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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 04.12.2006
Aktenzeichen: 1 K 374/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 33 Abs. 1
EStG § 33 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

1 K 374/06

In der Streitsache

hat das Finanzgericht München, 1. Senat,

als Einzelrichter

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 04. Dezember 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Gründe:

I. Streitig ist der Abzug von Fahrten zu den betagten Eltern als außergewöhnliche Belastung.

Die Klägerin wird beim Beklagten - dem Finanzamt (FA) - zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt.

In der ESt-Erklärung für 2002 machte die Klägerin Fahrten zu den betagten Eltern in Pforzheim als außergewöhnliche Belastung mit folgenden Beträgen geltend: 26 Fahrten * 276 Km * 0,60 EUR = 4.305,60 EUR 26 * 12 EUR Tagesspesen = 312 EUR Das FA erkannte diese Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen an und ließ sie im ESt-Bescheid vom 25. Februar 2004 außer Ansatz. Im Einspruchsverfahren trug die Klägerin vor, es habe sich insgesamt um 34 Fahrten zum Zwecke einer intensiven Betreuung der Eltern gehandelt, von denen bereits 8 nicht geltend gemacht würden. Daraufhin forderte das FA Nachweise über die Pflegebedürftigkeit der Eltern und zum verwendeten Kfz an, sowie weitere Angaben zu den Lebensumständen der Eltern. Nachdem keine weitere Äußerung der Klägerin erfolgte, wies das FA den Einspruch mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 21. Dezember 2005 als unbegründet zurück.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, die besuchten Eltern seien hochbetagt (geb. 1919 und 1920). Der Vater der Klägerin habe im Jahr 2001 eine schwere Lungenembolie gehabt, Folgeerkrankungen hätten dazu geführt, dass eine Schwerbehinderung von 90 v.H. mit dem Merkzeichen Rollstuhlfahrer festgestellt worden sei. Die Mutter sei rüstiger gewesen, trage jedoch seit 2001 einen Herzschrittmacher.

Es sei zwingend erforderlich gewesen, im mindestens 14-tägigen Rhythmus nach Pforzheim zu fahren um die größeren Arbeiten zu erledigen, die die Einsatzkräfte der Mutter stiegen. Die Klägerin habe insbesondere den Vater gebadet, Wäsche gewaschen, für 14 Tage Lebensmittel und Getränke eingekauft, die Wohnung gründlich gereinigt und Schriftverkehr erledigt (wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Klägerin an das FA vom 12. Februar 2006 verwiesen. Die Klägerin sei das einzige Kind gewesen und habe sich daher aus rechtlichen und sittlichen Gründen der Pflegemaßnahmen nicht entziehen können. Ein konkreter Nachweis der Fahrten könne nicht erbracht werden.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des ESt-Bescheids für 2002 vom 25. Februar 2004 in Gestalt der EE vom 21. Dezember 2005 die ESt für 2002 neu festzusetzen und dabei bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 4.617,60 EUR - vorbehaltlich eines Abzugs für die zumutbare Belastung - als außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verweist im Wesentlichen auf die EE und seine Stellungnahme vom 8. März 2006.

II. Die Klage ist nicht begründet.

Das FA hat zu Recht die geltend gemachten Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Sie waren nicht zwangsläufig.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), wird gemäß § 33 Abs. 1 EStG die Einkommensteuer -unter weiteren hier nicht zu erörternden Voraussetzungen -ermäßigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH; vgl. z.B. Urteil vom 29. September 1989 III R 129/86, BStBl II 1990, 418) ist eine Belastung nur dann außergewöhnlich, wenn die Aufwendungen nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die typischen Aufwendungen der Lebensführung sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ungeachtet ihrer Höhe im Einzelfall ausgeschlossen.

Die Aufwendungen für Besuche zwischen nahen Angehörigen sind deshalb regelmäßig ebensowenig als außergewöhnlich, sondern typisierend als durch allgemeine Freibeträge und etwaige andere steuerliche Ermäßigungen abgegolten anzusehen wie Aufwendungen für sonstige Formen der Kontaktpflege etwa durch Telefongespräche (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 265/94, BStBl II 1997, 558). Das gilt auch, wenn der besuchte Angehörige erkrankt oder pflegebedürftig ist und Fahrten in kürzeren zeitlichen Abständen oder über größere Entfernungen durchgeführt werden. Denn es ist üblich und jedenfalls nicht im vorgenannten Sinn außergewöhnlich, wenn ein erkrankter oder pflegebedürftiger Angehöriger häufiger und auch über größere Entfernungen besucht wird als ein gesunder.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz, dass Aufwendungen für Besuche zwischen Angehörigen nach § 33 EStG nicht berücksichtigt werden können, auch wenn sie im Einzelfall außergewöhnlich hoch sind, lässt die Rechtsprechung des BFH zu, wenn Besuchsfahrten ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit oder eines Leidens getätigt werden oder den Zweck verfolgen, die Krankheit oder ein Leiden erträglicher zu machen, so dass die Kosten zu den unmittelbaren Krankheitskosten rechnen (vgl. BFH-Urteil vom 2. März 1984 VI R 158/80, BStBl II 1984, 484); ferner können die Aufwendungen für Besuchsfahrten dann eine außergewöhnliche Belastung darstellen, wenn ein Steuerpflichtiger sie auf sich nimmt, um einen nahen Angehörigen, der im eigenen Haushalt lebt, mit Rücksicht auf dessen Erkrankung betreuen und versorgen zu können, soweit die Aufwendungen jene für Besuchsfahrten überschreiten, die der Steuerpflichtige auch ohne die Erkrankung üblicherweise ausgeführt hätte (BFH-Urteil vom 6. April 1990 III R 60/88, BStBl II 1990, 958). Dass der besuchte Angehörige hilflos ist und dass der Steuerpflichtige folglich, statt außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG geltend zu machen, einen Pflegepauschbetrag nach § 33b Abs. 6 EStG beanspruchen könnte, hat der erkennende Senat dabei nicht verlangt. Die Fahrten dürfen jedoch nicht lediglich der allgemeinen Pflege verwandtschaftlicher Beziehungen dienen, wobei zur verwandtschaftlichen Kontaktpflege in diesem Sinne beispielsweise auch die Erledigung von Besorgungen -wie Einkäufe und Schriftverkehr -für einen alten oder kranken Verwandten gehören kann.

Neben diesen Merkmalen, die Aufwendungen für Verwandtenbesuche erst den Charakter des Außergewöhnlichen geben, setzt die Gewährung eines Abzugsbetrages nach § 33 EStG weiter voraus, dass sich der Steuerpflichtige aufgrund einer tatsächlichen Zwangslage oder einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht den Aufwendungen nicht entziehen konnte. Eine sittliche Verpflichtung, die bei der Übernahme der Pflege der eigenen Eltern einzig näher in Betracht kommt, ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann anzunehmen, wenn nach dem Urteil der Mehrzahl billig und gerecht denkender Mitbürger ein Steuerpflichtiger sich zu einem solchen Verhalten verpflichtet sehen kann. Sittlich zu billigende oder besonders anerkennenswerte Gründe allein reichen deshalb nicht aus. Das sittliche Gebot muss vielmehr ähnlich einem Rechtszwang von außen her als eine Forderung oder zumindest eine Erwartung der Gesellschaft in der Weise in Erscheinung treten, dass die Unterlassung Nachteile im sittlich-moralischen Bereich oder auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge haben kann (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1987 III R 208/82, BStBl II 1987, 715, m.w.N.).

Eine Lockerung dieser strengen Anforderungen, von denen § 33 EStG die Anerkennung außergewöhnlicher Belastungen abhängig macht, hat der BFH allerdings in demUrteil vom 29. August 1996 III R 4/95 (BStBl II 1997, 199) für den Pauschbetrag für zulässig gehalten, der bei der Pflege einer hilflosen Person nach § 33b Abs. 6 EStG gewährt wird. Der Senat hat insoweit eine sittliche Verpflichtung zur Pflege unter der Voraussetzung anerkannt, dass eine enge persönliche Beziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und der gepflegten Person besteht. Er hat dazu unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung ausgeführt, der Zweck der in § 33b Abs. 6 EStG getroffenen Regelung gebiete eine Auslegung in dem Sinne, dass die Zwangsläufigkeit im Rahmen dieser Vorschrift nach weniger strengen Kriterien als gemäß § 33 Abs. 2 EStG zu beurteilen ist. Denn die Anforderungen an eine sittliche Verpflichtung i.S. von § 33 Abs. 2 EStG seien von der Rechtsprechung zu Fallgestaltungen entwickelt worden, in denen es um die Berücksichtigung von finanziellen Aufwendungen ging. Die dafür aufgestellten strengen Voraussetzungen seien gerechtfertigt, weil nur existentiell notwendige private Abflüsse zur Erfassung der subjektiven Leistungsfähigkeit steuermindernd berücksichtigt werden sollten. Bei der Erbringung von Pflegeleistungen i.S. des § 33 Abs. 6 EStG stünden indes nicht solche finanziellen, das disponible Einkommen schmälernde Aufwendungen im Vordergrund, sondern ganz entscheidend die tatsächliche Erbringung der Pflege.

§ 33b Abs. 6 EStG verfolge den Zweck, die damit verbundenen vielfältigen Belastungen des Steuerpflichtigen in angemessenem Rahmen steuerlich anzuerkennen, die häusliche Pflege zu stärken und die Pflege von Schwerstpflegebedürftigen zu begünstigen. Es sei deshalb geboten, bei der Erbringung von Pflegeleistungen keine all zu hohen Anforderungen an die Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen zu stellen.

Eine solche Lockerung der strengen Anforderungen an die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen kann bei der Anwendung des § 33 EStG, um die es im Streitfall geht, nicht erfolgen, wie der BFH bereits in seinem Urteil in BStBl II 1997, 199 betont hat. Denn § 33 EStG verwirklicht das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (vgl. BFH-Urteil vom 18. April 1990 III R 160/86, BStBl II 1990, 962). Der vorgenannte, besondere Zweck einer steuerlichen Begünstigung des persönlichen Einsatzes für die Pflege Schwerstbehinderter kann deshalb seine Auslegung und Anwendung nicht bestimmen. Darüber hinaus steht einer Übertragung der vom erkennenden Senat bei der Auslegung des § 33b Abs. 6 EStG entwickelten Maßstäbe auf die Beurteilung von Aufwendungen nach § 33 EStG entgegen, dass sich diese beiden Vorschriften in ihren Rechtsfolgen nicht gleichen. Denn anders als § 33b Abs. 6 EStG, der dem Steuerpflichtigen lediglich einen Pauschbetrag für seine -typisierend unterstellten -anlässlich der Erbringung persönlicher Pflegeleistungen entstehenden Aufwendungen gewährt, gestattet § 33 EStG die steuerliche Berücksichtigung von finanziellen Aufwendungen in ihrer tatsächlichen Höhe. Dies ist jedoch nach der eben angeführten Rechtsprechung des Senats nur dann gerechtfertigt, wenn die subjektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen entsprechend gemindert war, weil er sich den betreffenden Aufwendungen nicht entziehen und den für sie maßgeblichen Ursachen -hier: regelmäßiger Besuch der unterstützungsbedürftigen Eltern -nicht ausweichen konnte, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, er verletze seine (sittlichen) Pflichten.

Die tatsächlichen finanziellen Aufwendungen, die dem Steuerpflichtigen durch die Erbringung von Pflegeleistungen für einen nahen Angehörigen entstehen und nach § 33 EStG steuermindernd geltend gemacht werden, sind daher nur dann als aufgrund einer sittlichen Pflicht zwangsläufig anzuerkennen, wenn der Steuerpflichtige einem unausweichlichen, einem Rechtszwang ähnlichen sittlichen Gebot zur Erbringung solcher Pflegeleistungen gegenübersteht.

Ob dies der Fall ist, kann nur nach den näheren Umständen des Einzelfalls entschieden werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass angesichts des unter Umständen sehr persönlichen Charakters der für die Pflege erforderlichen Leistungen selbst bei einem nahen Verwandtschaftsverhältnis nicht ohne weiteres vom Bestehen einer solchen sittlichen Pflicht ausgegangen werden kann (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 265/94, BStBl II 1997, 558).

2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen sind die Fahrten der Klägerin als nicht zwangsläufig zu beurteilen. Bei den Hilfeleistungen der Klägerin - Wohnungsreinigung, Erledigung der Wäsche, Einkäufe, Erledigung von Schriftverkehr - handelt es sich um Aufwendungen, die ihrer Art nach in jeder Familie anfallen und den Charakter des Außergewöhnlichen nicht dadurch erlangen, dass sie im Falle der Kläger wegen der altersbedingt gesteigerten Hilfebedürftigkeit der Eltern und deren entfernten Wohnort besonders hoch waren. Dies hat der BFH in einem vergleichbaren Fall in seinemUrteil vom 22. Oktober 1996 III R 265/94 (in BStBl II 1997, 558) ausführlich dargelegt. Das Gericht schließt sich dieser Beurteilung an.

Aber auch soweit die Fahrten dazu dienten, beim Vater der Klägerin eine etwa 14-tägige Körperpflege durchzuführen, waren diese unter Berücksichtigung der weiten Entfernung, die die Klägerin zurückzulegen hatte, nicht zwangsläufig im Sinne der oben dargestellten Rechtsgrundsätze. Eine verbindliche Forderung oder Erwartung der Gesellschaft, der sich die Klägerin nicht hätte entziehen können, ist insoweit nicht zu erkennen (vgl. hierzu BFH- Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 265/94, BStBl II 1997, 558). Bei einer Gesamtbewertung der Umstände des Streitfalls konnte es nicht sittlich missbilligenswert erscheinen, wenn die Klägerin die von ihren Eltern selbst nicht mehr bewältigten Verrichtungen Dritten, z.B. sozialen Diensten, übertragen und sich selbst auf die Pflege eines intensiven familiären Kontaktes, dessen gerade alte Menschen bedürfen, und auf die von ihren Eltern bei ihrer Lebensführung benötigte Unterstützung in ihren wirtschaftlichen und sonstigen Angelegenheiten des Alltags beschränkt hätte. Im Übrigen dienten die Fahrten ganz wesentlich der Kontaktpflege und Unterstützung - außerhalb der Pflege. Dass - wie die Klägerin vorträgt - die Eltern die Einschaltung etwa eines Pflegedienstes nicht verstanden hätten, ist in diesem Zusammenhang rechtlich unerheblich und führt nicht zu einer Zwangsläufigkeit in dem Sinne, wie sie die Rechtsprechung des BFH herausgearbeitet hat.

Auch hat das FA zutreffend darauf hingewiesen, dass die Eltern der Klägerin offenkundig nicht so hilfsbedürftig waren, dass sie nicht mit geringfügiger Unterstützung etwa durch soziale Dienste ihre Pflege und ihren Haushalt hätten bewältigen können (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 265/94, BStBl II 1997, 558). Denn zwischen den Besuchen der Klägerin mussten die Eltern ohnehin ohne die zusätzlichen Hilfen der Klägerin auskommen.

Schließlich hat das FA zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin den Nachweis dafür, dass sie tatsächlich in dem angegebenen Umfang Fahrten zu den Eltern durchgeführt hat, bis zuletzt schuldig geblieben ist.

Nach alledem kann die Klage keinen Erfolg haben.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 der Finanzgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

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