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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 09.05.2005
Aktenzeichen: 1 K 3684/03
Rechtsgebiete: SGB I, EStG 1997


Vorschriften:

EStG 1997 § 20 Abs. 1 Nr. 7
EStG 1997 § 20 Abs. 2 Nr. 1
EStG 1997 § 22 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 Buchst. a
SGB I § 44 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Streitsache

wegen Einkommensteuer 1998

hat der 1. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht ..., des Richters am Finanzgericht ... und des Richters am Finanzgericht ... sowie der ehrenamtlichen Richter ... und ... auf Grund mündlicher Verhandlung vom 9. Mai 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Einkommensteuerbescheid 1998 vom 10. Februar 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 2003 wird in der Weise geändert, dass die Einkommensteuer auf 121.581 DM bzw. 62.163,38 EUR herabgesetzt wird.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.

Streitig ist die Steuerbarkeit von Zinsen, die aufgrund eines Rentennachzahlungsbescheids ausgezahlt werden.

Die Kläger (Kl) sind seit dem 3. Dezember 1990 verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Erst nach mehrjährigen, z.T. auch vor dem Sozialgericht geführten Auseinandersetzungen mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) wurde der Klägerin (Klin; ...) mit Rentenbescheid vom 15. September 1998 (Einkommensteuer - ESt - Akte 1998, Bl 7) ab 1. November 1998 eine laufende Erwerbsunfähigkeitsrente von monatlich brutto 1.574,27 DM (netto 1.451,48 DM) bis längstens zur Vollendung des 65. Lebensjahrs bewilligt. Die Erwerbsunfähigkeitsrente beruht auf einem schweren Verkehrsunfall, den die Klin im Januar 1984 erlitten hatte.

Außerdem wurde mit diesem Bescheid für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Oktober 1998 eine Rentennachzahlung in Höhe von brutto 122.926,88 DM gewährt. Zur Auszahlung kamen aber lediglich die um die Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsanteile der Klin gekürzten Rentenbeträge. Dieser Rentenbescheid, auf den Bezug genommen wird, weist ferner für die Zeit vom Februar 1992 bis August 1998 eine Zinsnachzahlung in Höhe von 14.376,59 DM aus, deren Besteuerung streitig ist.

In einem weiteren Rentenbescheid vom 8. September 1998 bewilligte die BfA für die Zeit vom 1. Februar 1987 bis 31. Dezeber 1991 eine Rentennachzahlung von zusammen 69.502,03 DM. In diesem Bescheid sind Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung in Höhe von 4.585,33 DM ausgewiesen. Sämtliche (um Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsanteile gekürzte) Rentennachzahlungen samt Zinsen wurden im Streitjahr (1998) an die Klin ausgezahlt.

Im Rahmen des Veranlagungsverfahrens machten die Kl geltend, dass es für die Besteuerung der Zinsen keine Rechtsgrundlage gebe. Weder § 20 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) noch § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG seien einschlägig.

Abweichend davon berücksichtigte der Beklagte (das Finanzamt -FA-) die Zinseinnahmen im Einkommensteuerbescheid 1998 vom 16. März 2000 als Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Im Einkommensteueränderungsbescheid 1998 vom 26. September 2000, in dem die Einkünfte aus Kapitalvermögen unverändert blieben, wurden ferner die Rentenzahlungen aufgeteilt in im Streitjahr entstandene Einnahmen (17.402 DM × 50 % Ertragsanteil = 8.701 DM) und in Rentennachzahlungen, die für die Zeit vom 1. Februar 1987 bis 31. Dezember 1995 geleistet und mit einem Ertragsanteil von 45 % (130.414 DM × 45 % = 58.686 DM) angesetzt wurden, sowie in für die Jahre 1996-1997 geleistete Rentennachzahlungen, die mit einem Ertragsanteil von 50 % (26.899 × 50 % = 13.449 DM) berücksichtigt wurden. Die unterschiedlichen Ertragsanteilssätze basieren auf der änderung der Ertragsanteilstabelle in § 55 Abs. 2 Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV), deren Werte ab dem Jahr 1996 durch das Jahressteuergesetz 1996 angehoben wurden (vgl. Verfügung der Oberfinanzdirektion -OFD- München vom 3. August 1998 S 2255-43 St 416, ESt-Kartei zu § 22 Nr. 1, Karte 2.1).

Dieser Einkommensteuerbescheid wurde aus nicht streitbefangenen Gründen mehrmals geändert, zuletzt durch Einkommensteuerbescheid vom 10. Februar 2003. In diesem Bescheid ist ausgeführt, dass die Rentennachzahlungen nicht nach § 34 Abs. 3 EStG besteuert worden seien, da sich dadurch eine höhere steuerliche Belastung ergeben würde. Der Ansatz der Zinsen blieb unverändert.

Im Einspruchsverfahren vertraten die Kl weiterhin die Auffassung, dass es sich bei der Zinsnachzahlung nicht um Einkünfte aus Kapitalvermögen handele. Die Zinsen seien gem. § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) I bezahlt worden. Es sei deshalb weder ein Ertrag aus sonstigen Kapitalforderungen noch ein besonderes Entgelt gegeben. Nach der einschlägigen Gesetzesbegründung zu § 44 Abs. 1 SGB I würden die Zinsen nicht i.S. eines Ertrags gezahlt. Vielmehr stellten die Zinsen einen Pauschalausgleich für erlittene Nachteile dar, da es in der Gesetzesbegründung wörtlich heiße:

"Mit Einführung der Verzinsung zieht der Gesetzgeber die Konsequenz daraus, dass soziale Geldleistungen in der Regel die Lebensgrundlage des Leistungsberechtigten bilden und daher, wenn sie verspätet gezahlt werden, Kreditaufnahmen, die Auflösung von Ersparnissen oder die Einschränkung der Lebensführung notwendig machen.

Diese Nachteile sollen durch die Verzinsung ausgeglichen werden".

Wegen der vom Gesetzgeber gewollten Abgeltungs- und Ausgleichsfunktion unterlägen die Zinsen keinem Einkünftetatbestand.

Im übrigen sei es auch nicht gerechtfertigt, die Zahlungen der Erwerbsunfähigkeitsrente unter die Vorschrift des § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG zu subsumieren. Die Rente könne nicht im Entferntesten als ein "Ertrag aus dem Rentenrecht" angesehen werden. Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn die Rente aus einer gesetzlichen Unfallversicherung gem. § 3 Nr. 1a EStG steuerfrei belassen werde, eine Erwerbsunfähigkeitsrente dagegen nicht.

Im Schreiben vom 30. September 2002 führten die Kl aus, dass sie den Einspruch hinsichtlich der Steuerfreiheit der Renteneinkünfte zurücknehmen würden, falls das FA keine Möglichkeit zu einer analogen Anwendung des § 3 Nr. 1 a EStG sehe. Ferner beanstandeten sie, dass durch die Besteuerung der Nachzahlung im Streitjahr der Werbungskostenpauschbetrag nur einmal statt elfmal abgezogen werde.

Im Schreiben vom 19. Mai 2003 (ESt-Akte 1998, Bl 87) teilten die Kl mit, dass sie sich nicht entschließen könnten, den Einspruch zurückzunehmen. Ferner vertraten sie die Auffassung, dass die Verfügung der OFD München vom 3. August 1998 keine Rechtsgrundlage darstelle, die Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu besteuern. Auf dieses Schreiben wird Bezug genommen.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung -EE-vom 28. Juli 2003).

Im Klageverfahren vertreten die Kl weiterhin die Auffassung, dass es sich bei den Zinsen um einen pauschalierten Nachteilsausgleich handele und nicht um ein Entgelt für eine Kapitalüberlassung bzw. Kapitalnutzung, wie dies in § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG vorausgesetzt werde. Bei einer Sozialversicherungsrente könne bis auf die Beitragszahlungen von einer Kapitalüberlassung keine Rede sein. Der Gesetzgeber habe die Verzinsung aus rein sozialen Gründen angeordnet. Die Zinsen hätten somit keinen Entgeltcharakter.

Hinzu komme im konkreten Fall, dass die Zinszahlung auch dem teilweisen Ausgleich von Inflationsverlusten diene, die durch die verspätete Auszahlung entstandenen seien. Es würde daher dem Sinn und Zweck der Regelung in § 44 Abs. 1 SGB I widersprechen, wenn die im Rentenbescheid ausgewiesenen Zinsen wie normale Zinsen aus Kapitalforderungen behandelt würden.

Die vom FA vertretene Ansicht führe zu dem ungereimten Ergebnis, dass die Hauptforderung mit dem Ertragsanteil niedriger besteuert würde als die als Nebenforderung geltend gemachte Zinszahlung.

In der Klageschrift vom 25. August 2003 verweisen die Kl ferner auf ihr Schreiben vom 19. Mai 2003 und einen darin angeblich gestellten Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gem. § 163 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Dieser Antrag sei vom FA bislang ignoriert worden. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen worden, dass die seinerzeit noch nicht verheiratete Klin, falls sie die Rentenzahlungen rechtzeitig erhalten hätte, in den Jahren 1987 und 1988 mangels anderweitiger Einkünfte überhaupt keine Einkommensteuer zu zahlen gehabt hätte und in den Jahren ab 1989 wegen der vergleichsweise niedrigeren Progression deutlich weniger.

Nachdem das FA mitgeteilt hatte, dass ihm ein Antrag gem. § 163 Abs. 1 AO nicht vorliege, legten die Kl mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2003 eine Kopie ihres Schreibens vom 19. Mai 2003 vor, in der auf der Rückseite zur Seite 1 eine Seite 2 abgedruckt ist, die der ursprünglich dem FA überlassenen Ausfertigung nicht beigefügt war. Der Billigkeitsantrag erstrecke sich in erster Linie auf die Rentennachzahlung, hilfsweise aber auch auf die Zinsen. Es wurde deshalb eine baldige Entscheidung des FA über den gestellten Antrag angeregt. Es sei nicht prozessökonomisch, wenn das Finanzgericht vorab allein über die Verzinsungsfrage entscheide.

Das FA lehnte eine Vorabentscheidung über den erstmals im gerichtlichen Verfahren gestellten Billigkeitsantrag ab. Es sei vielmehr zweckmäßig, wenn das Gericht über die Zinsfrage vorab entscheide. Raum für eine Billigkeitsmaßnahme bestehe erst dann, wenn die Einkommensteuerfestsetzung nicht bereits aus Rechtsgründen zu korrigieren sei. Außerdem sei die Vorabklärung der Zinsfrage gerechtfertigt, weil im Rahmen der Billigkeitsentscheidung neben der Zinsfrage auch über die Frage der Besteuerung der Erwerbsunfähigkeitsrente zu urteilen sei. Selbst dann, wenn der Antrag auf Billigkeitsentscheidung schon im Einspruchsverfahren gestellt worden wäre, sei das FA nicht gehindert gewesen, in der EE allein über die Frage der Steuerbarkeit der Zinsen zu entscheiden und die Frage der Billigkeit zunächst offen zu lassen.

Demgegenüber vertraten die Kl die Auffassung, dass eine Billigkeitsentscheidung auch von Amts wegen hätte ergehen können und müssen. Falls das FA eine derartige Entscheidung noch treffen sollte, werde die Klage gegebenenfalls entsprechend erweitert werden. Der Billigkeitsantrag betreffe allein die Besteuerung der Rentennachzahlung, nicht die Frage der Besteuerung der Zinsen.

Da über die Frage der Rentennachzahlung in der EE nicht entschieden worden sei, behielten sich die Kl auch insoweit die Erhebung einer Untätigkeitsklage vor. Die Besteuerung der Rentennachzahlung selbst sei aber bislang nicht Gegenstand des Prozesses.

Nachdem der Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, dass die bislang berücksichtigten Renteneinkünfte wegen Doppelabzugs der Kranken- und Pflegeversicherungsanteile zu niedrig angesetzt worden seien, erstellte das FA am 9. Mai 2005 eine Probeberechnung (Finanzgerichts-Akte Bl 78-81), auf die Bezug genommen wird und in der die Renteneinnahmen brutto (für die Jahre 1987-1991 mit 69.502 DM; für die Jahre 1992-1995 mit 70.155 DM; für die Jahre 1996-1997 mit 37.070 DM; für das Jahr 1998 mit 18.849 DM) berücksichtigt wurden. Dementsprechend wurde der gem. § 55 Abs. 2 EStDV zu ermittelnde Ertragsanteil für das Jahr 1998 mit 9.424 DM und für die Jahre 1987-1997 mit 81.380 DM angesetzt und hinsichtlich des Ertragsanteils der Nachzahlung für die Jahre 1987-1997 (81.380 DM) die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG gewährt.

Außerdem wurden in der Probeberechnung die von der Klin getragenen Kranken- und Pflegeversicherungsanteile im Rahmen des Sonderausgabenabzugs als zusätzliche Versicherungsbeiträge i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG in Höhe von 12.000 DM berücksichtigt.

In der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2005 erklärten sich die Beteiligten mit der änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids auf der Basis dieser Probeberechnung einverstanden.

Die Kl beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 10. Februar 2003 in Gestalt der EE vom 28. Juli 2003 in der Weise zu ändern, dass die Einkünfte der Klin aus Kapitalvermögen mit 0 DM, die sonstigen Einkünfte mit 90.604 DM und die Versicherungsbeiträge im Rahmen des Sonderausgabenabzugs mit 20.916 DM angesetzt werden, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage hinsichtlich der Minderung der Kapitaleinkünfte abzuweisen, dem Antrag hinsichtlich des höheren Sonderausgabenabzugs und der sonstigen Einkünfte aber stattzugeben, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 9. Mai 2005 wird Bezug genommen.

Gründe

II.

Die Klage ist nur zu einem geringen Teil begründet.

1. Korrektur aufgrund der Vorgaben der Probeberechnung vom 9. Mai 2005

Soweit in der Probeberechnung vom 9. Mai 2005 geänderte Besteuerungsgrundlagen enthalten sind (höherer Ansatz der sonstigen Einkünfte und der als Sonderausgaben abziehbaren Versicherungsbeiträge) und die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG berücksichtigt ist, ist die Klage begründet. Die insoweit vorgenommenen änderungen entsprechen dem übereinstimmenden Willen der Beteiligten und sind im übrigen von den gesetzlichen Vorgaben in § 22 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Satz 4 EStG i.V. mit § 55 Abs. 2 EStDV (abgekürzte Leibrenten) und § 10 Abs. 1 Nr. 2 a i.V. mit Abs. 3 EStG gedeckt.

2. Einkünfte aus Kapitalvermögen

Hinsichtlich der eigentlichen Streitfrage der Steuerbarkeit der Zinszahlungen ist die Klage nicht begründet. Gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist. Auf die Bezeichnung oder die zivilrechtliche Ausgestaltung der Kapitalanlage kommt es dabei nicht an (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 EStG). Nach ständiger Rechtsprechung fallen unter die Einkünfte aus Kapitalvermögen alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine Kapitalnutzung sind. Der Kapitalüberlassung kann dabei ein Darlehensvertrag, aber auch jeder andere Rechtsgrund zugrunde liegen. Auch eine vom Schuldner erzwungene Kapitalüberlassung bzw. eine unfreiwillige Vorenthaltung von Kapital kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 25. Oktober 1994 VIII R 79/91, BStBl II 1995, 121). Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Rückzahlung bzw. Auszahlung des Kapitals selbst einen steuerpflichtigen Vorgang darstellt.

Werden beispielsweise Entschädigungen nach dem Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) geleistet, die gem. § 3 Nr. 8 EStG steuerfrei sind, können zusätzlich gem. § 34 Abs. 1 BRüG geleistete Zinsen als Kapitaleinkünfte zu versteuern sein (BFH-Urteil vom 20. Mai 1980 VIII R 64/78, BStBl II 1981, 6). Ebenso sind auch Verzugs- und Prozesszinsen, die im Zusammenhang mit einer zunächst vorenthaltenen, dem Grund nach nicht steuerbaren Mehrbedarfsrente (Schadensersatz) gem. § 843 Abs. 1, 2. Alternative des Bürgerlichen Gesetzbuchs geleistet werden, als Einkünfte aus Kapitalvermögen steuerbar (BFH-Urteil vom 14. Dezember 1994 X R 106/92, BStBl II 1995, 410). Ebenso steht der Schadensersatzcharakter von Verzugszinsen einer Besteuerung nicht entgegen (BFH-Urteil vom 9. Mai 1989 VIII R 184/82, BFH/NV 1990, 283). Steuerbar sind alle Entgelte, die für Kapitalüberlassungen im weitesten Sinne entrichtet werden, gleichgültig, ob die Kapitalforderung vertraglich, hoheitlich oder anderweitig begründet wurde. Aus diesem Grunde unterliegen auch Zinsen der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, die wegen verspäteter Entschädigungszahlungen für eine faktische Bausperre gezahlt werden (BFH-Urteil vom 12. September 1985 VIII R 306/81, BStBl II 1986, 252; vgl. auch Urteil vom 22. April 1980 VIII R 120/76, BStBl II 1980, 570 zu Zinsen, die im Zusammenhang mit Enteigungsentschädigungen gezahlten wurden). Im Streitfall ergibt sich die Zinspflicht aus § 44 Abs. 1 SGB I. Danach sind sozialversicherungsrechtliche Ansprüche auf Geldleistungen für die Zeit von einem Monat nach Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 % zu verzinsen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen damit die Nachteile ausgeglichen werden, die der Berechtigte, für den die sozialen Geldleistungen regelmäßig die Lebensgrundlage bilden, durch die verspätete Zahlung der Sozialleistungen erleidet (BT-Drs 7/868). Entgegen der Ansicht der Kl ist der Anspruch auf Zahlung der Rentenleistungen somit vergleichbar mit einer verzinslichen Kapitalforderung. Die Zinsen werden von Gesetzes wegen gezahlt für das unberechtigte Vorenthalten der Rentenbezüge bzw. zum Ausgleich der mit der verspäteten Zahlung verbundenen Nachteile. Sie sind damit Entgelt für die zwangsweise überlassung von Kapital und unterliegen der Besteuerung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (gl.A. OFD München, Verfügung vom 3. August 1998 S 2255-43 St 416, ESt-Kartei zu § 22 Nr. 1, Karte 2.1). Ob die Zinszahlungen Schadensersatzcharakter haben oder ob sie, wie die Kl meinen, einen pauschalierten Nachteilsausgleich aus sozialen Gründen darstellen, ist steuerlich unerheblich. Die Zinszahlungen sind ferner nicht als Teil der Rentenleistungen zu beurteilen und dementsprechend lediglich mit dem Ertragsanteil zu besteuern. Der Zinsanspruch und der Anspruch auf Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente sind wesensverschieden. Durch die Besteuerung der Zinsen wird die Klin auch nicht doppelt belastet. Zwar ist der steuerpflichtige Anteil der Erwerbsunfähigkeitsrente ebenfalls als Zinsanteil zu charakterisieren (BFH-Urteil vom 22. Januar 1991 X R 97/89, BStBl II 1991, 686). In beiden Fällen handelt es sich aber um jeweils unterschiedliche Einkunftsquellen. Nicht gefolgt werden kann auch der Auffassung der Kl, wonach die Zinsen teilweise dem Ausgleich der in den betreffenden Jahren erlittenen Inflationsverluste dienten und deshalb nicht steuerbar seien. Die Berücksichtigung der Geldentwertung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen findet im geltenden Recht keine Grundlage (BFH-Urteil vom 12. September 1985 VIII R 306/81, BStBl II 1986, 252).

3. Keine Aussetzung des Verfahrens gem. § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO)

Eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des FA über den im Laufe des gerichtlichen Verfahrens gestellten, an das FA gerichteten Antrag auf Herabsetzung der Einkommensteuer 1998 aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO kommt im Streitfall nicht in Betracht. Entsprechend hat der Kl in der mündlichen Verhandlung seinem im Laufe des Klageverfahrens insoweit gestellten Antrag keinen Wert mehr beigemessen.

Das Gericht kann zwar, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder z.T. von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von der Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist (§ 74 FGO). Eine derartige Vorgreiflichkeit kann auch in dem Verhältnis Billigkeitsfestsetzung (Grundlagenbescheid) zur Einkommensteuerfestsetzung (Folgebescheid) gegeben sein. Bei der Entscheidung des Gerichts handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (BFH-Beschluss vom 31. Juli 1997 IX B 13/97, BFH/NV 1998, 201).

Wenn ein Antrag auf Billigkeitsentscheidung jedoch erstmals im gerichtlichen Verfahren gestellt ist, ist das Gericht grundsätzlich nicht gehalten bzw. verpflichtet, das Klageverfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung gestritten wird, auszusetzen (BFH-Beschluss vom 21. Oktober 1994 IV B 95/93, BFH/NV 1995, 325). So verhält es sich auch im Streitfall. Der Antrag auf Billigkeitsfestsetzung wurde erstmals im gerichtlichen Verfahren gestellt, da die Seite 2 des an das FA gerichteten Schreibens der Kl vom 19. Mai 2003 erstmals durch den an das Gericht gerichteten Schriftsatz vom 13. Dezember 2003 bekannt gemacht wurde. Dem in den Einkommensteuerakten abgehefteten Schreiben vom 19. Mai 2003 war die Seite 2 nicht beigefügt.

Im Streitfall ist das Ermessen auch deshalb nicht im Sinne einer Aussetzung des Verfahrens auf Null reduziert, weil die Fortführung des Einkommensteuerverfahrens weder die Interessen der Kl ernsthaft tangiert noch die Grundsätze der Prozessökonomie dem entgegenstehen.

Zum einen betreffen die von den Kl vorgetragenen Argumente für eine Billigkeitsentscheidung (Nichtberücksichtigung von Werbungskostenpauschbeträgen und Progressionsnachteilen durch die zusammengeballte Rentennachzahlung, analoge Anwendung des § 3 Nr. 1a EStG) die im vorliegenden Verfahren nicht streitige Rentenbesteuerung. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der streitigen Frage der Zinsbesteuerung und der gewünschten Billigkeitsentscheidung lässt sich folglich nicht erkennen. Zum anderen erleiden die Kl durch eine sofortige Entscheidung zur Einkommensteuer keine Nachteile, da der Einkommensteuerbescheid, falls später eine Billigkeitsentscheidung zugunsten der Kl erfolgen sollte, gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO von Amts wegen anzupassen wäre.

Hinzu kommt, dass ein weiteres Zuwarten bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Billigkeitsantrag wegen des unterschiedlichen Grads der Entscheidungsreife beider Verfahren zu einer voraussichtlich erheblichen Verzögerung des vorliegenden Rechtsstreits führen würde, was der Prozessökonomie widerspricht (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1992 V R 91/85, BFH/NV 1995, 836). Gestützt wird diese Erwägung durch die Weigerung des FA, eine Entscheidung im Rahmen des § 163 AO zu treffen, solange das vorliegende Verfahren nicht abgeschlossen ist.

4. Kostenentscheidung

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Den Kl waren die Kosten in vollem Umfang aufzuerlegen, da das FA nach dem Ergebnis dieser Entscheidung nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

5. Zulassung der Revision

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Soweit ersichtlich, ist noch keine höchstrichterliche Entscheidung zur Besteuerung von im Zusammenhang mit Rentennachzahlungen gezahlten Zinsen ergangen.

Ende der Entscheidung

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