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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 30.03.2007
Aktenzeichen: 14 K 2502/05
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 125 Abs. 1
AO § 162 Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 2502/05

Umsatzsteuer 1997, 1999

In der Streitsache

...

hat das Finanzgerichts München, 14. Senat,

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) die Aufhebung ergangener Schätzungsbescheide für Umsatzsteuer der Jahre 1997 und 1999 zu Recht abgelehnt hat.

Die Klägerin ist als Steuerberaterin unternehmerisch tätig. Neben ihren Einkünften aus selbständiger Arbeit bezieht sie Einkünfte aus einem Angestelltenverhältnis.

Im November 1997 teilte sie dem FA hinsichtlich der festgesetzten Einkommensteuervorauszahlungen mit, sie hätte ihre freiberufliche Tätigkeit sehr eingeschränkt und sei hauptsächlich nichtselbständig tätig. Im Rahmen der vierteljährlichen Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 1997 erklärte sie Vorsteuern in Höhe von 33,97 DM.

Trotz mehrfacher Aufforderung seitens des FA wurden keine Steuererklärungen für die Streitjahre eingereicht. Das FA schätzte daher die Besteuerungsgrundlagen.

Mit Bescheid vom 15. März 1999 wurden für das Jahr 1997 zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Lieferungen und sonstige Leistungen zu einem Steuersatz von 15% in Höhe von 5.000,00 DM sowie Vorsteuern in Höhe von 100,00 DM angesetzt. Es errechnete sich eine Umsatzsteuerschuld in Höhe von 650,00 DM.

Mit Bescheid vom 26. Juni 2000 wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.

Am 2. Januar 2003 ging beim FA die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1997 ein. Nach Berechnung der Klägerin ergab sich unter Zugrundelegung von Umsätzen in Höhe von 789 DM und abziehbarer Vorsteuer in Höhe von 61,72 DM eine Umsatzsteuer in Höhe von 56,70 DM.

Das FA lehnte die Änderung der Umsatzsteuerveranlagung für das Jahr 1997 mit Bescheid vom 17. Januar 2003 ab.

Für den Veranlagungszeitraum 1999 schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen zunächst unter Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 28. Juni 2001 und setzte Lieferungen und sonstige Leistungen zu einem Steuersatz von 16% in Höhe von 20.000 DM an. Ohne Ansatz abziehbarer Vorsteuern errechnete sich eine Umsatzsteuerschuld in Höhe von 3.200,00 DM.

Der hiergegen eingelegte Einspruch vom 30. Juli 2001 wurde von der Klägerin nicht begründet. Im Rahmen der daraufhin erlassenen Einspruchsentscheidung vom 10. April 2002 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

Am 22. Dezember 2003 reichte die Klägerin beim FA die Umsatzsteuererklärung 1999 ein. Mit Verfügung vom 29. März 2004 lehnte das FA die Änderung der Umsatzsteuerveranlagung ab.

Gegen die Ablehnung ihrer Anträge auf Änderung der Umsatzsteuerveranlagung für die Jahre 1997 und 1999 legte die Klägerin jeweils am 29. April 2004 Einspruch ein. Mit Entscheidung vom 7. Februar 2005 wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen eingelegten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass das FA die Änderung der Umsatzsteuerveranlagung zu Unrecht ablehne. Bei den Schätzungsbescheiden handle es sich um offensichtlich willkürliche Festsetzungen, die mangels Nichtigkeit keine Rechtskraft erlangen könnten. Obwohl sie in den Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 1997 keine Umsätze und lediglich im letzten Quartal Vorsteuer in Höhe von 33,97 DM erklärt habe, habe das FA im Bescheid vom 15. März 1999 Hinzuschätzungen in Höhe von 5000% getätigt und bekannte Tatsachen willkürlich und bewusst zu ihrem Nachteil außer Acht gelassen.

Auch für das Jahr 1998 habe sie im März 1999 weder Umsätze noch abziehbare Vorsteuern erklärt. Sie könne daher nicht nachvollziehen, auf welcher Grundlage das FA für das Jahr 1999 umsatzsteuerpflichtige Leistungen in Höhe von 20.000 DM schätze.

Eindeutig handle sich um Strafschätzungen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidungen vom 7. Februar 2005 ihren Anträgen auf erklärungsgemäßer Veranlagung zur Umsatzsteuer 1997 und 1999 stattzugeben und die Umsatzsteuer 1997 auf 56, 00 DM und die Umsatzsteuer 1999 auf 0,00 DM festzusetzen.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II. Die Klage ist unbegründet. Das FA hat die Änderung der Umsatzsteuerveranlagung zu Recht abgelehnt. Da die Schätzungsbescheide nicht nichtig sind, sind sie bestandskräftig geworden.

1. Gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln kann. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Erklärungspflichten nicht oder nicht fristgerecht nachkommt. Ein auf der Grundlage geschätzter Besteuerungsmerkmale ergehender Bescheid kann von dem Steuerpflichtigen grundsätzlich nur binnen Monatsfrist nach seiner Bekanntgabe angefochten werden. Anderenfalls erwächst er in Bestandskraft (§§ 355 Abs. 1 Satz 1, 358 Satz 2 AO). Im Streitfall liegen auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen nichtiger Steuerbescheide vor. Nichtigkeitsfehler können fristungebunden geltend gemacht werden können.

Nach § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwer wiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung der in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) führen selbst grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheids; anders verhält es sich nur, wenn das FA bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt (vgl. Beschluss des BFH vom 28. Dezember 2001 V B 148/01, BFH/NV 2002, 682).

Eine Schätzung erscheint nicht schon deswegen als rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht; solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Eine Schätzung erweist sich vielmehr erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Wird eine Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das FA an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will. Verlässt eine überzogene Schätzung diesen Rahmen, hat dies im Allgemeinen nur die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits ihre Nichtigkeit zur Folge. Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen.

Etwas anderes ist allenfalls dann zu erwägen, wenn sich das FA nicht an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsmäßige Verwaltung nicht zu vereinbaren sind, können einen schweren Fehler i.S. von § 125 Abs. 1 AO abgeben. So kann es sich verhalten, wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, auffallend von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden. Eine Schätzung darf nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten. "Strafschätzungen" eher enteignungsgleichen Charakters gilt es zu vermeiden (vgl. BFH vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BStBl II 2001, 381).

2. Vorliegend ist eine Willkür- oder Strafschätzung durch das FA jedoch nicht erkennbar. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin im gesamten Zeitraum nichts Wesentliches zur Aufklärung der tatsächlichen Gegebenheiten beigetragen hat. Abgesehen von der Nichtabgabe der Steuererklärungen während mehrerer Jahre wurden Einsprüche gegen die Schätzungsbescheide nicht begründet. Die Möglichkeit, vor Ablauf der Bestandskraft Erklärungen abzugeben, wurde nicht genutzt. Den ihr gemäß § 90 AO obliegenden Mitwirkungspflichten ist sie nicht nachgekommen. Sie muss es daher gegen sich gelten lassen, dass für sie nachteilige Schlussfolgerungen gezogen werden (Beschluss des BFH vom 17. März 1997 I B 123/95, BFH/NV 1997, 730).

Ein Ansatz von steuerpflichtigen Umsätzen in Höhe von 5.000 DM für das Jahr 1997 begegnet keinen Bedenken. Wie das FA in seiner Einspruchsentscheidung zum Ausdruck bringt, wichen auch die Angaben in den Umsatzsteuervoranmeldungen der Vorjahre erheblich von den in den Jahreserklärungen genannten Umsätzen ab. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das FA seiner Schätzung sonstige Leistungen in Höhe von 5.000 DM zugrunde gelegt hat, auch wenn die Klägerin im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 1997 lediglich Vorsteuern in Höhe von 33,97 DM erklärt hatte.

Auch die Erhöhung der Umsätze auf 20.000 DM in der Schätzung für das Jahr 1999 führt nicht zur Nichtigkeit der Schätzung, sondern orientiert sich lediglich an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass die Klägerin im März 1999 Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 1998 abgegeben und darin weder Umsätze noch abziehbare Vorsteuer erklärt hat. Denn im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit kann die Höhe der Besteuerungsgrundlagen in jedem Jahr nicht unerheblichen Abweichungen unterliegen.

Die Klägerin hatte im Zeitpunkt der Schätzung der Umsatzsteuer 1999 weder für das Jahr 1998 noch 1999 Einkommensteuererklärungen abgegeben. Es war dem FA daher nicht bekannt, ob die Klägerin noch nichtselbständig tätig war oder nunmehr ausschließlich Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erzielt hat. Dem FA standen keine Erkenntnismittel zur Verfügung, an die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen anzuknüpfen. Nach Ansicht des Gerichts liegt eine Schätzung von steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen in Höhe von 20.000 DM durchaus im Bereich des Möglichen. Eine Umsatzsteuersonderprüfung, die nach Ansicht der Klägerin hätte durchgeführt werden müssen, bietet sich in diesem Zusammenhang nicht als geeignetes Beweiserhebungsmittel des FA an. Denn gemäß § 18 Abs. 1 und 3 des Umsatzsteuergesetzes in der für die Streitjahre maßgebenden Fassung (UStG) obliegt es jedem Unternehmer selbst, die von ihm selbst zu berechnende Umsatzsteuer dem FA in den dafür vorgeschriebenen Erklärungen mitzuteilen. Die Vorschrift des § 162 Abs. 2 AO sieht bei der Nichterfüllung der Erklärungspflicht grundsätzlich die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor, die Durchführung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung wird hingegen durch andere Kriterien veranlasst (vgl. Abschnitt 232 Abs. 2 der Umsatzsteuerrichtlinien).

Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Schätzungen an den vorhandenen Informationen anknüpfen. Es ist erkennbar, dass sich das FA an den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen orientieren will und diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, ausgeschöpft hat.

Strafschätzungen wurden nicht vorgenommen. Die angefochtenen Bescheide sind damit nicht nichtig.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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