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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 21.07.2006
Aktenzeichen: 13 K 3079/03
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 324 Abs. 1
FGO § 100 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 13. Senat,

durch

den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht als Einzelrichter

ohne mündliche Verhandlung

am 21. Juli 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass die Arrestanordnung vom 25. Juni 2003 von Anfang an rechtswidrig gewesen ist.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I. Die Klägerin begehrt im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Arrestanordnung.

Der Beklagte (das Finanzamt) ordnete im Verlauf der Ermittlungen in einem wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung am 13. Februar 2003 gegen die Klägerin und ihren Ehemann eingeleiteten Steuerstrafverfahrens mit Verfügung vom 25. Juni 2003 gem. § 324 AO den dinglichen Arrest in das inländische Vermögen der Klägerin zur Sicherung von Abgaberückständen wegen Einkommensteuer 1993 bis 1997, Zinsen zur Einkommensteuer 1993 bis 1997, Solidaritätszuschlag 1993 bis 1997, Zinsen zum Solidaritätszuschlag 1995 bis 1997 in Höhe von insgesamt 806.901,88 EUR an.

Zur Begründung des Arrestanspruchs wurde in der Arrestanordnung ausgeführt, dass der Ehemann der Klägerin im fraglichen Zeitraum faktischer Geschäftsführer der Firma AB Fahrzeug Center GmbH (ABC) gewesen sei. Daneben sei der Ehemann der Klägerin zu fast 85 v. H. Anteilseigner des Hauptlieferanten, der Firma D. Die Firma D habe der Firma ABC die Lieferung von sogen, maschinengebundenen Werkzeugen in Rechnung gestellt, obwohl diese Werkzeuge in der Türkei bei der Firma D verblieben seien. Die Klägerin und ihr Ehemann hätten bewusst gegenüber der Firma D darauf verzichtet, für diese Werkzeuge einen Wertausgleich zu verlangen. Da die ABC nicht mehr existiere ergebe sich eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe des Buchwerts der Werkzeuge (634.862 DM).

Die vom Sohn der Klägerin in 1997 gegründete Nachfolgefirma XY, die den gleichen Geschäftszweck wie die ABC verfolge, agiere äußerst erfolgreich. Da die ABC mit namhaften Automobilherstellern zusammen gearbeitet habe, sei von einem Firmenwert in Höhe von 800.000 DM auszugehen. Auch hier hätten die Klägerin und ihr Ehemann verzichtet, von der Firma XY einen angemessenen Ausgleich zu verlangen.

Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass es wie in den Jahren 1988 bis 1990 zu Überfakturierungen in einer Gesamthöhe von 2.852.689 DM gekommen sei. Die überfakturierten Beträge seien als verdeckte Gewinnausschüttung anzusetzen.

Zum Arrestgrund führte das Finanzamt in der Arrestanordnung aus, die Klägerin habe im Rahmen der Vorprüfung die geschäftlichen Aktivitäten der ABC im Mai 1997 eingestellt und an sich als Alleingesellschafterin Gewinne aus früheren Jahren in Höhe von mindestens 800.000 DM ausgeschüttet, obwohl sie gewusst habe, dass erhebliche Steuerforderungen auf die ABC zukommen. Die ABC sei bewusst liquidiert worden, um der Notwendigkeit einer Steuernachzahlung zu entgehen. Die von der Klägerin und ihrer Familie seit Jahren praktizierte Vorgehensweise gegenüber der Finanzverwaltung lasse erwarten, dass die Klägerin versuchen werde, ihr persönliches Vermögen dem Zugriff des Finanzamts zu entziehen.

Im Laufe des Klageverfahrens, in dem die Klägerin ursprünglich die Aufhebung der Arrestanordnung begehrt hatte, erließ das Finanzamt am 19. bzw. 23. September 2003 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1993 bis 1997 über insgesamt 2.829.914 DM und erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Dies nahm die Klägerin zum Anlass, ihren Antrag umzustellen und nunmehr die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Arrestanordnung zu begehren.

Die Klägerin macht geltend, sie habe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, denn sie werde Amtshaftungsklage gegen das Land Bayern erheben. Zwischenzeitlich hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 21. Juni 2006 Amtshaftungsklage erhoben. Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin geltend, dass es im Streitfall sowohl an einem Arrestanspruch als auch an einem Arrestgrund fehle. Ein Arrestgrund setze voraus, dass die Besorgnis gerechtfertigt sei, dass ohne die Arrestanordnung die künftige Vollstreckung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde. Zu Unrecht problematisiere das Finanzamt das Vorverfahren (1990 bis 1992). Zum Einen seien die festgesetzten Steuern dieser Jahre bezahlt worden, zum Anderen gehe es nicht an auf den Erhebungszeitraum für Veranlagungszeiträume, die vordem streitgegenständlichen Zeitraum lägen, abzustellen. Es liege auch kein Arrestanspruch vor. Es treffe nicht zu, dass die D überhöhte Werkzeugpreise in Rechnung gestellt habe. Die Warenverkaufspreise der D hielten einem Fremdvergleich stand. Das Finanzamt habe nicht nachweisen können, dass die als vermögenslos gelöschte ABC noch einen Firmenwert in Höhe von geschätzten 800.000 DM besessen habe.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die Arrestanordnung vom 25. Juni 2003 von Anfang an rechtswidrig gewesen sei.

Das Finanzamt beantragt

Klageabweisung.

Es ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für den Erlass der Arrestanordnung vorgelegen hätten. Die Arrestanordnung müsse nur Mindestanforderungen enthalten, da es sich bei dem Steuerarrest um ein Verfahren vorläufiger Natur handele. Arrestanspruch und Arrestgrund müssten nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Der Arrest als Mittel zur Sicherung künftiger Vollstreckung von steuerlichen Geldforderungen solle verhindern, dass der Steuerpflichtige den bestehenden Zustand seines Vermögens verändere, um die künftige Zwangsvollstreckung zu gefährden. Was den Arrestanspruch angehe, genüge es, dass die ihm zugrunde liegenden Tatsachen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könnten. Aus einer Besprechung am 21. Juli 1997, an der Rechtsanwalt E, der Ehemann der Klägerin, ihr Sohn und Steuerberater F teilgenommen hätten, gehe eindeutig hervor, dass man im Rahmen der Vorprüfung betreffend die Jahre 1990 bis 1992 beabsichtigte die ABC zu liquidieren, um die Steueransprüche des Finanzamts G nicht erfüllen zu müssen. Teil der Strategie sei auch die Gewinnausschüttung gewesen. Durch die Übertragung des Geschäftsbetriebs habe die ABC keine Einnahmen mehr erzielen können. Die XY GmbH habe die Geschäfte fortgeführt. Dies habe man gegenüber dem Finanzamt verheimlicht. Wer mit einer derartigen Intensität versuche, die Realisierung von Steuernachholungen zu vermeiden, setze sich dem Verdacht aus, dass er dieses Verhalten wiederholen werde.

Auf die Schriftsätze des Finanzamts vom 28. Juni 2004, 25. November 2004 und 10. Mai 2005 wird ergänzend Bezug genommen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. Sie sind mit einer Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter einverstanden (§ 79a Abs. 3 und 4 FGO).

II. Die Klage ist zulässig.

Hat sich ein Verwaltungsakt vor Ergehen der finanzgerichtlichen Entscheidung erledigt, spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtwidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO).

Durch die nach Anordnung des Arrests ergangenen Einkommensteuerbescheide ist das Arrestverfahren im Sinne dieser Vorschrift erledigt. Das Arrestverfahren ist in das Vollstreckungsverfahren übergeleitet worden und wird als solches fortgeführt. Damit ist die Arrestanordnung gegenstandslos geworden.

Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Eine Schadensersatzklage, die anhängig ist, kann ein derartiges Rechtsschutzinteresse begründen. Erforderlich ist, dass die finanzgerichtliche Entscheidung für den Schadensersatzprozess nicht unerheblich ist und dieser nicht offensichtlich aussichtslos ist. Die Klägerin hat Schadensersatzklage gegen das Land Bayern erhoben, mit der sie teilweisen Ersatz der Rechtsanwaltskosten verlangt. Die Entscheidung ist für den zivilrechtlichen Prozess, der nicht offensichtlich aussichtslos ist, auch nicht unerheblich, denn es besteht eine Bindung des Zivilgerichts an die begehrte finanzgerichtliche Entscheidung, der Arrest sei von Anfang an ungerechtfertigt gewesen (vgl. Baumbach-Lauterbach-Hartmann ZPO § 945 Tz. 11).

Die Klage ist auch begründet.

Nach § 342 Abs. 1 AO kann die zuständige Finanzbehörde zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen den dinglichen Arrest anordnen, wenn zu befürchten ist, dass sonst die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert wird.

Der Arrest als Mittel zur Sicherung künftiger Vollstreckung von steuerlichen Geldforderungen (BFH-Urteil vom 10. März 1983 V R 143/76, soll verhindern, dass der Steuerpflichtige den bestehenden Zustand seines Vermögens verändert, um die zukünftige Zwangsvollstreckung, die erst nach Schaffung der ordnungsgemäßen Vollstreckungsvoraussetzungen (insbesondere Steuerbescheid nebst Leistungsgebot) erfolgen kann, zu gefährden (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 1987 VII R 167/84, BFH/NV 1987, 702; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 324 AO 1977 Rz. 1; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 324 AO 1977 Rz. 5). Dem entspricht die in ständiger Rechtsprechung gebrauchte Formel für die Annahme eines Arrestgrundes. Ein solcher besteht, wenn bei objektiver Würdigung unter ruhiger und vernünftiger Abwägung aller Umstände die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass ohne sofortige Sicherung durch Arrestanordnung die Vollstreckung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21. Februar 1952 IV 429/51 U, BStBI III 1952, 90; in StRK, Reichsabgabenordnung, § 378, Rechtsspruch 8; vom 4. Juli 1978 VII R 21/78, BStBI II 1978, 548).

Der Arrestgrund folgt vornehmlich aus dem Verhalten des Arrestschuldners, das den bestehenden Zustand eines pfändbaren Vermögens verändert. Typische Arrestgründe sind: Veräußerung sämtlicher Vermögensgegenstände

Vermögensumschichtungen auf Vermögenswerte, die der Vollstreckung leichter entzogen werden können

Auflösung sämtlicher Bankguthaben bei Erscheinen der Steuerfahndung Belastung der Vermögensgegenstände bis an deren Wertgrenze Verschleuderung von Vermögensgegenständen

einseitige Gläubigerbegünstigung Verschwendungssucht

grob fahrlässige Geschäftsführung oder bewusste Beseitigung von Geschäftsunterlagen

häufiger Wechsel des Aufenthaltsorts oder des Sitzes der Geschäftsleitung

Notwendigkeit, die Vollstreckung im Ausland durchführen zu müssen

Dagegen ist für einen Arrest allein nicht ausreichend:

eine allgemeine schlechte Vermögenslage

ein drohender wirtschaftlicher Zusammenbruch mit der Gefahr, dass die Vollstreckung überhaupt nicht möglich sein wird

Steuerhinterziehung, wenn nicht außerdem Maßnahmen zur Vollstreckungsvereitelung getroffen worden sind (vgl. BGH-Urteil vom 3. Oktober 1985 III ZR 28/84, HFR 1987, 96)

Die Anordnung des Arrests liegt nach § 324 Abs. 1 Satz 1 AO im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Die Ermessensausübung erfordert die Feststellung der Tatsachen, die zur Begründung des Arrestanspruchs und des Arrestgrundes dienen. Berücksichtigt man den Umstand, dass der Sicherungszweck des § 324 AO erheblich beeinträchtigt wäre, wenn für die materiellen Voraussetzungen der Arrestanordnung die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit verlangt würde, ist ohne weiteres einsichtig, dass an die Feststellung der die Anordnung begründenden Tatsachen geringere Anforderungen zu stellen sind. Folglich muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die anspruchsbegründenden Tatsachen bestehen. In diesem Sinn muss bei verständiger Würdigung auch der Arrestgrund wahrscheinlich sein. Die Beeinträchtigung braucht nicht nachgewiesen zu werden, muss sich aber aus objektiv wahrnehmbaren Umständen ergeben.

Im Streitfall lagen im Zeitpunkt des Erlasses der Arrestanordnung keine derartig objektiv wahrnehmbaren Umstände vor, die Rückschlüsse auf die Besorgnis der Vollstreckungserschwernis oder Vollstreckungsvereitelung zugelassen hätten.

Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigen die Vorgänge der Vorjahre vor 1993 nicht die Annahme, dass zu besorgen war, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Arrestes Maßnahmen ergreifen würde, um die zukünftige Zwangsvollstreckung zu gefährden. Der Konkurs der ABC ist ein einmaliger historischer Vorgang. Er hat mannigfache Gründe. Zwar war die Klägerin Gesellschafterin und Geschäftsführerin dieser Gesellschaft. Es ist aber unbestritten, dass faktischer Geschäftsführer ihr Ehemann war. Bezeichnend ist, dass an der Besprechung vom 21. Mai 1997 die Klägerin nicht teilgenommen hat. Anhaltspunkte für ein "Fehlverhalten" der Klägerin können nach Auffassung des Gerichts allenfalls vermutet, aber nicht bewiesen werden. Selbst wenn man ein "über das normale Maß hinausgehende Gewinnstreben" ihr unterstellen würde, stellt dies keinen Arrestgrund dar.

Das Finanzamt hat keine Feststellungen getroffen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Arrests Maßnahmen getroffen worden sind, um den bestehenden Zustand des pfändbaren Vermögens zu verändern. Feststellungen betreffend das Vermögen der Klägerin fehlen. Die aufgeführten typischen Arrestgründe sind alle offensichtlich nicht einschlägig.

Da im Streitfall das Vorliegen eines Arrestgrundes nicht überwiegend wahrscheinlich ist, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Arrestanspruch vorliegt oder nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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