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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 24.04.2008
Aktenzeichen: 14 K 2232/06
Rechtsgebiete: UStG, AO


Vorschriften:

UStG § 2 Abs. 1 S. 1
UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1
AO § 34
AO § 37
AO § 69
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 2232/06

Haftung für Umsatzsteuer 2000, 2001 der Fa. A GmbH

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

aufgrund der mündlichen Verhandlung

am 24. April 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Haftungsbescheid vom 13. Februar 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2006 werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) den Kläger zu Recht für Steuerschulden der Firma A GmbH (nachfolgend GmbH) in Haftung genommen hat, deren Geschäftsführer er seit 12. Oktober 1998 gewesen ist (Bl. 20 Gerichtsakte).

Für das vierte Kalendervierteljahr 2000 und Januar 2001 reichte die GmbH beim FA am 8. Januar 2001 bzw. 14. Februar 2001 Umsatzsteuervoranmeldungen ein. Antragsgemäß zahlte das FA die geltend gemachten Vorsteuererstattungsansprüche in Höhe von 21.999,41 EUR sowie 13.004,15 EUR aus bzw. verrechnete sie mit rückständiger Lohnsteuer.

Auf den Antrag der GmbH mit Eingang beim Amtsgericht am 22. Februar 2001 hin wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft mit Beschluss vom 26. März 2001 eröffnet.

Laut Gutachten des Insolvenzverwalters vom 23. März 2001 seien Löhne und Gehälter zuletzt für den Monat November 2000 vollständig bezahlt worden. Ab Oktober 2000 sei die GmbH mit Mietzahlungen in Verzug gekommen. Nachdem bereits am 19. Juni 2000 ein Kredit in Höhe von 740.000 DM von der R Bank gekündigt worden sei, hätte der wirtschaftliche Niedergang der Gesellschaft begonnen. Trotz einer Einlage von 2 Millionen DM in den Monaten September bis Dezember 2000 durch einen neuen Investor und intensiver Bemühungen der Geschäftsführer um neue Geldgeber sei der finanzielle Zusammenbruch der GmbH unvermeidlich gewesen.

Im Rahmen des Insolvenzverfahrens nahm das FA hinsichtlich der ausstehenden Umsatzsteuer 2000 und 2001 eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vor.

Mit Bescheid vom 13. Februar 2002 nahm das FA den Kläger für Abgabenrückstände der GmbH nach vorheriger Ankündigung in Höhe von 35.748,46 EUR in Haftung (Bl. 52 der Haftungsakte).

Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren hatte überwiegend keinen Erfolg.

Mit Entscheidung vom 17. Mai 2006 nahm das FA den Haftungsbescheid in Höhe von 744,95 EUR zurück und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.

Mit seiner hiergegen eingelegten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er zu Unrecht in Haftung genommen werde, da der Haftungsbescheid keine durch Gesetz gedeckte Basis habe.

Das FA verkenne, dass im Streitfall zwei Gesellschaften beteiligt seien. So habe die A Holding GmbH Beteiligungen mit notariellem Vertrag vom 28. Oktober 1998 alle Anteile der A GmbH EDV Handel und Dienstleistungen erworben und diese in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1998 ausgewiesen. Ab 28. Oktober 1998 liege somit eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft vor. Richtigerweise wären daher alle umsatzsteuerlichen Vorgänge zusammenfassend beim Organträger - der Holding - festzustellen gewesen. Das FA müsse die fälschlicherweise gegen die Tochtergesellschaft - Handel - erlassenen Umsatzsteuerbescheide aufheben, sie seien nicht existent.

In der Folge müsste eine erstmalige Festsetzung aller umsatzsteuerlichen Vorgänge bei der Holding erfolgen. Die Holding sei jedoch im Anschluss an ein abgeschlossenes Insolvenzverfahren im Frühjahr 2004 gelöscht worden, das Steuerschuldverhältnis somit erloschen. Der Kläger könne daher nicht mehr in Anspruch genommen werden.

Das FA habe den Antrag des Klägers auf Durchführung einer Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum 2000 und Januar 2001 ermessensmissbräuchlich abgelehnt. Es müsse sich daher eine Mitschuld an der Entstehung der Steuerrückstände zurechnen lassen.

Im Zeitpunkt der Umsatzsteuer-Auszahlung für Januar 2001 sei der Kläger nicht mehr handlungsberechtigter Geschäftsführer gewesen, da die Erstattung nach dem Insolvenzantrag erfolgt und damit in die Insolvenzmasse eingeflossen sei.

Da der GmbH im November und Dezember 2000 außerdem Gelder von der Firma C zugeführt worden seien, hätte entgegen der Auffassung des FA im Dezember 2000 keine Vorsteuerberichtigung erfolgen müssen. Im Übrigen hätte zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung auf weitere Investitionen bestanden, wie sich aus den Vertragsentwürfen und Schriftverkehr mit der Firma C belegen lasse.

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 13. Februar 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2006 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 24. April 2008 Bezug genommen.

II.

Die Klage ist begründet, das FA hat den Kläger zu Unrecht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat.

1.

Gemäß § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung 1977 (AO) haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Zu den steuerlichen Pflichten gehört gemäß § 150 AO i.V.m. § 18 Abs. 3 UStG auch die rechtzeitige Abgabe wahrheitsgemäßer Umsatzsteuervoranmeldungen.

Zutreffend hat das FA die Umsatzsteuer gegenüber der GmbH festgesetzt und eine Organschaft zwischen der A Holding GmbH und der GmbH verneint.

Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung -UStG- setzt die Annahme einer Organschaft voraus, dass eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist.

Unternehmer ist nach § 2 Abs.1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen. Eine Tätigkeit wird nachhaltig ausgeübt, wenn sie auf Dauer zur Erzielung von Entgelten angelegt ist.

Die Gründung einer Gesellschaft und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen begründet nach ständiger Rechtsprechung jedoch keine Unternehmereigenschaft (Urteil des Europäischen Gerichtshofs --EuGH-- vom 20. Juni 1991 C-60/90, Polysar Investments Netherlands, EuGHE 1991, I-3111 Rdn. 17; vom 21. Oktober 2004 Rs C-8/03 - "Banque Bruxelles Lambert S.A" - UR 2004, 642, Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Januar 1988 X R 48/81, BStBl II 1988, 557 und vom 28. September 1988 X R 6/82, BStBl II 1989, 122). Eine Holding-Gesellschaft wird nur dann zum Unternehmer, wenn sie die Dienstleistung der geschäftsleitenden Tätigkeit gegen Entgelt erbringt, mithin in Form von Kostenzuweisungen an die Tochtergesellschaften weiterberechnet (vgl. auch BFH-Urteil 9. Oktober 2002 V R 64/99, BFH/NV 2003, 128).

Dies ist im Streitfall jedoch nicht erfolgt. Selbst wenn die A Holding GmbH durch ihre Geschäftsführer Dienstleistungen an die GmbH erbracht hätte, die für die Verwaltung dieser Gesellschaft erforderlich und bedeutsam gewesen wären, erfolgte dies nicht gegen Entgelt.

Ein Leistungsaustausch fand daher nicht statt.

2. Im Streitfall ist jedoch nicht ersichtlich, dass der Kläger als Geschäftsführer und gesetzlicher Vertreter der GmbH ihre steuerlichen Pflichten verletzt hat. Insbesondere hat er keine unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen für das vierte Quartal 2000 und Januar 2001 abgegeben, indem er es unterlassen hat, in diesen Voranmeldungen bereits in Anspruch genommene Vorsteuerabzüge zu berichtigen.

Gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 UStG muss der Schuldner seinen Vorsteuerabzug bereits dann berichtigen, wenn sich aus den Gesamtumständen, insbesondere aus einem längeren Zeitablauf nach Eingehung der Verbindlichkeit ergibt, dass er seiner Zahlungsverpflichtung gegenüber seinem Gläubiger nicht mehr nachkommen wird. Wird der Anspruch des Gläubigers später ganz oder teilweise befriedigt, ist § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG anzuwenden.

"Uneinbringlich" ist eine Forderung nicht schon dann, wenn der Leistungsempfänger die Zahlung nach Fälligkeit verzögert, sondern erst, wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltsforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit nicht durchsetzen kann (BFH-Urteil vom 20.07.2006 V R 13/04, BStBl II 2007, 22 m.w.N.). Hauptfälle mangelnder Durchsetzbarkeit aus tatsächlichen Gründen sind die Zahlungsunfähigkeit und der mangelnde Zahlungswille des Schuldners (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1987 V R 80/82, BStBl II 1987, 691). Spätestens wenn über das Vermögen eines Unternehmers das Insolvenzverfahren eröffnet wird, werden die gegen ihn gerichteten Forderungen in diesem Zeitpunkt unbeschadet einer möglichen Insolvenzquote in voller Höhe uneinbringlich.

Im Streitfall ergibt sich aus den -rückwirkend getroffenen- Feststellungen im Insolvenzgutachten, dass die GmbH spätestens im Dezember 2000 zahlungsunfähig war. Das FA ist daher davon ausgegangen, dass es der Kläger pflichtwidrig unterlassen habe, sämtliche im vierten Quartal 2000 und Januar 2002 geltend gemachten Vorsteuern zu berichtigen. Eine detaillierte Bezugnahme auf die nach Ansicht des FA uneinbringlichen Forderungen ist jedoch weder im Haftungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung enthalten. Das FA hat nicht substantiiert dargelegt, in wieweit die in den Voranmeldungen für das vierte Quartal 2000 sowie Januar 2001 geltend gemachten Vorsteuerbeträge auf nicht beglichenen Rechnungen beruhen und in welchem Umfang deshalb eine Berichtigungspflicht der Klägers bestanden und damit verletzt werden hätte können. Der Einwand, aufgrund der dem FA vorliegenden Zahlen müsse davon ausgegangen werden, dass im Dezember 2000 Verbindlichkeiten in einer Größenordnung von ca. 4 Millionen DM bestanden hätten, die berichtigt werden hätten müssen, kann eine Inhaftungnahme des Klägers jedoch nicht begründen. Gerade im Hinblick darauf, dass in den Monaten November und Dezember 2000 unstreitig noch Zahlungen der Firma C erfolgt sind, lässt der Haftungsbescheid mangels Bestimmtheit nicht erkennen, für welche unbezahlten Rechnungen dem Kläger eine Pflichtverletzung bezüglich ihrer Berichtigung vorgeworfen wird.

Der Haftungsbescheid hält einer Nachprüfung darüber hinaus nicht Stand, weil auch die Geltendmachung von Vorsteuern zu einem Zeitpunkt, in dem die GmbH unstreitig schon zahlungsunfähig gewesen ist, keine Pflichtverletzung begründet. Denn nach Rechtsprechung des BFH ist ein Geschäftsführer auch in Zeiten der Krise steuerrechtlich nicht verpflichtet, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Umsatzsteuer auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden kann (BFH-Beschluss vom 7. September 2007 VII B 180/06, BFH/NV 2008, 16, BFH-Urteil vom 28. November 2002 VII R 41/01, BFHE 200, 482, BStBl II 2003, 337). Vielmehr bleibt er auch in Krisenzeiten in seinen unternehmerischen Dispositionen und in der Vertragsgestaltung frei. Das UStG nimmt es grundsätzlich in Kauf, dass die Umsatzsteuer, die der Leistungsempfänger als Vorsteuer gegenüber dem Fiskus geltend machen kann und die im Gegenzug bei dem Leistenden erhoben wird, im Einzelfall wegen dessen Insolvenz nicht oder nur teilweise realisiert werden kann. Auf das Interesse des Fiskus, Vorsteuer nicht ohne die gesicherte Erwartung vergüten zu müssen, dass die Umsatzsteuer von dem Leistenden bezahlt wird, muss der Unternehmer keine Rücksicht nehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.



Ende der Entscheidung

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