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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 04.06.2008
Aktenzeichen: 10 K 1953/07
Rechtsgebiete: AufenthG, EStG, SozSichAbk YUG


Vorschriften:

AufenthG § 23 Abs. 1
AufenthG § 23a
AufenthG § 24
AufenthG § 25 Abs. 3
AufenthG § 25 Abs. 5
EStG § 62 Abs. 2
EStG § 70 Abs. 2
SozSichAbk YUG § 28 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 1953/07

Kindergeld für die Kinder ...

In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

... als Einzelrichter

aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 04. Juni 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob die Klägerin (Klin) die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für eine Kindergeldzahlung an einen Ausländer erfüllt.

I.

Die Klin ist Staatsangehörige Restjugoslawiens. Sie ist die Mutter der Kinder A (geb. 1993), B (geb. 1995), C (geb. 1998) und D(geb. 2000). Das Landratsamt W (LRA) erteilte der Klin eine Ausreiseaufforderung und Grenzübertrittsbescheinigung für Ausländer. Die ursprünglich auf den 22.03.2001 datierte Ausreiseverpflichtung verlängerte das LRA unter Einschluss der Kinder fortlaufend, zuletzt bis 02.05.2005. Am 12.04.2005 erteilte das LRA eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), deren Gültigkeit bis 11.04.07 befristet wurde. Am 28.03.2007 erhielt die Klin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG.

Die FK setzte zunächst bis einschließlich Oktober 2006 Kindergeld für die vier Kinder fest.

Mit Bescheid vom 30.03.07 hob die FK die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar 2006 bis Oktober 2006 auf und forderte das ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 6.410 EUR von der Klin zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nach überstaatlichen Rechtsvorschriften wegen Wegfalls eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr gegeben seien. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 02.05.07 als unbegründet zurück.

Zur Begründung der hiergegen gerichteten Klage trägt die Klin im Wesentlichen Folgendes vor: Die Klin sei bis zum 27.03.07 und damit auch während des gesamten Rückforderungszeitraums im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen. Sie sei während dieser Zeit einer Teilzeitbeschäftigung mit 20 Stunden pro Woche nachgegangen. Im Zeitraum 01.08.06 bis 31.01.07 habe die aus den Eheleuten und den vier Kindern bestehende Bedarfsgemeinschaft ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezogen. Dabei sei der Klin ein monatliches Netto-Erwerbseinkommen in Höhe von 990,63 EUR zugerechnet worden.

Der Klin stehe daher nach Art. 28 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens über Soziale Sicherheit (SozSichAbk YUG) ein Kindergeldanspruch zu, da sie ein über die Geringfügigkeitsgrenze hinausreichendes Erwerbseinkommen bezogen habe. Im Übrigen widerspreche die Erstattungsforderung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), da hiernach die Arbeitnehmereigenschaft nur davon abhänge, dass Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung bestehe. Zudem erfülle die Klin auch die Voraussetzungen der durch Gesetz vom 13.12.2006 geänderten Vorschrift des § 62 Abs. 2 EStG. Der Aufenthaltstitel der Klin gelte als Aufenthaltserlaubnis fort (§ 101 Abs. 2 AufenthG). Die im Zeitraum von März 2001 bis 02.05.2005 ausgestellte Grenzübertrittsbescheinigung sei einer Duldung gleichzustellen. Schließlich habe der Ehemann der Klin durch seine bis Juni 2006 bestehende Vollzeitbeschäftigung und seinen langjährigen Voraufenthalt in der Bundesrepublik die Voraussetzungen des Kindergeldbezugs erfüllt. Die Ehegatten hätten daher bei entsprechendem Hinweis der FK den Kindergeldantrag durch den Ehemann und nicht durch die Klin gestellt.

Die Klin beantragt,

den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30.03.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.05.2007 aufzuheben.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass die Voraussetzungen des SozSichAbk YUG mangels Bestehens eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Zeitraum Januar 2006 bis Oktober 2006 nicht vorgelegen hätten. Auch Arbeitslosengeld I sei nicht bezogen worden. Die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG seien nicht erfüllt, da in der alten Fassung der Vorschrift ein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht ausreichend sei und nach der neuen Fassung der Vorschrift ein mindestens 3-jähriger rechtmäßig gestatteter oder geduldeter Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlich sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze der Klin vom 30.05.2007, 09.08.2007, 10.04.2008 und 27.05.2008 sowie den Schriftsatz der FK vom 30.10.2007, hinsichtlich des Inhalts der mündlichen Verhandlung auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 05.05.2008 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

II.

1. Die Klage ist unbegründet.

Die FK hat die Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) zu Recht rückwirkend von Januar 2006 bis Oktober 2006 aufgehoben. Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzung des Kindergeldes zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, eine Veränderung eintritt. Diese Änderungsvoraussetzungen liegen vor:

a) Die Klin erfüllt nicht die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 - AuslAnsprG - (BGBl. I 06, 2915, BStBl I 2007, 62).

aa) Die Neuregelung ist nach § 52 Abs. 61a S. 2 EStG in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Da § 70 Abs. 2 EStG eine Durchbrechung der Bestandskraft positiver Kindergeldfestsetzungen vorsieht, ist auch in diesen Fällen § 62 Abs. 2 EStG n.F. anzuwenden (vgl. BFH-Urteil vom 22.11.2007 III R 54/02, BFH/NV 2007, 1234).

bb) Nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG n.F. erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld dann, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde u.a. nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erteilt (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG n.F.) erteilt. Besitzt der Ausländer eine solche in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG n.F. genannte Aufenthaltserlaubnis, hat er nur dann Anspruch auf Kindergeld, wenn er sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG n.F.). Die Fortgeltung von vor dem 01.01.2005 erteilten Aufenthaltsrechten und getroffenen ausländerrechtlichen Maßnahmen bestimmt sich nach §§ 101, 102 AufenthG.

Die Beschränkung des Kindergeldanspruchs durch § 62 Abs. 2 EStG n.F. steht nicht in Widerspruch zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25.10.2005 in der Sache 59140/00, Okpisz/Deutschland (BFH/NV 2006, Beilage 3, 357).

Diese Entscheidung ist, ebenso wie der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.07.2004 (1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) zu § 1 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz ergangen, nicht aber zu § 62 Abs. 2 EStG n.F (s. etwa BFH-Urteil vom 22.11.2007 III R 63/04, BFH/NV 2008, 771).

cc) Im vorliegenden Fall besaß die Klin im streitigen Zeitraum die am 12.04.2005 erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Nach § 62 Abs. 2 Nr. Nr. 2 Buchst c EStG ist ein Kindergeldanspruch bei Vorliegen einer solchen Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich ausgeschlossen.

Aber auch die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst a EStG liegen nicht vor. Die Klin hielt sich nicht seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet auf (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst a EStG). Sie war als Asylbewerberin abgelehnt worden und das LRA hatte eine Ausreiseaufforderung und Grenzübertrittsbescheinigung erteilt, die lediglich mehrfach befristet verlängert wurde.

Mit dieser Stellung erfüllte die Klin nicht die Voraussetzung eines mindestens dreijährigen rechtmäßigen Aufenthalts, da ihr nicht bereits für drei Jahre ein Aufenthaltstitel (§ 4 Abs. 1 AufenthG) erteilt war. Auch erfüllt die Ausreiseaufforderung und Grenzübertrittsbescheinigung nicht die Erfordernisse einer Gestattung nach § 55 Asylverfahrensgesetz oder einer Duldung nach § 55 AuslG bzw. § 60a AufenthG. Eine Gleichsetzung dieser Ausreiseaufforderung und Grenzübertrittsbescheinigung mit einer Duldung ist nicht möglich, da die Duldung nach § 55 AuslG bzw. § 60a AufenthG nur unter besonderen Voraussetzungen zu erteilen ist. Der Gesetzgeber hat insoweit in § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst a EStG typisierend festgelegt, welche Art von Aufenthalten als Anzeichen für eine dauerhafte Integration zu werten ist. Der darin zum Ausdruck kommende Gedanke eines rechtstreuen Verhaltens gebietet es gerade nicht, eine positive Prognose der dauerhaften Integration in Fällen zu treffen, in denen eine Ausreiseaufforderung und eine Grenzübertrittsbescheinigung erteilt wurden, diese jedoch vom Ausreisepflichtigen nicht beachtet wurden.

b) aa) Auch ein Anspruch nach dem SozSichAbk YUG besteht nicht.

Nach Art. 28 SozSichAbk YUG haben Personen Anspruch auf deutsches Kindergeld, die in der Bundesrepublik beschäftigt sind und den in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften unterliegen oder nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Leistungen aus der Kranken- oder Arbeitslosenversicherung beziehen. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d SozSichAbk YUG bezieht sich auf die deutschen Vorschriften über das Kindergeld für Arbeitnehmer. Abkommensrechtlich sind dies Personen, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen (BFH-Urteil vom 21.02.2008 III R 79/03, BFH/NV 2008, 1036).

bb) Diese Voraussetzungen lagen im vorliegenden Fall für den streitigen Zeitraum nicht vor.

Die Bestätigung der Fa. S vom 24.01.2007 bestätigt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nur für das Jahr 2004. Die Arbeitgeberbescheinigung der Fa. H vom 08.12.06 bestätigt ein Beschäftigungsverhältnis erst ab 14.11.2006. Laut Kundenhistorie der Arbeitsagentur war die Klin ab 01.01.2005 arbeitslos gemeldet und bezog seit diesem Zeitpunkt Arbeitslosengeld II. Auch aus den von der Klin vorgelegten Berechnungsbögen über die Höhe der monatlichen Regelleistungen ergibt sich für die Zeit von 01.08.2006 bis 30.11.2006 keine Berücksichtigung eines Erwerbseinkommens der Klin.

Erwerbseinkommen der Klin wurde danach nur für die Zeiträume 01.12.2006 - 31.12.2006 und 01.01.2007 bis 31.01.2007, also nicht für den streitigen Zeitraum berücksichtigt.

Für die Zeit vor dem 01.08.2006 wurden weder Berechnungsbögen vorgelegt noch wurde das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses anderweitig substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt.

Da somit weder ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestand noch Leistungen der Kranken- oder Arbeitslosenversicherung bezogen wurden, scheidet ein Anspruch nach Art. 28 SozSichAbk YUG aus.

cc) Die Regelung des Art. 28 SozSichAbk YUG widerspricht auch nicht dem Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Die sachliche Beschränkung des Abkommens auf Kindergeld für Arbeitnehmer beruht darauf, dass nach dem --in den Teilrepubliken unterschiedlichen-- jugoslawischen Recht nur Arbeitnehmer Anspruch auf Kindergeld hatten. Die gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen konnten also nur durch eine Beschränkung des sachlichen Kindergeldbereichs auf das "Kindergeld für Arbeitnehmer" im Gleichgewicht gehalten werden. Das im Völkerrecht geltende Prinzip der Gegenseitigkeit ist ein sachlicher Grund, der die unterschiedliche Behandlung von selbstständig und nichtselbstständig tätigen Personen rechtfertigt (BFH-Urteil vom 15.03.2007 III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234 m.w.N.).

dd) Auch aus dem von der Klin zitierten EuGH-Urteil vom 04.05.1999 C-262/96 (Slg. 1999, I-2685) lässt sich kein anderes Ergebnis herleiten. Das Urteil betraf einen Anspruch auf Kindergeld nach dem Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei. Als (kindergeldberechtigter) Arbeitnehmer gilt danach jede Person, die für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert ist. Die in der Bundesrepublik lebende türkische Staatsangehörige, die keine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis, sondern nur eine --nach § 62 Abs. 2 EStG a.F. nicht zum Bezug von Kindergeld berechtigende-- Aufenthaltsbewilligung besaß, war nach Auffassung des EuGH als Arbeitnehmerin im Sinne jenes Abkommens anzusehen, weil für sie -- obwohl sie nicht erwerbstätig war-- nach deutschem Recht Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als gezahlt galten. Nach der Entscheidung des EuGH durfte der Kindergeldanspruch der türkischen Staatsangehörigen nach dem Assoziierungsabkommen nicht von einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhängig gemacht werden.

Im Streitfall stellt sich aber die Frage, ob der Anspruch auf Kindergeld nach einem zwischenstaatlichen Abkommen davon abhängt, dass der Anspruchsberechtigte einen zum Bezug von Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG berechtigenden Aufenthaltstitel besitzt, nicht, weil die Klin --anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall-- die Voraussetzungen des hier maßgeblichen Abkommens (Art. 28 SozSichAbk YUG: sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis bzw. Bezug von Kranken- oder Arbeitslosengeld) nicht erfüllt (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1234).

c) Ob der Ehemann der Klin im streitigen Zeitraum anspruchsberechtigt war, braucht das Gericht nicht zu prüfen, weil die FK im angegriffenen Bescheid nur eine Anspruchsberechtigung der Klin verneint hat.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



Ende der Entscheidung

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