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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 17.06.2009
Aktenzeichen: 1 K 3887/08
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 1. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...sowie

der ehrenamtlichen Richter ... und

...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob für das 1983 geborene Kind N ein Kinderfreibetrag in die Lohnsteuerkarte 2009 einzutragen ist.

Der Kläger - von Beruf Rechtsanwalt - beantragte den Eintrag eines Kinderfreibetrags auf der Lohnsteuerkarte 2009 für seine seit 01. Oktober 2006 studierende, im Jahr 1983 geborene Tochter N, was das Finanzamt (FA) mit Bescheid vom 14. Oktober 2008 im Hinblick darauf ablehnte, dass diese das 25. Lebensjahr überschritten habe. Der Einspruch des Klägers blieb in der Einspruchsentscheidung (EE) vom 18. November 2008 ohne Erfolg.

Seine Klage begründet der Kläger - wie zuvor den Einspruch - damit, dass die Gesetzesänderung, die Kinder in Ausbildung nur noch bis zum 25. Lebensjahr anstatt wie bis dahin bis zum 27. Lebensjahr berücksichtigt, verfassungswidrig sei. Es sei sowohl der Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt, wie auch der Gleichbehandlungsgrundsatz. Man mache Lebensdispositionen. Sinngemäß führt er aus, er habe die Mutter des Kindes nicht auf Unterhalt verklagt, da er bisher das Kindergeld alleine erhalten habe. Auch könnten viele Kinder wegen Militärdienstes oder wie seine Tochter aus Gründen später Einschulung bzw. eines Auslandsaufenthalts nicht mit 25 mit dem Studium fertig sein. 27 sei eine schon aus der Erfahrung stimmige Zahl gewesen, da müssten wir wieder hin. Andere hätten früher bis 27 eine Förderung bekommen, die jetzige Änderung verstoße daher gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Der Kläger beantragt,

für die Tochter N einen Kinderfreibetrag auf der Lohnsteuerkarte 2009 einzutragen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen sowie hilfsweise die Revision zuzulassen.

Es bezieht sich im Wesentlichen auf die EE, auf die wegen der dortigen Rechtsausführungen im Einzelnen verwiesen wird.

II. Die Klage ist nicht begründet.

Unstreitig erfüllt die Tochter des Klägers N nicht die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), da sie das 25. Lebensjahr überschritten hat. Auch die Übergangsregelung ist nicht anwendbar.

Das Gericht hegt keine Zweifel an der Verfassungskonformität der Vorschrift im Kontext seiner Übergangsregelungen. Die Herabsetzung des Alters auf 25 Jahre, bis zu dem Kinder in Ausbildung steuerlich berücksichtigungsfähig sind, erfolgte durch Gesetz vom 19. Juli 2006 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2007. Das Gesetz sieht in § 52 Abs. 40 EStG eine Übergangsregelung für Kinder vor, die im Jahr 2006 das 24., 25. oder 26. Lebensjahr vollendeten.

1. Der Gesetzgeber ist nach Auffassung des erkennenden Senats im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis berechtigt, das Berücksichtigungsalter auf 25 Jahre herabzusetzen. Dabei geht der Senat davon aus, dass die höhere Schulbildung selbst unter Berücksichtigung von heute noch 13 Schuljahren für eine Vielzahl von Schülern mit 20 Jahren abgeschlossen ist und eine Vielzahl von Studiengängen nicht mehr als 5 Jahre dauert. Unter Berücksichtigung des Trends zu einer Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre und den weiteren Verkürzungen, die der sog. Bologna-Prozess bringen wird, erscheinen die Grenzen der Typisierungsbefugnis, die dem Gesetzgeber von Verfassung wegen zuzubilligen ist, nicht überschritten (zur weitgehenden Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers vgl. Drüen in Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand 113. Lieferung, § 3 Rz 45 ff).

Auch erscheint es dem erkennenden Senat nicht von Verfassung wegen geboten, in jedem Fall die Berücksichtigung eines in Ausbildung befindlichen Kindes über das 25. Lebensjahr hinaus durch einen Kinderfreibetrag sicherzustellen.

Die Tatsache, dass die Tochter des Klägers aufgrund ihres individuellen Lebenslaufs die 25 Jahre bis zum Abschluss der Ausbildung überschreitet, hat für die Frage der Verfassungswidrigkeit keine Bedeutung, weil diese allenfalls durch eine grundsätzlich sachfremde Typisierung eintreten könnte.

Auch die Tatsache, dass andere, die unter die Geltung der früheren Normierung fielen, bis zum 27. Lebensjahr unterstützt wurden, stellt keine Belastung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar. Eine derartige Ungleichbehandlung in der Zeit ist Änderungsgesetzen immanent. Allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer gebotenen Übergangsregelung ist diese Frage diskussionswürdig (dazu sogleich).

2. Auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes erscheint die Änderung nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hat eine Übergangsregelung für solche Fälle vorgesehen, in denen Kinder im Jahr der Beschlussfassung des Gesetzgebers 24 Jahre oder älter wurden. Soweit das Streitjahr im Raum steht, hatte der Kläger über zwei Jahre Zeit, sich auf die geänderte Gesetzeslage einzustellen. Dies erscheint dem erkennenden Senat als ausreichend, um jedenfalls eine Verletzung des Klägers durch zu kurze Übergangsfristen auszuschließen. Selbst unter Berücksichtigung der vom Kläger genannten Lebensdispositionen sind diese Übergangsfristen nicht zu kurz. Vereinfacht dargestellt postuliert der Kläger die Forderung, dass seine Lebensdispositionen jede künftige nachteilige Änderung eines Gesetzes aus Vertrauensschutzgründen verbieten. Eine solche Forderung - ergäbe sie sich denn aus dem Grundgesetz - verhinderte nahezu jede Änderungsgesetzgebung. Der Kläger übersieht, dass er innerhalb der Übergangsfrist immerhin auch die Möglichkeit hatte, durch andere "Dispositionen" sich auf die geänderte Gesetzeslage einzustellen.

Da die Klage keine substantiierte Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erkennen lässt und somit über die vorstehend abgehandelten Ansätze hinaus nicht erkennbar ist, woraus der Kläger die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit konkret herleiten möchte, sieht sich das Gericht ebenfalls nicht zu einer tiefschürfenden Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts veranlasst. Eine solche findet sich in den Entscheidungsgründen der Entscheidungen des 12. Senats des Finanzgerichts München vom 17. Februar 2009 (12 K 1462/08 und 12 K 1075/08, [...]), denen sich der erkennende Senat anschließt und auf die er verweist.

Im Übrigen folgt das Gericht hinsichtlich der Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG der Begründung der EE und sieht von einer weiteren Begründung nach § 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.

3. Das Gericht hat davon abgesehen, im Hinblick auf die beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Verfahren zur selben Rechtsfrage - insbesondere das vom Kläger genannte Verfahren III R 35/09 und das Verfahren III R 27/09 - das Ruhen des Verfahrens nach § 251 Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO anzuordnen. Soweit ersichtlich, betreffen diese Ver6 fahren die Rechtslage in anderen Jahren. Daher ist es möglich, dass die Entscheidungen in den anderen Verfahren nicht auf das hiesige übertragbar sind. Aus diesem Grund erscheint dem Gericht in Ausübung seines Ermessens die Anordnung des Ruhens nicht zweckmäßig. Vielmehr ist es zweckmäßig, dass dem BFH bis zu einer Entscheidung mehrere Verfahren vorliegen, die zwar dieselbe Rechtslage betreffen, jedoch unterschiedliche Sachverhalte im Einzelnen, so dass er die Vielfalt der dem Rechtsproblem zugrundeliegenden Lebensumstände und Argumente umfassend würdigen und in seine Entscheidung einbeziehen kann. Unabhängig davon ist der Anspruch auf Eintragung eines Freibetrags in der Lohnsteuerkarte zeitlich begrenzt. Spätestens nach Ablauf des 28. Februar des Folgejahres kann sich die Eintragung auf der Lohnsteuerkarte nicht mehr auswirken, weil der Arbeitgeber spätestens bis dahin die Lohnsteuerbescheinigung übermitteln muss (§ 41 b Abs. 1 Satz 2 EStG). Im Rechtsbehelfsverfahren entfällt damit das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Arbeitnehmer seine Rechte nunmehr im Veranlagungsverfahren geltend machen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 07. Februar 2008 VI B 110/07, BFH/NV 2008, 944). Auch von daher erschien dem Senat die Anordnung des Ruhens des vorliegenden Verfahrens nicht zweckmäßig.

4. Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die Herabsetzung der Altersgrenze durch § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG verfassungsgemäß ist, nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

5. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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