil vom 14. Mai 2004 8 K 1811/02, Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1529; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. November 2002 2 K 1545/02, DStRE 2003, 791). Diese Urteile hat der Bundesfinanzhof (BFH) zwar aufgehoben. Allerdings geht er dabei implizit von einer Verrechnung unmittelbar nach Ermittlung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften des Vortragsjahres aus (BFH-Urteil vom 11. Januar 2005 IX R 27/04, BStBl II 2005, 433; Parallelentscheidung vom gleichen Tag: IX R 13/03, BFH/NV 2005, 1254).

2. Der erkennende Senat legt die entsprechenden Normen dahingehend aus, dass dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG hinsichtlich des Orts der Verrechnung Vorrang gegenüber dem Verweis auf § 10d EStG zu geben ist. Zwar scheint der Gesetzgeber sich über die Problematik der durch den Verweis auftretenden Mehrdeutigkeit nicht bewusst gewesen zu sein. Allerdings ist erkennbar, dass er das vorher bestehende Verlustvortragsverbot lediglich in Reaktion auf die Rechtsprechung und nur soweit auflockern wollte, dass die Verrechnung Verfassungsgrundsätzen entspricht. Dies spricht für die "engere" Verrechnung auf der Einkünfte- Ebene. Auch Praktikabilitätserwägungen sprechen eher für die Verrechnung mit den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften. Anderenfalls müsste - wie der Streitfall zeigt - für Zwecke der Verlustverrechnung auf der Ebene des Gesamtbetrags der Einkünfte eine erneute Aufteilung des soeben gebildeten Gesamtbetrags der Einkünfte in die Einkunftsarten und eine - vermutlich anteilige - Zurechnung etwa des Altersentlastungsbetrages erfolgen. Dies kann der Gesetzgeber nicht beabsichtigt haben, weil dies auch die bislang übliche Darstellung in den ESt-Bescheiden verkomplizierte. Vielmehr ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber bei der Neuformulierung des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG die Begrifflichkeit des § 2 EStG im Auge hatte und der Verweis "nach Maßgabe" nicht auch den Ort der Verrechnung umfassen sollte.

Dass damit in der Folge im Einzelfall ein Verlustvortrag "verbraucht" wird, auch wenn das Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages liegt, ist unter Grundrechtsgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Insoweit ist die Rechtslage dieselbe wie sonst beim Verlustvortrag.

Anders als beim Verlustrücktrag (vgl. § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG) sieht das Gesetz beim Verlustvortrag kein Wahlrecht des Steuerpflichtigen vor, das diesem erlaubte, die Höhe der Verrechnung zu bestimmen. Diese gesetzliche Regelung stellt keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) dar (ebenso BFH-Urteil vom 18. Dezember 1990 VIII R 7/87, BFH/NV 1991, 520, m.w.N.).

Der Verlustvortrag ist nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut auch in Veranlagungszeiträumen zwingend vorzunehmen, in denen der Steuerpflichtige ein Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages nach § 32a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat. Die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Entscheidung vom 25. September 1992 2 BvL 5/91, 8/91 und 14/91, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 zur Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages entwickelt hat, bedingen nicht eine vom Wortlaut abweichende Auslegung. Nach diesen Grundsätzen muss dem der ESt unterworfenen Steuerpflichtigen nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen so viel verbleiben, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts bedarf. Die Höhe des steuerlich zu verschonenden Existenzminimums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Mindestbedarf ab. Der Steuergesetzgeber muss dem Einkommensbezieher von seinen Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt.

Im Fall des Verlustvortrages greift der Steuerfiskus nicht nach dem zu verschonenden Existenzminimum.

Die Einkünfte der Klägerin bleiben im Vortragsjahr 2004 vollständig von Besteuerung verschont. Auch in künftigen Jahren würde sich ein höherer Verlustvortrag allenfalls im Bereich oberhalb des Existenzminimums auswirken können. Somit kann ein Eingriff in das zu verschonende Existenzminimum ausgeschlossen werden.

Dass andere Steuerpflichtige, die nicht wie die Klägerin ein zu versteuerndes Einkommen (vor Verlustverrechnung) knapp über dem Existenzminimum aufweisen, sondern eines in doppelter Höhe dieses Betrages, im Einzelfall eine gleiche Steuerbelastung aufweisen mögen, könnte allenfalls als Verstoß gegen den Gleichheitssatz Bedeutung erlangen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Verlustvortrag jedoch auch in Veranlagungszeiträumen zwingend vorzunehmen, in denen sich der Verlustabzug aus anderen Gründen steuerlich nicht auswirkt oder sich andere Vergünstigungen wegen des Verlustabzugs nicht auswirken (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Oktober 1997 XI B 11/97, BFH/NV 1998, 594; BFH-Urteil vom 28. Juni 1968 VI R 214/66, BStBl II 1968, 774). Diese Regelung stellt nach einhelliger Rechtsprechung keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar (ebenso FG Hamburg, Urteil vom 1. März 1999 II 318/98, JurisNr. STRE997139770 ; FG Münster, Urteil vom 5. Mai 2003 4 K 6325/99 F, EFG 2003, 1156; FG München, Urteil vom 5. Juni 2002 1 K 1546/01, EFG 2002, 1223). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Durch § 10d EStG werden nicht bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen schlechter als andere gestellt. Lediglich durch zufällige Schwankungen in der Gewinn- bzw. Verlustentwicklung sowie bei der Höhe der vom Einkommen abziehbaren Beträge kann es dazu kommen, dass in einem Extremfall der Verlustabzug volle steuerliche Wirkung entfaltet und in einem anderen sich als wirkungslos erweist.

Ein von der Regelung des § 10d EStG betroffener Steuerpflichtiger kann in einem Jahr ein Begünstigter, in einem Folgejahr ein Benachteiligter sein. Das Verfahren ist daher nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen, um eine Entscheidung des BVerfG einzuholen.

3. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall hat das FA zutreffend im Vortragsjahr zunächst die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit 950 EUR ermittelt, sodann die Freigrenze des § 23 Abs. 3 Satz 6 EStG geprüft (im Streitfall nicht einschlägig) und danach den Verlustvortrag vorgenommen. Als nächsten Schritt hat es zutreffend die Summe der Einkünfte gebildet und danach den Altersentlastungsbetrag abgezogen (§ 2 Abs. 3 EStG). Bei der Bemessung des Altersentlastungsbetrages hat es zutreffend die im Jahr 2004 erzielten Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Null berücksichtigt, weil sich nach dem Verlustvortrag keine positive Summe der Einkünfte insoweit ergab (§ 24a EStG). Der bei der Verlustfeststellung verbrauchte Verlust beträgt daher - wie vom FA zutreffend angesetzt - 950 EUR.

4. Soweit sich die Klägerin auf den vermeintlichen Rechtssatz beruft, dass bei Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften im Vortragsjahr unterhalb der Freigrenze kein Verlust im Wege des Vortrags verbraucht würde, so ist dies eine notwendige Folge des Prinzips der Freigrenze (bei der vom Gesetzgeber gewählten Verrechnungssystematik; vgl. zum Rücktrag: BFH-Urteil vom 11. Januar 2005 IX R 27/04, BStBl II 2005, 433) und als notwendiger Ausfluss dieser Vereinfachung hinzunehmen. Eine unter Verfassungsgesichtspunkten zu beanstandende Ungleichbehandlung kann darin nicht gesehen werden (siehe dazu die oben zitierte Rechtsprechung).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

Zurück