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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.06.2007
Aktenzeichen: 13 K 911/07
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 47 Abs. 1
FGO § 56 Abs. 1
FGO § 56 Abs. 2 S. 1
1. Die Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) beginnt bereits dann, sobald der Beteiligte bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, und nicht erst, sobald er erkannt hat, dass die Frist des § 56 Abs.1 FGO versäumt worden ist.

2. Das Hindernis fällt regelmäßig bereits dann weg, wenn der Kläger die Eingangsmitteilung des Gerichts erhält, spätestens jedoch dann, wenn dem Kläger ausdrücklich mitgeteilt worden ist, dass er die Klagefrist versäumt hat.


Finanzgericht München

13 K 911/07

Einkommensteuer 2002 und 2003

In der Streitsache

...

hat der 13. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob wegen der Versäumnis der Klagefrist Wiedereinsetzung gewährt werden kann.

I. Der Kläger erhob vertreten durch den Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 12. März 2007 Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2007 und die Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 12. Februar 2007 (Montag). Der Schriftsatz ging beim Finanzgericht am 16. März 2007 (Freitag) ein.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 19. März 2007 teilte die Geschäftsstelle des 13. Senats dem Prozessbevollmächtigten mit, dass seine Klage am 16. März 2007 bei Gericht eingegangen ist. Die Geschäftsstelle stellte die Klage dem Beklagten - das Finanzamt [Q-Stadt] (FA) - am 22. März 2007 zu. Mit Schreiben vom 5. April 2007 - das am 11. April 2007 bei Gericht eingegangen ist - teilte das FA mit, dass die Klage i.S. Einkommensteuer 2002 und 2003 verspätet erhoben worden sei, denn die Einspruchsentscheidungen seien am 12. Februar 2007 mit einfachem Brief zur Post gegeben worden.

Mit Schreiben vom 13. April 2007 forderte das Gericht den Prozessbevollmächtigten auf, die Erfolgsaussichten seiner Klage i.S. Einkommensteuer 2002 und 2003 zu überdenken und diese gegebenenfalls zurückzunehmen oder aber zu begründen, aus welchen Gründen die Klage auch insoweit zulässig erhoben worden sei.

Mit Schriftsatz vom 23. April 2007 beantragte der Prozessbevollmächtigte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil der Klageschriftsatz am 12. März 2007 (Montag) zur Post gebracht worden sei und bei einem Zugang bei Gericht am 16. März 2007 eine überlange Postlaufzeit vorläge. Deshalb träfe ihn kein Verschulden an der verspäteten Klageerhebung.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 30. April 2007 wurde der Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen, dass bereits im Schreiben vom 19. März 2007 mitgeteilt worden sei, dass die Klage erst am 16. März 2007 eingegangen sei. Der Kläger lässt durch seinen Prozessbevollmächtigten nun vortragen, dass kein Anlass bestanden habe, aufgrund des gerichtlichen Schreibens vom 19. März 2007 die Fristwahrung zu überprüfen. Am selben Tag wie die Klage habe der Prozessbevollmächtigte auch einen Einspruch an das Finanzamt T-Stadt [...] zur Post gegeben, der dort am 14. März 2007 eingegangen sei und mit dem Stempel der dortigen Poststelle "Frühleerung" versehen worden sei.

Mit Senatsbeschluss vom 25. Mai 2007 wurde das Verfahren i.S. Einkommensteuer 2001 abgetrennt.

Der Kläger beantragt unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumnis der Klagefrist,

die Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 und die hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 12. Februar 2007 abzuändern und die Einkommensteuer 2002 auf 2.403,00 EUR und die Einkommensteuer 2003 auf 4.620,00 EUR herabzusetzen.

Das Finanzamt beantragt

die Klageabweisung.

Das FA ist der Auffassung, dass die Klage i.S. Einkommensteuer 2002 und 2003 verspätet erhoben und deshalb unzulässig sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift verwiesen.

II. Die Klage ist unzulässig; die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ( § 56 Finanzgerichtsordnung - FGO -) ist nicht zu gewähren.

Der Kläger hat seine Klage nicht innerhalb der Klagefrist (§ 47 Abs. 1 FGO) erhoben. Der Klageschriftsatz ist erst am 16. März 2007 beim Finanzgericht eingegangen, die Klagefrist war jedoch bereits am 15. März 2007 abgelaufen.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Verhinderung an der Einhaltung der Frist sind im Streitfall nicht erfüllt. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO setzt die Wiedereinsetzung grundsätzlich einen Antrag voraus, für den eine Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gilt. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist nicht erforderlich, wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist ( § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Doch auch in diesem Fall sind die Tatschen, die eine Wiedereinsetzung begründen können, innerhalb der Antragsfrist vorzutragen und glaubhaft zu machen (BFH-Beschlüsse vom 30. August 2002 III B 62/01, BFH/NV 2003, 67; vom 3. Juli 2000 VI B 223/99, BFH/NV 2000, 1491).

Die Antragsfrist beginnt mit dem "Wegfall des Hindernisses", das ist regelmäßig der Zeitpunkt, in dem der Kläger oder sein Bevollmächtigter ( § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -) von dem Fristversäumnis Kenntnis erlangt und in dem er somit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles frühestens den Antrag an das Gericht stellen kann (Gräber/Stapperfend, FGO, 6. Aufl. 2006, § 56 Rz. 24). Der "Wegfall des Hindernisses" i.S. des § 56 Abs.2 Satz 1 FGO ist kein verschuldensunabhängiges Tatbestandsmerkmal.

Die Frist des § 56 Abs.2 Satz 1 FGO beginnt daher bereits dann, sobald der Beteiligte bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, und nicht erst, sobald er erkannt hat, dass die Frist des § 56 Abs.1 FGO versäumt worden ist (BFH-Urteil vom 9. Oktober 1991 II R 27/91, BFH/NV 1992, 604; BFH-Beschlüsse vom 20. Dezember 2000 I B 116/00; BFH/NV 2001, 481; vom 18. Februar 2004 I R 45/03, BFH/NV 2004, 1108).

Ist eine Klage ohne Wissen des Klägers verspätet eingegangen, fällt das Hindernis regelmäßig bereits dann weg, wenn der Kläger die Eingangsmitteilung des Gerichts erhält, spätestens jedoch dann, wenn dem Kläger ausdrücklich mitgeteilt worden ist, dass er die Frist versäumt hat (BFH-Beschluss vom 9. August 2004 VI B 161/02, BFH/NV 2004, 1668).

Im Streitfall scheitert eine Wiedereinsetzung daran, dass der Kläger die Antragsfrist von zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses nicht eingehalten hat. Im Streitfall ist das Hindernis am 20. oder 21. März 2007, weggefallen. Denn an einem dieser beiden Tage ging dem Prozessbevollmächtigten das gerichtliche Schreiben vom 19. März 2007 zu, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass seine Klage am 16. März 2007 bei Gericht eingegangen ist. Der Erhalt des gerichtlichen Schreibens vom 19. März 2007 ergibt sich aus dem Klageschriftsatz vom 21. März 2007, der das mitgeteilte Aktenzeichen 13 K 911/07 enthält. Damit war für den Prozessbevollmächtigten unzweideutig zu erkennen, dass etwas fehlgelaufen war. Er musste erkennen, dass seine Klage nicht innerhalb der für die Streitjahre 2002 und 2003 am 15. März 2007 endenden Klagefrist eingegangen war. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers also konkrete Veranlassung, der Sache nachzugehen und von sich aus zu prüfen, ob der abgesandte fristwahrende Schriftsatz auch fristgemäß zugegangen war.

Der Prozessbevollmächtigte konnte auf diese Prüfung nicht deshalb verzichten, weil sein Einspruch an das Finanzamt T-Stadt [...], der am selben Tag wie die Klageschrift zur Post gegeben worden war, im Finanzamt T-Stadt [...] bereits nach zwei Tagen angekommen war.

Hätte der Bevollmächtigte aber bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt (BFH-Beschlüsse vom 20. Dezember 2000 I B 116/00, BFH/NV 2001, 481; in BFH/NV 2004, 1108) von der Fristversäumnis bereits spätestens am 21. März 2007 Kenntnis erlangen können und müssen, fiel in diesem Zeitpunkt, nicht aber erst später infolge des ausdrücklichen Hinweises auf die verspätete Klageerhebung im gerichtlichen Schreiben vom 13. April 2007, das Hindernis für die Fristversäumnis weg und begann die zweiwöchige Antragsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO zu laufen. Am 23. April 2007 - mehr als einen Monat nach der Aufdeckung der Versäumnis -, als der Wiedereinsetzungsantrag gestellt wurde, war diese Frist jedenfalls abgelaufen und wurde sie versäumt, ohne dass hierfür ein abermaliger Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht worden oder ersichtlich wäre.

Ein Wiedereinsetzungsantrag ist zwar nicht erforderlich, wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist ( § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Doch auch in diesem Fall sind die Tatschen, die eine Wiedereinsetzung begründen können, innerhalb der Antragsfrist vorzutragen und glaubhaft zu machen, was im Streitfall ebenfalls nicht geschehen ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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