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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 20.06.2007
Aktenzeichen: 10 K 2872/06
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 2
EStG § 70 Abs. 2
EStG § 70 Abs. 3
EStG § 70 Abs. 4
AO §§ 172 ff.
AO § 355 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 2872/06

Kindergeld für ... von Oktober 2002 - Juli 2004

In der Streitsache

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

... als Einzelrichter

ohne mündliche Verhandlung

am 20. Juni 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob ein Bescheid über Aufhebung der Festsetzung und Rückforderung von Kindergeld zugegangen ist und die Bestandskraft dieses Bescheids eine Änderung ausschließt.

I. Die Klägerin (Klin) ist die Mutter des am 24. September 1984 geborenen D.

Die Beklagte (die Familienkasse --FK--) gewährte der Klin für D bis einschließlich Juli 2004 Kindergeld. Mit Schreiben vom 15. November 2004 teilte die FK der Klin mit, dass der Nachweis über die Beendigung der Berufsausbildung des D bisher trotz zweimaliger Aufforderung nicht eingereicht worden sei. Daher sei möglicherweise Kindergeld für den Zeitraum November 2002 bis Juli 2004 in Höhe von 3.234 EUR zu Unrecht bezahlt worden, weshalb eine Aufhebung der Festsetzung und Rückforderung bereits ausgezahlten Kindergelds zu prüfen sei. Der Ehemann der Klin, der zugleich der Ausbildungsarbeitgeber des D war, reichte hierauf eine Bestätigung über die Fortdauer des Ausbildungsverhältnisses ein und gab darin auch die für die Zeit ab September 2002 gezahlte Ausbildungsvergütung an.

Die FK hob daraufhin mit Bescheid vom 30. November 2004 die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 2002 auf und forderte das Kindergeld für den Zeitraum von Oktober 2002 bis Juli 2004 in Höhe von 3.388 EUR zurück. Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung stützte die FK darauf, dass die eigenen Einkünfte des D im fraglichen Zeitraum den gesetzlichen Grenzbetrag überschritten. Der in den Akten befindliche Entwurf des Bescheids enthält keinen Absendevermerk.

Nachdem die Klin eine Bestätigung über die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses zum 30. November 2004 übermittelt und mitgeteilt hatte, dass D anschließend arbeitslos gemeldet war, setzte die FK mit Bescheid vom 28. Februar 2005 ab Januar 2005 erneut Kindergeld für D fest.

Die Forderungseinzugsstelle der FK mahnte den ausstehenden Rückforderungsbetrag von 3.388 EUR mit Schreiben vom 13. Februar 2005, dessen Zugang die Klin bestätigt hat, an. In der Mahnung wurde die Forderung mit "Kindergeld" angegeben und als Bescheid der der Arbeitsagentur X vom 30. November 2004 benannt. Daraufhin zahlte die Klin mit Überweisung vom 07. März 2005 den geforderten Betrag an die FK zurück.

Aus der Akte der Forderungseinzugsstelle ergibt sich weiter, dass bereits am 01. Dezember 2004 eine Zahlungsmitteilung erstellt worden war, mit Schreiben vom 09. März 2005 Zinsen in Höhe von 67 EUR angefordert wurden, auch diese mit Schreiben vom 08. April 2005 angemahnt wurden und am 12. Mai 2005 ein Zahlungseingang hinsichtlich des Zinsbetrags bei der FK stattfand.

Mit Schreiben vom 08. Juli 2005 bezog sich die Klin auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 (Az. 2 BvR 167/02) und teilte mit, dass die Einkünfte des D in den Jahren 2002 bis 2004 unter Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge unter dem gesetzlichen Grenzbetrag gelegen hätten. Sie forderte daher das an die FK zurückgezahlte Kindergeld in Höhe von 3.388 EUR wieder zurück. Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte die FK eine Kindergeldzahlung für den Zeitraum Oktober 2002 bis Dezember 2004 ab und berief sich auf die Bestandskraft des Bescheides vom 30. November 2004, als deren Folge Kindergeld erst ab dem auf die Bekanntgabe des Bescheides folgenden Monat neu festgesetzt werden könne. Mit Schreiben vom 03. August 2005 erhob die Klin hiergegen Widerspruch und teilte u.a. mit, dass sie die Rückzahlung nur auf das Forderungsschreiben vom 28. Februar 2005 und die nachfolgenden Mahnungen, in denen auch Säumniszuschläge angedroht worden seien, geleistet habe. Mit weiterem Schreiben vom 16. September 2005 teilte die Klin mit, dass sie den fraglichen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid nicht erhalten habe, weshalb auch keine Bestandskraft eingetreten sein könne.

Mit Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2006 wies die FK den Einspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Der Nachweis des Zugangs des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 30. November 2004 lasse sich auch nicht anhand von Indizien führen. Es fehle ein Absendevermerk. Die Klin habe den Erstattungsanspruch aufgrund der Mahnungen und der angedrohten Säumniszuschläge beglichen. Zudem hätte sie den Betrag laut Bescheid vom 30. November 2004 auch begleichen müssen, wenn sie rechtzeitig Einspruch eingelegt hätte. Die Nachhaltigkeit der Bemühungen der Klin um eine Rückerstattung lasse darauf schließen, dass sie sofort mit einem Einspruch reagiert hätte, wenn sie den fraglichen Bescheid erhalten hätte.

Die Klin beantragt sinngemäß,

die FK unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Juli 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Juni 2006 zu verpflichten, an die Klin Kindergeld für das Kind Dennis für den Zeitraum Oktober 2002 bis Juli 2004 in Höhe von 3.388 EUR zurückzuzahlen.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass sich der Zugang des Bescheids aus Indizien ableiten lasse. Die Klin habe auf die Zahlungsmitteilung der Regionaldirektion Bayern, Forderungseinzug, den geforderten Betrag gezahlt. Es hätte nahe gelegen, sich nach dem Grund der Rückforderung eines solch hohen Betrages zu erkundigen, falls die Klin den Bescheid nicht erhalten hätte. Die Anhörung habe den Grund der Rückforderung nicht enthalten. In ihrem Schreiben vom 08. Juli 2005 habe die Klin dann auch ausdrücklich die Höhe des Einkommens von D genannt.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 20. Juni 2007 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung ( § 90 Abs. 2 FGO).

II. Die Klage ist unbegründet.

Die FK hat eine Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld für den Zeitraum Oktober 2002 bis Juli 2004 zu Recht abgelehnt, da der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30. November 2004 der Klin zugegangen ist und mangels Einspruchseinlegung bestandskräftig geworden ist.

1. Der Bundesfinanzhof --BFH--hat im Hinblick auf die vom BVerfG vorgenommene verfassungskonforme Auslegung des § 32 Abs. 4 S. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), wonach die Einkünfte des Kindes um die von ihm gezahlten Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu mindern sind, die Grenzen der Änderbarkeit bestandskräftiger Kindergeld-(aufhebungs-)bescheide in mehreren Entscheidungen näher bestimmt.

Danach scheidet eine Änderung eines Kindergeldbescheides, durch den die FK die Kindergeldfestsetzung für ein abgelaufenes Kalenderjahr --wie hier für Oktober bis Dezember 2002 und für 2003--rückwirkend aufgehoben hat, sowohl nach § 70 Abs. 2 bis 4 EStG als auch nach §§ 172 ff Abgabenordnung (AO) aus, wenn der Bescheid mangels Einspruchseinlegung Bestandskraft erlangt hat (BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BFH/NV 2006, 2204, auf das wegen der Begründung im Einzelnen Bezug genommen wird).

Auch soweit die FK einen Kindergeldaufhebungsbescheid während eines Kalenderjahrs als Prognoseentscheidung erlassen hat --wie hier für Januar bis November 2004--, kommt eine Änderung nach § 70 Abs. 4 EStG nur dann in Betracht, wenn nachträglich bekannt wird, dass sich die Einkünfte und Bezüge entgegen der Prognose im laufenden Kalenderjahr erhöht oder vermindert haben, nicht aber, wenn sich ein von der Prognose abweichender Betrag ergibt, weil sich nach Erlass des Kindergeldbescheids --wie hier aufgrund einer Entscheidung des BVerfG --die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG geändert hat (BFH-Urteil vom 28. November 2006 III R 6/06, BFH/NV 2007, 338).

2. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30. November 2004 ist der Klin nach der aus den Gesamtumständen des Falles gewonnenen Überzeugung des Gerichts zugegangen.

Der in den Akten befindliche Entwurf des Bescheides enthält zwar keinen Absendevermerk.

Dies schließt nach der Rechtsprechung des BFH aber nicht aus, dass der bestrittene Zugang eines Bescheides gleichwohl aufgrund eines Indizienbeweises festgestellt wird (BFH-Beschluss vom 14. Juni 2002 II B 82/01, BFH/NV 2002, 1329). Demnach können bestimmte Verhaltensweisen des Steuerpflichtigen bzw. hier des Kindergeldberechtigten innerhalb eines längeren Zeitraums nach Absendung dahingehend gewürdigt werden, dass von einem Zugang des Bescheids auszugehen ist (BFH-Beschluss vom 29. April 1999 V B 173/98, BFH/NV 1999, 1442 m.w.N.).

Vorliegend hat die Klin sowohl den gesamten zurückgeforderten Kindergeldbetrag als auch den auf den Rückforderungsbetrag entstandenen Zinsbetrag an die FK gezahlt. In der Mahnung hinsichtlich des Rückforderungsbetrages Kindergeld war auch der zugrunde liegende Bescheid ausdrücklich genannt. Dies spricht insbesondere unter Berücksichtigung der beträchtlichen Höhe des Rückforderungsbetrages dafür, dass der Klin die Grundlage der Rückforderung bekannt war. Zudem hat sich die Klin zunächst inhaltlich trotz des Tätigwerdens der Forderungseinzugsstelle nicht gegen die Rückforderung gewehrt.

Auch wenn in der Mahnung darauf hingewiesen wurde, dass die Einlegung von Rechtsbehelfen nicht von der Pflicht zur fristgerechten Rückzahlung befreit, schließt dies nicht aus, dass sich die Klin gegen die Rückforderung wehrt und ggf. --wie sie es ja dann auch später getan hat--die Erstattung des zurückgezahlten Betrages verlangt. Ein Vorgehen gegen die Rückforderung hätte --bei unterstellter Unkenntnis vom Aufhebungs und Rückforderungsbescheid--vor allem auch deshalb nahe gelegen, als der von der Forderungseinzugstelle angeforderte Betrag (3.388 EUR) höher war, als der im Anhörungsschreiben vom 15. November 2004 genannte Betrag (3.234 EUR). Dass sich die Klin insoweit gegen die Rückforderung nicht gewehrt hat, spricht dafür, dass der Klin der Rückforderungsgrund, der Rückforderungszeitraum und der daraus resultierende genaue Rückforderungsbetrag genau bekannt waren und sie diese Rückforderung akzeptiert hat.

Auch gegen den Kindergeldbescheid vom 28. Februar 2005, mit dem Kindergeld erst wieder ab Januar 2005 festgesetzt wurde, obwohl D bereits ab 01. Dezember 2004 arbeitslos gemeldet war, ist die Klin nicht vorgegangen. Dies deutet ebenfalls daraufhin, dass der Klin die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung über den Rückforderungszeitraum (bis einschließlich Juli 2004) hinaus --mithin auch für die Monate August - Dezember 2004-- und der Aufhebungsgrund (Überschreitung der Einkommensgrenze) bekannt waren. Diese Kenntnis konnte sie aber nur aus dem Aufhebungsbescheid und nicht aus den Schreiben der Forderungseinzugsstelle haben, da letztere nur die Rückforderung betrafen.

Tätig geworden ist die Klin dagegen erst wieder mit Schreiben vom 08. Juli 2005. In diesem Schreiben hat sie sich ausschließlich auf die --dem Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid zugrunde liegende--Einkommensberechnung und deren Änderung durch die neuere Rechtsprechung des BVerfG bezogen. Dieses Schreiben steht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Publikation der Entscheidung des BVerfG, die erst mit Pressemitteilung vom 13. Mai 2005 erfolgte. Dies deutet ebenfalls darauf hin, dass der Klin der Grund der Aufhebung bekannt war und sie nur aufgrund der veränderten Rechtsauslegung erneut tätig geworden ist.

Auch wurde weder in diesem Schreiben noch im nachfolgenden Schreiben des Ehemanns der Klin vom 25. Juli 2005 behauptet, dass der Klin ein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid nie zugegangen sei oder sie Zweifel habe, auf welcher formalen Grundlage die Aufhebung und Rückforderung beruhe. Auch auf den Ablehnungsbescheid vom 28. Juli 2005, in dem auf die Bestandskraft des Bescheides vom 30 November 2004 hingewiesen wurde, hat die Klin in ihrem Widerspruchsschreiben vom 03. August 2005 nicht behauptet, den Bescheid nicht erhalten zu haben. Erst mit Schreiben vom 16. September 2005 behauptete die Klin dann erstmals, den Bescheid nicht erhalten zu haben.

Das Gericht wertet diese Darlegung aufgrund des vorangehenden Verhaltens der Klin als reine Schutzbehauptung und ist nach den Gesamtumständen des Falles der Überzeugung, dass der Klin spätestens im Zeitpunkt der Rückzahlung (07. März 2005) der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 30. November 2004 zugegangen war.

Damit wäre auch dann, wenn man das Schreiben vom 08. Juli 2005 als Einspruch auslegen würde, die Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 S. 1 AO bereits abgelaufen gewesen.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ( § 110 AO) wurden weder dargelegt noch sind sie anderweitig ersichtlich 3.

Der Bescheid vom 30. November 2004 ist danach bestandskräftig geworden. Für die bereits abgelaufenen Jahre 2002 und 2003 schließt die Bestandskraft --wie oben dargelegt wurde--eine Änderung aus.

Für 2004 ergibt sich auch nach § 70 Abs. 4 EStG keine Änderungsmöglichkeit. Denn es wurde nicht nachträglich bekannt, dass sich die Einkünfte und Bezüge entgegen der Prognose im laufenden Kalenderjahr vermindert haben. Vielmehr hätten die Einkünfte des D unter Anwendung der damals maßgeblichen Auslegung des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG auch bei einer abschließenden Jahresberechnung (Bruttoarbeitslohn 9.750,47 EUR ./. Werbungskostenpauschbetrag 920 EUR + Arbeitslosengeld 419,74 EUR ./. Kostenpauschale 180 EUR = 9.070,21 EUR) die Einkommensgrenze von 7.680 EUR überschritten. Dass sich unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG eine für die Klin günstigere Berechnung ergeben würde, ist nach der o.g. Rechtsprechung kein Grund für den Erlass eines Änderungsbescheides.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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