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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Beschluss verkündet am 26.10.2005
Aktenzeichen: 1 V 3011/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 69 Abs. 3 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

1 V 3011/05

Aussetzung der Vollziehung in Sachen Einkommensteuer 2002

In der Streitsache

hat das Finanzgericht München, 1. Senat,

als Einzelrichter

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2005 beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wird beim Beklagten - dem Finanzamt (FA) - zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. In der unter Mitwirkung der Lohnsteuerhilfe X e.V., München, gefertigten ESt-Erklärung für das Jahr 2002 machte Sie als außergewöhnliche Belastungen Unterhaltszahlungen geltend. Als Nachweis fügte Sie drei Unterhaltsbescheinigungen bei, die einen Stempelaufdruck einer kroatischen Behörde trugen. Das FA veranlagte zunächst wie erklärt.

Nachdem das FA eine Mitteilung der Steuerfahndungsstelle des FA München I erhalten hatte, dass in der Lohnsteuerhilfe X in großem Ausmaß Bescheinigungen ausländischer Behörden gefälscht worden waren und sich auch die Stempelaufdrucke auf den Unterhaltsbescheinigungen der Antragstellerin als Fälschungen herausgestellt hätten, erließ das FA am 24. Mai 2005 einen nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten ESt-Bescheid, in dem es die Unterhaltsleistungen nicht mehr ansetzte. Gegen den Änderungsbescheid wandte sich die Antragstellerin mit Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV). Letzterer wurde vom FA abgelehnt. Mit seinem Antrag an das Gericht verfolgt die Antragstellerin ihr Begehr nach AdV weiter.

Die Antragstellerin trägt im Wesentlichen vor, es hätten - zum Zeitpunkt der Bescheidänderung -keine neue Tatsache vorgelegen, rechtliches Gehör sei nicht gewährt worden.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung des ESt-Bescheides für 2002 vom 24. Mai 2005 in Höhe von 2.471,--EUR (ESt), sowie 159,--EUR (Zinsen zur ESt) und 135,90 EUR (Solidaritätszuschlag -SoliZ-) auszusetzen

Das FA beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Es trägt vor, mit der Erkenntnis der Fälschung und der Mitteilung der Steuerfahndung habe eine neue Tatsache vorgelegen.

Die Streitsache wurde mit Beschluss vom 13. Oktober 2005 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. In der mündlichen Verhandlung am 26. Oktober 2005 begutachtete ein Sachverständiger die streitgegenständlichen Unterhaltsbescheinigungen und stellte fest, dass es sich um Fälschungen handelt. Die vorgeblichen Stempelabdrucke seien mittels Tintenstrahl-Druckverfahren aufgebracht worden. Der Prozessvertreter der Antragstellerin kündigte an, noch weitere Unterlagen für Werbungskosten, sowie neue Unterhaltsbescheinigungen vorzulegen. Das FA beantragte eine Entscheidung. Auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird verwiesen.

II.

Der Antrag ist nicht begründet. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide i. S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) bestehen bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der vorliegenden Unterlagen, des Sachvortrags der Beteiligten und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und dem dort erstatteten Gutachten nicht.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise gemäß § 69 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist bereits dann begründet, wenn ein nicht nur geringer Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der gegen den Verwaltungsakt eingelegte Rechtsbehelf Erfolg haben wird (BFH-Urteil vom 7. Juni 1994 IX R 141/89, BStBl II 1994, 756; BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 1998 IX B 25/97, BFH/NV 1998, 994; vom 25. August 1998 II B 25/98, BStBl II 1998, 674; vom 23. Juli 1999 VI B 116/99, BStBl II 1999, 684). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

2. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit neue Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt. Beweismittel ist jedes Erkenntnismittel, das geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen.

Nachweise zur Rechtsprechung bei Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, AO § 173 Rz. 2 ff. und 21 ff.) Auch Hilfstatsachen oder Beweismittel, die solche belegen, können -sofern sie einen hinreichend sicheren Schluss auf die zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung bestehende Haupttatsachen zulassen - zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 1994 IX R 11/91, BStBl II 1995, 192).

Im Streitfall lag bei der gebotenen summarischen Prüfung mit der gewonnenen Erkenntnis, dass die Stempelaufdrucke tatsächlich im Tintenstrahlverfahren nachgemacht waren und mithin die Urkunden gefälscht, eine Hilfstatsache vor, die dem FA erst mit dem Schreiben der Steuerfahndung bekannt wurde. Die Originalurkunden erfüllen darüber hinaus auch das Erfordernis neuer Beweismittel. Denn mit der Erkenntnis der Fälschung haben sie einen neuen Beweiswert erhalten, der ihnen vorher nicht inne wohnte. Sie belegen - wie der Gutachter in der mündlichen Verhandlung bestätigte - dass die vorgelegten Nachweise gefälscht waren. Die Tatsache der Fälschung und das neue Beweismittel waren auch neu. Die Fälschung konnte mit bloßem Auge - wovon sich das Gericht überzeugte - nicht erkannt werden. Erst die Untersuchung mit einer Lupe unter Anleitung eines drucktechnisch Sachverständigen durch die Steuerfahndung brachte die Tatsache und den neuen Beweiswert zu Tage. Da dies nach der abschließenden Zeichnung der ursprünglichen Steuerfestsetzung erfolgte, waren Tatsache und Beweismittel "neu" i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

Die Beweislast für steuermindernde Umstände - wie anzuerkennende Unterhaltszahlungen - trägt der Steuerpflichtige. Regelmäßig kommt er dieser Last durch Vorlage von Urkunden beim Finanzamt nach. Stellt sich bei einer Urkundenuntersuchung durch die Steuerfahndung heraus, dass diese Urkunden gefälscht sind, so ist das FA daher zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigt.

3. Der sinngemäße Einwand der Antragstellerin, aus den Akten sei keine neue Tatsache ersichtlich und eine solche habe sich erst durch die Begutachtung in der mündlichen Verhandlung ergeben, geht somit fehlt. Vielmehr lag eine neue Tatsache in dem Moment vor, als das FA die Fälschung und den neuen Beweiswert der Urkunden (als gefälscht) erkannt hat. Auch der Einwand, das FA hätte vor einer Änderung der Antragstellerin rechtliches Gehör gewähren müssen, führt nicht zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides in dem o.g. Sinn. Vielmehr ist nach § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO ein etwaiger Verstoß des Finanzamtes durch Nachholung im Einspruchsverfahren unbeachtlich geworden. Auch im AdV-Verfahren vor dem FA wie dem Gericht hatte die Antragstellerin ausreichendes rechtliches Gehör. Auch damit ist das schutzwürdige Interesse der Antragstellerin hinsichtlich dieses Einwandes jedenfalls mit der Nachholung entfallen (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, FGO § 100 Rz. 10.

4. Die Entscheidung war aufgrund der mündlichen Verhandlung ohne weiteres Zuwarten zu treffen. Das Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO ist seiner Natur nach ein summarisches Eilverfahren.

Hinsichtlich des Prozessstoffs findet eine Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen sowie auf die präsenten Beweismittel statt (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 1977 I R 162 bis 163/76, BStBl II 1977, 765). Nachdem das Gericht abweichend von der schriftlichen Erledigung von AdV-Anträge in der weit überwiegenden Zahl von Fällen eine mündliche Verhandlung mit Sachverständigenbeweis durchgeführt hat, kann die Antragstellerin mit dem nunmehrigen Vortrag, es würden in kurzer Zeit neue Beweismittel und neue Tatsachen eingeführt (vgl. hierzu die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung), nicht mehr gehört werden. Dem Antragsgegner ist ein weiteres Zuwarten auf eine Entscheidung des Gerichts nicht zuzumuten. Die Antragstellerin hat vielmehr die Gelegenheit, diese neuen Tatsachen im noch nicht beendeten Einspruchsverfahren vor dem FA vorzutragen.

Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 128 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung).



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