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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 28.09.2005
Aktenzeichen: 10 K 1088/03
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 33 Abs. 1
EStG § 33 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Streitsache

wegen

Einkommensteuer 1999

hat der 10. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt bis zur Einschränkung des Klageantrags zu 17 % der Beklagte und zu 83 % die Klägerin. Die Kosten des Verfahrens nach Einschränkung des Klageantrags trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Streitig ist, ob Aufwendungen für Kleidung, Schuhe und Perücken wegen des Rollenwechsels einer Transsexuellen als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

I.

Die Klägerin (Klin) ist transsexuell. Zur Vorbereitung auf die Vornamensänderung und Geschlechtsumwandlung vom Mann zur Frau führte die Klin beginnend in der ersten Jahreshälfte 1998 im privaten und seit Anfang 1999 auch im beruflichen Bereich einen Alltagstest durch. Hierzu wandelte sie ihr äußeres Erscheinungsbild schrittweise zur Frau, um das Leben in der neuen Rolle zu erproben. Begleitend fand eine Hormontherapie statt. Bereits im Jahr 1998 erwarb die Klin im Rahmen des privaten Alltagstests eine Perücke und weibliche Kleidung. Im Streitjahr 1999 stimmte das Vormundschaftsgericht X mit Beschluss vom ...November 1999 im Verfahren nach dem Transsexuellengesetz (TSG) der Änderung des Vornamens zu. Mit Beschluss vom ... Februar 2000 stellte das Vormundschaftsgericht, nachdem die Klin eine operative Geschlechtsumwandlung nachgewiesen hatte, die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht fest. In ihrer Einkommensteuer(ESt)-Erklärung 1999 machte die Klin im Zusammenhang mit der Transsexualität und dem Alttagstest außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt 31.134 DM (Arztkosten zzgl. Fahrtkosten, Bekleidung, Epilationsbehandlungen zzgl. Fahrtkosten, Perücken, Schuhe) geltend. Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) berücksichtigte zunächst durch ESt-Bescheid vom 05. Juni 2000 nur Aufwendungen in Höhe von 6.292 DM (Arzt- und Fahrtkosten). Hiergegen erhob die Klin fristgerecht Einspruch. Mit Einspruchsentscheidung vom 07. Februar 2003 erkannte das FA weitere Aufwendungen an, berücksichtigte außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt 12.991 DM (insbesondere nun auch Rechtsberatungskosten und einen Teil der nach Abzug der Erstattung durch die Krankenkasse verbleibenden Epilationskosten) und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die Steuer wurde auf 10.065,80 EUR festgesetzt.

Mit der hiergegen fristgerecht eingereichten Klage begehrt die Klin die Anerkennung bisher vom FA nicht als außergewöhnliche Belastungen eingestufter Aufwendungen für Bekleidung in Höhe von 7.598,10 DM, für 4 Perücken in Höhe von 4.110 DM und für Schuhe in Höhe von 3.405,35 DM. Zur Begründung verweist sie darauf, dass der Zwang im "falschen" Geschlecht zu leben nach dem TSG als Krankheit behandelt werden müsse. Die entsprechende, eine Geschlechtsumwandlung rechtfertigende Diagnose müsse durch mindestens zwei Ärzte getroffen werden, was hier nach den vorgelegten Gutachten geschehen sei. Durch den Alltagstest sei ein Totalverlust hinsichtlich der nicht mehr nutzbaren Herrenkleidung eingetreten. Das erfolgreiche Bestehen des sich über zwei Jahre erstreckenden Alltagstests sei Voraussetzung für den medizinischen Eingriff. Im Rahmen des TSG-Verfahrens hätten sowohl das psychiatrische Sachverständigengutachten vom ... 1999 als auch das nervenärztliche Gutachten vom ... 1999 die Annäherung des äußerlichen Erscheinungsbilds der Klin an das weibliche Geschlecht herausgestellt. Die Anschaffung weiblicher Perücken und Kleidung sei daher zwingend erforderlich. Nicht maßgeblich sei, dass die Klin für ihre Aufwendungen einen Gegenwert erhalten habe. Denn der Bundesfinanzhof -BFH-habe die Gegenwerttheorie mit Urteilen vom 23. Mai 2002 III R 52/99 BFHE 199, 287, BStBl II 2002, 592 und vom 09. August 2001 III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240 aufgegeben, soweit ein endgültiger Wertabfluss erfolge, ohne dass dies verschuldet sei oder Ersatz von dritter Seite geleistet werde. Die Klin habe diese Kosten aber weder verschuldet, noch habe sie von dritter Seite Ersatz erhalten. Mit Bescheid vom 09. Juli 2004 änderte das FA die Steuerfestsetzung in einem hier nicht mehr strittigen Punkt nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) ab und setzte die ESt auf ... EUR herab.

Die Klin beantragt,

den ESt-Bescheid vom 09. Juli 2004 dahingehend abzuändern, dass weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 15.114 DM berücksichtigt werden und die ESt entsprechend herabgesetzt wird,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es im Wesentlichen darauf, dass es sich bei den geltend gemachten Aufwendungen nur um mittelbar mit der Krankheit in Zusammenhang stehende Aufwendungen handele, die nicht zu den als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähigen Krankheitskosten gehörten. Auch ohne die Geschlechtsumwandlung wären Aufwendungen für Kleidung und Schuhe im Streitjahr angefallen. Die geltend gemachten Aufwendungen seien den nicht abzugsfähigen Kosten der Lebensführung zuzuordnen.

Hinsichtlich des Inhalts der mündlichen Verhandlung und der dort gestellten Anträge wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Gründe

II.

Die Klage ist nicht begründet. Die geltend gemachten Aufwendungen stellen keine außergewöhnlichen Belastungen dar.

1. Gemäß § 33 Abs. 1 EStG wird die ESt auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen.

Voraussetzung ist danach, dass Aufwendungen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen. Das ist der Fall, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 EStG). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn die vorstehend aufgezählten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen derart auf die Entscheidung eines Steuerpflichtigen einwirken, dass er ihnen nicht auszuweichen vermag (ständige Rechtsprechung, siehe etwa BFH-Urteil vom 18. März 2004 III R 31/02, BFHE 205, 274, BStBl II 2004, 867 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BFH sind krankheitsbedingte Maßnahmen und die dadurch veranlassten Aufwendungen regelmäßig aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, soweit sie entweder der Heilung dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit -in der Person des Kranken-erträglich zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 1995 III R 106/93, BFHE 179, 93, BStBl II 1996, 88 m.w.N). Den Begriff der Krankheit definiert der BFH (vgl. etwa Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805 m.w.N.) dabei im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts als einen anormalen, regelwidrigen (körperlichen, geistigen oder seelischen) Zustand. Der Begriff der Krankheit erschöpft sich darin jedoch nicht. Wesentlich für das Vorliegen einer Krankheit ist vielmehr auch die Auffassung der Gesellschaft und der jeweiligen Rechtskultur, die regelwidrige körperliche (geistige, seelische) Zustände oder Erscheinungen in einer unter Umständen dem geschichtlichen Wandel unterworfenen Weise unterschiedlich bewertet. Entscheidend für die Annahme einer Krankheit ist, ob es sich um einen allenfalls als missliebig anzusehenden Zustand handelt oder um einen anormalen Zustand, der Störungen oder Behinderungen in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen von solchem Gewicht zur Folge hat, dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf, was unter Umständen von der persönlichen Lage des Betroffenen, z.B. seinem Alter oder seinem Beruf, abhängen kann. Ein krankhafter Zustand ist dabei (einkommensteuerrechtlich) um so eher anzunehmen, je stärker die freie Entfaltung der Persönlichkeit in ihrem wesentlichen Kernbereich betroffen ist.

Der Begriff der Heilbehandlung umfasst alle Eingriffe und anderen Behandlungen, die nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zu dem Zweck angezeigt sind und vorgenommen werden, Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern (BFH-Urteil in BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805). Bei der Anschaffung von Hilfsmitteln (im engeren Sinne), die -wie Brillen, Hörapparate, Rollstühle etc.-nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft werden und bei denen häufig eine Anpassung an die individuellen Gebrechen eines Steuerpflichtigen erforderlich ist, kann typisierend davon ausgegangen werden, dass ihr Kauf medizinisch indiziert ist. Auf eine Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach kann bei solchen Hilfsmitteln im engeren Sinne daher verzichtet werden. Keine außergewöhnliche Belastung wird allerdings durch Aufwendungen für solche Maßnahmen begründet, die nicht unter den Begriff der Heilbehandlung im hier maßgeblichen Sinne fallen. Nur vorbeugende, der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen oder die mit einer Krankheit verbundenen Folgekosten erwachsen nach ständiger Rechtsprechung nicht zwangsläufig (vgl. BFH-Urteil in BFHE 179, 93, BStBl II 1996, 88 m.w.N.). Für die mitunter schwierige Trennung von Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits fordert der BFH in besonders schwer zu beurteilenden Einzelfällen die Vorlage eines zeitlich vor der Aufwendung erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Attests, dem sich zweifelsfrei entnehmen lässt, dass die den Aufwendungen zugrunde liegende Maßnahme medizinisch indiziert ist (vgl. BFH-Urteil vom 09. August 1991 III R 54/90, BFHE 165, 272, BStBl II 1991, 920 m.w.N.). Dies gilt auch für medizinische Hilfsmittel im weiteren Sinne (BFH-Urteil in BFHE 165, 272; BStBl II 1991, 920).

Weitere Voraussetzung für die Anwendung des § 33 EStG ist, dass der Steuerpflichtige eine (außergewöhnliche) "Belastung" zu tragen hat. Daran fehlt es nach ständiger Rechtsprechung des BFH, wenn der Steuerpflichtige Gegenstände anschafft, die für ihn einen Gegenwert zu den aufgewandten Kosten darstellen. Denn dann handelt es sich um eine bloße Umschichtung von Vermögenswerten, die den Steuerpflichtigen nicht (außergewöhnlich) "belastet". Nur soweit Werte aus seinem Vermögen oder seinem laufenden Einkommen endgültig abfließen, liegt bei ihm -anders als bei einer reinen Vermögensumschichtung-eine Belastung vor (vgl. BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996 III R 209/94 BStBl II 1997, 491, BFHE 182, 333 m.w.N.; ebenso etwa Arndt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz. 34 ff.). Entscheidend ist, dass § 33 EStG im Interesse der steuerlichen Belastungsgleichheit dahin ausgelegt werden muss, dass nur ein gleichsam verlorener Aufwand eine Belastung im Sinne der genannten Vorschrift darstellt. Auch das Bundesverfassungsgericht -BVerfG-(Entscheidung vom 13. Dezember 1966 1 BvR 512/65, BStBl III 1967, 106) hat diesen Gesichtspunkt des verlorenen Aufwands als den Belastungsbegriff bestimmendes Element und als Rechtfertigung der Gegenwertlehre besonders hervorgehoben. In Abgrenzung zur reinen Vermögensumschichtung geht der BFH vom Fehlen einer Belastung des Steuerpflichtigen nicht aus, soweit Werte endgültig abgeflossen sind. Entsprechend wird die Anwendbarkeit des § 33 EStG im Falle des Verlusts von Gegenständen des lebensnotwendigen Bedarfs infolge eines unabwendbaren Ereignisses unter dem Gesichtspunkt des verlorenen Aufwands im Rahmen des Notwendigen und Angemessenen bejaht, wenn weder Anhaltspunkte für ein Verschulden vorliegen noch von anderer Seite Ersatz zu erlangen ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240 m.w.N.). Bei medizinischen Hilfsmitteln im weiteren Sinne, d.h. solchen, die nicht ausschließlich von Kranken angeschafft werden, ist ein die steuerliche Berücksichtigung ausschließender Gegenwert grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn der angeschaffte Gegenstand nicht ausschließlich dem Erkrankten selbst zu dienen bestimmt, sondern auch für Dritte von Nutzen ist (BFH-Urteil in BFHE 165, 272; BStBl II 1991, 920).

2. Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes:

a) Nach Überzeugung des erkennenden Senats ist die Transsexualität zumindest eine einer Krankheit vergleichbare Disposition des Menschen. Wie sich aus § 1 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 TSG ergibt, stellt die Transsexualität eine Prägung des Menschen dar. Ebenso wird in den genannten Vorschriften der aus der Empfindung dem anderen Geschlecht zuzugehören begründete Wunsch, in der anderen Rolle zu leben, als innere Zwangslage anerkannt. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum TSG (BT Drs. 8/2947 S. 8) bestehen auch medizinische Erkenntnisse, dass es sich bei der Transsexualität um eine vom Willen des Betroffenen unabhängige Entwicklung handelt, die weder in ihrer Tendenz umgekehrt noch aufgehalten oder beseitigt werden kann. Auch das Bundesverfassungsgericht wies auf medizinische Erkenntnisse hin, die bei Transsexuellen eine Dissoziation zwischen Morphe und Psyche in besonders krasser Form belegen (Beschluss vom 11. Oktober 1978 1 BvR 16/72, BVerfGE 49, 286).

b) Die geltend gemachten Aufwendungen stehen jedoch nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit Maßnahmen der Heilung oder Linderung dieser Krankheit und sind deshalb als mittelbare Folgekosten der Krankheit nicht als zwangsläufig zu betrachten. Aufwendungen für bürgerliche Kleidung (wozu auch Schuhe rechnen) sind - auch soweit sie sich als mittelbare Folgekosten einer Krankheit darstellen - nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 105/78, BFHE 133, 550 zum Fall der ärztlich verordneten Abmagerungskur; und vom 7. Dezember 1984 VI R 91/81, DB 1985, 954 zum Fall der körperlichen Veränderungen als unmittelbare Folge einer Krankheit). Denn auch die Abnutzung (Verschleiß) von Kleidung sowie die sich ständig ändernde Mode führen dazu, dass sich alle Steuerpflichtigen in gewissen Zeitabständen neue Kleidungsstücke anschaffen. Derartige Erwerbungen sind grundsätzlich von vorangegangenen Erkrankungen oder anderen Umständen unabhängig. Es ist daher nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Klin sich im Streitjahr auch ohne ihre Erkrankung neue Kleidungsstücke angeschafft hätte. Der Kauf dieser Gegenstände kann daher nicht außergewöhnlich sein. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Klin sich wegen der Annahme einer neuen Geschlechtsrolle unter Umständen mehr Kleidungsstücke gekauft haben könnte, als sie dies sonst getan hätte. Unterschiedlich hohe Aufwendungen von Steuerpflichtigen kommen jedoch auch in anderem Zusammenhang vor, ohne dass der Gesetzgeber solche Besonderheiten bei jedem einzelnen Steuerpflichtigen berücksichtigen könnte. Der Gesetzgeber hat die steuerliche Berücksichtigung von Bekleidungskosten - als typische Aufwendungen der Lebensführung - im Rahmen des Grundfreibetrags (§ 32a EStG) typisiert erfasst. Nach der Systematik des EStG besteht keine Möglichkeit, diese Ausgaben in ihrer schwankenden, je nach den persönlichen Verhältnissen und Bedürfnissen der Steuerpflichtigen unterschiedlichen Höhe zugunsten oder zuungunsten der Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.

Der vorliegende Fall ist auch nicht vergleichbar mit dem Totalverlust der Kleidung infolge höherer Gewalt, z.B. durch Krieg oder ein Elementarereignis (vgl. hierzu etwa BFH-Urteil vom 21. August 1974 VI R 237/71, BFHE 113, 301, BStBl II 1974, 745). Denn zum einen trat durch den Rollenwechsel kein Totalverlust der bisher vorhanden männlichen Kleidung ein. Vielmehr blieb diese zum Teil -soweit es sich nicht um eindeutig geschlechtsspezifische Kleidung handelte (z.B. T-Shirts, Jeans, Turnschuhe etc.)-zur weiteren eigenen Nutzung der Klin erhalten oder sie konnte zum Teil auch noch anderweitig verwertet werden (z.B. Verkauf). So weist etwa auch der von der Klin vorgelegte Literaturauszug (Wolf Eicher, Transsexualismus, S. 68) darauf hin, dass es heute leicht möglich ist, im Rahmen des Alltagstests Zwischenformen in Frisur und Kleidung zu finden. Zum anderen handelte es sich nicht um den abrupten Verlust der gesamten Kleidung. Wie sich aus dem nervenärztlichen Gutachten vom 08. Oktober 1999 ergibt (Bl. 48 ESt-Akte) beschloss die Klin bereits im Jahr 1997 "den Mann in ihr zu entfernen". Zudem lebte sie seit der ersten Jahreshälfte 1998 bereits in der Freizeit als Frau und schaffte bereits insoweit weibliche Kleidung an. Die Klin hatte daher die Möglichkeit im Rahmen der üblichen Substitution ihres Kleidungsbestandes diesen im Rahmen des Alltagstests und auch danach noch sukzessive auf weibliche Kleidung umzustellen, so dass es nicht zwangsläufig zu einer Kumulation derartiger Aufwendungen in einem Veranlagungszeitraum kommen musste.

Ebenso stellen die Kosten für Perücken keine unmittelbaren Krankheitskosten dar. Als medizinisches Hilfsmittel könnte eine Perücke, da eine solche üblicherweise nicht ausschließlich von Kranken getragen wird, nur dann gewertet werden, wenn das natürliche Haupthaar einen entstellenden Charakter hätte (vgl. etwa Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 18. Januar 1983 XI 298/82 E, EFG 1983, 500 zum Fall des krankheitsbedingten kreisrunden Haarausfalls; Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 2002 B 3 KR 66/01 R, SozR 3-2500 § 33 SGB V Nr. 45 S 251 und in Juris, zum Fall einer Frau ohne natürliches Kopfhaar). Dass dies der Fall ist, müsste durch ein vor Anschaffung der Perücke von einem Amts- oder Vertrauensarzt erstelltes medizinisches Gutachten nachgewiesen werden. Die vorgelegten Gutachten wurden aber weder von einem Amts- oder Vertrauensarzt erstellt noch weisen sie auf die medizinische Notwendigkeit des Tragens einer Perücke hin. Dass die Gutachten auf eine äußere Annäherung an das weibliche Geschlecht und insbesondere auf eine gut ausgesuchte Frisur (Bl. 50 ESt-Akte) bzw. eine feminine Frisur (Bl. 65 ESt-Akte) hinweisen, belegt nicht die medizinische Notwendigkeit des Tragens einer Perücke. Es wurde weder vorgetragen noch ergaben sich anderweitig Hinweise darauf, dass die Klin mit ihrem natürlichen Haupthaar als Frau entstellt wäre. Somit bestand kein tatsächlicher Zwang zur Anschaffung einer Perücke. Sofern die Klin möglicherweise eine Perücke für ästhetischer hielt als ihre bisherige Frisur (möglicherweise in von einem Damenfrisör modifizierter Form) rechtfertigt dies nicht die Annahme, dass es ihr unmöglich war, sich auch ohne Perücke normal in ihrer Umwelt zu bewegen. Entsprechend kann auch bei anderen Steuerpflichtigen, die aus unterschiedlichen Gründen mit ihrem natürlichen Haupthaar unzufrieden sein können -mit Ausnahme des Falles eines entstellenden Äußeren-die Anschaffung einer Perücke nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden. Zudem hatte die Klin nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung bereits 1998 im Rahmen des im Privatleben durchgeführten Alltagstests eine Perücke angeschafft. Eine Auswahl zwischen verschiedenen Freizeit- und Businessvarianten von Perücken mag zwar -wie von der Klin in der mündlichen Verhandlung dargelegt-aus ihrer Sicht wünschenswert gewesen sein. Daraus folgt aber nicht, dass diese im Streitjahr durchgeführten Anschaffungen auch zwangsläufig erfolgten.

c) Schließlich ist eine Anerkennung der geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen auch unter dem Gesichtspunkt des Gegenwertgedankens ausgeschlossen (ebenso Urteil des Finanzgerichts München vom 12. April 2000 1 K 1386/99, EFG 2000, 872). Die Klin hat für ihre Aufwendungen einen Gegenwert in Form von Kleidung, Schuhen und Perücken erhalten. Der Ausnahmefall eines endgültigen Wertabflusses - vergleichbar dem Falle des Verlusts von Gegenständen des lebensnotwendigen Bedarfs infolge eines unabwendbaren Ereignisses - liegt hier nicht vor, da die bisher genutzte Herrenkleidung und Herrenschuhe nach wie vor vorhanden sind und - wie oben dargelegt wurde - auch nicht wirtschaftlich wertlos wurden. Auch die Anschaffung der Perücken ist nicht wegen Verlusts eines Gegenstands notwendig geworden. Sie stellen ebenso wie bei jedem anderen Steuerpflichtigen, der sich eine Perücke anschafft, den vollen Gegenwert ihrer Anschaffungskosten dar.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 136 Abs.1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hat die Kosten wegen der Teilerledigung in der Hauptsache (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) und der damit verbundenen Streitwertänderung nach Verfahrensabschnitten aufgeteilt (vgl. Gräber, FGO, 5. Aufl. 2002, § 136 Rn. 3 m.w.N. der BFH-Rechtsprechung)

4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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