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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 10 K 275/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 64 Abs. 1
EStG § 64 Abs. 2 S. 1
EStG § 66 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 275/07

Kindergeld für ... für Mai und Juni 2006

In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

als Einzelrichter

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 31.10.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2006 wird insoweit aufgehoben als hierin die Kindergeldfestsetzung für die Monate Mai 2006 und Juni 2006 aufgehoben und das Kindergeld in Höhe von 924 EUR zurückgefordert wird.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

Streitig ist, ob der Klägerin vorrangig vor ihrem Ehemann der Kindergeldanspruch für die gemeinsamen Kinder zusteht.

I.

Die Klägerin ist die Mutter der am ...1996 geborenen N, der am...1999 geborenen D und der am ...2003 geborenen S. Der Beigeladene ist der Vater der Kinder. Die Klägerin beantragte mit bei der Familienkasse am 10.05.2006 eingegangenem Formblattschreiben vom 11.03.2006 Kindergeld für die drei Kinder. Der Beigeladene erklärte auf dem Antragsformular sein Einverständnis damit, dass das Kindergeld an die Klägerin ausgezahlt wird. Die Familienkasse setzte mit Bescheid vom 12.05.2006 das Kindergeld ab Mai 2006 antragsgemäß zu Gunsten der Klägerin fest. Mit Bescheid vom selben Tag hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung zugunsten des Beigeladenen ab Mai 2006 auf. Hiergegen erhob der Beigeladene mit bei der Familienkasse am 06.06.2006 eingegangenem Telefax Einspruch. Mit Beschluss vom ...07.2006 übertrug das Amtsgericht A mittels einstweiliger Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht hinsichtlich der drei Kinder auf den Beigeladenen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht M mit Beschluss vom ...08.2006 als unbegründet zurück. Mit Beschluss vom ...08.2006 wies das Amtsgericht A einen Antrag der Klin, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung die Ehewohnung zuzuweisen, zurück. Das OLG M bestätigte diese Entscheidung mit Beschluss vom ...08.2006. Hierauf hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 31.10.2006 ab Mai 2006 auf und forderte das für den Zeitraum Mai 2006 bis Juni 2006 ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 924 EUR von der Klägerin zurück. Den hiergegen fristgerecht erhobenen Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 13.12.2006 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage. Zu deren Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: Der Bescheid sei rechtswidrig, da die Kinder nicht im Haushalt des Beigeladenen, sondern im gemeinsamen Haushalt beider Elternteile aufgenommen gewesen seien. Die Klägerin sei jeden Tag - außer donnerstags - in die Ehewohnung zurückgekehrt und habe die Kinder betreut. Der Beigeladene habe im Kindergeldantrag vom 11.03.2006 die Klägerin zur vorrangig Berechtigten bestimmt. Der Beigeladene habe mit seinem Einspruch vom 06.06.2006 die Berechtigtenbestimmung daher allenfalls ab Juli 2006 widerrufen können. Zudem sei ein Widerruf der Berechtigtenbestimmung analog § 130 BGB rechtlich nicht möglich. Der Beigeladene habe erst ab dem 03.07.2006 eine Tagesmutter beschäftigt. Schließlich sei die Klägerin hinsichtlich des empfangenen Kindergeldes entreichert, da sie das Kindergeld vollständig für die drei Kinder ausgegeben habe.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 31.10.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2006 insoweit aufzuheben als hierin die Kindergeldfestsetzung für die Monate Mai 2006 und Juni 2006 aufgehoben und das Kindergeld in Höhe von 924 EUR zurückgefordert wird,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung darauf, dass die Klägerin am 24.04.2006 die Ehewohnung verlassen habe, und daher kein gemeinsamer Haushalt zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen mehr bestanden habe. Eine Berechtigtenbestimmung komme deshalb nicht in Betracht.

Der Beigeladene

hat keinen Antrag gestellt.

Er weist im Wesentlichen darauf hin, dass er sich über den Inhalt der von ihm abgegebenen Berechtigtenbestimmung nicht im Klaren gewesen sei. Die Kinder hätten alleine in seinem Haushalt gelebt. Ausschließlich er sei finanziell für die Kinder aufgekommen und habe sie auch überwiegend betreut und erzogen.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 15.01.2007, 26.02.2007, 03.07.2007, 31.01.2008, der Familienkasse vom 24.05.2007 und des Beigeladenen vom 02.02.2008 Bezug genommen. Wegen des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 14.01. 2008 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

II.

1. Die Klage ist begründet.

Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Nach § 64 Abs. 2 S. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) wird das Kindergeld bei mehreren Berechtigten demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Ist ein Kind in den gemeinsamen Haushalt von Eltern aufgenommen, so bestimmen diese untereinander den Berechtigten. Änderungen während des laufenden Monats sind vom Beginn des Folgemonats zu berücksichtigen (§ 66 Abs. 2 EStG). Eine Haushaltsaufnahme im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG liegt vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen die Voraussetzungen materieller Art (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein. Die Betreuung des Kindes im Haushalt eines Berechtigten muss einen zeitlich bedeutsamen Umfang haben und die Aufenthalte des Kindes dürfen nicht nur Besuchs- oder Feriencharakter haben (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Dezember 2004 VIII R 106/03, BFH/NV 2005, 616). Wie der BFH in dem genannten Beschluss weiter ausgeführt hat, ist bei Aufenthalten eines Kindes sowohl in dem Haushalt des einen wie auch des anderen Berechtigten, da eine Aufteilung des Kindergelds nach § 64 Abs. 1 EStG ausgeschlossen ist, darauf abzustellen, wo sich das Kind überwiegend aufhält und wo es seinen Lebensmittelpunkt hat. Für den Fall der gleichwertigen Aufnahme in mehreren Haushalten ist nach der Rechtsprechung des BFH § 64 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 EStG analog anzuwenden(Urteil vom 23. März 2005 III R 91/03, BFH/NV 2005, 1186). D.h. auch bei gleichwertiger Haushaltsaufnahme bei zwei Berechtigten ist typischerweise --unabhängig davon, ob dies im konkreten Fall tatsächlich so gegeben ist-- davon auszugehen, dass beide Berechtigten in gleicher Höhe mit den Leistungen für das Kind belastet sind. Somit ist es auch gerechtfertigt, beiden Berechtigten die Bestimmung des vorrangig Berechtigten zu überlassen.

Im vorliegenden Fall ist das Gericht nach den Gesamtumständen des Falles davon überzeugt, dass die Kinder im Zeitraum Mai und Juni 2006 gleichwertig in den Haushalt beider Elternteile aufgenommen waren. Dabei stellt das Gericht darauf ab, dass hinsichtlich der gemeinsamen Haushaltsaufnahme nicht ausschlaggebend ist, inwieweit die eheliche Lebensgemeinschaft bereits aufgelöst wurde. Vielmehr kommt es darauf an, ob und inwieweit sich die Betreuungssituation der Kinder durch die Trennung der Ehegatten in entscheidungserheblicher Weise verändert hat.

Nach übereinstimmendem Vortrag der Klägerin und des Beigeladenen hat die Klägerin die Kinder wochentags --mit Ausnahme des Donnerstags-- nach Ende der Schule bzw. des Kindergartens bis zur Rückkehr des Beigeladenen von der Arbeit (in der Regel zwischen 18.00 und 19.00 Uhr) betreut. Sie hatte nach wie vor einen Schlüssel zur Ehewohnung und im streitigen Zeitraum nur ihre notwendigsten persönlichen Dinge aus der Wohnung entfernt. Aus der vom Beigeladenen vorgelegten Bestätigung des Kindergartens ergibt sich, dass die Klägerin die Kinder in der Zeit zwischen 13.30 und 16.30 Uhr abgeholt hat. Hinsichtlich der Wochenenden hat die Klägerin angegeben, dass die Betreuung der Kinder zwischen den Ehegatten aufgeteilt wurde. Dass die Kinder dabei teilweise bei den Eltern der Klägerin übernachtet haben, wird auch in der Stellungnahme des Beigeladenen bestätigt. Die insoweit abweichende Angabe in der vom Beigeladenen vorgelegten Bestätigung des Kindergartens vom 26.05.2006 bewertet das Gericht als reine Gefälligkeitsbestätigung. Denn insoweit kann davon ausgegangen werden, dass die Erzieherinnen aus eigener Wahrnehmung nicht beurteilen können, ob der Beigeladene die drei Kinder die ganze Woche abends, nachts, am Morgen, an den Wochenenden, Feiertags und in den Ferien versorgt hat. Demgegenüber hält das Gericht die Aussage der Klägerin hinsichtlich ihrer Betreuungsleistungen für glaubhaft. Insbesondere konnte sie detailgenau die außerhalb von Schule und Kindergarten stattgefundenen Aktivitäten der Kinder (Ballett, Logopädin, Tae-Kwon-do, Einradfahren) darlegen. Auch hat sie nicht verhehlt, dass die Betreuung der Kinder durch die eheliche Trennung und die Hinwendung zum neuen Partner Einschränkungen erfahren hat (der Donnerstag wurde für den neuen Lebensgefährten freigehalten). Diese Betreuungssituation dauerte auch nach Vortrag des Beigeladenen jedenfalls bis 10.06.2006 fort. Das Gericht geht danach davon aus, dass sich die Betreuungssituation der Kinder in den Monaten Mai 2006 bis jedenfalls 10.06.2006 trotz der mit der Trennung der Ehegatten einhergehenden Einschränkungen nicht in entscheidungserheblichem Umfang geändert hat. Die Klägerin setzte in der Hauptbetreuungszeit (nachmittags) das örtliche Zusammenleben mit den Kindern im Wesentlichen wie während der intakten Familie fort. Sie war daher --insbesondere auch unter Berücksichtigung des Alters der Kinder (2, 6 und 9 Jahre)-- die Hauptansprechperson in Betreuungs- und Erziehungsfragen. Dass die Betreuung durch die Klägerin von Gewicht war, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts auch aus der Darlegung des Beigeladenen, dass die Klägerin donnerstags eine Betreuung kategorisch abgelehnt habe.

Daraus kann gefolgert werden, dass auch der Beigeladene Wert darauf gelegt hatte, dass auch donnerstags eine den übrigen Wochentagen entsprechende Betreuung durch die Klägerin gewährleistet wird. Auch wenn die Klägerin --mangels eigenen Einkommens- - in finanzieller Hinsicht allenfalls geringere Beiträge zur Haushaltsführung geleistet haben sollte, berührt dies den Fortbestand der Aufnahme in ihren Haushalt nicht. Denn hierin spiegelt sich nur die zwischen den Ehegatten auch während der intakten Ehe vereinbarte Rollenaufteilung wieder. In der Gesamtwürdigung ist das Gericht der Überzeugung, dass das Betreuungsverhältnis der Klägerin zu den Kindern sowohl vom zeitlichen Umfang als auch von der Intensität noch wesentlich stärker der intakten Familie angenähert war als einem bloßen Besuchs- bzw. Umgangsverhältnis. Soweit sich aus den familiengerichtlichen Entscheidungen zum Aufenthaltsbestimmungsrecht und zur Zuweisung der Ehewohnung eine andere Sachverhaltswürdigung ergeben sollte, ist dies für das erkennende Gericht nicht von ausschlaggebender Bedeutung, weil bereits die erstinstanzlichen Entscheidungen hierzu erst am 11.07.2006 und am 01.08.2006 getroffen wurden und insoweit --was auch von der Klägerin nicht bestritten wird-- bereits veränderte Umstände (Beschäftigung einer Tagesmutter) vorlagen. Zudem waren diese Entscheidungen auf eine in die Zukunft gerichtete Regelung der Betreuungssituation gerichtet und berücksichtigten insbesondere auch das Nichtvorhandensein einer geeigneten Wohnung bei der Klägerin und ihrem neuen Lebensgefährten. Das Gericht geht danach davon aus, dass die Kinder gleichwertig in den Haushalt beider Berechtigten aufgenommen waren. Dabei kann wegen der oben dargelegten Identität der Rechtsfolgen dahingestellt bleiben, ob es sich um einen gemeinsamen Haushalt oder zwei getrennte Haushalte innerhalb der bisherigen Ehewohnung handelte.

Abzustellen ist danach auf die von den Berechtigten getroffene Bestimmung des vorrangig Berechtigten. Insoweit hat der Beigeladene --was er nicht bestreitet-- auf dem Antrag vom 11.03.2006 sein Einverständnis mit einer Zahlung des Kindergelds an die Klägerin erklärt. Ob dem Beigeladenen bei der Abgabe dieser Erklärung ein Irrtum unterlaufen ist, kann das Gericht dahingestellt sein lassen. Denn ein etwaiger Irrtum berührt die Wirksamkeit der Erklärung nicht. Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Anfechtung von Willenserklärungen wegen Irrtums sind grundsätzlich im öffentlichen Recht nicht sinngemäß anzuwenden. Hier bestimmt sich ausschließlich nach öffentlichem Recht, ob die Erklärung berichtigt, ergänzt oder widerrufen werden kann (BFH-Urteile vom 20.05.1981 I R 181/78, in [...]; und vom 09.04.1975 I R 55/73, BFHE 115, 377, BStBl II 1975, 616 m.w.N.). Diese Erklärung ist der Familienkasse zwar nach dem auf dem Antragsformular befindlichen Eingangsstempel erst am 10.05.2006 zugegangen, jedoch --wie sich aus der Kindergeldakte des Beigeladenen ergibt-- noch vor Auszahlung des Kindergelds für Mai 2006 an den Beigeladenen. Ein solcher Widerruf der bisherigen Berechtigtenbestimmung ist --jedenfalls soweit er sich auf das noch nicht ausgezahlte Kindergeld für den laufenden Monat und künftige Monate bezieht-- als wirksam zu erachten (vgl. hierzu Urteile des FG München vom 25.10.2006 10 K 483/05 EFG 2007, 423; und des Schleswig-Holsteinischen FG vom 31.03.1999 III 1493/98 EFG 1999, 786). Demgegenüber konnte eine Änderung der Berechtigtenbestimmung aufgrund des bei der FK am 06.06.2006 eingegangenen Einspruchs des Beigeladenen bei der Kindergeldauszahlung an die Klägerin für Juni 2006 nach Aktenlage nicht mehr berücksichtigt werden. Selbst wenn man diesen Einspruch daher als Widerruf der Berechtigtenbestimmung auslegt, würde dieser nur Wirkung ab Juli 2006 entfalten.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Es war weder geboten, dem Beigeladenen Kosten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 3 FGO), noch die Erstattung außergerichtlicher Aufwendungen anzuordnen (§ 139 Abs. 4 FGO).

3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).



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