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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 01.08.2008
Aktenzeichen: 10 K 3316/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 3316/07

Kindergeld für E

In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01. August 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Klägerin (Klin) ist die Mutter des am ...05.2005 in ..., USA geborenen E. Mit Formblattantrag vom 26.08.2005 begehrte die Klin für E Kindergeld. Bis zur Geburt des E arbeitete die Klin bei Z... als ..., seither ist sie in der Erziehungszeit. Auf Nachfrage der Beklagten (die Familienkasse --FK--) gab die Klin an, dass sie neben dem Wohnsitz in den USA einen Wohnsitz im Anwesen S, dem Haus der Schwiegermutter der Klin habe. Dafür bestehe zwar kein Mietvertrag, die Nebenkosten seien aber von der Klin und ihrem Ehemann bezahlt worden. Ferner gab sie an, dass der Ehemann bei der X-GmbH im Rahmen eines Minijobs angestellt sei und dort für die Finanzen der X-Gruppe verantwortlich sei. Die Aufenthalte in Deutschland variierten zwischen 10 Tagen und 6 Wochen. Des Weiteren reichte die Klin eine Bescheinigung des Finanzamts W vom 20.06.2006 ein, worin die Steuerpflichtigkeit der Klin für 2005 und 2006 bescheinigt wird.

Die FK lehnte die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 03.08.2006 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 07.08.2007 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Die Klin habe einen Wohnsitz in Deutschland. Im Anwesen S wohne die Familie der Klin im Dachgeschoss. Dort stehe ein großer Aufenthaltsraum, 1 Küche, 1 Schlafraum und 1 Bad zur Verfügung. Die Wohnfläche betrage 80 m². Für die Klin komme eine Aufgabe des Wohnsitzes nicht in Betracht, weil sie ihre Tätigkeit bei Z wieder aufnehmen wolle. Das Erdgeschoss werde von einem anderen Familienmitglied, die Wohnung im 1. Obergeschoss von der Schwiegermutter der Klin bewohnt. Der derzeitige Aufenthalt in den USA beruhe auf der beruflichen Abordnung des Ehemanns der Klin zum dortigen Werk. Daneben sei der Ehemann Prokurist bei der in Deutschland ansässigen Firma. Ferner sei die Klin uneingeschränkt steuerpflichtig, so dass sich hieraus ein Kindergeldanspruch ergebe und es sei auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, für ein Kind von zwei deutschen Staatsangehörigen Kindergeld zu gewähren.

Die Klin beantragt,

die FK unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 03.08.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.08.2007 zu verpflichten, Kindergeld von Mai 2005 bis August 2007 festzusetzen.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass die Voraussetzungen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland nicht nachgewiesen seien.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf ...Bezug genommen.

Auf die gerichtliche Anordnung vom 07.03.2008 legte die Klin eine Aufstellung vom 03.04.2008 über ihre Aufenthalte in Deutschland sowie Passkopien vor. Hierauf wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen. Hinsichtlich des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 02.07.2008 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

II. 1. Die Klage ist unbegründet.

a) Die Klin hat für den streitigen Zeitraum Mai 2005 bis August 2007 nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass sie einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte.

aa) Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Was unter Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in diesem Sinne zu verstehen ist, beurteilt sich nach den §§ 8, 9 Abgabenordnung --AO--. Melderechtliche Normen sowie bürgerlich-rechtliche Vorschriften zur Begründung, Beibehaltung und Aufgabe eines Wohnsitzes sind für die Auslegung dieser Vorschriften unmaßgeblich (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17.05.1995 I R 8/94, BFHE 178, 294, BStBl II 1996, 2). Der Wohnsitzbegriff des § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit --wenn auch in größeren Zeitabständen-- aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus (BFH-Urteile vom 26.01.2001 VI R 89/00, BFH/NV 2001, 1018; 12.01.2001 VI R 64/98, BFH/NV 2001, 1231; und vom 23.11.2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 jeweils m.w.N.). Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff zunächst Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteil in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 m.w.N.). Das Innehaben der Wohnung muss unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Die gesetzliche Regelung geht dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen im Wege einer Prognoseentscheidung Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen (BFH-Urteil in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 m.w.N.). Nicht erforderlich ist, dass die Person sich während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr in der Wohnung aufhält (BFH-Urteil vom 19. März 1997 I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447). Ebenso wenig setzt der Wohnsitzbegriff voraus, dass sich dort auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet (BFH-Urteil in BFHE 182, 296 , BStBl II 1997, 447). Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen (vgl. auch § 19 Abs. 1 S. 2 AO), wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind (BFH-Urteil in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 m.w.N.). Eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort steht der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Die Aufgabe des Wohnsitzes im Inland ist vollzogen, sobald Umstände eingetreten sind, die erkennen lassen, dass der Steuerpflichtige nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wird. Bei einer Auslandsreise kann dies der Zeitpunkt der Ausreise oder ein späterer Zeitpunkt sein, wenn sich der Steuerpflichtige zunächst nur vorübergehend im Ausland aufgehalten hat. Bei einem ursprünglich vorübergehenden Auslandsaufenthalt ist dann entscheidend, in welchem Zeitpunkt Umstände eingetreten sind, die die Annahme rechtfertigten, dass der Steuerpflichtige nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wird (BFH-Urteil vom 19.03.2002 VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146 m.w.N.). Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 S. 1 AO). Als gewöhnlicher Aufenthalt ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen (§ 9 S. 2 1. Halbsatz AO). Die Feststellungslast für das Vorliegen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland trägt derjenige der einen Anspruch auf das Kindergeld geltend macht.

bb) Im vorliegenden Fall kann zwar mit dem von der FK nicht bestrittenen Vortrag der Klin davon ausgegangen werden, dass der Klin und ihrer Familie im Dachgeschoss des Wohnhauses der Schwiegermutter geeignete Wohnräume zur Verfügung standen, die sie jederzeit nutzen konnten. Die Klin hat jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass sie diese Wohnräume im streitigen Zeitraum auch als ständige Bleibe nutzte. Denn nach der Rechtsprechung ist es nicht genügend, dass sich jemand, der dauernd und langfristig mit seiner Familie im Ausland wohnt, nur gelegentlich im Urlaub oder zu Besuchszwecken in einer Wohnung oder in Räumen aufhält, die ihm unentgeltlich von Dritten, z.B. von den Eltern, zur Verfügung gestellt werden. In einem solchen Fall nutzt er die zur Verfügung gestellten Räume nicht als Bleibe und damit nicht als Wohnsitz, sondern nur besuchsweise oder als Ferienwohnung (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 1231). Im vorliegenden Fall ist nach den Umständen von einem dauerhaften und langfristigen Aufenthalt der Familie der Klin im Ausland auszugehen. Der Ehemann der Klin leitet in den USA eine der Auslandsgesellschaften der X-Gruppe und ist nach eigenem Vortrag der Klin dort bereits seit Anfang 2002 tätig. Für deutsche Gruppengesellschaften ist der Ehemann im streitigen Zeitraum nach eigenem Vortrag der Klin nur noch geringfügig tätig. Die Klin befand sich nach ihrer eigenen Aufstellung bereits vor Geburt des Kindes seit mindestens vier Monaten in den USA. Einen Inlandsaufenthalt hat sie insoweit nur für den Zeitraum vom 22.12.2004 bis 03.01.2005 (13 Tage) angegeben. Auch hat sie das Kind E in den USA zur Welt gebracht. Nach eigenem Vortrag war die Klin jedenfalls ab Geburt des E nicht mehr in Deutschland berufstätig. Nach der Geburt des Kindes befand sich die Klin im Streitzeitraum nur jeweils zweimal pro Jahr in Deutschland und zwar einmal im Sommer und einmal über die Weihnachtszeit. Die Inlandsaufenthalte beliefen sich auf 55 Tage in 2005, 73 Tage in 2006 und 48 Tage in 2007. Umstände, die den USAAufenhalt im Streitzeitraum als nur vorübergehend erscheinen lassen und für eine absehbare dauerhafte Rückkehr nach Deutschland sprechen, wurden weder substantiiert dargelegt noch unter Beweis gestellt. Auch im Schriftsatz vom 01.08.2008 wurde eine im Jahr 2010 oder 2011 anstehende Rückkehr lediglich behauptet, ohne dass dargelegt wurde, wann und aus welchen Gründen der Rückkehrentschluss erfolgte. Zudem kann ein mindestens sechsjähriger Auslandsaufenthalt unter den gegebenen Umständen nicht mehr als nur vorübergehend eingestuft werden. Insbesondere hat die Klin auch im Hinblick auf eine Wiederaufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit nicht dargelegt, dass dies in absehbarer Zeit zu erwarten sei. Dies gilt umso mehr als bei der Klin auch eine Berufsausübung ... in den USA denkbar ist. Bei der Wohnung in S handelt es sich --wie in dem vom BFH entschiedenen Fall (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 1231)-- um eine unentgeltlich durch einen Familienangehörigen (hier Schwiegermutter) überlassene Wohnung. Zu dem --trotz der mit Anordnung vom 07.03.2008 unter Ausschlussfristsetzung angeforderten Nachweise über den Inlandsaufenthalt-- erstmals mit Schriftsatz vom 01.08.2008 vorgetragenen weiteren Wohnsitz in P, fehlt es bereits an substantiierter Darlegung, wann und aufgrund welcher tatsächlicher Umstände dieser bestanden haben soll. Daher deuten die Gesamtumstände darauf hin, dass spätestens ab Geburt des E der Familienwohnsitz in den USA war und die Klin und E die Wohnräume in S nur zu Besuchs- bzw. Ferienzwecken nutzten. Die Voraussetzung einer ständigen Bleibe im Sinne des Wohnsitzbegriffes ist danach nicht erfüllt.

cc) Ebenso fehlt es an einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Die Inlandsaufenthalte waren nur vorübergehender Natur. Ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer wurde auch von der Klin nicht behauptet.

b) Die Klin erfüllte auch nicht die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst a i.V.m. § 1 Abs. 2 EStG. Denn weder die Klin noch ihr Ehemann standen in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts. Dienstverhältnisse zu einem privaten Unternehmen werden hiervon nicht erfasst.

c) Ein Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst b i.V.m. § 1 Abs. 3 EStG scheitert jedenfalls daran, dass er nach § 63 Abs. 1 S. 3 EStG nur für Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, der EU, des EWR oder einem Abkommensstaat begründet werden kann. Diese Voraussetzungen liegen bei E nicht vor. E wurde in den USA geboren. Durch die nur zu Besuchs- bzw. Ferienzwecken erfolgten Aufenthalte in Deutschland begründete er weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Der in den USA begründete Wohnsitz ist nicht ausreichend, da die USA nicht zu den in § 63 Abs. 1 S. 3 EStG genannten Staaten gehören.

d) Auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht lässt sich ein Kindergeldanspruch nicht allein aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit der Klin und ihres Ehemannes begründen. Die kindergeldrechtliche Anspruchsberechtigung richtet sich grundsätzlich nach dem Wohnlandprinzip. Dieser Anknüpfungspunkt ist nicht als Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz --GG--) und den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) zu werten. Denn eine solche Differenzierung stellt sich als Ausprägung des im Einkommensteuerrecht allgemein geltenden Territorialitäts-Prinzips (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) dar und ist daher nicht als sachwidrig zu erachten (vgl. etwa BFH-Urteile vom 23.11.2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279; und vom 26.02.2002 VIII R 85/98, BFH/NV 2002, 912 m.w.N.).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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