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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 25.01.2007
Aktenzeichen: 14 K 2561/05
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977
Vorschriften:
FGO § 44 Abs. 1 | |
AO 1977 § 37 Abs. 2 S. 3 | |
AO 1977 § 71 | |
AO 1977 § 218 Abs. 2 S. 2 |
Finanzgericht München
Haftung für Umsatzsteuer der Fa. M GmbH und das verbundene Leistungsgebot Pfändungs- und Einziehungsverfügung
In der Streitsache
...
hat der 14. Senat des Finanzgerichts München
unter Mitwirkung
...
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2007
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
I. Streitig ist, ob die Klägerin zu Recht für Abgabenschulden der Firma M GmbH (nachfolgend GmbH) in Haftung genommen worden ist.
Die Klägerin ist die einzige und alleinvertretungsberechtige Geschäftsführerin der GmbH mit Sitz in F.
Aufgrund einer bei der GmbH in den Jahren 1994 und 1995 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung kam das Finanzamt (FA) zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zu Gunsten der GmbH im Prüfungszeitraum 1989 bis März 1994 Wareneinkäufe und entsprechende umsatzsteuerfreie Ausfuhrlieferungen vorgetäuscht und durch die Abgabe falscher Umsatzsteuererklärungen bzw. Voranmeldungen die Erstattung von Vorsteuerbeträgen in Höhe von insgesamt 546.190,62 EUR zu Unrecht erwirkt habe.
Die sich nach den vorgenommenen Bescheidänderungen für den Prüfungszeitraum ergebenden Umsatzsteuernachzahlungen einschließlich Zinsen waren bei der GmbH nicht beitreibbar.
Das FA nahm daher die Klägerin für die rückständige Umsatzsteuer 1989 bis März 1994 in Höhe von 562.364,37 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 57.396,60 EUR gemäß § 71 Abgabenordnung 1977 (AO) in voller Höhe mit Bescheid vom 2. November 1995 in Haftung.
Der Haftungsbescheid erging wegen erklärter Gefahr im Verzug ohne vorherige Ankündigung und gleichzeitigem Leistungsgebot. Er war mit einer Begründung der Inanspruchnahme sowie der Darlegung von Ermessenserwägungen seitens des FA versehen. Die Zustellung erfolgte nach dem Vertrag über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen mit der Republik Österreich über das FA Salzburg-Stadt durch Übernahme des Rückscheinbriefes am 8. Mai 1996 an die damalige Adresse der Klägerin.
Auf den gegen den Haftungsbescheid eingelegten Einspruch hin setzte das FA die Haftungsschuld mit Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 1997 und, weil die Klägerin in der Folgezeit den Zugang der Entscheidung bestritten hatte, nochmals mit Einspruchsentscheidung vom 15. Juni 2005 schließlich auf 548.759,50 EUR herab, da sich die Haftungssumme aufgrund Tilgungszahlungen der GmbH auf diesen Betrag gemindert hatten.
Am 13. August 2002, 18. September 2003 und 14. April 2005 führte das FA Vollstreckungsmaßnahmen durch. Es erfolgten unter anderem die Ladung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung sowie die Eintragung einer Sicherungshypothek. Darüber hinaus wurde eine Lohnpfändung beim Arbeitgeber der Klägerin angebracht.
Mit der hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass ihr die Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 1997 nicht zugegangen sei. Nach Angaben des FA sei diese mit einfachem Brief an die Adresse der Klägerin in M geschickt worden. Sie habe dieses Schreiben jedoch nicht erhalten. Der Haftungsbescheid könne daher nicht wirksam sein. Die Einspruchsentscheidung vom 15. Juni 2005 gehe ins Leere, da inzwischen Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Da kein vollstreckbarer Leistungsbescheid vorliege, seien die vom FA vorgenommenen Pfändungsmaßnahmen rechtswidrig. Durch die Gehaltspfändungen entstünden ihr erhebliche, nicht wieder zu ersetzende Nachteile.
Die Klägerin beantragt,
den Haftungsbescheid vom 2. November 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung sowie die Pfändungs- und Einziehungsmaßnahmen vom 13. August 2002, 18. September 2003 und vom 14. April 2005 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die bereits überwiesenen gepfändeten Beträge zuzüglich Zinsen zurückzuerstatten.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II. Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Pfändungs- und Einziehungsverfügung
Der Antrag der Klägerin auf Aufhebung der vom FA erfolgten Pfändungs- und Einziehungsverfügungen ist unzulässig, da kein Vorverfahren gemäß § 44 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) durchgeführt worden ist und die Voraussetzungen der §§ 45, 46 FGO nicht vorliegen.
2. Erstattung der gepfändeten Beträge
Der Antrag der Klägerin, das FA zur Rückerstattung der gepfändeten Beträge zu verpflichten, hat ebenfalls keinen Erfolg.
Gemäß § 218 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung 1977 (AO) entscheidet die Finanzbehörde über eine Streitigkeit, die einen Erstattungsanspruch i.S.d. § 37 Abs. 2 S. 3 1977 betrifft, durch Verwaltungsakt. Bevor eine finanzgerichtliche Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit erfolgen kann, ist ebenfalls ein Vorverfahren i.S.d. §§ 347 ff AO i.V.m. § 44 Abs. 1 FGO durchzuführen.
Im Streitfall sind diese Erfordernisse nicht erfüllt, da nicht einmal ein ablehnender Verwaltungsakt vorliegt, der die Klägerin in ihren Rechten verletzen könnte.
3. Haftungsbescheid
Das FA hat die Klägerin zu Recht mit Bescheid vom 2. November 1995 in Haftung genommen.
3.1. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Gemäß § 191 Abs. 3 AO sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden die Vorschriften über die Festsetzungsfrist entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre und in den Fällen einer Steuerhinterziehung gemäß § 71 AO zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft (§ 191 Abs. 3 Satz 3 AO).
Die Klägerin wurde für Umsatzsteuer und Zinsen zur Umsatzsteuer der Jahre 1989 bis 1994 wegen Steuerhinterziehung gemäß § 71 AO in Haftung genommen.
Die Festsetzungsfrist hat deshalb in Bezug auf die Jahressteuererklärung für die Umsatzsteuer 1989 der GmbH frühestens mit Ablauf des Jahres 1990 begonnen (vgl. § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes in der für die Streitjahre maßgebenden Fassung - UStG - i.V.m. § 191 Abs. 3 Satz 3 AO) und frühestens mit Ablauf des Jahres 2000 geendet. Der Haftungsbescheid vom 2. November 1995 wurde daher vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen. Infolge der Anfechtung des Haftungsbescheids mit Einspruch vom 3. Juni 1996 und nunmehr der rechtzeitig erhobenen Klage läuft die Festsetzungsfrist für die Haftungsschuld gemäß §§ 191 Abs. 3, 171 Abs. 3 a i.V.m. Art. 97 § 10 Abs. 9 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung - EGAO -) nicht ab, bevor über die Klage der Klägerin unanfechtbar entschieden ist.
3.2. Das FA hat die Klägerin zu Recht sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach als Geschäftsführerin der GmbH für deren Abgabenschulden in Haftung genommen. Die Klägerin hat als Geschäftsführerin der GmbH für diese in den Umsatzsteuererklärungen und -Voranmeldungen 1989 bis März 1994 teilweise zu niedrige steuerpflichtige Umsätze erklärt und jeweils überhöhte Vorsteuerbeträge ausgewiesen. Sie hat damit den Tatbestand der Steuerhinterziehung mit der Folge der Haftung für die verkürzten Steuern (§ 71 AO) erfüllt, da sie dem FA unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht und dadurch Steuern verkürzt hat (§ 370 Abs.1 Nr.1 AO).
Aufgrund ihrer steuerlichen Vor- und Ausbildung musste die Klägerin als langjährige Geschäftsführerin erkennen, dass die in den Jahren 1991 bis 1993 erzielten Erlöse ohne die erforderlichen buch- und belegmäßigen Ausfuhrnachweise nicht als steuerfrei hätten deklariert dürfen, sondern der Umsatzsteuer unterworfen werden mussten. Sie hat den Eintritt der Steuerverkürzungen zumindest billigend in Kauf genommen und damit wenigstens bedingt vorsätzlich i.S.d. § 379 AO gehandelt.
Nach § 370 Abs.4 Satz 1 AO sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Das FA hat somit zu Recht den Haftungstatbestand der Steuerhinterziehung (§ 71 AO) bejaht.
Das FA ist außerdem zu Recht davon ausgegangen, dass die GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit der verkürzten Umsatzsteuer über ausreichende Mittel zur Entrichtung der Steuer verfügt hat. Die Klägerin, die insofern die Beweislast trägt, hat nichts zu ihrer Entlastung vorgetragen (vgl. Urteil des Bundsfinanzhofs - BFH - vom 26.08.1992 VII R 50/91, BStBl II 1993, 8).
Gemäß § 71 AO erstreckt sich die Haftungsinanspruchnahme auch auf Zinsen auf die zu Unrecht gewährten Steuervorteile. Der zwischenzeitlich erfolgten Tilgungsleistungen der GmbH auf die Steuerschulden durch Verrechnungen mit Steuerguthaben hat das FA mit der teilweisen Rücknahme des Haftungsbescheids im Einspruchsverfahren Rechnung getragen.
3.3. Ermessensfehler des FA sind weder hinsichtlich des Auswahl- noch hinsichtlich des Entschließungsermessens ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.
Ende der Entscheidung
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