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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 18.11.2008
Aktenzeichen: 12 K 2715/08
Rechtsgebiete: AO, FöGbG


Vorschriften:

AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
FöGbG § 4 Abs. 1 S. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

12 K 2715/08

Einkommensteuer 1996

In der Streitsache

...

hat der 12. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

... sowie

der ehrenamtlichen Richter ... und ...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. November 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Einkommensteueränderungsbescheid 1996 vom 12. Dezember 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2008 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 23. Dezember 1995 (notariell beurkundetes Angebot vom 22. Dezember 1995, notariell beurkundete Annahme vom 23. Dezember 1995) eine Eigentumswohnung in C zu einem Kaufpreis von 316.870 DM. Gegen Stellung einer Bürgschaft nach § 7 der Verordnung über die Pflichten der Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler, Anlageberater, Bauträger und Baubetreuer (Makler- und Bauträgerverordnung) von der D-Bank F (inzwischen EH) zahlte er den kompletten Kaufpreis noch im Kalenderjahr 1995 auf ein Konto des Bauträgers ein. Das Objekt wurde im Verlaufe des Kalenderjahres 1997 fertig gestellt und ab 1. Oktober 1997 zu Wohnzwecken vermietet. Für das Streitjahr 1996 machte der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung Sonderabschreibungen für Anzahlungen auf Anschaffungskosten gem. § 4 Abs. 1 Satz 5 Fördergebietsgesetz -FöGbG - ) in Höhe von 143.493 DM geltend.

Mit Einkommensteuerbescheid 1996 vom 7. April 1998 veranlagte der Beklagte (das Finanzamt) den Kläger insoweit erklärungsgemäß.

Nachdem gegen den Bauträger das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, schloss der Kläger wegen aufgetretener Baumängel mit der EH im Juli 2004 einen Vergleich, aufgrund dessen er einen seine Gewährleistungsrechte abgeltenden Geldbetrag in Höhe von 86.050 EUR (= 168.299,17 DM) erhielt. Im Rahmen einer die Jahre 2002 bis 2004 betreffenden Außenprüfung (vgl. Prüfungsanordnung vom 14. Juli 2006) gelangte der Beklagte zu der Auffassung, in der Minderung des Kaufpreises liege ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) und setzte unter Berücksichtigung von auf 71.366 DM reduzierten Sonderabschreibungen mit entsprechend geändertem Bescheid vom 12. Dezember 2006 die Einkommensteuer 1996 auf 222.308,18 EUR (= 434.797 DM) fest. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Nach Hinweis auf die Möglichkeit der Verböserung nach § 367 Abs. 2 AO berechnete das Finanzamt - unter Beibehaltung der Wertung der Minderung des Kaufpreises als rückwirkendes Ereignis - die Sonderabschreibung mit 59.342 DM und setzte die Einkommensteuer 1996 auf 225.571,75 EUR (= 441.180 DM) fest (vgl. Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2008).

Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger trägt vor, dass kein rückwirkendes Ereignis vorliege. Ob ein Ereignis steuerlich zurückwirke, sei keine Frage, die nach Verfahrensrecht, sondern ausschließlich nach materiellem Steuerrecht zu beurteilen sei. Bei den laufend veranlagten Steuern, wie der Einkommensteuer, seien die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändere. § 21 Einkommensteuergesetz (EStG) knüpfe nicht an ein einmaliges punktuelles Ereignis an. Dies gelte auch für die Absetzung für Abnutzung und Sonderabschreibungen. Es gebe keine materielle Vorschrift, die zu einer Rückwirkung der Anschaffungskostenminderung führe. Vielmehr regele § 7a EStG, dass nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder deren Minderung ab dem Jahr der Entstehung zu berücksichtigen seien. Dass dem Steuerpflichtigen durch die steuerliche Berücksichtigung einer nachträglichen Änderung erst im Änderungszeitpunkt möglicherweise Nachteile oder Vorteile entstehen könnten, sei durch das Wesen der Abschnittsbesteuerung gerechtfertigt. Im Übrigen fielen die Vermietungseinkünfte unter den Anwendungsbereich des in § 11 EStG geregelten Zu- und Abflussprinzips, für die der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden habe, dass Änderungen der Anschaffungs- und Herstellungskosten in einem späteren Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen seien.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteueränderungsbescheid 1996 vom 12. Dezember 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Juli 2008 aufzuheben, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Er trägt vor, die vereinbarte Kaufpreisminderung habe bezogen auf die Sonderabschreibung steuerliche Rückwirkung, denn Sonderabschreibungen nach § 4 Abs. 2 FöGbG könnten nur für Anzahlungen bis zur Höhe der Anschaffungskosten in Anspruch genommen werden. Die die Anschaffungskosten übersteigenden Anzahlungen blieben für die Bemessungsgrundlage der Sonderabschreibungen unberücksichtigt. Aus § 7a Abs. 1 Satz 3 EStG ergebe sich nichts anderes, da er nur Änderungen während des Begünstigungszeitraumes umfasse.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen (§ 105 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 18. November 2008 wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

1. Der Beklagte ist zu Unrecht von einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ausgegangen.

Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid u.a. zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfordert, dass die Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts sich - ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen - steuerlich in die Vergangenheit auswirkt, und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht. Bei den laufend veranlagten Steuern, wie der Einkommensteuer, sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897). Dies ist jedoch nur insoweit maßgebend, als die einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften nicht bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt (BFH-Beschluss in BStBl II 1993, 897).

Die Rechtsprechung geht zum einen bei Änderungen im Rahmen von Steuertatbeständen, die an ein einmaliges, punktuelles Ereignis anknüpfen, von einem rückwirkend sachverhaltsändernden Ereignis aus, da in diesen Fällen die angeordneten Rechtsfolgen auch punktuell korrigiert werden müssten, weil eine Korrektur zu einem späteren Zeitpunkt rechtlich nicht möglich wäre oder wirtschaftlich leer liefe (BFH-Urteil vom 13. September 2000 X R 148/97, BStBl II 2001, 641). Dies ist z.B. bei der Veräußerung eines nach § 6b EStG begünstigten Anlagegutes (BFH-Urteil in BStBl II 2001, 641) oder der Veräußerung eines ganzen Gewerbebetriebs nach § 16 EStG (BFH-Beschluss in BStBl II 1993, 897) der Fall. Zum anderen wird von der Rechtsprechung, beispielsweise im Rahmen des § 4 Abs. 2 FöGbG (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 2007 IX R 51/04, BFH/NV 2007, 1456), ein rückwirkend sachverhaltsänderndes Ereignis auch dann bejaht, wenn dem Ereignis dadurch rechtsgestaltende Wirkung zukommt, dass der Tatbestand erstmals durch das Ereignis verwirklicht wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine zunächst nur vorläufige Vereinbarung endgültig festgelegt wird oder wenn der Anschaffungsvorgang scheitert und deshalb Anzahlungen mit der Folge rückabgewickelt werden, dass begrifflich keine Anzahlungen auf Anschaffungskosten mehr vorliegen können (vgl. Urteil des FG Köln vom 30. November 2006 1 K 6927/02, EFG 2007, 598).

Ein diesen Fällen vergleichbarer Sachverhalt ist im Streitfall nicht gegeben.

Im Gegensatz zu dem dem BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1456 zu Grunde liegenden Fall wurde im Streitfall nicht erst im nachhinein der geschuldete Kaufpreis festgelegt. Der geschuldete Kaufpreis für das erworbene Objekt stand fest. Aufgrund nichtordnungsgemäßer Bauausführung einigte man sich im Streitfall lediglich zu einem späteren Zeitpunkt zur Abgeltung von Gewährleistungsrechten auf eine teilweise Rückgewähr des Kaufpreises in Höhe von 168.299,17 DM und verhandelte nicht einen zunächst vorläufigen Kaufpreis endgültig.

Auch der Entscheidung des FG Köln in EFG 2007, 598 liegt ein anderer Sachverhalt zu Grunde. Dort entfiel durch die vollständige Rückabwicklung des Vertrags die für die Gewährung der Sonderabschreibung erforderliche tatsächliche Anschaffung des Wirtschaftsgutes (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 2002 IX R 51/01, BStBl II 2002, 758).

Ebenso fehlt es im Streitfall an einem punktuellen Ereignis. Die Sonderabschreibungen des FöGbG knüpfen ihrem Wesen nach nicht an ein punktuelles Ereignis an, das es erfordern würde, Änderungen der Bemessungsgrundlage punktuell zu korrigieren. Sie sind Abschreibungen, die neben der regulären Abschreibung in Anspruch genommen werden. Wie diese und zusammen mit dieser dienen sie der Aufwandsverteilung über einen bestimmten Zeitraum (für die reguläre Abschreibung nach § 7 Abs. 1 EStG, vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 1985 IV R 112/85, BStBl II 1986, 390). Während die reguläre Abschreibung eine periodengerechte Verteilung dieses Aufwandes gewährleisten soll, gewährt eine Sonderabschreibung dem Steuerpflichtigen - i.d.R. aus lenkungspolitischen Gründen, wie z.B. zur Anregung privater Investitionen im Beitrittsgebiet - die Möglichkeit, unabhängig von dieser Periodengerechtigkeit Aufwand schon zu einem früheren Zeitpunkt steuerlich geltend zu machen. Reduziert sich nachträglich der Betrag, der auf den Zeitraum zu verteilen ist, kann dem ab diesem Zeitpunkt Rechnung getragen werden. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, steuerliche Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert, ist daher nicht erforderlich. Für die reguläre Abschreibung geht die Finanzverwaltung beispielsweise bei einer Aufhebung des Kaufvertrags aufgrund gravierender Mängel selbst nicht vom Erfordernis einer rückwirkenden Änderung, sondern von einer Korrekturmöglichkeit im Jahre der Vereinbarung und infolgedessen von der Möglichkeit des Ansatzes negativer Werbungskosten in diesem Jahr aus (vgl. Verfügung des Bayerischen Landesamtes für Steuern, S 2256-1-1-1/3 St32/St33 vom 16. Juli 2008). Der Senat sieht keinen Grund, dass dies für Sonderabschreibungen nach dem FöGbG nicht möglich sein sollte. Für den Fall, dass die Minderung in einem späteren Jahr dazu führt, dass letztlich mehr Aufwand verteilt worden ist, als dem Steuerpflichtigen tatsächlich entstanden ist, besteht nach Auffassung des Senats somit im Rahmen des § 21 EStG die Möglichkeit, dies durch den Ansatz negativer Werbungskosten zu korrigieren.

Nicht anders ist dies für den Fall geleisteter Anzahlungen zu beurteilen. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 5 FöGbG können Sonderabschreibungen bereits für Anzahlungen auf Anschaffungskosten beansprucht werden. Anzahlungen auf Anschaffungskosten sind Vorleistungen auf ein zu einem späteren Zeitpunkt noch zu vollziehendes Anschaffungsgeschäft (BFH-Urteile vom 14. Januar 2004 IX R 33/03, BStBl II 2004, 750 undvom 20. April 2004 IX R 49/03, BStBl II 2004, 600). Die Ausweitung auf Anzahlungen diente dem Vorziehen der Möglichkeit, künftige Sonderabschreibungen bereits vor Abschluss der Investitionen in Anspruch nehmen zu können (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet sowie zur Änderung steuerrechtlicher und anderer Vorschriften -Steueränderungsgesetz 1991- Bundestags-Drucks. 12/219 zu § 3) und bezweckte keine zusätzliche Begrenzung auf den letztendlich geschuldeten Kaufpreis. Absetzungen für Abnutzungen können immer nur maximal in Höhe des Aufwandes, d.h. der Anschaffungskosten bzw. Herstellungskosten geltend gemacht werden.

Diese Auslegung wird auch durch die Regelung des § 7a Abs. 1 Satz 3 EStG gestützt. Da § 7a Abs. 1 Satz 3 EStG, der für den Begünstigungszeitraum die Rückwirkung einer nachträglichen Minderung der Anschaffungskosten auf den Jahresanfang fingiert, nur auf Änderungen der Bemessungsgrundlage im Begünstigungszeitraum abstellt, ist er zwar nicht direkt auf Änderungen nach Ablauf des Begünstigungszeitraums anwendbar. Würde man daraus jedoch folgern, dass außerhalb des Begünstigungszeitraums auf einen weit früheren Zeitpunkt, den Zeitpunkt der Leistung der Anzahlung, abzustellen sei, hätte dies zur Folge, dass eine Minderung der Anschaffungskosten während des Begünstigungszeitraums die Sonderabschreibungen früherer Jahre unberührt ließe, während eine Änderung nach Ablauf des Begünstigungszeitraums zu einer Änderung der Sonderabschreibungen in früheren, d.h. auch innerhalb des Begünstigungszeitraums liegenden, Jahren führen würde.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.

3. Die Revision wird zugelassen, weil der Frage, ob eine nachträgliche Kaufpreisminderung im Hinblick auf bereits geltend gemachte Sonderabschreibungen als rückwirkendes Ereignis anzusehen ist, grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Ende der Entscheidung

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