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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 17.02.2009
Aktenzeichen: 12 K 1075/08
Rechtsgebiete: EStG, GG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 12. Senat des Finanzgerichts München

ohne mündliche Verhandlung

am 17. Februar 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob Kindergeld nach Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes zu gewähren ist.

Der Kläger erhielt Kindergeld für seinen Sohn A (geboren am 1. März 1983) seit dessen Geburt.

A beendete seine Schulzeit im Juni 2002 mit dem Abitur. Seit Oktober 2002 studiert er im Studiengang Lehramt Gymnasium mit den Fächern Englisch/Englische Philologie und Geschichte an der Universität B. Im Wintersemester 2005/2006 und im Sommersemester 2006 war er von der Universität B beurlaubt. Er studierte von September 2005 bis September 2006 im Rahmen eines Austauschprogramms Geschichte an der Universität von C in England und setzte anschließend sein Studium in B fort. Bei Vollendung des 25. Lebensjahres befand er sich im 10. Semester.

Mit Bescheid vom 18. Januar 2008 hob die Beklagte (Familienkasse), die Festsetzung von Kindergeld ab März 2008 auf, weil A das 25. Lebensjahr vollendet habe.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Einspruchs trug der Kläger vor, sein Sohn habe im Vertrauen auf die frühere Gesetzeslage ein Doppelstudium (Magister und Staatsexamen) begonnen, das nicht in der gleichen Zeit wie ein einfacher Studiengang absolviert werden könne. Eine nachträgliche Änderung des Studienfachs bzw. des Examensziels sei nicht mehr möglich, da sonst die erbrachten Studienleistungen verloren gingen.

Den Einspruch wies die Familienkasse durch Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2008 als unbegründet zurück.

Zur Begründung der dagegen eingelegten Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, durch das Steueränderungsgesetz 2007 sei das Höchstalter von 27 auf 25 Lebensjahre herabgesetzt worden. Dabei sei in § 52 Abs. 40 Einkommensteuergesetz (EStG) eine Übergangsvorschrift geschaffen worden, die vor 1982 geborene Kinder bevorzuge. Er habe Bedenken, ob das Steueränderungsgesetz 2007 verfassungsgemäß sei, da jede Stichtagsregelung Ungerechtigkeiten nach sich ziehe, die Absenkung des Höchstalters den Geboten der Verhältnismäßigkeit widerspreche und er keine Gründe erkennen könne, weshalb nur für vor 1982 geborene Kinder Ausnahmen geschaffen worden seien. Man habe bei der Herabsetzung der Altersgrenze als Anreiz für ein schnelleres Studium wohl eher an "Bummelstudenten" gedacht, wozu man seinen Sohn mit Zwischenprüfungsergebnissen von 1,.. nicht rechnen könne.

Es sei nicht nachzuvollziehen, warum ein Schüler, der noch das neunjährige Gymnasium durchlaufen habe, genauso schnell mit der Ausbildung fertig sein könne, wie ein Schüler des achtjährigen Gymnasiums. Die kostenlose Mitversicherung des Kindes bei der Krankenkasse sei nun nicht mehr möglich. Außerdem fiele der bisher seiner Ehefrau, die im öffentlichen Dienst tätig sei, gewährte Kinderzuschlag weg, wodurch insgesamt im Monat nicht nur die 154 EUR Kindergeld, sondern ca. 250 EUR fehlen würden. Ob Unterhalt in der Höhe gewährt werden könne, dass die steuerliche Entlastung dem Kindergeld entspreche, sei nicht in jedem Fall gewährleistet, sondern hänge vom Einkommen ab.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom 18. Januar 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die bestehende Rechtslage. Dem Vertrauensschutzgedanken sei mit der in § 52 Abs. 40 EStG eingeführten Übergangsregelung Rechnung getragen. Außerdem könnten anstelle des weggefallenen Kindergeldes Aufwendungen für den Unterhalt und die Berufsausbildung gemäß § 33a EStG steuerlich als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Familienkasse hat zu Recht die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger ab März 2008 aufgehoben, da sein Sohn die Altersgrenze überschritten hat.

1. Nach §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung wird für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt. Über diesen Zeitraum hinaus wird ein Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG oder § 32 Abs. 5 EStG ausnahmsweise dann berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten oder den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet hat, sich zum Wehrdienst verpflichtet hat oder eine Tätigkeit als Entwicklungshelfer ausgeübt hat. Diese Ausnahmetatbestände sind im Streitfall nicht erfüllt.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Herabsetzung der Altersgrenze durch § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG durch Art. 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (Bundesgesetzblatt I 2006, 1652) bestehen nicht.

2.1 Insbesondere ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht dadurch verletzt, dass die Übergangsregelung des § 52 Abs. 40 Satz 4 EStG nur in den Jahren 1980 bis 1982 geborene Kinder, die im Jahr 2006 das 24., 25. oder 26. Lebensjahr vollendet haben, und nicht im Jahr 1983 geborene Kinder erfasst.

Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (ständige Rechtsprechung z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 23. November 1999, BVerfGE 101, 239).

Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es dem Gesetzgeber nicht, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage, vorliegend die Vollendung des 24., 25. und 26. Lebensjahres des Kindes im Jahr 2006, einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt (BVerfG-Beschluss vom 26. Juni 2007 1 BvR 2204/00, [...]). Ungleichheiten, die durch Stichtagslösungen entstehen, müssen aber hingenommen werden, wenn die Einführung eines Stichtages notwendig und die Wahl des Zeitpunktes, orientiert am gegebenen Sachverhalt, sachlich vertretbar ist (BVerfG-Beschluss vom 8. April 1987 1 BvR 564/84, BVerfGE 75, 78).

Das nach der Begründung der Gesetzesänderung für das Steueränderungsgesetz 2007 (Bundestagsdrucksache 16/1545) verfolgte Anliegen, mit der Absenkung der Altersgrenze einer künftig veränderten Bildungsstruktur mit schneller zu erreichenden Schulabschlüssen Rechnung zu tragen und gleichzeitig gewisse Anreize zu schaffen, ein aufgenommenes Studium zügiger zu beenden, sind anzuerkennende Motive und Ziele des Gesetzgebers. Bei der Ausgestaltung der Stichtagsregelung ließ sich der Gesetzgeber offensichtlich vom Normalfall einer vierjährigen Grundschulzeit, einem neunjährigen Gymnasiumsbesuch und einem in der Regelstudienzeit durchgeführten Studium leiten. Ein Kind, das - wie der Sohn des Klägers - im März 1983 geboren wurde, konnte das neunjährige Gymnasium 2002 beenden. Bei Beginn des Studiums im Wintersemester 2002/2003 verblieben diesem Kind 11 Semester Studienzeit, bevor es die Altersgrenze für den Kindergeldbezug erreichte. Angesichts einer Regelstudienzeit für die meisten Fächer von neun Semestern hat der Gesetzgeber bei der Stichtagsregelung auch für die Absolventen des neunjährigen Gymnasiums ausreichend Zeit zur Beendigung ihrer Ausbildung vorgesehen. Die Kinder des Geburtsjahrgangs 1983 waren grundsätzlich in der Lage, ihre Berufsausbildung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres zu beenden. Besonderheiten des Einzelfalls - wie das einjährige Auslandstudium des Sohns des Klägers während zweier Urlaubssemester - musste der Gesetzgeber nicht berücksichtigen.

Wenn der Kläger einwendet, es sei nicht nachzuvollziehen, dass ein Schüler, der noch das neunjährige Gymnasium durchlaufen habe, genauso schnell mit der Ausbildung fertig sein könne, wie ein Schüler des achtjährigen Gymnasiums, so bezieht er dabei lediglich die schulischen Regelungen des Bundeslandes Bayern ein. Tatsächlich haben sich in die Bundesländer zu unterschiedlichen Zeitpunkten für die Erreichbarkeit eines Abiturabschlusses nach zwölf Jahren entschieden. Seit 2001 sind viele Bundesländer dem Beispiel des Saarlands gefolgt und haben die Zeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre verkürzt. Ferner hielten zwei neue Bundesländer (Sachsen und Thüringen) am Modell der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einer zwölfjährigen Schulzeit fest und führten ein dreizehntes Schuljahr nie ein (vgl. Urteil des niedersächsischen Finanzgericht vom 18. November 2008 15 K 101/08, [...]). Wegen der unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber sich im Wege einer Typisierung für einen Termin entscheidet, ab dem die Wirkungen der Gesetzesänderung für alle eintreten, unabhängig davon, ob nun im Einzelfall eine zwölf- oder dreizehnjährige Schulausbildung vorgesehen war. Diese Unterschiede bestanden außerdem auch bereits bei der früheren Rechtslage.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Grund für die unterschiedliche Behandlung der Kinder nach ihrem Alter bei der Absenkung der Altersgrenze erkennbar und nachvollziehbar.

Je näher sich ein Kind beim Zeitpunkt des Erlasses des Steueränderungsgesetzes 2007 im Jahr 2006 an der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Höchstgrenze von 27 Jahren befand, umso weniger Zeit und Möglichkeiten standen den Kindergeldberechtigten zur Verfügung, sich auf die neue Rechtslage einzustellen.

2.2 Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf die weitere Gewährung des Kindergelds besteht nicht.

Gesetze, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken, können Grundrechte berühren, wobei in die erforderliche grundrechtliche Bewertung die Grundsätze des Vertrauensschutzes einfließen (BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200). Gegen diese Grundsätze wird verstoßen, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte und sein Vertrauen schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen; es ist abzuwägen zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 9. Aufl. 2007, Art. 20, Rdnr. 73a, m.w.N.).

Bei dieser Abwägung hat im Streitfall das auf den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage gerichtete Vertrauen des Klägers gegenüber dem anzuerkennenden Motiv des Gesetzgebers zurückzutreten. Denn ein schlichtes Vertrauen darauf, dass Kindergeld in der Zukunft bis zu einem bestimmten Alter des Kindes gewährt wird, ist nicht schutzwürdig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Sohn des Klägers im Hinblick darauf sein Studium gestaltet hat. Die Entscheidung für ein Studium und die Art des angestrebten Abschlusses ist eine der wichtigen Lebensentscheidungen, die Auswirkungen auf die berufliche und damit alltägliche Zukunft des potentiell Studierenden besitzt. In diese Entscheidung fließen vielschichtige Motivationen, Fähigkeiten und Neigungen des potentiell Studierenden ein. Dabei kommt der Frage, wie lange für ein studierendes Kind Kindergeld gewährt wird, lediglich eine untergeordnete Rolle zu. Zudem steht die Entscheidung über die Aufnahme eines Studiums dem volljährigen Kind zu und nicht den Eltern, so dass ein dispositionsbezogenes Vertrauen der Eltern als Kindergeldberechtigten in diesem Fall nicht begründet werden kann (ebenso Niedersächsisches Finanzgericht vom 18. November 2008 in [...]).

Soweit der Kläger vorträgt, durch die Absenkung der Altersgrenze entfalle auch die Mitversicherung des Kindes, übersieht er die Übergangsregelung des § 3 Abs. 2 Nr. 2 der bayerischen Beihilfeverordnung, wonach Kinder, die im Wintersemester 2006/2007 an einer Hoch- oder Fachhochschule eingeschrieben sind, berücksichtigungsfähig sind, solange die in § 32 Abs. 4 und 5 EStG in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung genannten Voraussetzungen gegeben sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die Herabsetzung der Altersgrenze durch § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG verfassungsgemäß ist, nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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