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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 22.03.2007
Aktenzeichen: 14 K 2171/06
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 90 Abs. 1 S. 2
AO § 153
AO § 169 Abs. 2 S. 2
AO § 174 Abs. 4
AO § 200
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 2171/06

Umsatzsteuer 1995

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Gründe:

I. Streitig ist die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1995.

Die Klägerin plant und errichtet als Bauträger Wohnbauten.

In der am 23. Juli 1997 beim Finanzamt (FA) eingegangenen Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995 wurden keine Umsätze angegeben, sondern nur Vorsteuern geltend gemacht. Das FA stimmte der Erklärung zu.

Bei einer Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 1996 bis 1998 wurde unter anderem festgestellt, dass die Klägerin die Planung und schlüsselfertige Errichtung eines Gebäudes in D bisher nicht als steuerpflichtige, sondern als steuerfreie Leistung i.S.d. § 4 Nr. 9 a Umsatzsteuergesetz in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (UStG) behandelt hatte. Im Rahmen der Prüfung wurde ein Generalübernehmervertrag vom 15. November 1993 für dieses Bauprojekt vorgelegt, der zwischen der Klägerin und der Bauherrin, Frau F, geschlossen worden war. Frau F war zeitweise auch als Geschäftsführerin der Klägerin tätig gewesen.

Vertragsgegenstand bildete nach § I dieses Vertrages die "Planung, Erwirkung aller Genehmigungen, schlüsselfertige Errichtung und Vermarktung des Gebäudes in D, bestehend aus 1 Tiefgarage, 1 Laden und 11 Wohnungen". Da nach dem Wortlaut dieses Vertrages die geschuldete Leistung erst nach der kompletten Vermarktung der Wohnungen als erbracht anzusehen war (§ III der Vereinbarung), unterwarf der Betriebsprüfer die Leistung im Jahr 1996 der Umsatzsteuer. Mit Bescheid vom 8. Februar 2002 für den Veranlagungszeitraum 1996 setzte das FA die Umsatzsteuer entsprechend fest.

Im November 2001 reichte die Klägerin eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995 ein, mit der sie nachträglich Vorsteuern im Zusammenhang mit der Errichtung des Objekts in Höhe von 86.043 DM geltend machte. Mit Mitteilung vom 8. Februar 2002 stimmte das FA der Erklärung zu.

Gegen den Umsatzsteuerbescheid 1996 vom 8. Februar 2002 legte die Klägerin Einspruch mit der Begründung ein, dass die Umsatzversteuerung aufgrund der Abnahme des Bauprojekts am 20. Januar 1995 bereits im Jahr 1995 vorzunehmen sei. Die durch den Betriebsprüfer im Veranlagungszeitraum 1996 erfolgte Erfassung sei unzutreffend. Entgegen den Vereinbarungen im Generalübernehmervertrag sollte die Vermarktung der Wohnungen nicht durch die Klägerin, sondern durch Frau F persönlich vorgenommen werden. Insoweit wurde dem FA eine Ergänzung des Generalübernehmervertrags vom 6. August 2002 vorgelegt. In dieser Vereinbarung wurde klargestellt, dass sich die Parteien eines Vertragsmusters bedient hätten, welches die Klägerin bei der Durchführung anderer Bauvorhaben verwendet habe. Hinsichtlich des Bauprojekts hätte zwischen den Parteien jedoch von Anfang an Klarheit darüber bestanden - ohne dies im Vertragstext zu formulieren -, dass die Klägerin nur die Erwirkung aller Genehmigungen und die schlüsselfertige Errichtung des Bauwerks zu erbringen habe. Die Vermarktung sei jedoch weder gewollt noch erfolgt. In dem vereinbarten Preis seien auch keine Vermarktungsgebühren enthalten.

Das FA änderte daraufhin den Umsatzsteuerbescheid 1996 am 4. Februar 2003 dahingehend, dass der bisher im Veranlagungszeitraum 1996 erfasste Umsatz in Höhe von 2.156.522 DM nunmehr im Veranlagungszeitraum 1995 zu berücksichtigen war und berichtigte den Umsatzsteuerbescheid 1995 vom 8. Februar 2002 am 3. März 2003 gemäß § 174 Abs. 4 AO entsprechend. Die Umsatzsteuer für das Jahr 1995 wurde nunmehr in Höhe von 80.559,15 EUR festgesetzt. Das dagegen gerichtete Rechtsbehelfsverfahren blieb erfolglos, mit Entscheidung vom 11. Mai 2006 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen eingelegten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass ihr das FA zu Unrecht eine leichtfertige Steuerverkürzung zur Last lege, um von einer fünfjährigen Festsetzungsfrist ausgehen und damit die Umsatzsteuer 1995 entsprechend berichtigen zu können.

Sowohl der Geschäftsführer als auch der steuerliche Berater der Klägerin seien davon ausgegangen, dass das Gebäude im Jahr 1995 noch nicht fertig gestellt worden sei. Nachdem zunächst von der Steuerfreiheit des Vorgangs ausgegangen worden sei, habe kein Grund bestanden, an der Fertigstellung des Bauprojekts im Jahr 1996 - wie vom Betriebsprüfer angenommen - zu zweifeln. Im Übrigen habe er den Betriebsprüfer nach Prüfungsbeginn erst wieder zur Schlussbesprechung gesehen, nachdem er im August 2000 über die umsatzsteuerliche Behandlung des Bauprojekts informiert worden war.

Im Rahmen der durchgeführten Betriebsprüfung seien alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt worden. Sie habe darauf vertrauen können, dass der Prüfer die zutreffende zeitliche Zuordnung eines zuvor jahrelang als umsatzsteuerfrei betrachteten Vorgangs vorgenommen habe. Aufgrund des geringen Umfangs der betrieblichen Geschäftsvorgänge hätte der Prüfer feststellen können, dass die Klägerin keinerlei Vermarktungsmaßnahmen durchgeführt habe.

Dem steuerlichen Vertreter, der sich zuvor auf eine stets zuverlässig arbeitende Mitarbeiterin verlassen habe, sei es ein Leichtes gewesen, im Frühjahr 2002 festzustellen, dass das Bauprojekt bereits im Jahr 1995 fertig gestellt worden war. Von einem Vergehen könne keine Rede sein. Ein vorsätzliches Handeln der Klägerin und des steuerlichen Vertreters habe nicht vorgelegen. Vielmehr müsse dem FA vorgehalten werden, dass es trotz umfangreicher Betriebsprüfung erst im Jahr 2003 zum Erlass der Änderungsbescheide gekommen ist.

Die Klägerin beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid vom 3. März 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2006 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II. Die Klage hat keinen Erfolg, das FA hat die Umsatzsteuer 1995 mit Erlass des Änderungsbescheides vom 3. März 2003 zutreffend festgesetzt.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Umsatz aus dem Objekt nicht im Veranlagungszeitraum 1996, sondern im Veranlagungszeitraum 1995 zu erfassen ist. Nach entsprechender Änderung der Umsatzsteuer 1996 mit Bescheid vom 4. Februar 2003 durfte das FA gemäß § 174 Abs. 4 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO innerhalb eines Jahres die richtigen steuerlichen Folgen aus dem Umsatz mit dem Steueränderungsbescheid 1995 vom 3. März 2003 für den Veranlagungszeitraum 1995 ziehen.

Denn ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 Abgabenordnung 1977 (AO) aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden.

Die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1995 am 3. März 2003 erfolgte in zeitlicher Hinsicht auch innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Rahmens:

Die "reguläre" Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 1995 endete zwar am 31. Dezember 2001, nachdem die Umsatzsteuererklärung am 23. Juli 1997 eingereicht worden war (vgl. §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 Nr. 1 AO). Im Streitfall ist jedoch gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO von einer fünfjährigen Festsetzungsfrist auszugehen. Das FA ist insoweit zutreffend von einer leichtfertigen Verkürzung der Umsatzsteuer gemäß § 378 Abs. 1 AO ausgegangen.

Nach Ansicht des Gerichts hat es die Klägerin unterlassen, das FA über den für die Besteuerung des Umsatzes maßgeblichen Sachverhalt vollständig zu informieren und damit die ihr gemäß § 90 Abs. 1 Satz 2 AO obliegende Mitwirkungspflichten bei der Ermittlung des steuerlich entscheidenden Sachverhalts in erheblichen Maß verletzt.

Erstmals im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid 1996 wurde dem FA mit Schreiben vom 22. April 2002 mitgeteilt, dass die Leistung der Klägerin gegenüber der Bauherrin entgegen der dem Betriebsprüfer vorgelegten schriftlichen Generalübernahmevertrag bereits im Jahr 1995 erbracht worden war. Diese mündlich getroffene Abweichung war weder aus den Steuerakten ersichtlich noch im Rahmen der Prüfung bekannt geworden und somit für das FA nicht erkennbar. Aus den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen konnte der Betriebsprüfer davon ausgehen, dass für die von der Klägerin geschuldete vollständige Leistungserbringung auch die Vermarktung des Bauvorhabens durchzuführen sei. Der Einwand der Klägerin, dass er aus dem Fehlen von zur Vermarktung erforderlichen Material (Exposes, Werbeprospekten o. ä.), den Rückschluss darauf hätte ziehen müssen, dass gerade keine Vermarktung durchgeführt werden sollte, kann nicht überzeugen.

Ebenso wenig kann nachvollzogen werden, dass die anfänglich irrige Beurteilung dieses Sachverhalts nach Ansicht der Klägerin auf die Dauer der Betriebsprüfung zurück zu führen sei. Entscheidend für die zeitliche Zuordnung der Leistungserbringung war für den Betriebsprüfer die Beurteilung des Generalübernehmervertrags in der Fassung, wie er ihm während der Prüfung vorgelegt worden ist. Nachdem der steuerliche Vertreter der Klägerin daraufhin informiert worden war, dass es sich bei dem Bauprojekt um einen für das Jahr 1996 relevanten umsatzsteuerpflichtigen Vorgang handelt, hätte er vielmehr die ihm nach § 200 AO obliegende Mitwirkungspflicht wahrnehmen und zusammen mit der Klägerin alle in diesem Zusammenhang erheblichen Erläuterungen geben müssen. Die Länge der Außenprüfung, die nach Ansicht des Gerichts auch nicht unverhältnismäßig lang erscheint, spielt in diesem Zusammenhang jedoch keine Rolle.

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie hinsichtlich der Steuerfreiheit des Projekts einem Irrtum unterlegen sei und daher darauf vertrauen durfte, dass der Betriebsprüfer nach Prüfung der Unterlagen die richtigen steuerlichen Schlussfolgerungen ziehen werde. Nachdem im Rahmen der Außenprüfung der Zeitpunkt der Leistungserbringung als maßgebend für die umsatzsteuerliche Besteuerung angesprochen wurde, hätte bereits damals eine Klarstellung hinsichtlich der Vermarktung der Wohnungen durch die steuerlich vertretene Klägerin erfolgen müssen.

Es kann die Klägerin auch nicht entlasten, dass die Angestellte ihres Steuerberaters nicht im Einzelnen über den Umfang der geschuldeten Leistung informiert gewesen war oder die umsatzsteuerliche Behandlung des Vorgangs nicht erkannt hat. Sie muss sich bei der Überlassung der Erledigung ihrer steuerlichen Angelegenheiten an andere deren Bearbeitungsfehler zurechnen lassen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofsvom 30.08.1994 VII R 101/92, BStBl II 1995, 278 undvom 12.09.2005 VII R 10/05, BStBl II 2005, 880).

Schließlich hat die Klägerin im November 2001 für das Jahr 1995 eine Vorsteuerberichtigung vorgenommen und spätestens dann die umsatzsteuerliche Bedeutung des Vorgangs erkannt. Gleichwohl hat sie keine Berichtigung der Umsatzsteuererklärung gemäß § 153 AO vorgenommen. Erst im Einspruchsverfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid 1996 und damit unmittelbar nach Eintritt der regulären Bestandskraft des geänderten Umsatzsteuerbescheids 1995 (31.12.2001) hat sie das FA über den tatsächlichen Zeitpunkt der Leistungserbringung informiert.

Unter Zugrundelegung einer fünfjährigen Verjährungsfrist gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AO trat somit erst zum 31. Dezember 2002 Festsetzungsverjährung für die Steuerfestsetzung des Jahres 1995 ein. Bei Erlass des später geänderten Umsatzsteuerbescheides 1996 am 8. Februar 2002 war die Festsetzungsfrist somit noch nicht abgelaufen, auf die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 S. 4 i.V.m. § 174 Abs. 3 S. 1 AO kommt es insoweit nicht an.

Der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 1995 im Zeitpunkt der Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids 1996 am 4. Februar 2003 ist gemäß § 174 Abs. 4 S. 3 AO unbeachtlich, da das FA die sich daraus ergebenen steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres, nämlich am 3. März 2003 gezogen hat. Die Änderung des Umsatzsteuerbescheides für das Jahr 1995 erfolgte somit rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

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